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Paradies mit kleinen Fehlern

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Wir wohnen in einem quirligen, dicht besiedelten Stadtteil Hamburgs.

Urbanes Ambiente, wie das in Immobilienofferten so schön heißt. Cafés, Restaurants, Supermärkte, Bäckereien, Schneidereien, Boutiquen, Goldschmiedeläden, Kinderschuh-Shops, Hunde-und Katzenfutter-Shops, Blumenläden, Frisöre, Schuster, Bestattungsunternehmen – alles zum Leben und Sterben um die Ecke. Nur Parkplätze sind heiß umkämpfte Mangelware. Aber an diesem Freitag haben wir einen ergattert. Sogar direkt vor der Tür. Ein Wunder, das ich als gutes Omen deute.

Denn ab sofort gehören wir zu den Wochenend-Rausfahrern. Wir haben nur eine Nacht gewartet und dann am Telefon unser Jawort gegeben. Ein lautes, deutliches »Ja« zum großen Abenteuer. »Ja« zu unserem neuen Teilzeit-Dorfleben im Wendland.

Für mich heißt das zunächst einmal, ganz pragmatisch gesehen: zwei Haushalte. Einen in der Stadt, einen auf dem Land. Doppelleben. Und ich bin wild entschlossen, gut gerüstet in unsere neue Existenz zu starten. Im Eingangsbereich unserer Wohnung – vierter Stock ohne Lift – wartet ein Durcheinander aus Kisten und Kästen, Tüten und Taschen darauf, runtergetragen und im Auto verstaut zu werden.

»Wozu brauchen wir das ganze Zeug?«, fragt der Mann und lässt seinen Blick über mein Arsenal an Dosen, Flaschen und Päckchen schweifen. Argwöhnisch taxiert er die Sammlung verschiedener Seifenreiniger, die Scheuermittel und Desinfektionslösungen – als Flüssigkonzentrat und zum Sprühen –, die Polster- und Teppichschäume, den Entkalker, das Backofen-Spray, das Putzzeug für Glas und Fliesen, die WC-Ente, den regenbogenbunten Staubwedel mit Teleskopgriff, das Wischmopp-Eimer-System, die Großpackung Einmalhandschuhe, Abfall-Tüten, Schwämmchen, Wischtücher, zwei Klobürsten – und eine Ameisenfalle.

»Wir haben doch nur ein altes Bauernhaus gemietet«, stöhnt er, »aber das hier sieht aus, als hättest du vor, eine Gebäudereinigungsfirma zu gründen.«

»Wenn man neues Terrain erobern will, muss man seine eigene Duftmarke setzen«, entgegne ich knapp, »und weil wir Menschen sind, können wir leider nicht in jede Ecke pinkeln. Also putzen wir.«

Mit einem ergebenen Seufzer und einem leisen »wusste gar nicht, dass ich mit einem spießigen kleinen Putzteufel zusammenlebe« greift er mit der Linken ein paar Tüten, mit der Rechten seine Kiste mit Handwerkszeug und verschwindet aus der Tür. Überflüssig zu erwähnen, dass wir mehr als einmal hoch und runter müssen. Schließlich ist kein Kubikzentimeter Platz mehr im großen Kofferraum des Volvo Kombi, und die Expedition kann beginnen.

Stau auf den Elbbrücken. Es geht nur im Schritt-Tempo raus aus der Stadt. Ganz kurz schleicht sich in die Vorfreude ein leises, banges Gefühl. Haben wir die Entscheidung, ein Bauernhaus im entlegenen Landkreis Lüchow-Dannenberg zu beziehen, nicht vielleicht doch etwas überstürzt getroffen?

»Psycho-Pannenberg«, hatte ein freundlicher Kollege über unsere neue Heimat gewitzelt.

»Na dann, viel Spaß. Da sitzen doch die ganzen Alt-68er auf ihren Höfen, all die bewegten Lomi-Lomi-Tanten, Kräuterhexen und Schwitzzelt-Schamanen.«

Er selbst entspannt an den Wochenenden in seinem hübschen, tipp-topp gepflegten Reetdach-Haus hinterm Oste-Deich. Lauter feine Landhausvillen, die in Abwesenheit der Herrschaften von örtlichen Putzhilfen in Schuss gehalten werden.

»Besser ein paar Eso-Spinner in der Nachbarschaft als deine Hamburger Medien-Anwälte und feinen Zahnklempner, die ihre Rasenflächen mit der Nagelschere kurz halten«, fällt mir als Erwiderung nur ein.

Als wir in der Dämmerung endlich langsam über die Dorfstraße von Polkefitz zu unserem Haus rollen, sind alle Zweifel wie weggeblasen. Wir halten vor dem Gatter. Mein Herz hüpft. Ich bin Marco Polo, der gleich seinen Fuß auf den Boden einer unbekannten Insel setzen wird. Ich bin ein Entdecker, bereit, mich allen Abenteuern zu stellen. Beim Aussteigen erkenne ich die Umrisse des blonden Hofwächters. Leo liegt in strategisch günstiger Position zwischen Tenne und Gartenpforte. So hat er alles im Blick. Und fast könnte man auf die Idee kommen, er erwarte uns.

Dieses Mal bin ich vorbereitet. Äußerlich: mit alten Jeans und einem ausgeleierten Sweat-Shirt. Innerlich: mit dem Grundvertrauen, dass sich der stürmische Vierbeiner an unsere letzte Woche mit einem Keks besiegelte Freundschaft erinnern wird. Trotzdem habe ich für die Absicherung meiner körperlichen Unversehrtheit Vorsorge getroffen. Meine Hand fährt in die Hosentasche. Ja, da sind sie. Drei saftige, leckere Lammwürstchen. Erstes Hofhund-Gesetz: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Der Hovawart lässt ein kurzes, sonores Bellen hören und sprintet auf mich zu. Springt hoch. Hundeschnauze im Gesicht. Heftiges Schwanzwedeln, das den gesamten Hinterleib erfasst. Freundliches Fiepen, das sich tatsächlich nach Wiedererkennen anhört. Ich wische mir mit dem Ärmel den feuchten Hundekuss aus dem Gesicht, fingere etwas zittrig eines der Würstchen aus der Hose und bin überrascht, wie sanft und vorsichtig der Wildfang das Präsent aus meiner Hand fischt. Begrüßung geglückt.

»Feiner Hund.«

Erleichtert streichle ich meinem neuen Freund über die Flanke.

Zeus steht unter einer alten Kutscherlampe dekorativ vor der Haustür und erwartet uns. Er sieht genauso aus wie in der Woche zuvor. Windzerzauste, weiße Lockenmähne, kariertes Flanellhemd, dunkelgrüne Wolljacke mit Zopfmuster, braune Cordhose, Sandalen ohne Socken. Dabei haben wir jetzt am Abend gefühlt nicht mal zehn Grad. Götterväter kriegen offenbar keine kalten Füße.

»Socken«, sagt Paul, als er meinem Blick folgt, »ziehe ich nur an, wenn ich in die Stadt fahre.«

Er meint nicht Hamburg oder Lüneburg. Er meint Lüchow, das rund 12 Kilometer entfernt liegende Fachwerkstädtchen. Dann senkt er die Stimme und meint:

»Eigentlich trage ich die Dinger überhaupt nur, weil Helena drauf besteht. Sie findet, es sieht pennermäßig aus, wenn ich unten ohne vom Hof gehe.«

Er übergibt uns den Hausschlüssel, an dem als Anhänger etwas Selbstgehäkeltes in Form einer Wurst baumelt und strahlt über beide Backen.

»Aber jetzt erst mal: Herzlich willkommen in Polkefitz. Wir freuen uns sehr, dass ihr euch entschieden habt, hier draußen bei uns eure Wochenenden zu verbringen.«

Als wir unseren Kram ausladen, denkt die kleine Spießerin in mir: … und keine Parkplatznot, hier können wir immer direkt vor die Haustür fahren … welch ein Luxus.

In der Stadt unterschreibt man Verträge, hinterlegt eine Kaution, regelt schriftlich alle Rechte und Pflichten, wenn man ein »Objekt« mietet. Auf dem Land genügt ein Handschlag und das Versprechen, sich um Kaminholz-Nachschub zu kümmern. Dazu ein paar Gläser Rotwein, um den Deal zu besiegeln. Paul hat in weiser Voraussicht die Heizung angestellt. Mollige Wärme empfängt uns in unserer Küche. Der Mann an meiner Seite entkorkt eine Flasche Brunello, »zur Feier des Tages«.

Paul deutet auf einen hübschen alten Bauernschrank.

»Da sind Gläser drin. Und alles, was man sonst noch so braucht.«

Als ich Käse, Schinken und Brot auspacke, geht die Tür auf. Helena und der Hund. Sie ganz in Schwarz. Der grazile Körper steckt in einer robusten Zimmermannshose und einer fein gestrickten Jacke mit V-Ausschnitt.

Die kinnlangen weißblonden Haare ziert ein schwarzes Samtband.

Das sandfarben-schwarz-gestreifte Tuch um die Schultern komplettiert das Outfit. Sieht cool aus, denke ich und schaue etwas beschämt an mir runter.

Hat nichts vom lodenfeinen Country-Schick, dafür phantasievolle Klasse.

In meinem Kopf habe ich den Typus »Landfrau« ganz anders abgespeichert. Als Geschöpf mit praktischer Kurzhaarfrisur, in formlosen, strapazierfähigen Klamotten, die zur Feld-, Stall- und Gartenarbeit taugen, und vielleicht noch dazu, figürliche Mängel zu kaschieren. Helena ist der Gegenentwurf zum Blümchenkittelschürzen-Klischee, das in meinem Großstadt-Hirn herumspukt.

Mit ihrem Auftritt ist die neue Hofgemeinschaft komplett.

»Ich habe es versucht, so gut es ging«, sagt sie und drückt mir meinen Kaschmir-Pullover in die Hand.

Ich taste nach dem Loch, das Leo letzte Woche in die Wolle gerissen hat. Es ist tatsächlich nur noch zu sehen, wenn man es sehen will. Ich will nicht.

Und bedanke mich bei der Kunststopferin.

Wir prosten uns zu, schauen uns über die Gläser hinweg an und Paul entfährt ein langgezogenes, anerkennendes »aaah … das ist ein Tröpfchen … auf uns und auf euren ersten Sommer in Polkefitz«.

Es wird eine lange, fröhliche Nacht in unserer Küche. Wir erfahren, dass 54 Menschen hier im Dorf leben, dass der Resthof schräg gegenüber zum Verkauf steht, dass Bauer Plate am Morgen ein Reh angefahren hat, dass auf unserer Hofweide demnächst die Pferde von Karwinkel grasen werden und dass die ersten Kraniche auf der Wiese bei der »Alten Jeetzel«, dem Fluss, der sich ums Dorf windet, gelandet sind. Nichts, so hören wir, existiert im Ort, was man mit etwas gutem Willen Infrastruktur nennen könnte. Keine Schule, keine Kirche, kein Laden, nur ein gelber Postkasten, ein Kaugummi-Automat und ein hölzerner Unterstand, den der Schulbus zweimal am Tag anfährt. Wir erhalten Aufschluss darüber, wer mit wem verkracht ist, und dass der reichste Bauer im Ort seiner Frau vor Jahren einen Tigermantel geschenkt hat, den sie aber erst anziehen durfte, wenn er mit seinem Jaguar die Polkefitzer Gemarkung verlassen hatte.

Paul lacht in sich hinein. »Die Frau ist schon lange auf und davon. Den Jaguar gibt’s auch nicht mehr … aber das ist eine andere Geschichte.«

»Mir hat gefallen, was du letzte Woche gesagt hast«, meint Helena beim Rausgehen.

»Was habe ich denn gesagt?«

»Dass du dir vorstellst, wie du mit einem Buch unter einem blühenden Kirschbaum sitzt. Obwohl alles noch ganz kahl ist.«

Wir umarmen uns, als würden wir uns schon lange kennen.

Als sie gegangen sind, sagt der Mann:

Ȇber uns werden sicher auch bald irgendwelche Geschichten im Umlauf sein.

Das gehört einfach dazu. Ist so was wie Sozialhygiene. Aber bitte, wir halten uns raus aus dem Dorfklatsch. Das gibt nur Verdruss.«

Kurz bevor wir todmüde, ziemlich beduselt und überglücklich ins Bett fallen, treten wir noch einmal vor die Tür. Die Hofbeleuchtung brennt, ansonsten ist es stockfinster. Und mucksmäuschenstill. So still, dass man sein Blut in den Ohren rauschen hört. Ein gleißender Sternenhimmel wölbt sich über uns, wie man ihn über der erleuchteten Kulisse einer Großstadt niemals sieht. Plötzlich zerreißt der Ruf eines Nachtvogels die Grabesruhe. Käuzchen, Eule? Keine Ahnung – doch die kurz hintereinander ausgestoßenen Schreie vermitteln uns noch intensiver das Gefühl, gaaaanz weit weg zu sein. Kein Büro. Kein Internetanschluss. Funkloch. Es ist wie Urlaub in einer anderen Galaxie, ein gutes, befreiendes Gefühl. Wir stehen da, Arm in Arm, und wissen: Das Schicksal hat uns ein Geschenk gemacht. Polkefitz ist unser Dorf.

Am nächsten Morgen werden wir von lautem Zwitschern, Gurren, Krähen und Tirilieren geweckt. Das gefiederte Symphonie-Orchester ist in großer Besetzung angetreten, um uns aus den Betten zu pfeifen. Und eine kräftige Märzensonne wirft Licht auf das, was am Abend zuvor unsichtbar war. Noch etwas schlaftrunken und verkatert wanke ich durch die Räume und bemerke Staubschichten auf dem Mobiliar, Insektenleichen auf den Fensterbrettern, Wollmäuse auf dem Fußboden, Spinnweben überall. Als ich die Türen öffne, wehen gewaltige Vorhänge aus feinem klebrigen Gespinst in der sanften Brise. Es sieht aus, als habe der Requisiteur von »Arachnophobia« die Zimmer für die nächste Horrorfilmszene präpariert. Ich weiß, Spinnen sind nützliche Tiere. Aber können sie ihre segensreiche Tätigkeit nicht irgendwo anders ausüben?

Mir wird schlagartig bewusst, dass ich bei der Erweiterung unseres Lebensraums ein Problem nicht bedacht habe: Ich habe nichts übrig für Geschöpfe, die mehr als vier oder gar keine Beine haben. Es ist wie mit diesen Postkarten-Idyllen: Man schaut auf einen wunderschönen, Palmen bestandenen Sandstrand, über dem eine kitschige Feuerball-Sonne untergeht. Was man nicht sieht: Sandflöhe, Stechmücken, Kakerlaken, Wanzen, Taranteln, Skorpione, Schlangen. Dass ich so viele Reisen in tropische Länder überstanden habe, liegt nur daran, dass mein Fernweh und meine Neugier noch größer waren als mein Ekel vor diesem Viehzeug.

Ich schleiche ins Bad, öffne vorsichtig die Tür zur Duschkabine – und sehe das Biest mit den acht haarigen Beinen im Ausguss verschwinden. Mit Todesverachtung halte ich den Duschkopf auf die Öffnung und drehe volle Pulle auf. Wasser marsch! Am liebsten würde ich in einen Ganzkörper-Neoprenanzug schlüpfen. Schließlich ringe ich mich dazu durch, auf logisches Denken umzuschalten.

»Stell dich nicht so an«, sage ich laut zu mir selbst. »Du hast auf einer Philippinen-Insel, ohne es zu ahnen, über einem Python geschlafen, du hast in Thailand mit einem Tausendfüßler geduscht und in Afrika in Gesellschaft von handtellergroßen Nashornkäfern diniert. Es gibt hier nichts, was dir gefährlich werden könnte.«

»Mit wem redest du?«, fragt der Mann von draußen.

»Mit unseren Haustieren.«

Ich gebe mir Mühe, meiner Stimme einen forschen Unterton zu verleihen.

Als ich im Schrank nach Tassen und Tellern für das Frühstück suche, fällt mein Blick auf kleine, harte, braunschwarze Röllchen.

»Mäuseködel«, sagt der zoologisch bewanderte Mann, unbeeindruckt von meinem angewiderten Gesicht. »Du bist hier auf dem Land, das ist ganz normal.«

»Normal?« Es kostet mich einige Anstrengung, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Kann sein. Aber nicht in meinem Küchenschrank«, beharre ich.

»Vergiss nicht, dass Nagerscheiße im Universum spießiger Putzteufel nicht vorgesehen ist. Wir können froh sein, dass keiner von uns an Hausstaub- oder Tierhaarallergie leidet, sonst wären wir jetzt schon erledigt, asthmatisch, tot.« Insgeheim klopfe ich mir auf die Schulter, dass ich so klug war, gleich eine ganze Kollektion von Desinfektionsmitteln anzuschaffen.

Nach dem Frühstück werde ich ungemütlich und bitte den Handwerker an meiner Seite, in irgendeinem Baumarkt Farbe aufzutreiben, weil ich der Meinung bin, die Stube könnte einen neuen Anstrich vertragen. Außerdem müsse die Klinke der Küchentür fixiert werden, weil die sonst beim Aufziehen in ihre Einzelteile zerfällt, und wenn man schon dabei ist, könne man auch gleich die Tür aushängen und ein bisschen abschleifen, damit das Auf- und Zumachen nicht zum Muskelaufbautraining gerät.

Gegen echte, ehrliche, sinnvolle Reparatur-Arbeiten hat der Mann zum Glück nichts einzuwenden. Und das Beste daran: Obwohl auch er eigentlich ein Schreibtisch-Täter ist, hantiert er geschickt wie ein Profi mit allen nur erdenklichen Werkzeugen. Er ist der erste Mann in meinem Leben, der nicht bereits beim Anbringen einer Glühlampenfassung versagt. Alle Kerle vor ihm hatten zwei linke Hände und zehn Daumen. Er dagegen hämmert, sägt, feilt, leimt, lötet, fliest und mauert mit Sachverstand und Leidenschaft. Nicht ohne Stolz behauptet er von sich:

»Ich habe schon ganze Häuser eingerissen und wieder aufgebaut. Vom Keller bis zum Dach. Fenster, Türen, Bäder, Küchen, alle Installationen selbst gemacht. Mit allem drum und dran. Und zwar allein!« Jetzt kann er zeigen, was in ihm steckt. Es gefällt ihm, dass meine Bewunderung für seine Fertigkeiten grenzenlos ist.

»Welch angenehmes Gefühl«, gurre ich, »einen Mann im Haus zu haben, der zur Not ein geplatztes Wasserrohr reparieren könnte.«

Immer wieder bringt er mich zum Staunen mit seinen kreativen Lösungen.

Was nicht passt, wird passend gemacht. In jeder seiner Fingerspitzen wohnt ein kleiner Meister. Nur manchmal sehen die Dinge nach der Behandlung ein wenig anders aus als vorher. Nicht unbedingt besser, aber auch nicht wirklich schlechter. Nur anders. Aber fast immer erfüllen sie wieder ihre Funktion.

Wie im Rausch wische und schrubbe ich mich durchs ganze Haus, das ein gutes halbes Jahr leer stand. Ich rücke sogar, was ich zuhause nie machen würde, Schränke von der Wand, scheuche Tierchen auf, die sich verschreckt unter Fußleisten verkriechen, hantiere großzügig mit Desinfektionsspray – und schäme mich gleichzeitig ein bisschen für meine Mordlust. Aber ich kann nicht anders. Ihr Spinnen, Käfer und Asseln, macht euch aus dem Staub! Sucht euch einen anderen Wellness-Bereich. Das ist jetzt mein Haus! Es ist meine Art der Inbesitznahme.

Der Mann hat sich nach den Maler- und Schleifarbeiten mit einem Weizenbier auf die Hofterrasse verzogen und lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen.

Als ich gerade dabei bin, die Fliesen des Küchenfußbodens zu bearbeiten, steckt Paul den Lockenschopf durch die Tür.

»Willst du auch ein Lamm?«

In meiner Phantasie sehe ich schon die köstliche Lammkeule im Ofen bruzzeln.

Lammhaxe. Lammschulter. Lammkoteletts. Hmmm. Lecker.

»Klar«, meine ich, ohne eine Sekunde zu zögern.

»Gut, dann sage ich KD, dass er für euch noch ein Lamm mehr auf die Wiese stellen soll.«

KD, so erfahre ich, steht für den Dorfbewohner Klaus-Dietrich, einen Nebenerwerbs-Landwirt. Ich muss schlucken. Und stammle:

»Wie … auf die Wiese stellen?«

Ein glucksendes Lachen schallt durch die offene Terrassentür an mein Ohr.

»Was hast du denn gedacht?«, ruft mir der Biertrinker von draußen zu und amüsiert sich prächtig über mein entsetztes Gesicht, »Lammhaxen wachsen nun mal nicht fix und fertig auf Bäumen. Die süßen kleinen Tierchen stehen auf der Wiese und irgendwann werden sie geschlachtet, damit du einen schönen saftigen Braten bekommst.«

»Paul«, sage ich kraftlos, während ich einen galligen Na-Warte-Blick auf die Terrasse werfe, »danke für das Angebot. Aber … ich, … ich überleg’s mir noch mal. Wenn ich das Lämmchen jedes Wochenende sehe, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee …«

Paul schaut mich an, als sei ich aus einer beschützenden Anstalt entflohen, ringt sich aber zu einem Verständnis heischenden »macht ja nix, hat ja noch Zeit bis morgen« durch.

Als er weg ist, komme ich mir ziemlich bescheuert vor. Schließlich bin ich keine Vegetarierin. Wieso esse ich ohne Gewissensbisse Fleisch vom Metzger, gerne auch in Bio-Qualität, kann aber den Gedanken nicht ertragen, ein Tier zu verzehren, das vor meiner Nase zum Braten heranwächst? Es käme mir vor, als würde ich jemanden aus unserem Freundeskreis fressen. Erst kürzlich habe ich von einem amerikanischen Wissenschaftler gelesen, der vorschlug, die Viehbestände in der landwirtschaftlichen Mastindustrie gentechnologisch so zu verändern, dass die Tiere ihr kurzes, artentfremdetes Leben schmerzfrei führen können. Das Schmerzempfinden einfach wegzüchten, damit wir unser Gewissen beruhigen – eine perverse Idee. Doch mein Verhalten ist auch irrational.

Unlogisch. Dumm. Wenn ich ehrlich bin, kann ich es dem Mann nicht mal übelnehmen, dass er mich aufgezogen hat.

Aber meine Entscheidung ist gefällt: Ich will kein Lamm, das bis zu seinem schrecklichen Ende, das Todeszeichen auf der wolligen Stirn, vor meiner Nase auf einer Wiese grast. Ich will ein anonymes Stück Fleisch.

Schließlich sind auch die letzten Holzwurmhäufchen von der Treppe gefegt. Alles blitzt. Zufrieden räume ich das Putzzeug in die Kammer und mache mir Gedanken über das Abendessen. Irgendwas Fleischloses, soviel steht fest. Als ich gerade dabei bin, meine extrascharfen Spaghetti Arrabiata vorzubereiten, höre ich hinter mir ein leises Tapsen. Ich schaue mich um und traue meinen Augen kaum. In meiner frisch geputzten Küche steht … der Hovawart. Der Kerl sieht aus wie ein Kurpatient nach einem Schlammbad. Eine trübe Brühe tropft aus seinem verkrusteten, ehemals falbenfarbenen Fell, die Dreckklumpen an seinen Fußballen mischen sich mit der Feuchtigkeit und bilden kleine Schmutztümpel auf dem Boden. Ich nehme ein paar Lagen Küchentücher, verwische die Lachen zu schmutzigen Schlieren und fühle mich einen gequälten Moment lang wie Sisyphus. Leo lässt seinen verschlammten Körper mit einem zufriedenen Seufzer auf die Fliesen plumpsen und ich erkenne, dass ich gerade dabei bin, noch eine Lektion zu lernen:

Übertriebenes Putzen eines Bauernhauses auf dem Land ist ungefähr so sinnvoll wie Sandkornzählen in der Sahara.

Am nächsten Morgen knirscht es unter meinen Füßen, als ich durch die Küche ins Bad laufe. Wie von Zauberhand sind auch die zarten Netze in den Ecken der Fensterrahmen wieder da. Und die Mini-Holzhäufchen auf der Treppe. Respekt, ihr kleinen, unsichtbaren Malocher! Da wird sich die teuflisch ehrgeizige Sauberfrau in mir wohl oder übel auf eine Schrumpfkur gefasst machen müssen.

Aber die Lektion hat auch einen positiven Effekt. Ich lasse in den kommenden Wochen die Putzeimer in der Ecke stehen und besinne mich darauf, Haus, Hof und Umgebung zu genießen.

Auf einer unserer Erkundungstouren haben wir ein paar Dörfer vor Polkefitz einen Ort gefunden, der sich für uns sehr schnell zum unverzichtbaren Wohlfühlzentrum für Leib und Seele entwickelt.

Wir stoßen auf ein Fachwerkgemäuer, das mit seinem gepflegten Reetdach aussieht wie eine alterslose Schönheit, die gerade frisch vom Frisör kommt. Das »Alte Haus« in Jameln. Jeden Freitagabend dort zu essen wird für uns zum Wochenend-Ritual.

Für Menschen, die zufällig dort vorbeikommen, ist es einfach ein besonders hübsches, uriges Restaurant mit bodenständiger, aber exquisiter Küche. Für die Stammgäste, zu denen wir uns nach ein paar regelmäßigen Besuchen zählen dürfen, ist es eine Institution. Ein magischer Ort, der uns alle anzieht wie der Honigtopf die Fliegen. Und das liegt nicht nur an dem ausladenden Salat- und Vorspeisenbuffet, nicht allein an dem gemütlichen Gastraum mit den freiliegenden Eichenbalken und dem übermannshohen, zum Grill umfunktionierten Schwippbogen-Kamin oder am üppigen Blumenschmuck in fotogenen Tonkrügen, die verschwenderisch über die kleinen Tische verteilt sind.

Es liegt an den Menschen, die aus diesem Schmuckstück ein Zentralorgan ländlicher Kommunikation gemacht haben. Der Hamburger Christian und die Dänin Henriette, die das Lokal seit vielen Jahren betreiben, tischen ihren Gästen zum zarten Bio-Rind oder zur Lammhaxe jede Menge Überraschungen auf – und alles, was man wissen muss, wenn man eine Woche oder länger nicht da war.

Das »Alte Haus« ist Nachrichtenbörse, Ideenschmiede, Netzwerk und Ausstellungsraum für Kunst und Kurioses. Und: Meeting-Point für das Rat-Pack der Freiberufler. Für Journalisten, Schriftsteller, Maler, Schauspieler und Theaterleute, die sich, neben den psycho-pannenberger Schwitzzelt-Schamanen, vor Jahren schon in einem der Wendland-Höfe eingenistet haben, um hier zu leben, zu arbeiten, zu entspannen und bei Schnaps und Bier über Strategien für neue Projekte zu phantasieren.

Längst wundern wir uns über nichts mehr. Nicht über die Chansons von Françoise Hardy zur italienischen Bauernbratwurst. Nicht über die Fotos im Raucherzimmer, die belegen, dass sich auch Ex-Kanzler Schröder, Udo Lindenberg oder Otto Sander hier wohlfühlten. Nicht über einige Gerichte mit merkwürdigen Namen auf der Speisekarte, die wir mittlerweile auch noch mit 1,5 Promille runterbeten könnten.

Warum der süß-sauer eingelegte Hering seinen Weg ins Wendland gefunden hat, lässt sich leicht an dem dänischen Mini-Papierfähnchen erkennen, mit dem der Fischleib auf Henriettes Anweisung beflaggt und erst dann serviert wird.

Nicht über die moderne Kunst an den Wänden, die sich bestens mit dem präparierten Hirschkopf und den Bataillonen aufgereihter Weinflaschen verträgt. Nicht über die angrenzende kleine Galerie, die in einer Garage untergebracht ist und zu deren Eröffnung wir eingeladen wurden. Eine Art deutschdänisches Joint Venture, bestückt mit Bildern von Henriettes Kunsthändler-Nichte aus Kopenhagen.

Wenn es darum geht, was Originelles auf die Beine zu stellen, dann sind Henriette und Christian, diese unschlagbare nordische Kombination, nicht zu bremsen. Zwei erwachsene Kindsköpfe um die Fünfzig, die eine Art von Nichts-ist-unmöglich-Aura verströmen. Bei ihnen paaren sich Geschäftssinn und Pragmatismus mit einer »Laisser-Faire«-Attitüde und dem Hang zu allerlei Verrücktheiten.

Als wir eines Freitagabends den Gastraum betreten, fällt uns die Kinnlade runter. Wir stehen einem riesigen ausgestopften kanadischen Bären gegenüber, der sich knapp drei Meter hoch in eindrucksvoller Drohgebärde vor der Theke aufbaut. Das unverwechselbare, keckernde Lachen der Wirtin über mein dummes Gesicht klingt mir heute noch im Ohr.

»Oh, mein Gott« ist alles, was mir angesichts der Bestie über die Lippen kommt. Das Raubtier, werde ich aufgeklärt, ist Henriettes Geburtstagsgeschenk an ihren Mann.

»Na, wie gefällt dir mein Swazer Riese?«, fragt sie mit diesem entwaffnenden Dänen-Akzent. Und es klingt, als wäre das Ding was ganz Normales, so was wie ein Schlips oder ein Pullover. Damit das Prachtexemplar richtig zur Geltung kommt, hat sie sogar einen Tisch entsorgt.

»Ist nicht slimm«, erklärt die Geschäftsfrau, »man muss auch mal Opfer bringen« – und keckert noch mal über den gelungenen Coup. Dann fragt sie uns: »Wie immer?«

Wir nicken nur und sie bringt Weißbier und eiskalten Pino Grigio.

Als wir nach dem Essen auf den Hof kommen, finden wir einen Brief auf dem Küchentisch. Unter der Überschrift »Einladung zum Frühjahrsputz« lesen wir:

»Liebe Polkefitzer, es ist endlich Frühling, auf dem Dorfplatz blühen bereits die ersten Narzissen. Nun sollen am Samstag Hofrechen und Besen geschwungen werden, um die letzten Reste des Winters zusammenzukehren. Gemeinsam ist die Arbeit schnell getan und für Getränke und Erbsensuppe ist auch gesorgt. Auf eine rege Beteiligung freuen wir uns.«

Unterschrieben ist der Aufruf im Namen der Dorfgemeinschaft von einer Dame namens Carina.

Der Mann zuckt ergeben mit den Schultern.

»Endlich mal wieder putzen!«

Als Paul auf ein Gläschen bei uns vorbeischaut, hat er ein verschmitztes Lächeln im Gesicht.

»Die sind doch alle neugierig auf euch und ihr könnt auf einen Schlag fast das ganze Dorf kennen lernen. Das solltet ihr euch nicht entgehen lassen.«

Am Samstag, um 14 Uhr ist es dann soweit.

»Warte auf mich«, rufe ich dem tapferen Mann hinterher, der sich bereits in Gesellschaft unseres Hofherrn mit einem Besen bewaffnet auf den Weg zum Dorfplatz macht. Ich schwinge mich auf Pauls Aufsitzmäher und tuckere hinter den beiden her Richtung dörfliche Grünfläche. Aus allen Hofeinfahrten strömen Menschen mit Reinigungsgerätschaften zum Ortszentrum, das aus einer runden Rasenfläche, dem schon erwähnten hölzernen Bushäuschen und gepflasterten Wegen besteht.

Ich komme mir ein bisschen vor wie bei der ersten Tanzstunde. Man beäugt sich, noch ein wenig scheu, stellt sich vor, redet übers Wetter. Dann legen wir los. Erwachsene und Kinder, Alte und Junge kehren den Schmutz des alten Jahres zusammen, Reste von Sylvester-Knallern, Papierfetzen, Laub.

Andere Stämme, andere Initiationsriten, fährt es mir durch den Kopf.

In entlegenen Dschungeldörfern betäubt man sich mit Maniok-Likör, ritzt sich magische Symbole in die Haut und tanzt sich in Trance. Uns genügt das Hantieren mit Rechen und Besen, um in die Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden.

Ich kurve mit dem Mäher im Slalom um die Narzissen, als einer laut über den Platz ruft:

»Der Nachbar hat seine Frau erschossen. Was ist das?«

Ein anderer erwidert:

»Unser Dorf soll schöner werden! Mensch Kurt, den kennen wir doch schon.«

Kurt grinst nur und schaufelt weiter Laub in die Schubkarre.

»Ist aber immer wieder gut.«

Eine mollige, ältere Frau – in geblümter Kittelschürze und praktischer grauer Kurzhaarfrisur, für die ein Igel Modell gestanden haben könnte – zieht einen Bollerwagen hinter sich her.

»Erna kommt mit der Erbsensuppe!«, brüllt Kalauer-Kurt, » Schluss für heute!« Irgendwer hat auf dem von mir geschorenen Grün ein paar Biertische und Bänke aufgestellt.

»Was, du verdienst dein Geld mit Witzen?« Unser Hofnachbar lacht schallend, als er erfährt, dass der Mann, der soeben seine Hofeinfahrt gefegt hat, identisch ist mit der Person, die in einem Wochenmagazin seit Jahren Politikern komische Sprüche in den Mund schiebt.

»Nee!«, staunt er, »so wat auch! Da les ich das Blatt so lange schon … und jetzt sind wa plötzlich Nachbarn.«

Er lässt einen Bierkorken knallen und drückt dem Pointen-Fabrikanten aus Hamburg die Flasche in die Hand. »Ich bin der Gustav.«

Es bilden sich »Männertische« und »Frauentische«. Erna füllt Erbsensuppe in die Teller, schaut über den Dorfplatz und lobt: »Alles wieder schön schier.«

Schier, so lerne ich, ist ein Ausdruck höchster Anerkennung für Sauberkeit, Ordnung und Übersichtlichkeit.

Ich sitze nach dem ungeschriebenen Dorfgesetz in der Damenrunde, mit Gertrud, Hilde, Erna, Carina, Frieda, Sonja, Christine, löffle meine Suppe, trinke Kaffee und habe das Gefühl:

Jetzt sind wir endgültig angekommen in Polkefitz.

Schöner Mist - Mein Leben als Landei

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