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2.2 Der öffentliche Raum als Bühne der LL
ОглавлениеLinguistic Landscapes sind das Signum eines öffentlichen und weitgehend anonymen Raums, in dem die Kommunikation zwischen zentralen Akteuren (Produzent/Händler-Kunde) nur noch indirekt, vermittelt über Signs stattfindet. Definitionen dessen, was als öffentlicher Raum zu verstehen ist, kreisen vornehmlich um die Frage der Zugänglichkeit sowie der Bestimmung von ‚Raum‘ als gedachtem vs. geografischem Areal, wobei letzteres vornehmlich durch Menschen geschaffene oder von ihnen in ihrer Struktur wesentlich geprägte Räume meint und weniger auf Naturräume wie z.B. Wälder Bezug nimmt.
Zentral ist zunächst die Unterscheidung von ‚privat‘ und ‚öffentlich‘, da nicht alle Teile der von Menschen geschaffenen Räume für jedermann zugänglich sind. Dabei kann die Selektion der Zugangsberechtigung unterschiedliche Dimensionen annehmen. Grundlegend ist zunächst die Trennung zwischen privaten (Wohn-)Räumen und öffentlich zugänglichen Räumen wie Straßen, Plätzen und Gebäuden aller Art (Geschäfte, Schulen, Behörden, Museen, Schwimmbäder etc.).
Damit wird die doppelte Struktur des öffentlichen Raumes sichtbar, die sowohl den Raum außerhalb von Gebäuden umfasst als auch den Raum innerhalb o.g. Gebäudetypen. Diese sind vor allem im Bereich der Geschäfte durch den Eigentümer häufig als Privatbesitz, aber aufgrund ihrer ökonomischen Funktion nicht als privater Raum zu sehen, da die Nutzung durch anonyme, dem Eigentümer unbekannte Personen erwünscht ist. Klamt (2007) beschreibt in diesem Zusammenhang Fensterfronten von Geschäften (Schaufenster) und Arkadengänge als Übergangszonen, in denen die Trennung von Innen (Geschäft) und Außen (Straße) nicht mehr eindeutig gegeben ist. Eine andere Interpretation in Bezug auf Arkaden findet sich bei Scollon & Scollon (2003), die in ihnen eine typisch europäisch geprägte Ästhetik sehen, in der „urban surfaces without signs as an expression of high levels of elegance“ gewertet werden.
Allerdings kann bei prinzipiell öffentlich zugänglichen Gebäuden durch bestimmte Merkmale eine Selektion hinsichtlich der Nutzergruppe erreicht werden. Diese wird in der Regel dadurch erzielt, dass bestimmte Zielgruppen über Marker angesprochen werden. Diese Marker sind häufig Teil und prägendes Element der Linguistic oder Semiotic Landscape eines gegebenen Raumes und verweisen auf gelernte Wissens- und Interpretationsstrukturen, die bei den Nutzern des öffentlichen Raumes gegeben sind. Grundsätzlich führt diese Perspektive zu einem weiteren Verständnis von öffentlichem Raum als heterogenem, von der und für die Öffentlichkeit konstruiertem Orten unterschiedlicher Form und Funktion (Klamt 2007).
Wesentlich für die Entstehung eines öffentlichen Raumes im obigen Sinne sind zwei weitere, bisher nicht thematisierte Elemente. Die beschriebenen Strukturen verweisen auf eine hohe Nutzungsdichte, die eine gute Erreichbarkeit der jeweiligen Orte sowie einen hohen Frequentierungsgrad und damit eine starke Integration in den Alltag andeuten. Gleichzeitig liegt eine stark ökonomisch geprägte Ausrichtung dieser Orte vor, in denen Kommunikation zwischen den Gruppen bzw. Akteuren nur unter bestimmten Bedingungen möglich ist.
Dies gilt zunächst auch für kleinere Ortschaften, in denen z.B. der Dorfplatz, die zentrale Dorfstraße oder das Dorfwirtshaus die Funktion des öffentlichen Raumes im hier beschriebenen Sinne erfüllen. Dort trifft man sich, dort sind u.U. Schule, Kindergarten und Läden angesiedelt, in denen Einkäufe gemacht werden. In diesem überschaubaren Rahmen, in dem eine gewisse Vorhersagbarkeit im Hinblick auf die anwesenden Personen herrscht, kann Kommunikation sowohl zwischen den Nutzern als auch zwischen den Nutzern und den Anbietern (Wirt, Ladenbesitzer) noch weitestgehend direkt als face-to-face-Kommunikation ablaufen. In urbanen Räumen hingegen ist zum einen eine Kommunikation zwischen den Nutzern aufgrund der großen anonymen Masse nicht Ziel des Aufenthalts im öffentlichen Raum, zum anderen ist eine unmittelbare Kommunikation Anbieter-Kunde ebenfalls nicht mehr möglich.
Gleichzeitig ist jedoch gerade diese Kommunikation zentral für die Wahrnehmung des öffentlichen Raumes, da sie wesentlich zu seiner konkreten Ausprägung beiträgt und damit Teil seiner Konstruktion ist. Klamt (2007) verwendet den Begriff „Wahrnehmungsraum“ als Gegenbegriff zum „objektiven Raumverständnis der Naturwissenschaften“1 und betont damit die Konstruiertheit und Subjektivität des öffentlichen Raumes, da dieser durch seine konkrete Form zwar (konventionalisierte) Wahrnehmungen und Interpretationen vorschlägt, der Nutzer diesen aber nicht folgenden muss und insgesamt eine Umgestaltung und Uminterpretation jederzeit möglich ist.
Daraus leitet sich ab, dass in Anlehnung an die Ausführungen von Friedrich & Schweppenhäuser (2010) zum Kommunikationsdesign die Konstruktion des öffentlichen Raums kulturspezifische Elemente und deren Interpretationen und Bewertungen umfasst, die sich auf die konkrete Ausgestaltung dieses Raumes in architektonischer, infrastruktureller und ökonomischer Hinsicht beziehen und auswirken. Friedrich & Schweppenhäuser (2010) verweisen hier z.B. auf die Sehschulung und deren Einfluss darauf, ob bestimmte Kombinationen von ‚Objekt‘ und ‚Text‘ als passend empfunden werden sowie auf die von der kulturellen Prägung vorgegebenen Konnotationen zentraler Elemente der Wahrnehmung.
Auch wenn Friedrich & Schweppenhäuser (2010) sich in ihren Ausführungen auf Werbung und Marketing und das Zusammenspiel von beworbenem ‚Objekt‘ und passender ‚Schrift‘ bzw. passendem ‚Text‘ beschränken2, können ihre Ausführungen durchaus auf die Wahrnehmung des öffentlichen Raums übertragen werden, wenn die architektonischen3 und/oder natürlichen Gegebenheiten bzw. deren Kombination (Gebäude, Wege, Straßen, Grünflächen, Wälder4 etc.) als ‚Objekt‘ und die Präsenz von Sprache in verschrifteter Form, Piktogrammen etc. als ‚Text‘ verstanden wird, die zusammen den öffentlichen Raum und erst in der jeweils spezifischen Kombination einen bestimmten Typus desselben bilden.
Dabei stehen die architektonischen Gegebenheiten und die spezifische Ausprägung von geschriebener Sprache in der Regel in einem reziproken Verhältnis zu einander und verweisen zumindest in der Tendenz auf besonders prägnante Formen des jeweils anderen Elements. So lassen bestimmte architektonische Strukturen eine entsprechende Nutzung und eine für sie typische LL sowohl in Bezug auf die Qualität (hier verstanden sowohl hinsichtlich der Form als auch des Inhalts) als auch der Quantität erwarten. Diese Beziehung gilt dabei nicht nur für die in dieser Betrachtung im Zentrum stehende ökonomische Nutzung urbaner öffentlicher Räume (vgl. Fn. 7).
Für Naturräume, wie z.B. Wälder, werden nur wenige, nutzungsspezifische Signs im Sinne von Wegweisern für Wander- oder Radwege, ggf. Rastplätze o.ä. erwartet, die in ihrer äußeren Form deutlich von Signs urbaner Strukturen abweichen. Auch für den hier wesentlichen öffentlichen Raum in urbanen Strukturen zeigen sich ebenfalls spezifische architektonische Formen, die auf bestimmte Signtypen verweisen. Die Wahrnehmung von Wohngebäuden ggf. in Verbindung mit umgebenden Grünanlagen (Gärten), Parkmöglichkeiten und ‚normalen‘ Eingängen verweisen auf Wohngegenden ohne umfangreiche ökonomische Nutzung. Entsprechend werden keine oder nur wenige sehr spezifische Schilder erwartet, die einen ökonomischen Hintergrund haben (Bäcker, Arzt, sonstige Dienstleister). Stattdessen kann erwartet werden, dass Signs mehrheitlich aus Straßenschildern, Verkehrsschildern einschl. ggf. Hinweisschildern des ÖPNV (Haltestellenschildern, Fahrpläne etc.) und Namensschildern an Klingeln bestehen.
Im Gegensatz dazu reicht schon eine abweichende Gestaltung des Erdgeschosses mit besonderen Fensterformen (Schaufenster), die sich durch eine größere Glasfläche und eine entsprechend abweichende Integration in die Fassade auszeichnen, um eine andere Erwartungshaltung zu wecken, da diese Fensterstrukturen auf eine ökonomische Nutzung bzw. Teilnutzung des Gebäudes schließen lassen. Die Art der Wegegestaltung kann zusätzlich Hinweise auf die Nutzung eines Raums geben. Eine fehlende Trennung zwischen Gehwegen und Straßen evtl. einschließlich entsprechender Bepflanzung kann z.B. ein Hinweis auf eine Fußgängerzone sein, was wiederum auf eine ökonomische Struktur verweist, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Präsenz von Geschäften, Gastronomiebetrieben und möglicherweise Vertretern der Unterhaltungsbranche (Kino, Theater) geprägt ist.
Bild 4:
Fußgängerzone München.
Verbunden mit der Wahrnehmung des umgebenden Raums ist demnach eine Hypothese über dessen Nutzung und demzufolge über das Angebot von Informationssystemen (Signs), die den vorgefundenen Raum in seiner konkreten Nutzung erläutern. Zusammen mit den architektonischen Gegebenheiten bilden die Signs so die Struktur eines Raums und machen diesen zu einem eigenständigen ‚Exemplar‘ einer allgemeineren, übergeordneten Struktur, sind also eine konkrete Ausprägung eines ‚Genres‘ (vgl. Bawarshi und Reiff (2010: 78): „[G]enres dynamically embody a community‘s ways of knowing, being, and acting”).
Die genannten Informationssysteme repräsentieren zwei unterschiedliche, jedoch gleichermaßen konventionalisierte Formen von Sprache im Verbund mit weiteren semiotischen Systemen im öffentlichen Raum. Dies betrifft zunächst nur am Rande die in der LL-Forschung übliche Unterscheidung zwischen public und private signs, bzw. top-down und bottom up, die eine Unterscheidung im wesentlichen nach dem Sign-Produzenten vornimmt und grob gesagt institutionelle Produzenten (Regierungen, öffentliche Verwaltungen aller Ebenen und deren Einrichtungen etc.) und private Produzenten im Sinne von natürlichen Personen sowie Unternehmen als juristische Personen zivilen Rechts trennt.
In Bezug auf die Strukturierung des öffentlichen Raums spielt diese Trennung insofern eine Rolle, als dass die Signs der jeweiligen Produzenten eine unterschiedliche spezifische Funktion im öffentlichen Raum innehaben und somit auch auf die Rollen der hinter den Signs stehenden Produzenten für die Genese und Konstruktion des Raums verweisen. Gerade im Hinblick auf die Public Signs fällt auf, dass ihre Visibilität häufig im infrastrukturellen Bereich liegt und sich auf die Weiterleitung bzw. den Transport von Personen (Busse, U- und S-Bahnen, Straßenschilder etc.) im öffentlichen Raum sowie dessen weiterer Ausgestaltung (pflanzen und pflegen von Bäumen, Blumen, Aufstellen von Bänken etc.) bezieht. Im Gegensatz hierzu verweisen Private Signs in überdurchschnittlichem Maße auf ökonomisches Geschehen und zielen auf eine direkte Ansprache und Bindung des Passanten.
Bei einer allgemeineren Betrachtung können beiden Signtypen jeweils unterschiedliche Funktionen zugewiesen werden. Public Signs sind im Wesentlichen strukturierend und informierend, womit sich ihre Bedeutung auf die denotative Ebene beschränkt. Private Signs teilen diese Eigenschaften, haben aber zusätzlich eine stark konnotative Ebene, die diese Signs emotional auflädt5. Diese konnotative, emotive Ebene in Privat Signs liegt in der erweiterten Funktionalität dieses Signtyps begründet.
Er umfasst häufig Firmennamen (Labels) und Werbeslogans, die verkaufsfördernd und kundenbindend wirken sollen (Friedrich & Schweppenhäuser 2010). Signs mit Firmennamen sollen vor allem das sorgsam aufgebaute Firmenimage transportieren und haben damit über bzw. an einem konkreten Objekt sowohl eine deiktische und damit informative als auch konnotative und emotive Funktion, da sie letztendlich die kondensierte Version des Narrativs sind, das das Unternehmen in Form seines Images aufgebaut hat.
Werbeslogans zu bestimmten Anlässen oder passend zu einer bestimmten Saison wirken stärker noch als das Firmenimage emotional, da sie auf den Wunsch der Zielgruppe nach Realisierung bestimmter Lifestyle-Vorgaben abzielen, wie z.B. Mode, Make-up, Accessoires, Mobilität. Unterstützung erhalten die klassischen semiotischen Verfahren durch die Kombination mit ausgestellten und sorgsam arrangierten Produkten, die als ‚verlängerter Arm‘ des jeweiligen Labels mit dem Versprechen aufgeladen sind, das jeweilige Lebensgefühl bzw. die Emotionen, die dem Label entgegengebracht werden, auf sich selbst zu übertragen (Bateman 2008, 2014).
Aus dieser Konstellation ergibt sich die eingangs bereits erwähnte verlagerte und damit indirekte Kommunikation zwischen den Akteuren im öffentlichen Raum. Ein weiteres prägendes Merkmal dieser Kommunikation ist ihre Ortsgebundenheit durch ihre Präsenz auf Signs, die i.d.R. längerfristig vorhanden sind und am Anbringungsort verbleiben.6 Insofern tragen auch die Signs zur Konstruktion des öffentlichen Raumes bei, weil sie konstitutiv sind für die funktionale Bewertung dieses Raumes, Handlungsoptionen und –vorgaben machen und die Interaktion zwischen den einzelnen Akteuren ermöglichen, dabei aber aufgrund ihrer eigenen Immobilität die Präsenz des Rezipienten zwingend voraussetzen7.
Domke (2014: 66) bettet diese Konstruktionsleistung der Signs in die „Herstellung des Raums durch soziale, interaktive, sprachliche Praktiken“ ein, während Papen (2012) die doppelte, oben angesprochene Konzeption von Raum als Bedingung und Ergebnis sozialer Prozesse betont. Diese Bewertungen umfassen damit eine bisher nur implizit angesprochene Eigenschaft des Raums: seine Diskursivität (vgl. auch Jaworski & Thurlow 2010: 12).
Der öffentliche Raum ist geprägt von und wird geformt durch unterschiedliche, parallel stattfindende Diskurse. Diese sind monodirektional in dem Sinne, dass sich nur die Signproduzenten an die Nutzer des Raumes wenden, welche ihrerseits nicht direkt in den Diskurs eintreten können. Zu fragen bleibt, in welchem Umfang die durch die Diskurse bzw. Diskursteile initiierten Handlungsformen als Replik interpretierbar sind.
Die weiter oben vorgenommene Unterscheidung der Funktionen von Public Signs und Private Signs spiegelt sich auch in der Diskursivität wieder. Der oben als großteilig strukturierend und informierend beschriebene Charakter der Public Signs ist häufig imperativ, da sie in der Regel über Ge- bzw. Verbote informieren und auch über diese strukturierend wirken. Ge- und Verbote in Public Signs gestalten die Makrostruktur des öffentlich Raumes aus, da sie vorgeben, welcher Akteur sich wo und ggf. wann aufhalten darf, wie er sich wo fortbewegen darf und kann etc. Dabei ergibt sich ein Übergangsbereich zu den Privat Signs. Diese sind bis auf wenige Ausnahmen ökonomischer Struktur, aber Hinweisschilder zu Öffnungszeiten beispielsweise spiegeln den Einfluss des rechtlichen Rahmens8.
Darüber hinaus sind Private Signs in ihrer Struktur komplexer, da sie nicht nur einfache Informationen darüber bieten, wer wo wann was anbietet, sondern diese Informationen in mehrfach geschichteten Narrativen präsentieren. Private Signs vermitteln im Idealfall das Image bzw. Selbstbild des Unternehmens sowohl über das reine Firmenschild als auch über die präsentierten Objekte, welche über Stil, Materialien etc. das Image des Unternehmens präsentieren. Diese nicht-sprachlichen Elemente sind im Sinne einer Semiotic Landscape ebenfalls als Signs zu bewerten, da sie ebenso wie verschriftete Sprache einerseits zur Konstruktion des öffentlichen Raumes beitragen und andererseits in einer engen Beziehung zu den sprachlichen Elementen stehen und zusammen mit diesen erst ein gesamtes, in sich stimmiges Bild ergeben (ausführlich hierzu: Kapitel 2.3 und Analysekapitel).
Aus diesem Gesamtbild leitet der Wahrnehmende im Falle eines unbekannten Signproduzenten (hier gemeint als unbekanntes Unternehmen o.ä.) eine Hypothese über den Produzenten ab bzw. findet im Falle eines ihm bekannten Produzenten eine Bestätigung seiner Erwartungen. Während der Hypothesenbildung spielt wiederum die Sehschulung eine große Rolle, da bestimmte Kombinationen aus Farben, Fonts, Produkten für bestimmte Branchen, Warengruppen, Zielgruppen etc. stehen. Darüberhinaus kommt den sprachlichen Elementen eine bedeutende Funktion zu, die über die konkrete Einzelsprache hinausgeht und die sich sowohl auf den Inhalt als auch das verwendete Register bezieht und die die nicht-sprachlichen Elemente ergänzt.
Bedingt durch ihre Narrativität haben Private Signs eine größere Reichweite als Public Signs. Letztere verweisen auf den unmittelbaren Standort oder, sofern wegweisend, auf ihren unmittelbaren Nahbereich wie dies z.B. bei U- oder S-Bahnschildern der Fall ist, die auf die nächste Haltestelle verweisen. Zwar verweisen auch Private Signs auf ihren unmittelbaren Nahbereich, reichen jedoch durch ihre komplexe narrative Struktur auch darüber hinaus.
Damit kommt bei diesen Signs die von Scollon & Scollon (2003: 1-2) beschriebene Wichtigkeit des Standortes zum Tragen. Scollon & Scollon verweisen darauf, dass die Bedeutung/Botschaft eines Signs erst durch dessen Platzierung an seinem Bestimmungsort seine eigentliche Bedeutung bekommt. Damit wird auch der Aufstellungsort als Teil des öffentlichen Raumes mit Bedeutung aufgeladen. Scollon & Scollon erläutern ihre Ausführungen mit dem Beispiel eines „Nacktbaden verboten“-Schildes, das seine Bedeutung erst am Aufstellungsort erhält und z.B. auf der Ladefläche eines Transporters keine Bedeutung hätte. Die ‚Bedeutungslosigkeit‘ des Signs liegt auch darin begründet, dass die Ladefläche eines Transporters kein Ort ist, an dem zumindest die Möglichkeit zum Baden gegeben ist. Diese Zuweisung von Bedeutung unterliegt gelernten kulturellen Mustern, die Orten nicht nur bestimmte Handlungsoptionen zuweisen, sondern auch bestimmte Signs bzw. konkrete Ausprägungen bestimmter Signtypen erwarten lassen.
Wegen der engen Beziehung zwischen öffentlichem Raum und Signs lassen sich nicht nur Aussagen über die Nutzung eines Raumes sondern auch über die Signdichte und Signtypen ableiten. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen dem Grad der ökonomischen Nutzung auf der einen und Signdichte und Signtyp auf der anderen Seite.
Wie oben angedeutet ist in Wohngebieten eine geringere Varianz in den Signs zu erwarten. Dieser Raumtyp wird in der Regel von Public Signs (Verkehrsschilder, Straßennamen, ggf. ergänzt durch Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft wie Schulen und Kindergärten etc.) und Private Signs des Typs Klingelschild dominiert. Private Signs mit ökonomischem Bezug (Restaurant, Läden etc.) sind in diesem Kontext seltener vorhanden9.
Sowohl das Verhältnis von Private und Public Signs zueinander als auch zwischen den unterschiedlichen Formen der Private Signs verschiebt sich in zentralen Lagen größerer Orte und in Städten. Diese Bereiche sind von Handel und Dienstleistung sowie intensivem Verkehr geprägt und weisen nur einen vergleichsweise geringen Anteil an Wohnbevölkerung auf (vgl. Kapitel 4 und 5 für die Münchner Innenstadt). Dadurch gleicht sich einerseits die Zahl von Public und Private Signs an, während andererseits bei den Private Signs der Signtyp Klingelschild in der Präsenz hinter ökonomisch geprägten Signs zurücktritt. In diesem Kontext ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass mit zunehmender Größe des Ortes eine Verdichtung der ökonomischen Struktur zu erwarten ist, da Städte nicht nur die Versorgung der eigenen Bevölkerung leisten, sondern häufig auch als Zentren in das Umland hinaus ausstrahlen und für dieses bestimmte Versorgungsleistungen mit zur Verfügung stellen.
Für die Linguistic Landscape-Forschung, deren Daten sich aus Signs generieren, ergibt sich daraus, dass zentrale Teile von Ortschaften, die die jeweils höchste Signdichte aufweisen, die idealen Forschungsregionen sind. Das von Leeman & Modan (2010) angesprochene Problem der großen Homogenität der Signs in diesen Regionen ist, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen geschuldet, ohne die eine Linguistic Landscape in ihrer heutigen Gestalt nicht denkbar wäre. Durch die Berücksichtigung des öffentlichen Raums als gesellschaftlichem Konstrukt ergibt sich, wie u.a. Scollon & Scollon (2003) zeigen, die Möglichkeit Fragestellungen zu formulieren, die ihren Fokus nicht auf die Beziehung von Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft legen, sondern stärker allgemeingesellschaftlichen Wandel analysieren und dabei die Rolle von Signs über die Sprachwahl hinaus in ihrer narrativen (inhaltlichen) Bedeutung auch im Zusammenspiel mit allen weiteren Konstituenten für die Konstruktion des öffentlichen Raumes berücksichtigen, wie die Studie von Papen (2012) zur Gentrifizierung im Prenzlauer Berg zeigt.