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Aus der Praxis für die Praxis: Das Themenfeld Unternehmen(s)gesundheit

Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern zunehmend auch in Unternehmen werden psychische Belastungen und Störungen mehr und mehr zum Thema. Als Gründe für Krankschreibungen stehen sie zurzeit noch an dritter Stelle (DAK, 2014, 17). Nach den Prognosen der WHO werden psychische Erkrankungen im Jahr 2020 – hinter Herz-Kreislauf-Beschwerden – an zweiter Stelle der weltweit häufigsten Krankheiten stehen (Deutsches Ärzteblatt 17/2008, 880). Schon seit einigen Jahren bilden sie nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung (Richter, 2006, 212 ff.) die Hauptursache bei Frühberentungen. Moderne Unternehmen werden sich künftig aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und des demografischen Wandels noch mehr der Thematik annehmen müssen, wollen sie diese gesellschaftliche Entwicklung nicht sträflich ignorieren. Die dramatische Steigerung der Fallzahlen ist u. a. in einer zunehmenden Arbeitsverdichtung und -beschleunigung, einem erhöhten Leistungs- und Konkurrenzdruck, einer ständigen Erreichbarkeit, der damit einhergehenden Grenzverwischung zwischen Arbeit und Privatheit, eigenen Ansprüchen an sich selbst, einer beruflichen und persönlichen Sinnentleerung sowie in einer verbesserten und differenzierten Diagnostik zu suchen. Die Thematik gewinnt infolgedessen zunehmend im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements an Bedeutung. Wie können und müssen Unternehmen reagieren? Was sind die notwendigen Strategien und Interventionen zur Reduzierung und Prävention? Hier werden in der Theorie ein konsequentes betriebliches Gesundheitsmanagement wie auch eine bewusste Selbstfürsorge und Achtsamkeit eines jeden Einzelnen als besonders wirkungsvoll benannt. So hat sich inzwischen im Rahmen des »Betrieblichen Gesundheitsmanagements« ein Klima von Aktivismus für den Bereich der psychischen Belastungen entwickelt, welches mit Hilfe von Einzelmaßnahmen zu partiellen Veränderungen führt. Gesundheit, zunehmend auch psychische Gesundheit, wird immer mehr zum Unternehmen im Unternehmen mit Akteuren, Strukturen, Hierarchieebenen, Zielen, Kennzahlen und damit verbundenem Wettbewerbs- und Wachstumsdenken. Die Gesundheitsquote gewinnt als wesentliche Kennzahl im Gesundheitsmanagement der modernen Großunternehmen mehr und mehr an Bedeutung. Eine erhebliche Senkung der Fehlzeiten lässt sich jedoch noch nicht feststellen, obwohl eine Vielfalt verhaltenspräventiver Maßnahmen für Beschäftigte in Unternehmen angeboten wird. Aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht ist dies zu kurz gedacht und ineffektiv. Die wesentlichen Schlüsselstellen, die zum einen mit den strukturellen Gegebenheiten verbunden sind und zum anderen die persönlichen Einstellungen und Kommunikationsformen der Führungsverantwortlichen betreffen, finden häufig zu wenig Berücksichtigung. In der Praxis lässt sich beobachten, dass trotz Wissens über die Ursachen und die notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung von psychischen Störungen, insbesondere seitens der Verantwortlichen, bislang nicht oder nur vereinzelt das entsprechende Handeln erfolgt. Ein Ausflug ins Weltall scheint einfacher zu sein, als innerhalb von Unternehmen ein umfassendes Gesundheitsbewusstsein zu etablieren. Die Gründe hierfür sind so spannend wie vielfältig.

Psychische Störungen werden als abweichendes Verhalten von der Idealnorm gesehen, und die davon betroffenen Menschen werden nicht selten mit Begriffen belegt wie komisch, seltsam, verschroben, schwach, verklemmt, durchgedreht, verrückt, geistesgestört etc. Die gesellschaftliche Einstellung diesen Menschen gegenüber ist oft stigmatisierend und diskriminierend. Trotz der inzwischen vorhandenen Kenntnisse über die enormen Verbreitungszahlen werden »Charakterschwäche« und das »Sich-nicht-zusammenreißen-Können« als persönliche, private Ursache angeführt. Mag dies auch ein Grund für die zögerliche Herangehensweise sein? Oft werden Betroffene gemieden, ausgegrenzt, manchmal sogar verhöhnt. Sicher ist nur: Jeder, ja, jeder Mensch, kann an einer psychischen Störung erkranken, und so wird die eigene Betroffenheit nicht selten zu einem mehrfachen Problem, wie an der Aussage einer 57-jährigen Personalleiterin (die Fallbeispiele in diesem Buch wurden aus Datenschutzgründen so verändert, dass die realen Personen nicht zu erkennen sind) zu sehen ist:

»Wissen Sie, was für mich das Schlimmste ist, womit ich fertig werden muss? – Den Zustand, den ich jetzt habe, habe ich viele Jahre lang bei meinen Mitarbeitern überhaupt nicht ernst genommen und nachvollziehen können. Für mich stellten die sich nur an – waren eben etwas weich und wenig belastbar. Jetzt selbst zu erleben, dass ich aus meinem Tief, meiner Hoffnungslosigkeit nicht mehr rauskomme, macht mir nicht nur große Angst – ich schäme mich auch so, weil ich so vielen Menschen Unrecht getan habe.«

Das Thema psychische Gesundheit wird in Unternehmen oft entweder nur vom verhältnis- oder vom verhaltenspräventiven und personenbezogenen Ansatz her beleuchtet. Bei unserer Betrachtung sind die Einbeziehung von intra- und interpersonellen Kommunikationsebenen sowie die Wirkung sprachlicher Bilder im ex- und internen Kontext von Gesundheitsmanagementprozessen vorgesehen und der Begriff »gesundheitsgerechte Kommunikation«, der sich von »Gesundheitskommunikation« abgrenzt, gewinnt eine sehr bedeutungsvolle Rolle. Es geht dabei nicht darum, »nur« Gesundheit zu kommunizieren. Gesundheit muss bei der Gestaltung von Kommunikationsprozessen und betrieblichen Abläufen einen selbstverständlich integrierten Platz einnehmen, unabhängig von der Funktion und Hierarchieebene der Akteure. Wissenschaftliche Erkenntnisse, für den Leser verständlich und praxisbezogen aufbereitet und integriert, begründen die Analyse des Zustandsbildes und die vorgeschlagenen Handlungsmöglichkeiten. Diese Kombination sensibilisiert für und ermöglicht eine systemische Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen Organisation – Umgang mit psychischen Belastungen – Individuum und Unternehmenskultur. Das Buch leistet damit nicht nur einen Beitrag zu einer verstehbaren Organisation, sondern regt durch den Anstoß zum Um- und Neudenken zu einem ganzheitlichen, gesundheitsgerechten Handeln an. Es leistet so einen Beitrag zur Verbesserung der Unternehmens- und individuellen Gesundheit. Es zwingt den Leser zur selbstkritischen Reflexion des Verhaltens gegenüber anderen und im Umgang mit sich selbst. Der Blick auf die menschlichen und unternehmerischen Kommunikationsstrukturen mit ihren systemischen Verknüpfungen ermöglicht einen bislang nicht geleisteten Ansatz zur dauerhaften Reduzierung und Prävention psychischer Störungen in Unternehmen. Kompetentes Handeln setzt voraus, sich seiner persönlichen Einstellungen, Urteile, Vorurteile, Motive und inneren Leitsätze bewusst zu sein. Das Buch soll somit dazu anregen, sich als Führungskraft, Personalverantwortliche und Prozessbeteiligte das Thema persönlich zu erschließen. Problemfelder zu erkennen und zu reflektieren, welche Bedeutung sie im beruflichen Kontext in der Vergangenheit eingenommen haben und was dies für die aktuelle und künftige betriebliche Realität bedeutet, lässt Rückschlüsse auf Werte und Haltungen zum Thema Gesundheit zu. Nur wer seine Haltung kennt, kann sich auch entsprechend verhalten.

Welcher Inhalt erwartet Sie?

In unseren Ausführungen beginnen wir zunächst mit einer gesundheitswissenschaftlichen Analyse über Hintergründe, Situation und Auswirkungen des Phänomens Psychische Störungen im Kontext Arbeit. Der Umgang mit psychisch Erkrankten, gesellschaftspolitische und unternehmensbezogene Auswirkungen sowie deren Dimensionen und Ebenen werden beleuchtet und interpretiert.

Wir wollen das Themenfeld »Psychische Störungen im Arbeitsgeschehen« nicht nur mit seinen Symptomen, sondern in Verbindung mit bereits bestehenden Strategien der Gesundheitsprävention in Unternehmen betrachten. Hier liegen unseres Erachtens Ressourcen für den Umgang mit psychischen Störungen im Arbeitsgeschehen. Den Umgang und die Ansiedlung von Gesundheitsförderung in unternehmerischen Strukturen zu hinterfragen bietet Ansatzpunkte für die Entwicklung erfolgreicher Strategien für eine gesundheitsförderliche Unternehmenskultur. Deshalb setzen wir uns anschließend mit dem konkreten Erleben von Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen auf der Grundlage der qualitativen Analyse von Sichtweisen unterschiedlicher betrieblicher Akteure deutscher Dienstleistungsunternehmen kommunikationspsychologisch auseinander. Dann verdeutlichen wir, warum das Thema (psychische) Gesundheit in einen systemischen Rahmen zu setzen ist. Im vorletzten Kapitel folgen Handlungsableitungen für die unternehmerische Praxis. Hier gehen wir zunächst auf primärpräventive Strategien ein, zeigen beispielhaft Möglichkeiten der Kommunikationsgestaltung in betrieblichen Kontexten auf und begründen die Vorteile der dargestellten Vorgehensweisen. Wir leiten Fragestellungen und Handlungsmöglichkeiten für die unterschiedlichen Ebenen, Organisationseinheiten und Akteure zur betrieblichen Auseinandersetzung mit dem Thema Gesundheit und Gesundheitsförderung ab. Da Restrukturierungsprozesse zu einem erhöhten Risiko von psychischen Störungen führen können, zeigen wir auf, wie im Rahmen von betrieblichen Veränderungsprozessen eine gesundheitsgerechte Kommunikationskultur auf der Grundlage salutogenetischer Gestaltungsprinzipien umgesetzt und psychischen Fehlbelastungen entgegengewirkt werden kann. Abschließend werden Gestaltungsmöglichkeiten einer gesundheitsgerechten Kommunikationskultur für den Umgang und die Gesprächsführung mit psychisch auffälligen Mitarbeitern vorgestellt. Mit unseren abschließenden Fragestellungen im letzten Teil möchten wir den Leser inspirieren, das bisher Gelesene an eigenen Haltungen und Werten zu spiegeln und mit sich in einen inneren Dialog zu treten.

UNTERNEHMEN(S)GESUNDHEIT

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