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Bestimmung

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Es war einer dieser letzten Wintertage. Man konnte ahnen, dass der Winter nicht mehr lange dauern würde. Die Luft hatte sich schon verändert und roch nach Vorfrühling. Viel milder und weicher. Die Menschen liefen schon nicht mehr in ihren allerdicksten Mänteln und Jacken umher, und wenn die Sonne schien, waren die Straßencafés ganz schnell gefüllt. Jeder sehnte sich nach etwas mehr Wärme und Licht nach dieser langen Winterzeit.

Franziska saß in einer dieser vielen kleinen Straßencafés, sah dem bunten Treiben zu und genoss, dass die Menschen um sie herum so froh gestimmt waren.

Eine gut gekleidete Frau kam auf das Café zu. Dunkelblaues Kostüm mit feinen hellen Streifen und heller Bluse, hochhackige dunkle Pumps, gestylte Frisur, schlanke Figur, kein Gramm zu viel.

Es war schon kein Tisch mehr frei. Aber neben Franziska stand noch ein leerer Stuhl.

„Darf ich neben Ihnen Platz nehmen?"

„Sicher, hier ist noch frei."

Zuerst sah es so aus, als gäbe es für Franziska keine Möglichkeit, mit dieser Frau ins Gespräch zu kommen. Eine ungewöhnliche Situation für Franziska. Aber dann brachte die Kellnerin den bestellten „Salat des Hauses". „Der sieht aber lecker aus. Schön bunt. Das werde ich mir merken."

„Ja, ich habe ihn hier schon öfter gegessen. Er ist gut, und für mittags nicht zu schwer."

„Sie arbeiten hier in der Nähe?"

„Ja, bei einer großen Fluggesellschaft. Da kann ich es mir nicht leisten, am Nachmittag müde zu sein. Deshalb esse ich nur eine Kleinigkeit."

„Das hört sich spannend an. Was machen Sie? Stewardess sind Sie sicherlich nicht. Einen Flughafen gibt es hier in der Nähe wohl noch nicht."

„Nein, nein. Ich sitze hier in der Zentrale, in der Organisation."

„Das ist bestimmt eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit."

„Ja, einen geregelten Feierabend gibt es bei uns nicht. Wir können erst gehen, wenn die Arbeit getan ist. Aber das Gehalt ist ja auch nicht schlecht."

„Machen Sie Ihre Arbeit gern?"

Sie zögerte mit ihrer Antwort einen Moment. „Manchmal wünschte ich mir schon, ich könnte morgens einfach im Bett liegen bleiben. Aber dann besinne ich mich doch immer wieder eines Besseren."

„Was täten Sie denn lieber, als in Ihrem Beruf zu arbeiten."

„Ich wünschte mir manchmal, ich hätte am Ende meines Arbeitstages etwas in der Hand. Ich möchte gern sehen, was ich produziert habe. Nicht bloß einen Computerausdruck mit Buchungszahlen oder Bilanzen."

„Haben Sie da schon eine bestimmte Vorstellung?"

„Oh, ja. Ich mag Stoffe schrecklich gerne. Wenn ich könnte, würde ich Kleider entwerfen. Aber das habe ich nicht gelernt. Und ich bin auch schon viel zu alt, um noch einmal einen anderen Beruf zu erlernen. Und außerdem verdiene ich inzwischen ganz gut."

„Fertigen Sie sich denn manchmal etwas für sich selbst an?"

„Doch, doch. Die Kleider, die ich in meiner Freizeit trage, sind zum Teil selbst geschneidert. Aber im Beruf kann ich sie nicht anziehen. Da muss ich einen etwa seriöseren Stil pflegen."

Und sie erzählte Franziska, dass sie gerne Kleider nähte aus weichen, fließenden, bunten Stoffen, die bequem waren und fast etwas Märchenhaftes an sich hatten. Kleider für eine Fee oder Prinzessin. Kleider, um darin im Sommer einen romantischen Bootsausflug zu machen. Kleider, um darin zu träumen, ein Eis essen oder tanzen zu gehen, aber auch Kleider, um darin bei herrlichem Wetter im Park oder im Wald spazieren zu gehen und Blumen zu pflücken.

Das machte Franziska neugierig. Sie konnte sich die Kleider vor ihrem inneren Auge schon vorstellen, so plastisch waren die Beschreibungen der Frau, und Franziska war neugierig geworden und wollte die Kleider unbedingt einmal sehen.

Also machte sie mit Beatrice, so ihr Name, einen Termin für die kommende Woche aus.

Sie verabschiedeten sich voneinander, und jede ging vorerst ihrer Wege.

Zum verabredeten Termin fuhr Franziska zur Adresse von Beatrice. Ein gutes Wohnviertel mit alten Villen und vielen Bäumen.

Sie klingelte, und als der Türsummer an der Gartentür ertönte, lief sie durch einen zauberhaften Garten mit vielen bunten Blumen.

„Schön, dass Sie gekommen sind. Ich freue mich, aber nachdem wir uns getrennt haben ist mir bewusst geworden, dass ich gar nicht Ihren Namen kenne."

„Ich bin Franziska. Und das umständliche Sie können wir meinetwegen weglassen. Einfach Franziska."

„Wunderbar, Franziska. Nenn' mich doch bitte Bea. Ich habe hinter dem Haus auf der Terrasse für uns den Kaffeetisch gedeckt. Möchtest Du lieber Kaffee oder Tee?"

Beim Tee und dem herrlichen selbstgebackenen Kuchen erfuhr Franziska noch einiges mehr über Beas bisherigen Lebenslauf. Sie war das, was man eine erfolgreiche Frau nennen könnte. Alle Prüfung seit der Schulzeit mit Auszeichnung. Und jetzt bekleidete sie eine wichtige, gutbezahlte Position in ihrer Firma.

Aber etwas in ihrer Stimme irritierte Franziska. Denn wenn sie von ihrer Karriere erzählte wirkte ihre Stimme etwas gekünstelt und metallisch. Gar nicht so begeistert wie bei den Erzählungen über ihre Kleider und Entwürfe.

Endlich fragte Bea, ob Franziska nun ein paar von den selbstentworfenen Kleidern sehen wollte. Und als Franziska freudig bejahte, rannte Bea fast nach oben in eines ihrer Zimmer und kam mit einigen Kleidern wieder. Das ging alles sehr schnell. Bea musste sie schon zurechtgelegt haben. Voller Überzeugung und mit strahlenden Augen präsentierte sie sie.

Franziska war begeistert. „Sie sind wunderschön. Verkaufst Du manchmal welche?"

„Nein. Wer sollte sie wohl kaufen? Ich nähe nur für mich."

„Oh, ich würde Dir glatt welche abkaufen. Und ich kenne Frauen, denen diese Kleider gefallen würden. Du solltest das zu Deinem Beruf machen."

„Ach, Franziska. Das sagt sich so leicht daher. Von dieser Art Schneiderei kann man doch nicht leben. Ich habe einen gut bezahlten Beruf. Den werde ich so schnell nicht aufgeben."

„Hättest Du nicht wenigstens einmal Lust, die Kleider einigen meiner Freundinnen zu zeigen? Ich finde es schade, dass Du die Kleider niemand anderem vorführst. Ich bin sicher, auch andere Frauen würden sich über diese Kleider freuen."

Damit war Bea einverstanden. Und Franziska versprach, Bea zu benachrichtigen, sobald sie mit ihren Freundinnen einen Termin ausgemacht hatte.

Nach einigen Tagen klingelte Franziska wieder an Beas Haus.

„Meine Freundinnen sind schon neugierig auf Deine Kleider. In ein paar Tagen ist ein langes Wochenende. Hast du Lust, ein paar Tage bei mir in meinem Haus zu verbringen und Deine Kleider meinen Freundinnen zu zeigen?"

Bea war einverstanden. Franziska beschrieb ihr den Weg zu ihrem Haus und empfahl ihr, dafür bequeme Kleidung anzuziehen.

Als das Wochenende endlich gekommen war, strahlte die Sonne vom Himmel, und Bea hatte auf ihrer Wanderung zu Franziskas Haus herrliches Wetter. Sie hatte keine Schwierigkeiten, dorthin zu finden. Aber sie war froh, endlich anzukommen, denn der Rucksack mit den Kleidern war doch ziemlich schwer.

Franziska setzte Bea erst einmal zu einer erholsamen Tasse Tee vor ihr kleines Haus, und die beiden erzählten bis die Luft draußen anfing wieder kühl zu werden. Dann zogen sie nach drinnen um. Und Franziska konnte beim Herrichten des Abendessens feststellen, dass Bea auch hier ein beachtliches Talent hatte, denn sie richtete die kleinen Platten mit den Speisen sehr appetitlich und fürs Auge wohltuend an.

Am nächsten Tag trafen Franziskas Freundinnen ein, und es wurde ein sehr herzliches und freudiges Wiedersehen.

Nachdem die wichtigsten Fragen gestellt und beantwortet und der Wissensdurst aller gestillt war, wurde es Zeit, sich Beas Kleider anzusehen.

Bea führte ihre Kleider selbst vor.

Sie hatte sie im oberen Stockwerk von Franziskas kleinem Haus deponiert und zog sich auch dort um. Als sie mit dem ersten Kleid die Treppe herunterkam herrschte atemlose Stille.

Bea wusste diese Stille nicht zu deuten. Sie war verunsichert, ja, vielleicht sogar ein wenig enttäuscht, denn sie hatte gehofft, ihre Kleider würden Franziskas Freundin doch ein wenig gefallen. Sie stand einfach nur da und schaute unsicher in die Runde.

Endlich löste sich die Stille. „Es macht mich schier atemlos." Begann eine der Frauen. Und alle anderen fielen daraufhin ein. „Wunderschön." „Du hast ein einmaliges Talent." „So ein Kleid hätte ich auch gerne." ...

Bea musste ein Kleid nach dem anderen präsentieren. Sie tanzte mit ihren Kreationen fast vor den Frauen auf und ab vor Freude, und musste sich immer wieder im Kreis drehen, weil sie stets aufs Neue zeigen sollte, wie herrlich diese Kleider dabei flogen.

Endlich hatte sie alle gezeigt und setzte sich atemlos zu den anderen. Alle sprachen wild durcheinander. „Bea, weißt Du eigentlich, was für ein Talent Du da hast? Das solltest Du nicht vergeuden." „Versuche doch mal, einige dieser Kleider in ein paar kleinen Geschäften anzubieten. Nur so als Test. Mal sehen, was geschieht."

Die Frauen konnten sich gar nicht so recht beruhigen. Sie hatten viele Ideen, wie Bea am besten ihre Ware an den Mann bzw. an die Frau bringen konnte. Und als Bea nach diesem Wochenende nach Hause kam, war sie ganz erfüllt von der Vorstellung, wirklich das eine oder andere Kleid verkaufen zu können.

Bea arbeite weiterhin jeden Tag in ihrem gut bezahlten, verantwortungsvollen Beruf und war von morgens bis abends für ihre Firma auf den Beinen.

Manchmal in der Mittagszeit schaffte sie es, in eine der kleinen Boutiquen zu schlüpfen, um dort ihre Kleider zu zeigen. Es war erstaunlich für Bea, dass auch die Geschäftsinhaber von Beas Kleidern begeistert waren. Jedoch wollten sie mehr als nur eines. Sie wollten dann auch gleich mehrere in verschiedenen Größen haben, und Bea wusste kaum, wie sie so viele anfertigen sollte.

Zuerst saß sie nach der Arbeit nächtelang an der Nähmaschine, um die gewünschten Modelle anzufertigen.

Eines Tages merkte sie, dass sie mehr Zeit für ihre Näherei haben wollte und beantragte darum bei ihrer Firma, nur noch einen halben Tag lang zu arbeiten. Erstaunlicherweise wurde das sogar genehmigt.

Bea war glücklich, solange sie entwerfen und nähen konnte. Aber immer, wenn die Zeit voranrückte, um in die Firma zu gehen, musste sie sich geradewegs dazu zwingen. Bea war also einen halben Tag lang glücklich und die andere Hälfte über unglücklich.

Eines Tages, als sie sich wieder einmal mit Franziska traf, erzählte sie von dem Dilemma, in dem sie sich befand. „Ich weiß nicht mehr weiter. Die Arbeit und die Kleider, das passt irgendwie nicht zusammen. Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll."

„Was wünscht Du Dir?"

„Am liebsten würde ich nur noch nähen. Ich würde auch gerne umziehen. Dieses Haus hier in der Stadt, das passt irgendwie so gar nicht mehr zu mir. Ich will kein durchgestyltes Haus. Ich brauche Luft und die Natur um mich herum, damit ich wieder neue Ideen habe. Jedes Mal nach einem Ausflug in die Umgebung komme ich mit einem Sack voller Ideen wieder. Am liebsten würde ich gar nicht mehr in mein Haus zurückkommen, sondern für immer in der Natur bleiben."

So kam es, dass Bea eine neue „Nachbarin" von Franziska wurde. Wenige Kilometer von Franziskas Haus entfernt stand schon seit geraumer Zeit ein Haus leer. Es musste nur etwas hergerichtet werden und hatte für Beas Zwecke genau die richtige Größe. Wenn Bea aus dem Haus trat, war da gleich ein kleiner See und links und rechts davon ein Wäldchen, in dem Bea oft und gern spazieren ging.

Heute kannst Du Bea in ihrem kleinen Haus treffen beim Zeichnen von Entwürfen für ihre Kleider oder beim Nähen. Und zuweilen findest Du sie auch in der Stadt, wenn sie ihre Kleider verkauft oder ihre selbst bemalten Seidentücher und -stoffe. Ihr Haus wird Dir ähnlich vorkommen wie das von Franziska. Es duftet nach den herrlichsten Gewürzen, und inzwischen kommen die Frauen aus der Stadt schon heraus zu Bea, um eines ihrer wunderschönen Kleider zu erstehen oder sich nach eigenen Vorstellungen ein Kleid anfertigen zu lassen.

Und wenn Du mich fragst, würde ich Dir sagen, dass Bea endgültig eine typische „Wilde Frau" geworden ist.

Franziska treffen

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