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Leo Schwartz Fall 30
IRENE DORFNER
Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Vielen Dank an Detlef Müller, der seinen Namen zur Verfügung gestellt hat.
Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig.
Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.
Ich bedanke mich bei meinen Lesern für die Treue. Ohne euch wäre es niemals bis zum 30. Fall gekommen (und die Reise mit Leo & Co. geht auf jeden Fall weiter)!
Ich wünsche euch spannende Unterhaltung mit diesem Fall!!
Irene Dorfner
„DIE WELT HAT GENUG FÜR JEDERMANNS BEDÜRFNISSE, ABER NICHT FÜR JEDERMANNS GIER.“ Mahatma Gandhi
Copyright © 2019 Irene Dorfner
All rights reserved
Lektorat: FTD-Script, D-84503 Altötting
1.
Die beiden Buben waren aufgeregt. Vor allem dem zehnjährigen Ludwig schlug das Herz bis zum Hals. Er hatte es geschafft. Obwohl sein Vater zu Hause war, hatte er all seinen Mut zusammengenommen und das Gewehr aus dem verschlossenen Schrank entwendet. Wo der Schlüssel dafür war, wusste er schon lange. Er hatte nicht gezögert und einfach zugegriffen. Sogar an die Munition hatte er gedacht, schließlich wollte er vor Ben nicht dumm dastehen. Die fand er in der untersten Schublade des Schreibtisches, die nicht abgeschlossen war. Ludwig hatte vor seinem vier Jahre älteren Freund damit geprahlt, dass es kein Problem für ihn wäre, an das Gewehr seines Vaters zu kommen. Ben hatte ihm nicht geglaubt, er hatte ihn sogar ausgelacht. Aber jetzt würde er nicht mehr lachen. Jetzt konnte er ihm ein echtes Gewehr samt Munition präsentieren, Ben wird Augen machen! Auch wenn er stolz auf sich sein könnte, hatte er ein schlechtes Gewissen, denn wenn sein Vater den Diebstahl entdeckte, würde die Strafe nicht lange auf sich warten lassen.
Ludwig schrieb seinem Freund eine Nachricht. Ben solle zu dem vereinbarten Treffpunkt im Altöttinger Forst kommen. Vor Tagen hatten sie diese Stelle ausfindig gemacht, die abgelegen genug war und wo sie niemand sehen konnte. Ludwig war schon lange vor seinem Freund an der Stelle, hielt sich aber im dichten Gestrüpp versteckt, das in den warmen Apriltagen bereits üppig zugewachsen war. Zum Glück regnete es heute nicht, was den Tag perfekt machte. Ungeduldig hielt Ludwig nach Ben Ausschau. Endlich sah er ihn, das wurde aber auch Zeit! Auch wenn es ihm schwer fiel, ließ er Ben einige Minuten warten, bis er aus seinem Versteck kroch und das Gewehr wie eine Trophäe in die Luft hielt.
„Du hast es?“ Ben empfing ihn mit weit aufgerissenen Augen.
„Das war ein Kinderspiel“, log Ludwig, der sich auch jetzt noch fast in die Hosen machte. Trotzdem freute er sich, dass er Ben überraschen konnte. Jetzt hielt ihn sein neuer Freund nicht mehr für ein kleines Kind.
Ben sah sich das Gewehr genauer an. Jede Einzelheit überprüfte er. Noch nie zuvor hatte er eine echte Waffe in der Hand gehabt. Er hatte dem kleinen Ludwig, der ihm seit Monaten auf Schritt und Tritt folgte, nicht geglaubt. Anerkennend klopfte er ihm auf die Schulter.
„Gut gemacht, Ludwig, das hätte ich dir nicht zugetraut. Hast du auch Munition dafür?“
„Klar.“ Ludwig reichte ihm die Schachtel, in der laut Aufdruck fünfzig Stück sein müssten. Das hätte er überprüfen sollen, wofür es jetzt zu spät war. Dem Gewicht zufolge war sie nicht leer, was zum Angeben völlig ausreichte. Seine Hände zitterten. Ob Ben das bemerkte?
Ben strahlte, mit Munition hatte er auch nicht gerechnet. Er hatte keine Ahnung, wie man ein Gewehr lud, aber er hatte viele Filme gesehen. Außerdem war er ein Fan von Videospielen, in denen viel geschossen wurde. Seine Mutter mochte das nicht, aber das war ihm egal. Wenn sie bei der Arbeit war oder mit Freunden im Wohnzimmer saß, hatte er jede Menge Zeit, die ihm verbotenen Spiele zu spielen. Aber das Gewehr in seiner Hand war etwas anderes, das war die Realität und hatte nichts mit irgendeinem Spiel zu tun.
Ludwig sah zu, wie sein Freund das Gewehr lud.
„Was hast du vor? Willst du wirklich schießen?“
„Wir ballern nur ein bisschen herum. Das darf ich doch, oder?“
„Klar.“
Die Munitionsschachtel war fast voll, es fehlten nur wenige Schuss. Erst waren Bäume das Ziel, dann nahmen sie sich Äste vor. Abwechselnd gaben sie einen Schuss nach dem anderen ab. Nachdem sie anfangs über die Lautstärke der Schüsse erschrocken waren, gewöhnten sie sich schnell daran. Bald war ihnen der Knall vertraut. Auch Ludwig lud das Gewehr und wurde immer sicherer mit dem Umgang der Waffe – und immer mutiger mit den Zielen.
„Ich versuche, den Vogel dort zu treffen“, sagte Ludwig und legte an.
„Den Vogel? Den triffst du niemals, der ist doch viel zu klein.“
„Das schaffe ich schon.“
Beide waren leise, sie wollten den Vogel nicht aufscheuchen. Ludwig zögerte. Sollte er wirklich ein Tier erschießen? Die Verlockung war groß, trotzdem hatte er Skrupel.
„Nun mach endlich“, drängelte Ben.
„Jetzt lass mich doch!“ Ludwig wollte den Vogel nicht mehr erschießen. Zum einen, weil er viel zu weit weg war, und zum anderen, weil er kein Mörder sein wollte. Er brauchte ein neues Ziel.
„Was überlegst du denn so lange? Drück endlich ab!“
Dann gab es einen lauten Knall, den Ludwig nicht verursacht hatte. Beide erschraken.
„Was war das?“
„Keine Ahnung“, schrie Ben hysterisch. „Vielleicht haben wir jemanden getroffen. Lass uns verschwinden!“
„Ich habe nicht geschossen, das weißt du genau!“, schrie Ludwig.
„Es ist etwas Schreckliches passiert, das kann ich spüren. Lass uns abhauen!“
„Reiß dich zusammen! Wir haben nichts gemacht!“
Jetzt war es Ludwig, der sehr viel vernünftiger und ruhiger reagierte, als der sonst so coole Ben, der sogar schon heimlich rauchte. „Ich bin mir sicher, dass der Knall von dort hinten kam. Vielleicht war das kein Schuss, sondern nur irgendein Knall, der sich ähnlich anhört.“
„Das war ganz sicher ein Schuss! Ich möchte nicht ins Gefängnis, ich will nicht!“ Jetzt heulte Ben auch noch. „Bitte lass uns von hier verschwinden!“
„Gut, wir gehen. Aber wir nehmen diesen Weg zurück.“
„Du willst dort vorbeigehen?“
„Ja.“ Ludwig war nicht so mutig, wie es den Anschein hatte. Er wollte sich vergewissern, dass das kein Schuss war. Der Knall musste eine andere Ursache habe. Und solange er sich davon nicht überzeugte, würde er keine Ruhe finden.
Das passte Ben zwar nicht, trotzdem gab er nach. Während Ludwig voraus ging, heulte Ben nicht mehr, er schluchzte nur noch. Er begann zu beten, wobei ihm kein vernünftiges Gebet einfallen wollten. Wann waren sie endlich raus aus diesem verdammten Wald? Er schwor, nie wieder eine Waffe anzufassen, wenn alles gut ausgehen würde. Er malte sich die schlimmsten Szenarien aus und vermutete hinter jedem Baum und jedem Busch einen Schützen. Seine Gebete wurden immer lauter.
„Was faselst du denn die ganze Zeit?“, herrschte Ludwig ihn an. „Halt endlich die Klappe!“ Er ging ganz langsam und hielt dabei die Waffe im Anschlag. Ben ging ganz dicht hinter ihm.
„Wenn es stimmt, dass das ein Schuss war, dann könnte der Schütze immer noch hier sein. Wir sollten in Deckung gehen. Oder wir drehen um und verschwinden so schnell wie möglich.“
„Jetzt hör endlich auf mit dem Gejammer!“ Ludwig war selbst überrascht, wie mutig er auf einmal war. Das lag sicher auch an der Waffe, an der er sich festklammerte. Aber noch mehr lag es daran, wie sich Ben verhielt. Wer war denn jetzt das Kleinkind?
Es ging nur langsam voran. Ben sprach weiter leise alle Gebete, die ihm einfielen und ging Ludwig damit mächtig auf die Nerven. Dann blieb Ben auf einmal stehen.
„Was ist?“
„Da liegt jemand“, flüsterte er.
„Du spinnst doch! Komm jetzt, wir gehen weiter!“
„Nein, da hinten liegt jemand!“, schrie Ben hysterisch. Seine Stimme war erschreckend laut in dem sonst so stillen Wald.
Genervt drehte Ludwig um.
„Wo denn?“
„Da!“
Jetzt sah auch Ludwig ganz deutlich einen Arm und ein Bein, die unter dem Laub hervorlugten. Kalkweiß hob sich beides vom dunklen Waldboden ab. Ludwig ging darauf zu.
„Was machst du denn?“
„Ich will mir ansehen, ob das echt ist. Es könnte ja auch eine Puppe sein.“
Ben folgte ihm.
„Wer würde denn eine solch große Puppe unter Laub verstecken?“
„Keine Ahnung. Menschen sind verrückt, dass weißt du doch.“
Ganz langsam näherten sie sich der fraglichen Stelle. Je näher sie kamen, desto höher stieg die Angst, aber die Neugier war größer. Ludwig nahm das Gewehr und stieß vorsichtig gegen den Arm, der eindeutig einer Frau gehörte. Zart und dünn lag er auf dem kalten Boden. Dann klopfte Ludwig gegen den Arm. Zur Sicherheit stieß er auch vorsichtig gegen das Bein.
„Das ist kein Plastik.“
„Der ist echt, das habe ich doch gesagt“, schrie Ben. „Das ist keine Puppe.“
Jetzt kniete sich Ludwig neben die Leiche und begann, das Laub und die Äste zur Seite zu schieben.
„Was machst du da? Lass uns verschwinden!“
Aber Ludwig hörte nicht auf seinen Freund. An dieser Stelle müsste der Kopf der Frau sein. Als er das Gesicht sah, erschrak er. Die geöffneten Augen starrten ihn an. Unwillkürlich wich Ludwig zurück.
„Das ist Frau Giesinger“, stammelte er. „Sie hat ein Loch in der Stirn.“
„Du kennst die Frau?“
„Meine Englischlehrerin.“ Mehr konnte Ludwig nicht sagen, denn er musste sich übergeben.
Als Ben sich der Leiche näherte, das Gesicht und auch das Loch auf der Stirn sah, wurde ihm ebenfalls schlecht.
„Hauen wir ab!“, sagte Ben und drehte sich zu seinem Freund um. Fassungslos sah er zu, wie der sein Handy nahm.
„Was machst du?“
„Ich rufe die Polizei, was sonst.“
„Spinnst du? Wir haben ein echtes Gewehr und jede Menge Munition dabei. Wie willst du das erklären?“
„Das ist im Moment doch völlig egal! Hier liegt eine Leiche und das müssen wir der Polizei melden. Soll ich meine Lehrerin einfach hier im Wald liegenlassen?“ Unbeirrt wählte Ludwig die Notrufnummer, wobei er heftig zitterte.
Ben wurde hysterisch. Er schrie und weinte wie ein kleines Kind.
„Und wenn wir die Frau erschossen haben?“
„Haben wir nicht!“
„Und wenn doch? Wenn es einen Querschläger gab? Ich will nicht ins Gefängnis! Ich bin vierzehn und damit strafmündig!“
„Reiß dich jetzt endlich zusammen! Wir haben die Frau nicht getötet. Das hat jemand gemacht, der die Leiche auch zugedeckt hat.“
Das leuchtete Ben ein und er wurde ruhiger. Er bekam am Rande mit, wie Ludwig telefonierte. Es dauerte nicht mehr lange, und die Polizei war hier. Das gab auf jeden Fall Ärger zuhause, das war klar. Ob es auch rechtliche Konsequenzen gab?
Die beiden wurden durch ein Fernglas beobachtet. Auch, dass einer der Jungs telefonierte, wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen. Sehr gut! Was für ein Glücksfall, dass die beiden Jungs Schießübungen machten. Die beiden hatten nicht gekniffen und hatten die Leiche wie geplant entdeckt. Nicht mehr lange, und es würde hier von Polizisten wimmeln. Es war Zeit, so schnell wie möglich zu verschwinden.