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Buch 1 – Auszüge aus dem Journal Ludwig Segerstams

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Ingo T. Herzig

Oh, Shenandoah

Göteborg, 25. November anno domini 1655

Dies ist die letzte Eintragung in der alten Heimat. In wenigen Stunden läuft die „Mercurius“ aus. Der Abschied fällt meiner Frau Siw und mir schwer. Die Aussicht, all das Vertraute wahrscheinlich niemals wiederzusehen, bedrückt mich. Maximilian und Hanne sind noch zu klein, um richtig zu begreifen, was geschieht. Was für ein Segen!

Gleich kommen die Sjenbergs, um uns ihren Sohn Olaf anzuvertrauen. Sie halten es für besser, ihn uns mitzugeben. Sie wollen uns später nach Neuschweden folgen, sobald sie alles geregelt haben. Ich mache mir auch darüber Sorgen. Wie wird Olaf die Trennung von den Eltern aufnehmen? Ist es klug, ihn ohne seine Eltern auf solch eine große, nicht ungefährliche Reise zu schicken? Zumindest sind wir für ihn keine Unbekannten und er versteht sich mit unseren Kindern gut. Er ist jetzt fünf, also ebenso alt wie unser Maximilian.

Die Sjenbergs waren eben am Schiff und haben Olaf gebracht. Karl und Ingela hielten sich nicht lange auf. Ich habe den Eindruck, sie litten unter dem Abschied mehr als Olaf selbst, welcher recht unbeteiligt wirkte. Er folgte uns ohne jedwede Reaktion an Bord des Schiffes.

An Bord der „Mercurius“, 24. Dezember anno domini 1655

Wir sind schon über einen Monat auf See. Die See ist rau. Wir haben schon seit Wochen die Sonne nicht mehr gesehen. Aber die Fahrt geht zügig voran und ist bisher ohne nennenswerte Vorkommnisse verlaufen und ich hoffe, es möge auch so bleiben, bis wir Neuschweden erreichen. Die „Mercurius“ ist ein gutes Schiff. Ich bin überzeugt, dass Gott uns wohlbehalten in die Neue Welt begleiten wird.

Wir haben hier an Bord einen schönen Heiligen Abend verbracht. Ich gebe zu, dass ich zuvor Angst hatte, es würden zu viele Tränen laufen; aber sie gebärdeten sich alle so, als wären wir noch in Göteborg. Selbst Olaf wirkt gefasst und scheint sich den neuen Gegebenheiten angepasst zu haben. Alle scheinen darauf neugierig zu sein, was sie drüben in der Neuen Welt erwartet. Meine Frau und ich inzwischen auch. Uns scheint es dahingehend beachtlich gut zu gehen. Andere Familien gehen damit bei Weitem nicht so optimistisch um wie wir. Nicht nur Kinder, sondern auch so manche Erwachsene tun sich sichtlich schwer mit dem Abschied von der Heimat.

Ich bin froh, dass Olaf sich den obwaltenden Gegebenheiten gefügt hat. Es muss für ihn schwer gewesen zu sein, sich von seinen Eltern zu verabschieden, während er selbst sich auf den Weg in eine ungewisse Zukunft machte. Wie lange stand er hinten am Heck und schaute zurück, ohne des rauen Windes und des kalten Regens zu achten. Ich hatte Angst, er könne sich eine schwere Krankheit holen; aber das Wetter schien ihm nichts anhaben zu können. Ich hoffe, dies gilt auch für das Neue, das uns dort drüben erwartet. De facto ist er nun unser eigenes Kind. Seine Eltern haben uns die Verantwortung für ihn übertragen – bis sie nachkommen.

1 Januar anno domini 1656

Kurz vor Jahresende gerieten wir in einen fürchterlichen Sturm, der einigen Schaden anrichtete und einige Verletzte zur Folge hatte, unter anderem auch den Schiffszimmermann. Zum Glück konnte ich als gelernter Baumeister hilfreich sein, unter anderem bei der erforderlichen Errichtung neuer Masten. Inzwischen ist alles wieder in Ordnung, und die Fahrt geht weiter.

Umso schöner war die Silvesterfeier an Bord. Wir waren alle froh, dass wir im Großen und Ganzen unbeschadet davongekommen waren. Es zeigte sich, wie viele begabte Musiker unter uns sind. Ich kann mich nicht entsinnen, wann Siw und ich das letzte Mal so ausgelassen getanzt haben. Ich nehme dies als gutes Omen für dieses neue Jahr.

Olaf ist zu unserem dritten Kind geworden. Ich danke Gott dafür, dass er sich der Situation angepasst hat. Ich sehe optimistisch in die Zukunft – zumal wir uns mit den anderen Familien angefreundet und wir einander gegenseitigen Beistand versprochen haben. Die meisten sind aus Finnland; aber so fern von der Heimat sitzen wir alle im wahrsten Sinne des Wortes im selben Boot.

11. März anno domini 1656

Wir sind aufgeregt. Kapitän Hindrickson hat bekannt gegeben, dass wir bald Neuschweden erreichen. Wir können es kaum erwarten, trockenes Land zu betreten – nach ganzen vier ermüdenden Monaten an Bord eines Schiffes!

13. März anno domini 1656

Land ist in Sicht! Das Schiff bekam Schlagseite, nachdem sich alle an der Reling geschart hatten. Kapitän Hindrickson musste die Leute auseinandertreiben, um ein Kentern zu verhindern.

Was für ein herrlicher Anblick! Ich kann mich gar nicht satt sehen!

14. März anno domini 1656

Diese Nachricht hat uns getroffen wie ein Blitzschlag: Neuschweden ist nicht mehr. Es wurde von den Niederländern übernommen und diese wollen uns nicht landen lassen.

Siw fragt was, los sei, sie spüre doch, dass etwas nicht stimme. Ich behalte meine Gedanken für mich. Ich will Siw und die Kinder nicht mehr beunruhigen als nötig.

Neu Göteborg, 16. März anno domini 1656

Nach einiger Verzögerung sind wir in Neu Göteborg angelangt; aber wir sind unsicher. Werden wir hierbleiben können, nachdem die Niederländer hier die Macht übernommen haben? Wenigstens sind wir an Land.

Es regnet. Das Zelt ist undicht. Es ist kalt. Die Kinder zittern, obschon sie sich gegenseitig wärmen und dick in die Decken eingewickelt sind. Nachdem wir vier Monate auf See überstanden haben, sollen wir nun hier an Land krank werden?

Die „Mercurius“ will demnächst wieder nach Schweden zurückkehren. Kapitän Hindrickson hat uns angeboten, uns wieder mitzunehmen. Ich überlege. Aber was wäre dann mit Olaf? Seine Eltern sind vielleicht schon auf dem Weg hierher.

20. März anno domini 1656

Einige haben die Rückreise nach Schweden angetreten. Es gefällt ihnen hier nicht und sie sehnen sich zurück nach der Heimat. Wir aber haben uns entschieden, hier zu bleiben, zumal die Holländer uns eine gewisse Autonomie zugestanden haben. Das heißt, wir können hier im Grunde genauso leben, als stünde diese Kolonie noch unter schwedischer Herrschaft.

Auch die Landschaft erinnert uns sehr an die alte Heimat. Nachdem sich das Wetter gebessert hat, können wir uns mit der Umgebung vertraut machen. Einige unserer Reisegefährten sind in den umliegenden Forts untergekommen. Wir werden sie demnächst besuchen. Wir haben es gut getroffen, dass unser Fort ebenso heißt wie unsere Heimatstadt. Ich sehe darin ein gutes Omen.

Meine Künste als Baumeister sind hier sehr gefragt – mehr noch als im alten Göteborg. Bald werden wir auch angenehmer wohnen können.

***

14. Juni anno domini 1656

Unser Leben läuft nun in festen, geregelten Bahnen. Wir haben uns eingelebt, und eigentlich merkt man kaum, dass wir nicht mehr in der alten Heimat sind. Nur dass wir in keiner großen Stadt mehr leben; aber dies wird sich gewiss auch mit der Zeit ändern.

Die Kinder erhalten nun Schulunterricht. Mein Sohn Maximilian und Olaf sind in derselben Klasse. Hanne hat noch ein Jahr Zeit.

Eben habe ich die freudige Mitteilung erhalten, dass Siw wieder schwanger ist. Wir freuen uns alle riesig und können unseren Familienzuwachs kaum erwarten – auch wenn es für den Anfang nicht ganz leicht werden dürfte, ein zusätzliches Maul zu stopfen. Aber an Arbeit mangelt es nicht. Es gibt viel zu tun.

Aber was wird mit Olaf? Von Olafs Eltern gibt es keinerlei Neuigkeiten. Seit unserer Ankunft ist kein Schiff aus Schweden eingelaufen, nur holländische und andere. Ich gehe jedes Mal nach Fort Casimir und frage nach, sobald irgendein Schiff einläuft. Sie könnten ja mit einem niederländischen Schiff kommen; aber ich glaube es nicht. Ich bin beunruhigt. Zum Glück hat Olaf noch nicht gefragt. Ich fürchte den Augenblick, da er es tut.

15. Juni anno domini 1656

Leider kam dieser Augenblick früher als befürchtet – und das auch nur auf Grund von Maximilians Unvorsichtigkeit. Er war es, der nach Olafs Eltern fragte. Was blieb mir anderes übrig, als wahrheitsgemäß zu antworten: „Wir wissen nicht, wann sie kommen.“ Zum Glück währte Olafs Betrübtheit nicht lange; denn Hanne – als ob sie trotz ihrer vier Jahre gewusst hätte, nun eingreifen zu müssen – sorgte sogleich für Ablenkung. Aber ich merke, wie sehr ihm die Eltern fehlen, auch wenn er sich nichts anmerken und sich bereitwillig von Hanne und den anderen ablenken lässt. Aber sein Appetit lässt zu wünschen übrig und er schläft unruhig. Manchmal weint er im Schlaf.

Olaf mag abgelenkt sein; aber ich mache mir weiter um die Sjenbergs Sorgen.

***

14. März anno domini 1657

Siw hat einen gesunden Sohn geboren. Wir taufen ihn Bengt. Olaf steht Pate.

Es ist genau ein Jahr her, seit wir in der Neuen Welt angekommen sind. Ich habe das Gefühl, dass erst Bengt uns fest mit der Neuen Welt verbindet. Die Alte Welt kennt er nicht und wird sie wohl auch nie kennen lernen.

1. April anno domini 1657

Siw ist wieder schwanger. Wir freuen uns wieder sehr. Es wird nun Zeit, unser Haus zu erweitern.

***

15. Oktober anno domini 1664

Die Engländer haben nun die Herrschaft übernommen. Zum Glück rütteln sie nicht an unserem autonomen Status. Wir leben so weiter wie bisher.

Die Kinder sind groß geworden. Max und Olaf sind 14, Hanne ist 12. Sie gehen jetzt eigenen Handwerken nach. Max verdingt sich als Schiffsbauer, Olaf arbeitet als Schreiber bei der hiesigen Verwaltung, Hanne beschäftigt sich schon eifrig mit diversen Handarbeiten. Auch Bengt (7) und Margaretha (6) helfen schon bereitwillig und fleißig mit.

Unlängst ist ein Schiff mit Siedlern aus Finnland hier eingetroffen. Es war wohl nicht wenig blauäugig von meiner Seite zu erwarten, dass Olafs Eltern nun mitkommen würden, nach über acht Jahren.

Wir haben ihn adoptiert. Dies erleichtert so manches. Er trägt nun unseren Namen: Segerstam. Er ist nun unser Kind. Er hat es mit einer geradezu erschreckenden Gleichgültigkeit aufgenommen.

***

10. Januar anno domini 1665

Ich habe soeben in der Zeitung gelesen, dass in Neu Amsterdam – die Engländer haben es in „New York“ umbenannt – gute Baumeister gesucht werden. Ich bin geneigt, mich zu melden. Somit kämen wir wieder in eine größere Stadt. Ich bin begeistert, muss aber Siw und die Kinder fragen, ob sie einverstanden sind.

30. März anno domini 1665

Ich hatte die letzten Wochen kaum Gelegenheit, mich meinem Journal zu widmen. Es hat sich eine ganze Menge ereignet. Wir sind nach New York übergesiedelt.

New York ist eine großartige Stadt. Lauter schöne Häuser, wie ich sie noch nie gesehen habe. Es wirkt großstädtisch, ja, weltstädtisch. Es entstehen immer mehr Prachtbauten – und ich soll mich fürderhin daran beteiligen. So eine Auswahl an Geschäften und Restaurationsbetrieben gab es nicht einmal im alten Göteborg. Ich bin begeistert. Die Leute – so viele elegant gekleidete Leute auf einmal habe ich auch noch nie zuvor gesehen. Ich bin tief beeindruckt.

Wir sind uns alle einig, dass es eine weise Entscheidung war, uns hier niederzulassen. Ich bin Angestellter der Stadt und verdiene gutes Geld. Wir bewohnen eines dieser geräumigen Häuser. Es hat einen großen Garten, für welchen die Kinder überaus dankbar sind. Es ist schon ein anderes Wohnen als im engen Fort. Auch die Karrieremöglichkeiten sind hier in der Stadt andere als dort.

Max arbeitet hier in einer Werft und ist auch zufrieden mit seinem Verdienst. Olaf ist bei der Stadtverwaltung tätig. Hanne hat in unserem Haus eine Schneiderwerkstatt eröffnet. Bengt und Margaretha besuchen die Schule.

10. April anno domini 1665

Allmählich leben wir uns ein. Wir haben das Gefühl, endlich am Ziel angekommen zu sein.

Die beiden Jüngsten hängen sehr an Olaf. Er ist auch derjenige, der ihnen am meisten Zeit widmet. Siw hat viel in Haus und Garten zu tun und greift hin und wieder ihrer älteren Tochter unter die Arme. Es hat sich alles gut eingespielt. Ich danke Gott dafür.

Wir haben gleich nach unserer Ankunft die Familie Horn aus Friesland kennen gelernt, die schon seit einiger Zeit hier ansässig ist. Sie haben zwei Söhne, Tobias und Waldemar. Der Vater ist Drechsler und auch seine Söhne wollen diese Richtung einschlagen. Der Ältere, Tobias, hat sich gleich Mit Maxi und Olaf angefreundet. Er spricht schon fließend Englisch. Margaretha und Bengt sind auch schon recht flink in dieser Sprache. Kinder lernen schnell. Siw und ich hingegen brauchen da wohl etwas länger.

13. April anno domini 1665

Max, Olaf und Tobias sind viel zusammen unterwegs. Ich mache mir manchmal Sorgen bei ihren Streifzügen durch den Wald.

1. Mai anno domini 1665

In der letzten Zeit sind Olaf und Tobias allein unterwegs. Max geht seine eigenen Wege. Olaf und Tobias haben eine Menge gemeinsam und hängen oft zusammen. Sie unternehmen ihre Streifzüge nun meist ohne Max.

Den beiden scheint der Gesprächsstoff nicht auszugehen. Manchmal sitzen sie stundenlang auf einem Felsen und unterhalten sich.

***

21. Mai anno domini 1667

Olaf und Tobias sind schon seit Stunden überfällig. Ich bete zu Gott, dass ihnen im Wald nichts zugestoßen ist. Ich mache mir Vorwürfe.

Sie sind wieder da. Was sie – freilich erst nach einigem Zögern – erzählt haben, hat mich sehr erschreckt. Sie haben sich am Wald verlaufen und wussten den Weg nicht mehr zurück. In der Nähe brüllte ein Bär, was sie dazu veranlasste, eine andere Richtung einzuschlagen. Was müssen sie an Ängsten ausgestanden haben! Da hörten sie auf einmal Knacken im Gebüsch. Schritte näherten sich ihnen. Das Gebüsch teilte sich – und hervor traten einige schwer bewaffnete junge Indianer. O Gott! Auf der einen Seite ein wilder Bär, auf der anderen tummelten sich Indianer auf dem Kriegspfad. Erst nach mehreren Sekunden bemerkten Olaf und Tobias, dass es sich dem Aussehen nach um Lenape-Indianer handelte, welche uns Europäern freundlich gesonnen sind. Tobias beherrscht deren Sprache und konnte ihnen erklären, dass sie sich verlaufen hatten. Die jungen Lenape antworteten, dass sich auf der Jagd nach einem gefährlichen Bären befänden und dass sie sich lieber in der Nähe der Stadt aufhalten sollten. Es sei für Weiße zu gefährlich. Sie wiesen ihnen den Weg aus dem Wald.

So erklärt es sich, warum sie so spät kamen. Ich hielt ihnen beiden eine Standpauke. Tobias bekam noch eine Extra-Standpauke von seinen Eltern, die gekommen waren, um nachzuschauen, ob ihr Sohn bei uns hängen geblieben sei.

Olaf war niedergeschlagen, so dass es mir beinahe leidtat, ihn so angefahren zu haben. Ich ermahnte ihn, das nächste Mal vorsichtiger zu sein. Da nahm die Geschichte eine Wendung, die ich nicht erwartet hatte.

„Mit Tobias an meiner Seite kann mir doch nichts passieren“, versetzte Olaf mürrisch. „Er kann doch alles: Er weiß, wie man Feuer macht. Er weiß, wie man Hasen fängt und zubereitet. Er findet sich im Wald zurecht, als wäre er dort geboren worden – bis auf jetzt; aber daran war der Bär schuld, der uns erschreckt und in eine völlig andere Richtung getrieben hat. Er kann sich sogar mit den Indianern verständigen. Er hat gesagt, dass er auch mit einem Gewehr und einer Pistole umgehen kann.“

Zuerst wusste ich gar nicht, was ich von dieser Bemerkung halten sollte. Es klang nicht gerade nach Bewunderung für den Freund. Schließlich dämmerte es mir: Er beneidet seinen Freund ob gewisser Fertigkeiten, die er selbst nicht besitzt.

Ich habe versucht, mit ihm darüber zu reden; aber er weicht mir aus. Ich mache mir Sorgen.

23. Mai anno domini 1667

Ich befürchtete schon, nun sei das Ende der dicken Freundschaft zwischen Olaf und Tobias erreicht. Zum Glück ist dem nicht so. Die beiden hängen immer noch eng zusammen. Sie haben sogar wieder einen Ausflug in den Wald geplant. Hanne will sich den beiden anschließen. Ich habe nichts dagegen – zumal Tobias sich draußen anscheinend tatsächlich gut zurechtfindet, wie mir auch seine Eltern bestätigt haben.

***

20. Juni anno domini 1668

Hanne und Olaf sind gerade von ihrem neuerlichen Ausflug mit Tobias zurückgekehrt. Hanne wirkt überaus glücklich – Olaf hingegen niedergeschlagen. Er versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Ich traue mich ihn nicht zu fragen. Hanne hingegen muss ich nicht fragen. Sie wird nicht müde, von Tobias zu schwärmen.

Ich beginne zu ahnen, was Sache ist. Olaf ist eifersüchtig auf Tobias. Ich habe schon längst beobachtet, dass sich Hanne stark zu Tobias hingezogen fühlt, und mir ist auch nicht entgangen, dass es Tobias genauso geht. Mir ist erst jetzt bewusst geworden, wie sehr Olaf an Hanne hängt.

Olaf beschäftigt sich wieder mit den Kleinen. Das lenkt ihn ab und bringt ihn hoffentlich auf andere Gedanken. Zum Glück ist Hanne nicht seine einzige Bezugsperson.

***

2. Juli anno domini 1668

Tobias und Hanne sind jetzt immer öfter zusammen und besuchen fast jedes Wochenende Tanzveranstaltungen. Dies hat Siw und mich dazu bewogen, uns ihnen gelegentlich anzuschließen. Ich werde mir bewusst, dass wir zuletzt in der Silvesternacht vor unserer Ankunft in der neuen Welt getanzt haben. Es wird Zeit, dies zu ändern!

Hanne und Tobias legen Wert darauf, dass Olaf mitgeht. Sie wollen ihn nicht allein lassen, da nach außen keinen rechten Anschluss gefunden hat – von einer Herzensdame ganz zu schweigen. Ich finde es rührend, dass sie stets bemüht sind, ihm das Gefühl zu geben, dass er noch dazugehört; aber weiß er es auch zu schätzen? Er geht mit, um kein Spielverderber zu sein; aber er sitzt die meiste Zeit nur am Tisch und beobachtet die anderen beim Tanzen. Gott weiß, was in ihm vorgeht!

***

10. Februar anno domini 1669

Es herrscht ein strenger Winter, der uns das Leben recht schwermacht. Aber so streng vermag kein Winter zu sein, um uns die Freude zu verderben, welche Hanne und Tobias uns mit ihrer Verlobung gemacht haben. Die Hochzeit soll im Sommer gefeiert werden, wenn das Wetter es zulässt.

Auch Max hat ja sein Herz verschenkt. Seine Braut Yngvild stammt aus Åbo in Finnland. Ein nettes Mädchen. Es sieht ganz so aus, als müssten sie noch vor Hanne und Tobias heiraten …

***

18. März anno domini 1669

Heute haben Max und Yngvild geheiratet. Es war eine schöne Feier mit vielen Gästen. Nur schade, dass wir im Wirtshaus feiern mussten. Der Frühling scheint noch weit, der Winter ist noch sehr nah.

Ja, es musste sein; denn es fehlt nicht mehr viel bis zur Geburt unseres ersten Enkelkindes. Das Brautkleid überdeckt diese Tatsache zum Glück tadellos – obschon es jeder wissen dürfte, auch der Pastor.

Sie haben eine Wohnung am Hafen gefunden. Max hat es also nicht weit bis zur Werft. Wir haben bei der Einrichtung mitgeholfen.

***

13. Juni anno domini 1669

Was für ein wunderschönes Brautpaar! Siw und ich fühlen uns an unsere eigene Hochzeit vor 25 Jahren erinnert. Wir haben damals ebenfalls bei schönstem Sommerwetter geheiratet. Die Hochzeit von Max und Yngvild musste ja bereits im März gehalten werden, inmitten von Schneeschauern. Ich gebe zu, dass deren Feier bei Weitem nicht an dieses Fest heranreichte. Aber dafür haben Max und Yngvild eine wunderschöne Tochter, die das Ganze wieder ausgleicht. Sie haben sie Lisa genannt.

Ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass auch bei den Frischvermählten etwas bzw. jemand im Anmarsch ist. Bislang wurde darüber kein Wort verloren.

Ich freue mich, dass Olaf sich bereit erklärt hat, Tobias’ Trautzeuge zu sein. Hanne hat sich für ihren Bruder entschieden.

***

24. Februar anno domini 1670

Unser zweites Enkelkind ist geboren. Wir sind überglücklich. Es ist wieder ein Mädchen. Sie haben es Klara genannt. Ein Engelchen!

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18. März anno domini 1670

Olaf sondert sich immer mehr ab. Ich habe das Gefühl, seit Klaras Geburt noch mehr als zuvor. Er verlässt das Haus sehr früh und kommt erst sehr spät wieder. Er spricht nur das Nötigste mit uns. Er kümmert sich kaum noch um Bengt und Margarethe. Ich habe das Gefühl, dass sie darunter leiden. Er hält auch keinen Kontakt mehr mit Tobias und Hanne, auch nicht mit Max. Sie machen sich auch Sorgen.

Tobias hat beschlossen, sobald das Wetter wieder schön ist, mit Olaf wie in alten Zeiten auf die Jagd zu gehen, um ihn aus sich herauszuholen.

***

10. April anno domini 1670

Bei Hanne hat sich eine seltsame Krankheit bemerkbar gemacht. Sie fühlt immer häufiger Kribbeln in den Beinen und leidet manchmal an Sehstörungen. Sie sagt zwar, das sei nicht so schlimm; aber ich bin beunruhigt. Ich werde einen Arzt zurate ziehen.

11. April anno domini 1670

Dr. Jones ist sofort mitgekommen; aber leider vermag er sich keinen Reim auf diese Symptomatik zu machen. Es sei eindeutig, dass das Nervensystem betroffen sei; aber um was es sich genau handle, könne er nicht sagen.

Scheinbar geht es Hanne wieder besser; aber ich bin über alle Maßen beunruhigt – zumal sie nun verstärkt unsere Nähe sucht – so als sei ihr bewusst, dass es ihr nicht gut geht.

Sie klammert sich nicht nur an uns und ihren Mann Tobias; sie legt ebenso großen Wert darauf, dass auch Olaf möglichst oft bei ihr ist. Sie nennt ihn ihren Bruder – was er ja nun auch ist. Wir machen uns Sorgen.

***

20. Mai anno domini 1670

Das Wetter ist herrlich. Ich bin froh, dass Olaf so bereitwillig mit Tobias zu diesem Jagdausflug aufgebrochen ist. Sie haben vor, gleich paar Tage wegzubleiben, und haben sich entsprechend ausgerüstet. Beide sind ja inzwischen älter und – hoffentlich! – reifer, so dass ich mich wohl nicht so zu sorgen brauche wie damals, als sie sich verirrten und nur dank der Lenape-Indianer wieder zurückfanden. Ich bin froh und optimistisch. Vielleicht findet auch Olaf eine Braut. Ich wünsche es ihm von Herzen!

Hanne ging es die ganzen letzten Wochen gut und sie ist froh, dass die beiden Buben zusammen aufgebrochen sind.

25. Mai anno domini 1670

Tobias ist zurück – allein, verstört. Auf unsere Frage, wo Olaf sei, ernteten wir nur ratloses Schulterzucken. Tobias konnte nicht mehr erzählen, als dass er am Morgen aufgewacht sei und Olaf nicht mehr gesehen habe. Olaf hatte sich mit all seinen Sachen und mit der gesamten Munition in der Nacht davongestohlen, ohne irgendeine Nachricht hinterlassen zu haben. Tobias war verzweifelt. Er machte sich auf die Suche – wohl wissend oder zumindest ahnend, dass es aussichtslos war. Nichts deutete darauf hin, dass er unfreiwillig gegangen war. Er traf wieder Indianer vom Stamm der Lenape. Diese sagten ihm, dass sein Gefährte sich in der Nacht in Richtung Westen gezogen sei.

Hanne ist traurig und fragt immer wieder, warum er einfach gegangen ist, ohne etwas zu sagen. Wenn ich ihr nur eine Antwort darauf geben könnte!

Oh, Shenandoah

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