Читать книгу Das Nachtgespenst aus der Rumpelkammer - Ines Godermeier - Страница 6
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Das kleine Nachtgespenst sucht ein neues Zuhause
Es war einmal ein kleines Gespenst. Das lebte mit seinen sechs Geschwistern und seinen Eltern auf einem alten Schloss, in dem sonst keiner mehr wohnte. Das war natürlich der Gespensterfamilie zu langweilig, deshalb zog sie des Nachts aus und ärgerte die Bewohner der umliegenden Dörfer.
Das kleinste Nachtgespenst aber hatte darauf keine Lust und wollte auch niemanden ärgern. In dem Schloss hatte das kleine Gespenst eine riesige Bibliothek voller herrlicher Bücher entdeckt, für die sich niemand mehr interessierte. Hier versteckte es sich gerne und verbrachte seine Zeit mit lesen und war froh, wenn die anderen es in Ruhe ließen. Aber davon konnte selten die Rede sein. Seine Eltern schimpften ständig, die Geschwister hänselten es und trieben arge Späße mit ihm.
So ging es tagaus und tagein. Eines Tages aber entschloss sich das kleine Nachtgespenst, in die Welt zu ziehen und sich einen Platz zu suchen, wo es ihm gefiel und es seine Ruhe hatte. Eines Nachts packte es heimlich sein Bündel mit seinen Büchern, seinen bunt karierten Hausschuhen und einer dicken, kuscheligen Decke und zog los.
Es flog und flog und fand schließlich ein Bauernhaus, das einsam im Wald stand und in dem nur ein Mann mit seiner Frau lebte – und das schon seit sehr langer Zeit.
„Juhuuu“, jubelte das Nachtgespenst, „hier ist es sicher schön ruhig und angenehm bei den alten Leutchen.“ Das kleine Nachtgespenst richtete sich im Keller in einer kleinen Kammer ein. Diese war so staubig, dass es sich sicher war, dass dort schon lange keiner mehr hineingeschaut hatte. Na ja, es war hier zwar etwas kalt und feucht, aber es würde schon gehen, wenn es nur seine Ruhe hätte.
Doch schon bald wunderte sich das kleine Gespenst, denn im Hause krachten die Türen und es gab jeden Tag lautes Getöse: die alten Leute zankten sich lauthals und warfen mit Tellern und Tassen um sich. Das hatte sich das kleine Nachtgespenst anders vorgestellt – von wegen Ruhe! Es war nicht auszuhalten! Da beschloss es, wieder sein Bündel zu packen und weiterzuziehen.
Als es nachts so flog und sich umschaute, sah es eine große Stadt mit vielen Lichtern und Menschen. Es dachte sich: „Vielleicht gibt es dort ja ein Fleckchen, wo mich keiner bemerkt.“ Es suchte und suchte und fand in einem Hochhaus unter einer Treppe eine Stelle, wo es sich einrichten wollte. Aber was war das? Vor der Tür quietschte die Straßenbahn, die Laternen gingen nie aus, ständig kam oder ging einer der Hausbewohner und trampelte auf der Treppe über das kleine Gespenst hinweg. Das gefiel ihm gar nicht und so packte es schnell sein Bündel und flog weiter.
Das kleine Nachtgespenst war schon ganz traurig und dachte, dass es wohl keinen schönen und ruhigen Ort finden würde. Nach einer ganzen Weile kam es an einer großen Steilküste am Meer an. Hoch oben auf einer Klippe stand ein hübsches Häuschen, das von einem Garten umgeben war, in dem viele Blumen blühten und dufteten. Da lachte das Herz des kleinen Nachtgespensts und es war ganz aufgeregt. Ob es wohl in dem Häuschen einen Platz für sich finden könnte? Es flog zum Schornstein hinein und kam im Kamin in der Stube wieder heraus. Hier war es dunkel und still. Das kleine Gespenst schaute erst mal in alle Ecken und kam in das Schlafzimmer, wo eine Frau und ein Mann tief und fest schliefen. Das kleine Gespenst runzelte die Stirn und dachte an das Haus im Wald mit dem keifenden Ehepaar. Aber dieses Paar hier war jünger und sah nett aus.
Das Nachtgespenst flog weiter und kam in ein Kinderzimmer. In einem Bettchen lag ein kleines Mädchen. Auf bunten Bildern an der Wand, die das Mädchen sicher selbst gemalt hatte, stand der Name Marie. „Aha“, dachte das kleine Nachtgespenst, „nun weiß ich, wie das Mädchen heißt. Es sieht niedlich aus und ist sicher artig.“ Das hoffte das kleine Gespenst sehr.
Nun brauchte es aber einen Platz für sich und suchte weiter. Siehe da, in einer kleinen Kammer unter dem Dach, in der allerlei Kram abgestellt war und die sicherlich als Rumpelkammer genutzt wurde, stand in einer Ecke ein großer alter Schrank. Dieser war recht geräumig und gefiel dem kleinen Gespenst sehr und so richtete es sich in dem Schrank mit seiner Kuscheldecke, seinen Hausschuhen und den Büchern gemütlich ein. Von nun an lebte das kleine Nachtgespenst in der Rumpelkammer im alten Schrank im Häuschen auf den Klippen bei Marie und ihren Eltern.
Tatsächlich waren die Eltern und die kleine Marie nette Leute, sie waren alle lieb zueinander und immer gut gelaunt. Nur abends maulte und murrte Marie immer herum, wenn sie ins Bett musste. Aber das störte das kleine Gespenst nicht, es war zufrieden, nur fühlte es sich manchmal einsam.
So schwebte nun das kleine Nachtgespenst in dem Häuschen umher, steckte da und dort seine Nase rein und sauste das Treppengeländer hinunter. Das machte ihm besonders großen Spaß! Sein Treiben blieb natürlich bei Marie und ihren Eltern nicht unbemerkt, denn es klapperte hier und da eine Tür, das Treppengeländer knarrte neuerdings und man hörte ab und zu ein leises Kichern. Die Eltern von Marie waren beunruhigt, aber wenn sie nachts aufstanden, war es plötzlich wieder ganz still im Haus. Das kleine Nachtgespenst wollte ja niemanden ärgern und verhielt sich schnell ganz ruhig, wenn es merkte, dass es zu laut war.
Das ging eine ganze Zeit so. Doch dann wollte die kleine Marie endlich wissen, was es mit dem Getrappel und Gekicher auf sich hatte. Sie überlegte sich eine List. Manchmal knarrte nämlich nachts auch ihre Kinderzimmertür und stand morgens plötzlich weit auf. So öffnete Marie eines Abends vor dem Schlafengehen ihre Tür einen Spalt und stellte oben einen Eimer mit Wasser gefüllt darauf, sehr vorsichtig, damit der Eimer erst einmal nicht herunterfallen konnte. Wer oder was auch immer da hereinkäme, machte die Tür bestimmt etwas weiter auf, um ins Zimmer zu schauen. Und dann würde sich der Eimer mit dem Wasser beim Öffnen über dem Eindringling ergießen. Das Wesen würde sicherlich tüchtig schimpfen und dann könnte Marie es sich schnappen, sie hatte zwar ein klein wenig Angst, aber ihre Neugier war größer.
Es kam, wie von Marie geplant. Das kleine Gespenst geisterte im Haus herum und schaute in Maries Zimmer. Rums, da fiel der Eimer herunter und das Wasser ergoss sich über das kleine Gespenst. Huiii, wie es quietschte vor Schreck. Marie sprang aus dem Bett, aber das Gespenst huschte geschwind davon. Allerdings tropfte es vor sich hin und so konnte Marie den Tropfen folgen ... bis in die Rumpelkammer zum alten Schrank. Marie stand davor und überlegte, was sie tun sollte. Beherzt klopfte sie an die Schranktür … einmal … zweimal …
Plötzlich öffnete sich die Tür ein klein wenig. Marie sah aber gar nichts, denn ihr müsst wissen, Gespenster sieht man nur, wenn diese es auch wollen. So schaute Marie verdutzt in den Schrank hinein, sah aber nur eine Pfütze auf dem Boden des Schrankes.
Sie rief leise: „Hallo, hallo, ist da jemand?“ Keine Antwort, sie versuchte es erneut. „Hallo, hab keine Angst, ich tue dir nichts, zeige dich doch bitte!“
Auf einmal erschien auf dem Schrankboden ein kleines Häufchen mit großen Augen, das mit zittriger Stimme fragte: „Tust du mir auch wirklich nichts?“
Marie machte genauso große, erstaunte Augen wie das kleine Gespenst und fragte: „Wer bist du denn?“
Das kleine Gespenst fasste all seinen Mut zusammen, kam aus dem Schrank geschwebt und stellte sich artig mit einer Verbeugung vor. Marie lachte und machte einen Knicks. Nun lachte auch das kleine Gespenst und lud Marie in seinen Schrank ein. Dort machten sie es sich auf der Kuscheldecke gemütlich und das kleine Gespenst erzählte Marie seine Geschichte. Marie freute sich, einen neuen Freund gefunden zu haben und versprach, ihren Eltern nichts vom kleinen Gespenst in der Rumpelkammer unterm Dach zu verraten.
Von diesem Tag an waren beide dicke Freunde und abends, wenn Marie im Bettchen lag, kam das kleine Gespenst und las ihr aus seinen Büchern Märchen vor oder erzählte herrliche Gespenstergeschichten. Nur die Eltern von Marie wunderten sich, dass seit dieser Zeit die Geräusche im Haus verstummten und Marie immer gerne und pünktlich ins Bett ging – ohne zu murren.