Читать книгу Zaubereulen in Federland (1). Das Geheimnis von Athenaria - Ina Brandt - Страница 9
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Eine geheimnisvolle Nachricht
Flora zwang sich, leise bis sechzig zu zählen. Endlich war es still geworden, aber sie wollte ganz sichergehen, dass auch alle schliefen. Ihre Eltern durften auf keinen Fall mitbekommen, dass sie sich um diese Uhrzeit noch nach draußen schlich!
Auf Zehenspitzen verließ sie die Wohnung, tastete sich vorsichtig über die knarzende Holztreppe nach unten zur Haustür und atmete auf, als sie endlich in der immer noch lauwarmen Nachtluft stand. Sie ging nach hinten in den Garten und ihr Blick wanderte sofort suchend zu den drei Tannen, die am Ende der großen Wiese standen.
Da! Zwischen den dunklen Zweigen entdeckte Flora ein Augenpaar, das ihr wie zwei orangefarbene Edelsteine entgegenleuchtete. Schnell suchte sie in ihrer Hosentasche nach dem Ring, den sie immer bei sich trug und wie einen Schatz hütete. Ihren Zauberring. Doch kaum hielt Flora ihn in der Hand, löste sich die Gestalt aus den Ästen. Mit einem verheißungsvollen »Huh« kam sie auf Flora zugeflogen und kreiste dann mit lautlosen Flügelschlägen um ihren Kopf.
»Hallo, Goldwing«, flüsterte Flora und spürte diese ganz besondere Mischung aus Freude und Aufregung. Beim Anblick ihrer Zaubereule! Wie wunderschön ihr braun-grau gesprenkeltes Gefieder im Licht der Sterne schimmerte! Und gleich würde es sich golden färben, wenn Flora der kleinen Waldohreule ihre Zaubergestalt verlieh. Sie wollte ihr dafür gerade den Ring entgegenstrecken, aber da deutete Goldwing mit dem Flügel Richtung Wald.
Flora war verwirrt. Was hatte sie denn? Wollte sie ihr etwas zeigen? Überhaupt wirkte Goldwing ungewöhnlich unruhig. Hektisch flatterte sie vor und zurück, ohne Flora aus den Augen zu lassen. Bis sie schließlich davonschoss, über die wild wuchernden Haselnussbüsche am Ende des Gartens in Richtung der Obstwiesen. Flora beeilte sich hinterherzukommen und kletterte schnell über den halb verfallenen Zaun, der das Grundstück der Faltins umgab. Sie folgte Goldwing in den Wald, den sie bei Dunkelheit zwar immer etwas gruselig fand, doch mit ihrer Zaubereule an der Seite fühlte sich Flora sicher. Gemeinsam erreichten sie die Lichtung, auf der die verfallenen Mauern der alten Burg im Mondlicht glänzten. Eine magische Stille lag über diesem Ort und Flora spürte, wie ihre Haut zu kribbeln begann. Einen kurzen Moment genoss sie die geheimnisvolle Szenerie, bis sie Goldwings Blick auf sich spürte. Die kleine Waldohreule hatte weiter hinten auf der Bank unter der alten Eiche Platz genommen und sah Flora erwartungsvoll an.
»Darf ich dich jetzt verwandeln?«, fragte Flora und lächelte, als Goldwing ihr eifrig den Kopf entgegenreckte. Schnell ging sie zu ihr und hielt ihr den Zauberring hin. Goldwing ergriff ihn mit dem Schnabel, während Flora die magischen Worte flüsterte:
Kaum war ihre Stimme verklungen, erschien der erste Schimmer auf Goldwings Flügeln. Der zarte Hauch von Gold wurde kräftiger, bis die Federn der kleinen Eule richtig strahlten. Floras Herz klopfte wie wild. Seit sie Goldwing zum ersten Mal verwandelt hatte, war bereits viel Zeit vergangen. Zusammen hatten sie aufregende Abenteuer erlebt und Goldwing war zu Floras bester Freundin geworden. Denn Goldwing war ihre Zaubereule, genau so, wie Flora Goldwings Eulenfreundin war. Sie beide gehörten zueinander und gemeinsamen hatten sie schon vielen Menschen und Tieren geholfen. Dafür waren Zaubereulen und ihre Freunde schließlich da!
Trotzdem glaubte Flora manchmal immer noch, sie träumte, wenn sie auf die strahlenden Federn ihrer Eule blickte. Dass ausgerechnet sie eine Eulenfreundin war, kam ihr wie das reinste Wunder vor. Bis heute!
Da riss sie auf einmal ein lautes Knacken aus ihren Gedanken. Sofort knackte es wieder. Das waren Schritte! Da kam jemand!
»Schnell, versteck dich!«, zischte sie Goldwing zu. Ihre Eule hatte doch viel bessere Ohren als sie. Warum saß sie denn seelenruhig hier rum und brachte sich nicht in Sicherheit? Es durfte doch niemand vom Geheimnis der Zaubereulen wissen!
»Keine Sorge, das ist nur Jona«, beruhigte Goldwing sie und in diesem Moment flatterte bereits Securo aus dem Wald. Flora atmete erleichtert auf. Jona und Securo waren ihre Freunde. Securo war wie Goldwing eine Waldohreule, nur ein bisschen kleiner und mit dunklerem Gefieder. Aber was noch wichtiger war: Er war auch eine Zaubereule! Mit seinen glänzenden Flügeln zog er einen glitzernden Lichtstreif durch die Nacht, bevor er neben Goldwing auf der Bank landete.
Und da trat schon Jona zwischen den Bäumen hervor. Flora spürte, wie ihr Herz hüpfte. Sie freute sich, ihren Zaubereulenfreund zu sehen. So ging es auch Jona, denn über sein Gesicht huschte ein verstohlenes Lächeln.
»Hi, ihr beiden«, sagte er und fuhr sich etwas verlegen durch die großen blonden Locken.
»Hallo«, schloss sich Securo an und auch Flora und Goldwing begrüßten die zwei.
»Hast du gewusst, dass wir uns treffen?«, fragte Flora Jona. Doch der schüttelte den Kopf.
»Securo hat mich einfach hergelotst. Wolltet ihr uns überraschen?«, wandte er sich an die beiden Eulen.
Goldwing und Securo warfen sich schnell einen Blick zu, wer zuerst sprechen sollte.
»Überraschen eigentlich nicht«, fing Securo an. »Aber es gibt da … komische Veränderungen.« Mit einem Mal klang er ziemlich besorgt.
»Veränderungen?«, fragten Flora und Jona wie aus einem Mund. Flora beschlich ein mulmiges Gefühl. »Was meinst du damit?«
»Es war heute plötzlich so ungewöhnlich still im Wald«, übernahm Goldwing das Wort. »Als wären sämtliche Tiere verschwunden. Kein Hase, kein Reh hat sich mehr gezeigt. Selbst Vögel waren kaum zu sehen.«
»Ich habe ein paar Waldkäuze gefragt«, fuhr Securo fort. »Sie meinten, dass sie sich müde und schlapp fühlen. Jeder Flügelschlag sei wahnsinnig anstrengend.«
Goldwing nickte. »Ich habe dasselbe gehört. Deswegen bin ich zu Securo geflogen, um zu erfahren, ob es bei ihm auch so ist.«
»Und dann haben wir beschlossen, dass wir uns heute Nacht treffen müssen, um uns mit euch zu beratschlagen«, erklärte Securo. »Denn irgendwie ist das alles komisch.«
»Ja, das klingt wirklich komisch«, pflichtete Jona ihm bei.
»Vor allem, weil es nicht nur die Tiere im Wald betrifft«, murmelte Flora vor sich hin. Der Bericht der Eulen hatte ihr etwas in Erinnerung gerufen. »Mein Papa hatte heute einen sehr anstrengenden Tag in seiner Praxis«, erklärte sie. »Und er hat sich auch gewundert und gesagt, dass wohl die große Frühjahrsmüdigkeit ausgebrochen ist.«
»Was?«, fragte Goldwing ungläubig. »Wir haben Sommer!«
»Ja klar«, erwiderte Flora. »Er meinte damit nur, dass heute sehr viele schlappe Tiere bei ihm in der Praxis waren. Sie waren aber nicht krank, nur ungewöhnlich müde. So wie das bei manchen Leuten im Frühjahr eben ist.«
»Also betrifft es alle Tiere, nicht nur die im Wald«, stellte Securo mit ernster Miene fest. Die vier schwiegen und blickten nachdenklich über die Lichtung.
»Vielleicht solltet ihr ein bisschen herumfliegen«, schlug Jona den beiden Eulen vor. »In eurer Zaubergestalt könnt ihr ja mit allen Tieren reden. Fragt Hasen, Rehe, Füchse, einfach alle, die ihr trefft, ob sie sich das irgendwie erklären können. Haben sie etwas Bestimmtes gefressen? Oder sind sie gestochen worden? Vielleicht gibt es ja ein fieses Insekt, das alle krank macht?«
»Das ist eine gute Idee«, stimmte Flora sofort zu. »Je mehr ihr fragen könnt, desto besser. Wir warten hier auf euch.«
Die beiden Eulen warfen sich einen entschlossenen Blick zu, dann flatterten sie los. Flora schaute zu, wie ihre Flügel glitzernde Wellen auf den Nachthimmel zauberten. Plötzlich stutzte sie. Da tanzte noch etwas Goldenes in der Luft. Es kam aus dem Wald. Ein Glühwürmchen? Zuerst war es ganz klein, doch es wurde immer größer, kam näher und …
»Die Goldammer!«, stieß Flora hervor.
Jona wirbelte herum und folgte Floras Finger, der auf den kleinen gelben Vogel wies.
Mit zitternden Flügelschlägen verharrte er in der Luft. Dann stieß er ein trällerndes Tssstsssri aus, das auch die beiden Eulen herumfahren ließ. Wie elektrisiert starrten sie den Vogel an, stockten kurz und kamen dann sofort zurückgeflogen.
»Seid gegrüßt!«, ertönte die zwitschernde Stimme der Goldammer, die ein bisschen außer Atem klang. Leichtfüßig landete sie auf der Bank, während Goldwing und Securo auf der Lehne Platz nahmen. Wie klein der Vogel mit dem zitronengelben Gefieder im Vergleich zu den beiden Eulen aussah!
Flora schüttelte ungläubig den Kopf. Die Goldammer war die Letzte, mit der sie heute Nacht gerechnet hatte. Schließlich war sie nicht irgendein Vogel, sondern eine Gesandte von Athenaria, dem geheimen Reich der Zaubereulen. Deshalb konnte sie auch mit ihnen sprechen.
Die vier brachten nur ein leises »Hallo« heraus, während in Floras Kopf die Gedanken herumwirbelten. Was wollte die Goldammer hier? Ging es womöglich um … Federland?
Das war dieser Ort voller Magie, den die Herrscherinnen von Athenaria mit ihrer Zauberkraft erschaffen wollten. Und zwar hier, bei den Menschen!
Dabei sollten Flora und Jona mit ihren Eulen Teil eines Teams aus Zaubereulen und Eulenfreunden werden. Das hatte die Goldammer ihnen vor einiger Zeit verkündet und seitdem hatte sich Flora so oft versucht vorzustellen, wie es in Federland wohl aussehen würde. Gab es dort magische Pflanzen und Geheimverstecke mit Zauberkraft? Vielleicht sogar sprechende Bäume oder unbekannte Tierarten? Flora brannte darauf, Federland endlich kennenzulernen!
Damals hatte die Goldammer nicht gewusst, wann es so weit sein würde. Und jetzt, da sie vor ihnen saß, wirkte sie alles andere als glücklich.
Traurig verkündete sie: »Die Zeit für Federland ist gekommen, doch leider habe ich keine guten Neuigkeiten für euch.« Sie senkte den Blick, bevor sie mit leiser Stimme fortfuhr: »Die Herrschereulen von Athenaria haben ihre Zauberkräfte gebündelt, um Federland zu erschaffen … doch es hat nicht ausgereicht. Sie mussten ihr Werk halb fertig verlassen und nach Athenaria zurückkehren. Dort werden sie gerade dringend gebraucht.«
»Und was passiert jetzt?«, fragte Flora erschrocken.
»Wird es Federland nun gar nicht geben?«, wollte auch Jona wissen.
»Doch, das muss es«, erklärte die Goldammer mit fester Stimme. »Denn es gibt in Athenaria Stellen, an denen die Magie nachlässt und das Reich neu geschützt werden muss. Genau deswegen ist Federland so wichtig. Mit seiner Magie könnt ihr dafür sorgen, dass Athenaria ein sicherer Ort für alle Zaubereulen bleibt. Doch dafür müsst ihr das Werk der Herrscherinnen vollenden, tssstsssri!«
Für einen Moment hing der trällernde Ruf wie ein tanzender Drachen in der Luft und Flora wurde bei dieser Ankündigung vor Aufregung ganz heiß.
»Was können wir tun?«, wollte Goldwing wissen.
»Und wie kommen wir überhaupt nach Federland?«, schloss Securo sich an.
»Das kann ich euch nicht sagen«, gestand die Goldammer. »Wie ihr weiß ich nur, dass dieser geheime Ort irgendwo zwischen den alten Klostersteinen verborgen ist.«
»Aber … das Kloster ist riesig«, flüsterte Flora. Sie erinnerte sich noch gut an den ersten Besuch mit ihrem Vater. Gemeinsam hatten sie sich die Vorführung mit den tollen Eulen angeschaut, für die das Kloster berühmt war. Und sie hatten Frau Schnabel kennengelernt, die Falknerin, die sich um die wunderschönen Tiere kümmerte. Schon damals hatten die vielen Gänge, Innenhöfe und Gebäude Flora verwirrt. Wie sollten sie dort bloß den Zugang nach Federland finden?
»Die Herrschereulen glauben an euch«, sagte die Goldammer. »›Sie müssen unser Werk vollenden, denn sonst war alles vergebens‹, hat Dareia, die Herrscherin des Nordens, gesagt. ›Wer soll dann die großen Aufgaben erfüllen, für die es mehr braucht als nur eine Zaubereule und einen Freund? Sie müssen es schaffen! Und zwar beim nächsten Vollmond!‹«
»Beim nächsten Vollmond?« Jona sah Flora erschrocken an. »Aber … das ist in drei Tagen!«
Flora nickte benommen. Sie war richtig durcheinander und konnte das alles kaum glauben. So lange hatten sie dem Moment entgegengefiebert, an dem sie Federland kennenlernen würden. Und jetzt mussten sie diesen magischen Ort ganz alleine finden! Und auch noch das Werk der Herrschereulen vollenden. In so kurzer Zeit!
Die Goldammer ließ ihren Blick über die vier Freunde schweifen. Dann schwang sie sich auf und verharrte noch für einen Moment in der Luft.
»Alle Hoffnung ruht nun auf euch«, sagte sie. Mit einem letzten Tssstsssri drehte der kleine Vogel ab und verschwand wie ein verglühender Stern in der Nacht.
Flora hatte das Gefühl, als ob sich ein Stein auf ihre Brust senkte. Sie holte tief Luft, legte den Kopf zurück und ließ ihre Augen über den glitzernden Nachthimmel wandern. Der Mond hing wie ein angeknabberter Lampion zwischen den Sternen und tauchte die Bäume in ein silbernes Licht. Schon bald würde er eine runde Scheibe sein. Dann war der große Moment gekommen!