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I. Kapitel

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Und wie war Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter?« Schon hatte mich die Therapeutin da, wo sie mich haben wollte – tiefenpsychologisch gesehen: bei einer weiteren Depression mit heftiger Gastritis und ständiger Migräne.

Nun waren Magenschmerzen ja heute in, und Migräne war ein hervorragendes Kommunikationsmittel, da jeder Zweite damit geschlagen war oder mindestens jemanden kannte, der sie hatte; dazu kamen die tollsten Schauergeschichten, die im Freundeskreis darüber kursierten.

Doch als mir die Psychologin bei der nächsten Sitzung weismachen wollte, dass meine Kreuzschmerzen daher rührten, weil mir meine Mutter bereits in frühester Kindheit das Rückgrat gebrochen hatte, hinderte mich auch nicht das Versprechen, mich aus diesem tiefen Loch in spätestens einem halben Jahr wieder herauszuholen, daran, diese so genannte tiefenpsychologische Therapie umgehend abzubrechen.

Dabei hatte mir mein Hausarzt dringend zu einer solchen geraten, da mich die Medikation mit einem pflanzlichen Mittelchen unter Sonneneinwirkung aussehen ließ wie die lila Kuh, bloß mit braunen Flecken.

Hineingeschlittert war ich in dieses seelische Dilemma nach dem plötzlichen Tod meines Mannes. Seit Jahren lebten Rolf und ich und Dackel Whisky – der mir von den Enkelkindern nach der Katalogisierung ihrer Großmütter den fatalen Beinamen Whisky-Oma einbrachte und die unangenehme Wirkung hervorrief, dass sich alle Leute auf der Straße tadelnd nach mir umsahen, wenn ich lauthals »Whisky« schrie – in schönster Harmonie allein in unserem herrlichen Haus im Bergischen.

Stephan, unser Sohn, war bereits nach Beendigung des Studiums ausgeflogen, und unsere Tochter Katrin folgte ihm bald darauf zwecks Familiengründung. Jetzt hatten sie ihre eigenen Nester und zogen die nachfolgende Brut groß.

Von heut auf morgen war ich nun allein mit einem kleinen Hund, benannt nach einem schottischen Gesöff, und musste mein Nur-Hausfrauendasein mit schriftstellerischen Ambitionen völlig umstellen, um mich, Whisky und Haus und Hof über Wasser zu halten.

Ab sofort vernachlässigte ich meine Nachkommen und lieben Freunde und versuchte, bereits von mir erschienene Geschichten bei Fernseh- und Produktionsfirmen unterzubringen. Noch heute wird mir heiß und kalt, wenn ich an die Canossagänge von Studio zu Studio denke und die lobend umschriebenen Abfuhren. Schriftstellernde Witwen waren offensichtlich nicht gefragt, mir fehlte ganz einfach die Fortune. Schon Napoleon hatte diese Dame während seines Europa-feldzuges vermisst und ihr Fehlen beklagt. Dafür legte die Migräne kaum noch eine Pause ein, mein Magen vertrug nicht viel mehr als der eines Spatzen, und mein Arzt behauptete trotzdem, ich sei physisch vollkommen gesund, mit der Psyche hapere es jedoch gewaltig. Und so überwies er mich vorsorglich zu einer staatlich geprüften Fachfrau, die mir dann, wie gesagt, doch nicht helfen konnte.

Also startete ich einen neuen Versuch, ging zum Frisör und ließ meine, seit geraumer Zeit ergrauten Haare, feuerrot färben, um mich einfach besser zu fühlen. »Jetzt, Mariechen«, sagten meine Kinder, die »Mami« zu diesem Zeitpunkt für reichlich überholt hielten, »jetzt fehlt dir nur noch der Spruch auf den Lippen ›Ham’ Se mal ’ne Mark‹ und das am besten vor dem U-Bahn-Eingang unseres Hautbahnhofs«. Was mich auch nicht gerade aufrichtete.

Da flatterte mir eines Tages eine Einladung zum sonntäglichen Brunch von einer ehemaligen Kollegin aus alten Redaktionstagen, einer verwitweten Fabrikantengattin, ins Haus.

Das Ganze sollte draußen auf der Terrasse stattfinden. Ich traf gleichzeitig mit den ersten Regentropfen ein, um umgehend mit anzufassen und das kalte Buffet ins Trockene zu räumen.

Nun sollte man denken, dass diese Art von Einstand sofort eine Beziehung zwischen mir und den restlichen, samt und sonders weiblichen Gästen herstellen würde, denn außer meiner alten Kollegin kannte ich niemanden in diesem erlauchten Kreis. Doch weit gefehlt.

Überall hockten kleine Damengrüppchen herum und waren sich selbst genug. Ich hatte das Gefühl, meine Anwesenheit störe nur ihre Gespräche. Ich konnte kein Tennis, kein Bridge und auch nicht golfen, ich konnte bloß schreiben. Man sah mich mitleidig lächelnd an: Wie altmodisch und unsportlich, meine Liebe!

Und bevor ich mich mit mir selber unterhalten musste, beschloss ich meine Migräne zu nehmen und heimlich zu türmen, als mir meine Gastgeberin mit einem vollen Tablett den Weg vertrat.

»Da weiß ich etwas Besseres, Mariechen«. Sie stellte das Tablett auf die Anrichte, nahm mein schlechtes Gewissen in den Arm und führte mich zu einer jungen Frau, die allein im Rahmen der geöffneten Terrassentür lehnte, hin und wieder an ihrem Glas nippte und nachdenklich in den Regen hinausschaute. »Darf ich vorstellen, Elke Carsten, unsere Spezialistin unter anderem für heftige Migräne«, drängte sie mich förmlich der jungen Frau auf.

»Aber …«, protestierte ich schwach. Doch Elke Carsten lächelte mich an, stellte kurz entschlossen ihr Glas auf die Fensterbank und schob mich mit leisem Nachdruck nach nebenan ins menschenleere Arbeitszimmer. Dort sanken wir in zwei gegenüberstehende Sessel, und ich erfuhr, dass sie eine dynamische Diplom-Psychologin war, die anhand mentaler Therapie Körper und Geist wieder ins Gleichgewicht zu bringen vermochte. Sie erinnerte mich sehr an die junge Marie voller Elan und Optimismus. Wo war nur beides geblieben? Wo!? »Das kriegen wir wieder hin«, sagte mein Gegenüber zuversichtlich und fügte fragend hinzu, »sitzen Sie auch bequem?« Ich nickte. »Dann schließen Sie nun die Augen und atmen ruhig ein und aus.«

Ich lehnte mich zurück und ließ mich in diese beruhigende Stimme fallen. »Sie nehmen einen Luftballon in die rechte Hand und blasen ihn langsam auf …«

»Ich bin aber Linkshänderin.«

»Auch gut, dann in die linke. Der Ballon wird groß und größer. Nun führen Sie ihn in Ihren Kopf und fügen den Schmerz hinzu. Sie bewegen den Ballon sachte hin und her und vermischen vorsichtig die Luft mit dem Schmerz. Die Öffnung des Ballons befindet sich außerhalb Ihres Kopfes. Langsam lassen Sie nun die Luft mit dem Schmerz entweichen. Der Ballon wird kleiner und kleiner, Ihr Kopf wird immer leichter und frei. Jetzt ist der Ballon wieder ganz winzig, und Sie ziehen ihn mit einem Ruck heraus. Es geht Ihnen gut. Sie öffnen die Augen und sind wieder ganz im Hier und Jetzt.«

Langsam hob ich die Lider und schaute Frau Carsten verwundert an. Sie lächelte. »Was macht die Migräne?«

»Einfach wie weggeblasen.« Ich war völlig überwältigt. »Ein richtiges Wunder!«

»Nein, nein«, wehrte sie fröhlich ab, »mit ein bisschen Übung unter meiner Regie können Sie dieses Wunder sehr bald ganz allein vollbringen, meditativ gesehen. Wissen Sie, was ich meine?«

»Autosuggestion.« Ich war begeistert aber auch etwas ratlos, denn ich hielt den zusammengeschnurrten, imaginären Luftballon noch immer zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand und wusste nicht, wohin damit. Frau Carsten lachte, und wir verabredeten uns für den nächsten Donnerstag achtzehn Uhr in ihrer Praxis. »Bis dahin haben Sie auch das Entsorgungsproblem gelöst«, sagte sie heiter und kramte in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel. Ich begleitete sie noch zu ihrem Wagen. »Auf bald«, sagte sie, und »in Licht und Liebe.« Ich verabschiedete mich noch von meiner Gastgeberin: »Es war sehr schön bei dir«, versicherte ich, »aber ich …«

»Ja, sicher«, lachend unterbrach sie meine Suche nach einer Entschuldigung, »und sehr langweilig. Emanzipation hin, Emanzipation her. Wenn einen keiner ins Gespräch zieht, ist man auch heute noch hoffnungslos aufgeschmissen.« Sie drückte mich herzhaft zum Abschied an sich. Dann fuhr ich erleichtert heim.

Als ich ins Haus zurückkam, rief Ewa aus Warschau an, um mich an das Chopin-Festival im Oktober in ihrer Heimatstadt zu erinnern, das alle fünf Jahre ausgetragen wurde. Zwei Jahre hatten mein Mann und ich uns gemeinsam auf dieses Ereignis gefreut, und nun sollte ich diese Reise allein antreten. Ich fragte mich, weshalb mich Ewa – nach all meinen Absagen – so unerschütterlich immer wieder einlud und auf meinem Kommen bestand.

Doch diesmal beschwor sie mich so lange, dass ich glaubte, mit Elke Carstens Therapie im Rücken, schließlich doch zusagen zu können. »Immerhin«, versicherte mir meine Warschauer Freundin eindringlich, »nehmen hundertvierzig Pianisten aus dreiunddreißig Ländern am diesjährigen Spektakel teil, und die, die als Finalisten daraus hervorgehen, werden dann das letzte Konzert des Festivals bestreiten. Und für diesen großartigen Tag habe ich gerade noch zwei gute Karten ergattern können.« Außerdem versprach sie mir noch eine große Überraschung. »Was denn für ’ne Überraschung?«

»Das wird nicht verraten«, sagte sie und lachte.

Gerührt und auch sehr gespannt versprach ich ihr, zu kommen, und als ich den Hörer einhängte, konnte ich es nicht lassen, fieberhaft zu überlegen, was mich außer der Musik noch Erfreuliches erwarten würde.

Aber vor allem anderen wollte ich möglichst bald lernen, wie ich meine körperlichen und seelischen Wehwehchen wieder in den Griff bekam, und begann am Donnerstag meine erste mentale Sitzung bei meiner neuen Therapeutin – mit recht gemischten Gefühlen, wenn ich ehrlich war.

Doch dann lernte ich zu meiner großen Freude, wie ich durch bloßes Eintauchen in mein Unterbewusstsein erfuhr, was ich eigentlich vermisste und was ich wollte. Von belastenden Kindheitserinnerungen keine Spur. Ich lag auf einer Couch, warm zugedeckt, hörte zarte Musik zur Meditation, schloss die Augen und ging nach einer Weile mit Hilfe der Stimme von Elke Carsten auf Reisen. Mein inneres Licht traf sich mit dem strahlenden Schein auf einer großen Wiese, ich hörte Vögel zwitschern, spürte kühles Gras unter meinen nackten Fußsohlen, badete in einem klaren See, hüllte mich in weite Gewänder, stieg leichtfüßig auf einen Berg, breitete die Arme aus und fühlte mich unsagbar wohl.

»Was möchten Sie jetzt, Marie?«, drang es von außen in mein Unterbewusstsein. Und da fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen: Ich wollte frei und stark sein.

»Wunderbar«, hörte ich Frau Carsten erfreut sagen, »damit können wir ab sofort arbeiten.«

Ich schlug langsam die Augen auf. »Und wie?« Ich war noch etwas benommen.

»Indem ich Ihnen einen Satz mitgebe, den Sie sich so oft Sie können am Tag vorsagen, und ganz intensiv vor dem Schlafengehen.«

»Wie soll der Satz denn heißen?« Ich richtete mich auf.

»Ganz einfach: Ich lasse los. Ich bin frei und stark. Mir geht es gut.«

»Und das soll mir helfen?« Ich zweifelte, aber nur ein verflixtes bisschen.

»Aber sicher, denken Sie immer daran: Wohin ich meine Aufmerksamkeit richte, dahin fließt meine Lebenskraft, und in ein paar Tagen geht es Ihnen schon viel besser; denn wir sind, was wir denken.«

Elke Carsten war außerordentlich Zuversichtlich und entließ mich »in Licht und Liebe«, wie sie versicherte. Gleichzeitig bekam ich noch die Anweisung zu einer Übung mit auf den Weg, die den Rücken stärkte und Energie auftankte. »Arme waagerecht ausgestreckt, linke Hand nach oben, rechte nach unten, Knie leicht gebeugt und vier Minuten ruhig ein- und ausatmen, aber nicht nach zwölf Uhr Mittag, sonst sind Sie so geladen, dass Sie auch unter größter Anstrengung die Nacht kein Auge zutun.« Abschied nehmend umarmte sie mich.

Beim Herausmanövrieren aus der Parklücke sah ich sie im Rückspiegel auf der Treppe zu ihrem Haus stehen. Sie winkte mir fröhlich nach, und ich beschloss diese Sache zu intensivieren und zum nächsten Termin fast geheilt wieder zu erscheinen.

Doch dann spielte mir Sigmund Freud einen Streich, und ich sagte ständig »… ich bin reich und stark …« statt »… frei und stark …« Und weil mich Whisky bei der Übung tatkräftig unterstützte, indem er sich auf die Hinterbeine stellte und die Pfötchen nach vorne streckte und auf meine Beschwörungen – »Zur Seite, du dummes Vieh, zur Seite« – so heftig mit dem Schwanz wedelte, dass er das Gleichgewicht verlor und ich aus Mangel an nötigem Ernst mit ihm, gelang sie mir dann schließlich erst kurz vor zwölf in absoluter Vollendung.

Prompt war ich am Abend hellwach, und als ich um Mitternacht immer noch nicht schlief, erhob ich mich unternehmungslustig, wusch meine gesamte Wäsche, steckte das gute Geschirr in die Spülmaschine und wischte sämtliche Schränke aus. Als der Tag heraufdämmerte, sank ich todmüde ins Bett, vergaß für zwei Tage meine Übung, und somit war die so mühsam aufgebaute Energie wieder im Eimer.

Bei der nächsten Sitzung kam Elke Carsten, erheitert über meinen freudschen Versprecher, meinem Unterbewusstsein auf die Schliche, das den dringenden Wunsch hegte, endlich einmal eine Story beim Fernsehen zu landen, um nie mehr in Geldnöte zu geraten. Darauf stellte sie den Spruch um, der nun lautete: »Ich lasse los. Es kommt Geld in Hülle und Fülle auf mich zu. Meine Bücher werden in Kürze verfilmt. Ich bin erfolgreich in allem, was ich mache. Mir geht es gut.«

Und schon stolperte ich zwei Tage später auf der Straße über einen Zehnmarkschein.

»Jetzt geht es los«, meinte mein Sohn erfreut, als er mit seiner Frau Susanne bei mir im Garten saß. »Wo ist die Schaufel, damit ich dir wenigstens schon mal einen Keller leer räumen kann, um das viele Geld zu stapeln.« Seine Frau lachte und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. Und da ich den beiden auch erzählt hatte, dass das Wichtigste an jedem Spruch die Sätze »Ich lasse los« und »Mir geht es gut« waren, konterte Stephan sofort: »Lass mich bloß los, dann geht es mir auch gut.« Susanne zog gehorsam die Hand zurück, und ihr Mann grinste zufrieden. »Siehste, die Therapie wirkt sogar bei uns, wenn das nicht positiv ist!«

»Ja, ja«, bestätigte ich gut gelaunt, »bloß keine negativen Gedanken aufkommen lassen, so wie ich in der letzten Woche.«

»Ach, nee«, grinste Stephan, »los, erzähl mal.«

»Na gut. Als wir neulich so ungewöhnlich schwül-heißes Wetter hatten, ging es mir nicht ganz extra und meinem Blutdruck auch nicht, wie mir der Apotheker im Ort, den ich umgehend konsultierte, bestätigte; denn er war viel zu hoch. In Gedanken bei Herzinfarkt und Schlaganfall als logische Folgeerscheinung erreichte ich mein Auto und fand einen Strafzettel wegen falschen Parkens vor. Das wiederum brachte mich so in Fahrt, dass ich den erst vor kurzem installierten »Starenkasten« auf der Hauptstraße übersah und prompt geblitzt wurde. Nun musste ich auch noch um meinen Führerschein fürchten, ganz zu schweigen von den berühmt-berüchtigten Punkten in Flensburg. Mit einer mittelschweren Nervenkrise und einer handfesten Migräne sank ich daheim völlig erledigt in meinen Lieblingssessel und rief Elke Carsten an. Sie kehrte geduldig das Negative in mir auf positiv und ließ mich mithilfe eines zur Schlinge geknüpften imaginären Fadens meine Migräne wieder in den Griff bekommen.«

»Der lässt sich auch viel besser entsorgen als ein Luftballon«, sagte mein Sohn süffisant, und ich hatte Mühe, darauf nicht gleich wieder in unerfreuliche Gedanken zu verfallen.

Da ich im Laufe der Therapie lernte, selbstständig mit meiner Energie umzugehen, ließ meine Migräne so peu à peu nach, mein Blutdruck normalisierte sich langsam, ich begann jeden Tag gut gelaunt und voller Tatendrang, und im Herbst fühlte ich mich fast so stark wie in früheren Jahren. Selbst belastende Kindheitserinnerungen hatten sich auf der Reise durch mein Unterbewusstsein ganz einfach verkrümelt, und meine Psyche hatte gelernt, nicht mehr zu humpeln, sondern auch ohne meine liebenswerte mentale Krücke Elke Carsten wieder vernünftig zu laufen.

Bloß mit dem Geld in Hülle und Fülle klappte es noch nicht so recht; es kleckerte vielmehr nur so vor sich hin nach dem Motto meiner Kinder: »Ham’ Se mal ’ne Mark!«

»Das wird sich auch bald ändern«, versprach Frau Carsten eindringlich. »Sie müssen nur immer weiter an ihrem Spruch festhalten …«

»Ja doch«, stöhnte ich, »das geht mittlerweile so weit, dass ich, selbst wenn ich nachts erwache und mal wo hin muss, dann nur mit einem gemurmelten: ›Ich lasse los …‹«

»Um Himmels willen, bloß nicht!« Elke Carsten hatte Mühe, ernst zu bleiben.

Doch unbeirrt fuhr ich fort: »… es kommt Geld in Hülle auf mich zu …«

»Na, sehen Sie, so werden Sie glatt noch im Halbschlaf reich.«

»Ha, ha, und wenn ich dann zum Bett zurückschlurfe, dann nur mit einem ›Ich bin erfolgreich in allem, was ich mache‹, und sinke schließlich in die Federn mit einem ›Es geht mir gut‹.« Ich hörte geknickt auf, weil meine Therapeutin sich mittlerweile schief lachte. Als sie sich wieder gefangen hatte, sagte sie mir, dass sie gedenke, in Kürze ein weiteres Therapiezentrum, und zwar in der Toscana zu eröffnen, zwecks mentaler Entspannung in Urlaubsstimmung.

»Und dort, liebe Marie, steht immer ein Zimmer für Sie bereit, um unsere Therapiestunden mit Ihrem losen Mundwerk zu bereichern, oder aber um eine berühmte Bestsellerautorin zu werden, indem Sie ein neues Buch schreiben.«

»Letzteres bezweifle ich«, widersprach ich, »je mehr Zeit man hat, desto träger wird man. Alte Binsenweisheit!«

Elke Carsten amüsierte sich königlich. »Wir werden sehen, Mariechen, schließlich sind wir, was wir denken.«

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge umarmten wir uns herzlich und gelobten in »Licht und Liebe« auf jeden Fall telefonisch in Verbindung zu bleiben.

Sie war fast wieder da, die alte Marie, energiegeladen und voller Power – selbst das Rot aus den Haaren war verschwunden. Und so fühlte ich mich auch stark genug, um endlich allein nach Warschau zu fahren und mit meiner polnischen Freundin, sozusagen würdevoll ergraut, in Chopin nur so zu baden.

In drei Wochen sollte es losgehen. Whisky wurde in der Zwischenzeit bei Stephan und seiner Familie geparkt, was Enkel Jan, elfjährig, mit großer Freude begrüßte. Schließlich hatte er sich schon immer einen Hund gewünscht und stellte sich nun vor, während meiner Abwesenheit Lassi-mäßig mit dem Dackel sämtliche nicht totzukriegenden Abenteuer zu bestehen.

Luftballons im Kopf

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