Читать книгу Echte Kerzen wären schon schöner. Neue Weihnachtsgeschichten - Bernd Gieseking, Ingrid Kaltenegger - Страница 7

Momenti divini

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Nel mezzo del cammin di nostra vita

mi ritrovai per una selva oscura

chè la diritta via era smarrita.

Auf der Hälfte des Weges unseres Lebens

fand ich mich in einem finsteren Wald wieder,

denn der gerade Weg war verloren.

Die Göttliche Komödie, Inferno, Dante Alighieri

Ich hätte darauf bestehen sollen, dass Nico die Funzel im Flur austauscht.

»Die Decke ist fünf Meter hoch, Carmen, und eine Energiesparbirne hält ewig.«

Dadurch unterscheidet sich die Energiesparbirne von allem anderen. Die Leiter hat er mitgenommen.

Ein handgeschriebenes Kuvert unter den Rechnungen und Prospekten. Die Musikschule. Immerhin. Wünscht mir ein frohes Fest und hofft auf gute Zusammenarbeit im neuen Jahr. Aha.

Kann ins Altpapier.

Ich schlüpf aus den Stöckeln und trage die Einkäufe ins Wohnzimmer. Billa, Billa, Sapori d’Italia, Douglas, Douglas, Douglas, Brot. Eine der nachhaltigen Tragetaschen bleibt aufrecht stehen. Da ist Tonicwater drin, eine Gurke und zwei Flaschen Gin, in Geschenkpapier. Mit Selbstbetrug hat das nichts zu tun. Selbstschutz trifft es eher. Du weißt nie, wer dich beim Einkaufen sieht. Deshalb auch die Pumps, au.

In der Tasche vom italienischen Feinkosthändler nur eingelegtes Gemüse in durchsichtigen Plastiktöpfchen – die Oliven, der Wahnsinn – und ein Panettone. Den hat mir die Verkäuferin dazugepackt, strahlend, diesen Kuchen in der Schachtel. Als Geschenk für treue Kundinnen. Dabei war ich das ganze letzte Jahr nicht dort. Außerdem mag ich keine Aranzini. Rosinen auch nicht. Trockenfrüchte generell.

Apropos.

Bei Douglas verpacken sie die Geschenke heuer mattschwarz mit glänzenden Schleifen. Eigentlich wollte ich nur die Meeresalgenmaske kaufen. Ich weiß wirklich nicht mehr, was in den sechzehn anderen Päckchen ist. Umso besser, Überraschung muss sein.

Ah, das Badekugel-Sortiment. Hübsch. Sehen aus wie Pralinés oder kleine Törtchen aus Seife, in Blüten gewälzt. Zimt, Orange, Vanille. Divine Moments. Da fällt mir auf, es ist ja still.

Ausnahmsweise hämmert keine elektronische Dance Music zu mir herunter. Sie werden zu Hause feiern, die Studenten. Mit ihren Eltern, die völlig versagt haben, nicht nur, aber vor allem, in der musikalischen Erziehung ihrer Kinder.

Alle sind bei den Eltern oder den Kindern, wie Frau Neher, die im zweiten Stock wohnt und immer sagt, dass sie der Lärm nicht stört.

Stille. Wenn das kein Grund zum Feiern ist. Prost.

Seit Nico weg ist, höre ich fast überhaupt keine Musik mehr. Auf dem Handy, wenn überhaupt. Schon über ein Jahr.

Das Schlimmste war sein Glück. Er hat versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. Ein schuldbewusstes Gesicht gemacht, aber gepfiffen. Wie er das CD-Regal ausgeräumt hat. Gepfiffen vor Glück und weit mehr mitgenommen, als ihm gehört hat. Egal, die Zauberflöte mit Lucia Popp als Königin gibt’s auf Youtube auch.

Ich könnte ihn anrufen. Wo ich das Handy schon in der Hand hab, mein ich. Ja, nein, die Therapeutin wär nicht dafür.

Wir haben Weihnachten gefeiert, wir zwei Waisenkinder – legendär. Bei Carmen und Nico biegt sich der Tisch. Wer am Heiligen Abend bei uns war, hat gewusst, dass er für den 25. besser keine Termine annimmt. Wenn ich fürs Weihnachtsoratorium gebucht war – in der ersten Hälfte sind ja nur wenige Sopranpassagen –, hab ich oft noch spontan Kollegen mit nach Hause gebracht. Nico hat am 24. immer schon pausiert. Das hat er sich geleistet, obwohl er Blechbläser ist. Blechbläser + Weihnachtszeit = Goldgrube. Er hat den ganzen Tag gekocht: koscher, halal, vegan, egal. Jedes Mal hab ich gedacht, es wär viel zu viel, aber irgendwann, gegen Morgen, war alles weg. Und immer hat’s geschneit.

Ha, natürlich nicht, aber einmal haben wir eine Schneeballschlacht gemacht. Dabei ist Nico ausgerutscht und hat sich den kleinen Finger gebrochen. »Für jeden anderen Musiker eine Katastrophe«, hat er verkündet, »nur nicht für den Posaunisten!« Er hat ein paar Ibuprofen mit Obstler hinuntergespült und weitergefeiert bis zum Morgen.

Wir waren uns einig. Erst die Karriere, dann ein Kind. Beide. Und als es so weit war, die Nudeln und der Hoferwein abgelöst wurden von gebeiztem Lachs und dem Morillon, da waren meine Pap-Werte so schlecht, dass mir die Frauenärztin riet, mich am besten von meiner Gebärmutter zu verabschieden. Verkürzt ausgedrückt. Das muss ungefähr die Zeit gewesen sein, in der Nico mit Elsa Bekanntschaft machte. Und mit ihrer Gebärmutter.

»Carmen! Was gibt’s?«

Ich hab nicht damit gerechnet, dass er rangeht. Man kann hören, wie mein Herz an meinen Kehlkopf schlägt, als ich »Hallo, Nico« sage. Im Hintergrund kräht etwas. Das muss das Kind sein. Ich ziehe die Mundwinkel nach oben. Auch ein gezwungenes Lächeln hilft gegen einen bitteren Tonfall. »Ich wollte nur schnell frohe Weihnachten wünschen, bevor die Gäste kommen.« Seit Tagen denke ich darüber nach, wen ich eingeladen haben könnte: Andrea, Sybille und Claudio. Zu denen hat er keinen Kontakt. Umsonst, er würgt mich ab, freundlich. »Die Gans.«

Freundlich abgewürgt ist auch tot. Die Gans könnte ein Lied davon singen.

Ich geh in die Knie. Leg mich auf den Boden. Platz ist genug, seit er den Flügel abholen lassen hat. Meine Finger streichen über die Abdrücke der Rollen im Teppich, wo sich die Fasern einfach nicht mehr aufrichten wollen. Elsa. Kind. Gans. Kirche. Natürlich, schon wegen der Schwiegereltern, unwesentlich älter als er. Die singen dort im Chor. Das gönn ich ihm.

Meine Therapeutin rät zu radikaler Akzeptanz. Es sei nun einmal alles nicht zu ändern, und ich müsste doch jetzt langsam sehen, wie ich zu meiner alten Stärke zurückgelange. Sie hat ja recht. Aber mir geht’s da wie dem Teppich.

Während ich mich mit dem Gedanken anfreunde, hier liegen zu bleiben, für immer, höre ich, dass die Studenten über mir doch nicht verreist sind. Ebenso wenig sind sie auf wundersame Weise plötzlich rücksichtsvoll geworden. Wieso auch? Sie sind Teil dieser Welt, und die hat sich zur Aufgabe gemacht, mir zu zeigen, wie wenig Wert sie auf mein Dasein legt.

Aber noch bleibt mir Badezusatz in Pralinenform. Noch bleiben mir die Wirkstoffe der Meeresalgen, die die Tiefe meiner Falten in fünf Wochen um dreißig Prozent reduzieren. Noch bleibt mir ein Gin Tonic am Badewannenrand, der in weit kürzerer Zeit das Gegenteil schafft. Noch bleiben mir Lucia Popp, mein Handy und sieben Prozent Akkuleistung.

Wenn ich das Handy auf ein Handtuch lege, während es am Strom hängt, kann eigentlich nichts passieren. Und nein, ich bin nicht selbstmordgefährdet, jedenfalls nicht, solange ich Lucia Popp höre und nicht EMD.

»Tod und Verzweiflung«, singt die Königin der Nacht. Eines der Törtchen verbreitet Zimt-Lavendelaroma im Badewasser. Ich höre nicht, aber ich sehe, wie es von Bässen erschüttert wird, wie die Lavendelschiffe auf dem Weg um meine Knie- und Buseninseln in Seenot geraten. An der Decke brauen sich dunkle Wolken zusammen. Ist das ein Wasserschaden? War der schon immer? Ich glaube nein. Sieht dramatisch aus. Es müsste einiges getan werden, in der Wohnung. Aber wie, bitte, ohne Leiter?

Was veranstalten die da über mir? In immer schneller werdendem Rhythmus rutschen der Gin Tonic auf der einen Seite und auf der anderen das Handy dem Abgrund entgegen. Ich rette das Handy. Die Therapeutin würde das als einen Schritt in die richtige Richtung bezeichnen. Ein Drink, der ins Badewasser fällt, ist lang nicht so schlimm wie ein Handy am Stromkabel. Ärgern tut’s mich trotzdem.

»Hört!«, schmettere ich mit Lucia Popp, »hört, Rachegötter!« Im Bad war schon immer die beste Akustik. Oben zeigen sie sich unbeeindruckt.

Es rumpelt und stampft unverändert weiter. Das geht zu weit. Ich war auch jung und rücksichtslos, aber so jung und rücksichtslos war ich nie. Ich wische mir also Meeresalgen im Wert von ungefähr sechzig Euro aus dem Gesicht – Wirkung gleich null –, schlüpfe in den Bademantel und stapfe ein Stockwerk höher.

Ich klingle. Es zieht im Hausflur. Meine Haare tropfen auf den Terrazzoboden. Mir egal. Ich war schon immer weniger erkältungsanfällig als andere Sängerinnen. Ich klingle, bis jemand die Tür aufmacht.

Ein Mädchen. Auf den zweiten Blick: junge Frau. Eine von denen, die nach dem Ausweis gefragt werden, wenn sie Alkohol kaufen, bis sie dreißig sind.

»Was?«, formulieren ihre Lippen. Hören kann ich sie nicht in dem Lärm, aber sie hat eine ausdrucksstarke Gestik, muss man ihr lassen. Ich schau sie finster an. Was glaubt sie wohl, was?

Sie verschwindet, die Tür lässt sie weit offen, dreht die Lautstärke etwas zurück. Der Flur ist derselbe wie meiner, eigentlich. Nur sind die Wände hier altrosa gestrichen und in fünf Metern Höhe verströmt ein Kristalllüster eine Atmosphäre wie frisch gebackener Kuchen. Es müsste umgekehrt sein. Hier die Funzel im staubigen Lampion und unten bei mir das einladende Kristall.

»Komm ruhig herein«, sagt die Mädchenfrau mit einer Stimme, wie nur Italienerinnen sie haben. Für drei Wörter verschwendet sie eine ganze Tonleiter und knarzt zwischendurch wie eine alte Tür. So weit kommt’s noch, denke ich. Und merke, dass ich schon in ihrem Flur stehe. Vor der Statue eines gelben Elefanten, der Flöte spielt.

»Das ist Ganesha. Ich bin Francesca.«

Francesca sieht mich mit grünen Augen an und schiebt die viel zu langen Ärmel ihres Pullovers hoch, die sofort wieder über ihre kleinen Hände fallen. Bezaubernd, aber nicht mich.

»Ich verstehe, dass ihr feiern wollt, Francesca«, sage ich streng, »aber das ist zu laut. Ich erwarte Freunde.« Hab ich das nötig, sie anzulügen? Wenigstens findet meine imaginäre Gästeliste noch Verwendung: »Andrea, Sybille und Claudio.«

»Ich bin alleine«, klärt Francesca mich auf. Und dann: »Jemand schreit immer im Haus.«

In diesem Haus schreit niemand, das weiß ich genau. Die junge Frau ist verrückt. Sie hört Stimmen. Schade.

»Ja. Sehr laut und hoch«, sagt Francesa.

Ich ahne, was sie meinen könnte. Oder wen.

Und drehe mich zum Gehen.

Aber dann überlege ich es mir anders.

»Das ist nicht Schreien«, sage ich und singe ihr ein dreigestrichenes D entgegen. Nicht schlecht, so aus dem Stand. Die Akustik ist im Stiegenhaus noch besser als im Bad.

»Schreien klingt anders«, und dann schreie ich in ihr verdutztes Gesicht: »Aaaaahhh!«

Das hätte ich längst tun sollen. Mehr schreien. Mit dem Besenstiel an die Decke pumpern, wenn oben die Bässe stampfen, und »Ruuuheee!« schreien. Den Eltern in der Musikschule über den Gang entgegenschreien: »Nein! Edgar kriegt kein Solo!« Und Nico durchs Telefon anschreien: »Bring die Leiter zurück, du Lulu!«, anstatt hauszuhalten mit meiner Wut, sie zu schonen wie meine Stimme, damit sie mir nicht etwa verloren geht.

Einen göttlichen Moment nach dem anderen lasse ich ins Badewasser plumpsen. Das Glas, das auf den Boden gesunken ist, fische ich heraus und mixe mir einen neuen Drink. Die Gurkenscheibe schwimmt vorbei. Ich lege sie mir aufs rechte Auge. Das Haus vibriert immer noch leicht von der Musik der kleinen Italienerin, aber ich höre jetzt auf dem Handy die Callas Platinum Collection und singe lauthals mit. Jetzt könnte man, geb ich zu, es durchaus als Schreien bezeichnen. Aufgrund der Kopfhörer leidet die Intonation, dazukommt der Zorn. Ich schreie den Schmerz der Weltgeschichte aus mir heraus, die Norma, die Mimi, die Butterfly und ja, die Carmen. So werde ich diese Heilige Nacht verbringen, schreiend in der Wanne, in regelmäßigen Abständen heißes Wasser zulaufen lassen, ab und zu das Gurkenauge wechseln und morgen früh heiser sein oder untergegangen.

Es klingelt.

Diese jungen Dinger haben wirklich Nerven. Oben rattern die Beats, aber soweit ich das durch die Kopfhörer beurteilen kann, hört das Klingeln nicht auf.

Ein zweites Mal werfe ich mich in den Bademantel – der ist komplett durchnässt – und öffne die Tür.

Francescas Augen funkeln mich an. »Ich habe leiser gemacht, Sie müssen auch leiser machen.«

Sein wäre richtiger, denke ich, gehe aber großzügig darüber hinweg, weil ich ihr ansehe, wie viel Überwindung sie das gekostet hat. Sie hat gewartet, bis es nicht mehr ging.

»Es ist Weihnachten!« Sie hat Schwierigkeiten, das Wort auszusprechen.

Eine ungewohnte Milde überschwemmt mich. Ich möchte ihr etwas schenken. Das ist der Geist der Weihnacht. Oder der Gin. Ich rausche ins Wohnzimmer, greife mir das erstbeste Paket und schwenke im Zurückkommen den Panettone am Bändchen.

»Buon Natale«, wünsche ich und werte es als Kompliment für meine Aussprache, dass sie automatisch »Grazie altretanto« antwortet.

Sind das Tränen in ihren Augen? Hervorgerufen vom Anblick einer Kuchenschachtel? Was macht dieses Mädchen bloß zu Weihnachten ganz allein in einer fremden Stadt? Denn auf den dritten Blick ist sie eben doch ein Mädchen. Zwanzig, höchstens. Hat ihre katholische Familie sie verstoßen, weil sie zum Hinduismus übergetreten ist? Jetzt wäre ein guter Moment, sie hereinzubitten und das herauszufinden.

Ich lasse den Moment verstreichen, sehe zu, wie Francesca, ohne die Augen vom Panettone zu lösen, in den ersten Stock hinaufsteigt. Wenn sie der Anblick des Aranzini-Ziegels schon zu Tränen rührt, nicht auszudenken, was erst die Oliven in ihr auslösen würden. Oder die eingelegten Champignons.

Ich könnte mir ein paar davon herrichten und mitnehmen in die Wanne.

Ich gehe im Wohnzimmer die verbliebenen CDs durch. Irgendetwas wird Nico ja dagelassen haben, etwas Stilles, Besinnliches. Im Haus gegenüber zündet eine Frau die Kerzen am Baum an. Ich seh ihr zu, seh sie lächeln über die Freude, die sie ihrer Familie macht, die sie dafür noch mehr lieben wird als ohnehin schon, das ganze nächste Jahr.

Und in dieses friedliche, lediglich von einer winzigen Prise Neid getrübte Bild bricht ein Rumms, aber ein so gewaltiger, wie ich ihn im Leben noch nicht gehört habe. Begleitet von einer Erschütterung, die mich, die Möbel und die geknickten Teppichfasern für einen Moment vom Boden abheben und schweben lassen. Flaschen fallen um, Bücher aus dem Regal. Ich kann gar nicht sagen, wo der Lärm herkommt, bis ich den Staub sehe, der aus dem Bad über den Flur ins Wohnzimmer rollt.

In meiner Badewanne liegt eine Waschmaschine.

Daneben schwimmen Fliesen, Scherben, Dielen, Schutt und eine einsame Gurkenscheibe. An der Decke, wo vorhin das Wolkengebilde zu sehen war, ist der Himmel jetzt aufgerissen. Aus dem ersten Stock stürzt Wasser herunter, das den Staub dämpft und in Schlamm verwandelt, bevor es weniger wird und schließlich nur noch tröpfelt.

»Francesca!«, rufe ich.

Oben rührt sich nichts.

»Francesca?«

Ich lauf aus der Wohnung, ein paar Stufen hinauf. Frau Neher, die Nachbarin aus dem zweiten Stock, kommt mir entgegen. »Da ist keiner«, sagt sie, »die sind weggefahren. Zu den Eltern.«

»Ja, Frau Neher, haben Sie den Lärm nicht gehört?«

Sie nickt mir zu und geht mit ihrer Tasche voller Friedhofskerzen an mir vorbei. Mir schießt ein Gedanke ein, der hebt mir kurz den Magen aus: Warum bin ich Francesca vor heute Abend noch nie im Stiegenhaus begegnet? Frau Neher hört schlecht, aber kann einer überhören, dass das Haus fast zusammenstürzt? Bin etwa ich die Verrückte in dieser Geschichte? Welche Zwanzigjährige sitzt denn bitte am Heiligen Abend zu Hause und wäscht?

Ich muss zurück in meine Wohnung und herausfinden, ob ich spinne oder nicht, dringend. Es erleichtert mich irgendwie, als ich sehe, dass wenigstens die Waschmaschine noch da, das Bad immer noch verwüstet ist. Und jetzt? Ich muss etwas Trockenes anziehen. Den Vermieter anrufen. Die Feuerwehr. Nur, mein Handy liegt irgendwo in diesem betörend duftenden Inferno.

»Besser, du sagst Claudio, Andrea und Sybille ab«, rät mir eine Stimme von oben.

In der Lücke, eingerahmt von gesplittertem Holz und Putz, schaut Francesca mit großen grünen Augen zu mir herunter. Dann geht im ganzen Haus das Licht aus.

»Weg da, das ist gefährlich!«, schreie ich, schriller als ich möchte. Weil ich Angst um sie hab. Wenn Francesca nicht bloß aus einem italienischen Phantasiejenseits erschienen ist, um mich vor einem ebenso lächerlichen wie grausamen Tod zu bewahren, ist die Gefahr noch nicht gebannt. Lebendige Menschen können abstürzen, sich verletzen oder wer weiß was. Hierbleiben können wir jedenfalls nicht.

Im Schein von Francescas Handy finde ich alles, was ich brauche: meine Kleider, meine Einkaufstaschen und sogar ein Hotel. Nur ein paar Häuser die Straße hinunter. Ich schwöre, dass ich es zum ersten Mal im Leben sehe. Der Portier ist auch überrascht, als wir auftauchen. Ich kann’s ihm nicht verdenken. Francesca sieht aus, als sei sie in der Wäsche eingelaufen. Über ihrem Oversize-Pullover trägt sie einen Mantel und Stiefel von mir. Meine nassen Haare sind mit Bauschutt paniert, aber der Geruch, den wir verbreiten – göttlich. Zimt, Lavendel, Bitterorange und ein Hauch Meeresalge. Vielleicht leiht uns der Portier deshalb seinen LED-Adventskranz. Mit Flackereffekt.

Francesca und ich teilen uns ein Zimmer. Wir teilen uns die Antipasti, die Einsamkeit, die Geschenke und den Gin. Zuerst sieht es aus, als wäre viel zu viel von allem da. Aber wie das immer so ist, irgendwann gegen Morgen ist alles weg.

Echte Kerzen wären schon schöner. Neue Weihnachtsgeschichten

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