Читать книгу Dem Kunden verpflichtet - Ingrid Gerstbach - Страница 28
Führung über Kontexte
ОглавлениеEine gute Führung erfordert vor allem Offenheit für Veränderungen auf individueller Ebene. Erfolgreiche Führungskräfte wissen nicht nur, wie sie den Kontext, in dem sie gerade arbeiten, identifizieren, sondern auch, wie sie ihr Verhalten und ihre Entscheidungen so ändern, dass ihr Verhalten diesem Kontext entspricht. Sie bereiten ihre Mitarbeiter auch darauf vor, die verschiedenen Kontexte und die Bedingungen für den Übergang zwischen ihnen zu verstehen.
Universitäten, aber auch Unternehmen bilden ihre Führungskräfte dazu aus, in gelenkten und geordneten Bereichen zu arbeiten (einfach und kompliziert), aber die meisten Manager benötigen heute andere Fähigkeiten, da sie in ungeordneten Kontexten (komplex und chaotisch) arbeiten. Angesichts der heutigen Komplexität reichen auch Intuition, Intellekt und Charisma nicht mehr aus. Es bedarf vielmehr neuer Instrumente und Ansätze, um Unternehmen sicher durch weniger vertraute Gewässer zu bringen.
Viele Führungskräfte lernen, ihren Entscheidungsstil an wechselnde Geschäftsumfelder anzupassen. Einfache, komplizierte, komplexe und chaotische Kontexte erfordern unterschiedliche Reaktionen. Durch die richtige Identifizierung des herrschenden Kontexts, das Erkennen von Gefahrensignalen und das Vermeiden unangemessener Reaktionen können Manager in einer Vielzahl von Situationen erfolgreich führen.
Nach den Morden im Fast-Food-Lokal 1993 stand der stellvertretende Polizeichef Walter Gasior gleich vier Kontexten gleichzeitig gegenüber:
•Er musste über die Medien sofort Maßnahmen ergreifen, um die Welle der aufkommenden Panik einzudämmen, indem er die Bürger auf dem Laufenden hielt (chaotisch).
•Er musste dazu beitragen, dass seine Abteilung routinemäßig und nach festgelegten Verfahren funktionierte (einfach).
•Er musste Experten hinzuziehen (kompliziert).
•Und er musste die Bevölkerung auch noch in den Tagen und Wochen nach dem Verbrechen weiterhin beruhigen (komplex).
Die letztgenannte Aufgabe erwies sich als die größte Herausforderung. Die Eltern hatten Angst, ihre Kinder in die Schule gehen zu lassen, und die Angestellten sorgten sich um die Sicherheit an ihrem Arbeitsplatz. Hätte Gasior den Kontext als einfach verstanden, hätte er vielleicht gesagt: »Macht doch einfach weiter wie bisher. Es wird schon nichts passieren.« Das hätte allerdings die Menschen sicher nicht wieder beruhigt. Und wenn er Experten hinzugezogen hätte, um zu erklären, dass die Situation wieder sicher sei, hätte er wohl an Glaubwürdigkeit und Vertrauen verloren.
Stattdessen richtete Gasior einen Raum für Unternehmer, Schüler, Lehrer und Eltern ein, um Informationen wie auch Sorgen auszutauschen. Es war der richtige Ansatz für einen komplexen Kontext: Er ließ Lösungen aus der Gemeinschaft selbst hervorgehen, anstatt sie ihr aufzudrängen.
In der komplexen Umgebung der heutigen Geschäftswelt werden Führungskräfte oft aufgefordert, gegen ihren Instinkt zu handeln. Dabei sollten sie wissen, wann sie die Macht teilen und wann sie allein vorgehen müssen. Oder wann sie auf die Schwarmintelligenz der Gruppe hören und wann sie ihren eigenen Erkenntnissen folgen sollen.
Ein tiefes Verständnis des Kontexts, die Fähigkeit, Komplexität als solche zu erkennen und anzunehmen, sowie die Bereitschaft, den eigenen Stil flexibel anzupassen, werden mehr denn je für Führungskräfte erforderlich sein, die in einer Zeit zunehmender Unsicherheit etwas bewegen wollen.
AUF DEN PUNKT GEBRACHT
•»Die welt ist kompliziert geworden«, wird oft gesagt. Tatsächlich hat sie vor allem an Komplexität zugenommen.
•Der Hauptunterschied zwischen komplizierten und komplexen Systemen liegt darin, dass Sie bei Ersteren normalerweise Ergebnisse vorhersagen können, bei Letzteren nicht.
•Unternehmen haben es überwiegend mit komplexen Situationen und Entscheidungen zu tun.