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2. Kapitel

Das Klappern von Geschirr in der Küche weckte Christian am nächsten Morgen. Monika war wie immer schon auf den Beinen. Schließlich musste sie pünktlich im Büro sein, während er sich den Luxus gönnte, auch mal etwas später mit der Arbeit zu beginnen.

Mit einem liebevollen »Guten Morgen!« begrüßte ihn Monika, als er in die Küche kam und goss ihm sogleich Kaffee ein. Sie selbst hatte sich schon ein Brötchen mit Butter bestrichen und reichte ihm den Brotkorb über den Tisch. Einen Moment aßen sie schweigend, bis Monika ihr Geschirr zusammenräumte, um sich für die Arbeit fertig zu machen.

»Schreibst du mir nachher, wann die Beisetzung ist«, bat sie ihren Mann und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

»Natürlich, ich schicke dir gleich eine Nachricht, wenn sich Carola gemeldet hat.«

»Bis später dann.« Monika griff nach ihrer Tasche und zog im nächsten Moment schon die Tür hinter sich zu. Was für ein Wirbelwind, lächelte Christian in sich hinein und blickte ihr durch das Fenster hinterher, wie sie in ihrem leichten Sommerkleid zum Auto lief. Monika und er, das waren die sprichwörtlichen Gegensätze, die sich anzogen. Er der wortkarge Eigenbrötler, sie der Hansdampf in allen Gassen. Als sie sich kennenlernten, vor fast genau zwanzig Jahren arbeitete er erst ein Jahr in Bayern. Er reparierte noch bei einer Baufirma die Maschinen und versuchte gerade, auf einer schmalen Zufahrtsstraße einen Bagger wieder flott zu bekommen, der natürlich an der engsten Stelle seinen Geist aufgegeben hatte. Als er ölverschmiert unter dem Vehikel hervorkroch, stand sie plötzlich da, lässig an den Kotflügel ihres kleinen, roten Autos gelehnt. Lange braune Locken umrahmten ein lachendes Gesicht. Und als er seinen Blick über ihre Figur wandern ließ, da fand er, dass jede Rundung genau am rechten Fleck saß. Ihr Lächeln zu erwidern war alles, was ihm einfiel. Dafür hatte sie kein Problem, Worte zu finden.

»Des is grad net der beste Platz zum Parken!«, lästerte sie munter drauf los. »I müsst nämlich nach dort drüben.« Sie wies in Richtung des Weges, der aber in ganzer Breite vom Bagger blockiert wurde. »Dauert´s noch lang?«, zwang sie ihn nun durch ihre Frage zu einer Reaktion.

Doch mehr als ein kurzes »Nee« kam nicht über seine Lippen. Er rieb sich die Hände an seinem Blaumann ab, kletterte nach oben und startete den Motor. Langsam und bedächtig setzte er die Maschine in Bewegung und fuhr ein paar hundert Meter vor bis zu einer Ausweichstelle, gefolgt von Monika in ihrem Auto. Als Christian den Bagger stoppte, sauste sie an ihm vorbei.

Er räumte das rasch zusammengeraffte Werkzeug in die dafür vorgesehene Kiste und lächelte vor sich hin. Was für eine Frau! Schon träumte er davon, sie wiederzusehen, als es neben ihm hupte. Aus dem Seitenfenster winkend, fuhr sie nun in die Gegenrichtung. Ein paar Tage später sah er das kleine, rote Auto vor der Metzgerei stehen. Ohne Plan, was er dort kaufen wollte, ging er hinein.

»Grüß Gott!« An den bayerischen Gruß hatte er sich inzwischen gewöhnt, auch wenn es aus seinem Mund wenig bayerisch klang.

»Ja hallo!« Mit einem erkennenden Blick strahlten ihn zwei braune Augen an. »Sie san aber net von hier?«, fragte sie einfach drauflos.

Wieder brachte er nur ein »Nee« heraus, was sie aus ihm unerklärlichen Gründen lustig fand.

»Ach so. Dann verstehen Sie mich wohl gar nicht? Ich kann auch hochdeutsch sprechen«, lachte sie.

Christian wurde rot. »Doch, schon.« Darauf musste er sich der Verkäuferin zuwenden, die nach seinen Wünschen fragte.

Monika hatte vor der Tür auf ihn gewartet. »Und, funktioniert der Bagger wieder?«

»Ja, der läuft wieder.«

»Dann haben Sie vielleicht Zeit für einen Kaffee?« Noch heute glaubte er, nie einen besseren Kaffee getrunken zu haben, als an jenem Tag in der kleinen Bäckerei gegenüber vom Metzger. Schon bald trafen sie sich regelmäßig, anfangs außerhalb von Monikas winzigem Heimatdorf. Wie schnell konnte man als geschiedene Frau in Verruf kommen! Dann lernte er Monikas Tochter Victoria kennen und wurde von ihr sofort als Freund der Mutter akzeptiert. Ein paar Jahre später machten sie Nägel mit Köpfen und heirateten, sie die geschiedene Katholikin und er der konfessionslose Zugezogene. Das Getratsche hatte sich irgendwann gelegt. Die Feier war klein, nur ein Essen zu dritt, es gab ja kaum Familie. Allerdings hatte Carola etwas verärgert reagiert, weil sie erst Monate später von der Hochzeit erfuhr.

Als sein Handy klingelte, saß Christian immer noch am Küchentisch und war in Gedanken bei Monika. Eigentlich hatte er seit einer Stunde schon in der Werkstatt sein wollen. »Carola« erschien auf dem Display, das musste wohl eine Gedankenübertragung gewesen sein.

»Hallo, kleine Schwester!«, nahm er das Gespräch an. Sie trennten zwar nur zwei Jahre, aber mindestens zwanzig Zentimeter Größe, insofern war »kleine Schwester« doppelt gerechtfertigt.

»Hallo, großer Bruder!«, grüßte Carola dann auch zurück und kam direkt zum Wesentlichen. »Ich konnte gestern noch das Wichtigste klären. Es ist ja gut, dass der Bestatter heute nahezu alles für einen erledigt. Das war bei Mutter noch ganz anders. Die Beisetzung ist

am neunten. Es ist ein Freitag, ich hoffe, das passt euch. Dann könnt ihr doch bestimmt noch übers Wochenende bleiben. Abgesehen davon, dass es ja noch einiges zu bereden gibt, freue ich mich einfach, dich und Monika mal wieder zu sehen.«

Christian hatte sogleich auf den Wandkalender gesehen und den Termin als wenig passend registriert. Eigentlich hatte er an diesem Wochenende mit einer Fahrt ins tschechische Brno geliebäugelt, wo die vorletzten Wertungsläufe des Historic Cup des ADAC stattfanden. Auch wenn er selbst nicht mehr startete, würde wenigstens eins der von ihm restaurierten Fahrzeuge dort teilnehmen. Doch nun entschied er sich ein letztes Mal für seinen Vater. »Jo mei, des passt schon!«

»Chris, sprich deutsch mit mich, nicht bayerisch!«, konnte sich Carola nicht verkneifen, zu lästern, wobei sie absichtlich »mir« durch »mich« ersetzte, wie es im Mansfeldischen gesprochen wurde. Früher, zu DDRZeiten gab es den Spruch, dass sich angesichts der Mansfelder Mundart sogar Lenin gefragt hätte: Heiße ich nun Wladimir oder Wladimich?

»Ich gebe mich Mühe«, reagierte er ebenso. »Aber passen tut es trotzdem!«

Nachdem Carola noch eine Weile das Gespräch mit Themen wie Wetter und Straßenverkehr aufrecht erhalten hatte und Christian sich mit einem »Ja« oder

»Stimmt« beteiligt hatte, verabschiedeten sich die Geschwister. Wenn es etwas Wichtiges gab, konnte man immer noch einmal anrufen oder sich eine Nachricht schicken.

Und genau das tat er nun auch sofort. Schließlich wollte Monika wissen, wann sie Urlaub nehmen musste. Sie arbeitete seit Jahren im Büro eines großen Logistikunternehmens, da war Planung alles, um nicht in Probleme mit der Arbeitseinteilung zu geraten.

Nachdem Christian die Nachricht an seine Frau abgesendet hatte, legte er das Handy erst zur Seite, um es kurz darauf erneut anzuschalten. In der Telefonliste scrollte er zu I, I wie Ines. Auch wenn er nur selten Verbindung zu seiner Tochter hatte, jetzt war ihr Opa gestorben und er fühlte sich in der Pflicht, es ihr mitzuteilen. Denn nachdem die Mutter von Ines den Kontakt zu allen Mitgliedern seiner Familie abgebrochen hatte, konnte er nicht damit rechnen, dass Ines auf anderem Weg vom Tod ihres Großvaters erfuhr.

Nachdenklich schaute er auf das Display, das ihm mehrere Möglichkeiten für eine Kontaktaufnahme aufzeigte. Eine Nachricht schreiben?, überlegte er und verwarf es gleich wieder. Auch wenn die jungen Leute heutzutage sogar per SMS ihre Beziehungen beendeten, für ihn war das keine Option. Also doch anrufen.

Nach dem zweiten Klingelton hörte er die Stimme seiner Tochter.

»Hi, was gibt es Chris?« Er war nicht glücklich darüber, dass Ines ihn nicht mehr Papa nannte, dass sie dieses Wort wahrscheinlich sogar zum zweiten Mann ihrer Mutter gesagt hatte, doch er musste es akzeptieren.

»Hallo , Ines«, begann er die Unterhaltung unverfänglich. »Wie geht es dir?«

»Ganz okay soweit. Aber deshalb rufst du doch nicht an?«

»Nein«, bekannte er. »Sag mal hast du heute etwas Zeit? Ich müsste mit dir reden, aber nicht am Telefon.« Plötzlich erschien es ihm unmöglich, ihr diese Nachricht am Handy zu sagen. Selbst seine wortgewandte Schwester hatte gestern lange gebraucht, um zum Wesentlichen zu kommen. Und lange Telefonate waren nun gar nicht sein Ding. Vom anderen Ende kam Schweigen. Er hörte das leise Atmen seiner Tochter und fragte trotzdem: »Ines, bist du noch dran?«

»Es scheint dir wichtig zu sein«, antwortete Ines.

»Gut, heute Nachmittag um drei in dem Café gegenüber von der Kanzlei.«

»Danke! Dann bis nachher!«

Christian sah auf das Handy bis sich das Display verdunkelte und erhob sich dann ruckartig vom Stuhl. Er streifte die Träger seiner Latzhose, die er in der Werkstatt meistens trug, herunter und lief ins Schlafzimmer, um sich eine Jeans und ein T-Shirt aus dem Schrank zu nehmen. Fertig angezogen griff er die Autoschlüssel und schloss hinter sich die Tür ab.

Zuerst wollte er noch einmal in die Werkstatt fahren, um nach seinem neuesten Baby zu sehen. Jedes Fahrzeug, das durch seine Hände ging, war wie ein Kind für ihn. Vielleicht baute er zu diesen Blechkarossen eine engere Bindung auf, als je zu seiner Tochter. Hätte er sich sonst so aus dem Staub machen können?

Während er noch darüber nachdachte, war er schon bei seiner Werkstatt angekommen. Normalerweise legte er den kurzen Weg stets zu Fuß zurück, doch heute wollte er gleich weiterfahren und es lag in der Richtung zur Autobahn.

Zufrieden ließ Christian den Blick über das Rennauto gleiten, dem man nun seine 40 Jahre nicht mehr ansah. Zwar fehlte noch die Werbung und der Namenszug auf der Karosse, auch die alte Startnummer sollte wieder darauf ihren Platz finden, doch das war Kleinkram gegen die Arbeit, die hinter ihm lag. Etwas wehmütig schweiften seine Gedanken ab zum ersten Rennwagen, den er wieder aufgebaut hatte. Auch wenn sich dieses Fahrzeug längst nicht mehr in seinem Besitz befand, hing doch noch immer sein Herz daran. Nur durch einen dummen Zufall hatte er es überhaupt gefunden. Sonst würden Teile der Karosserie möglichweise heute noch als Abdeckung eines Holzstapels in einem Mecklenburgischen Dorf dienen. Stattdessen hatte er es zu neuem Leben erweckt und damit wieder Rennen gefahren. In der Vitrine standen seine errungenen Pokale dicht an dicht. Seine Schwester hatte ihm zugejubelt an

den Serpentinen von Naumburg und auf der damals gerade neu erbauten Rennstrecke in Oschersleben, die binnen eines Jahres in der Börde, gar nicht weit von seiner Heimat entfernt, entstanden war. Auf diese Art war er immer wieder in den Osten gereist, schließlich fanden die Fahrer der historischen Rennwagen hier ein begeistertes Publikum, das sich an die Glanzzeiten dieser Rennwagen erinnerte. Seinem Heimatort war er oft sehr nahe gekommen, doch kaum einmal setzte er den Fuß in die Stadt seiner Kindheit. Wenn überhaupt, dann nur für einen Besuch am Grab seiner Mutter. Dabei war er sogar noch im Krankenhaus der Kreisstadt zur Welt gekommen, es war also auch sein Geburtsort. Wer bald danach auf die Idee gekommen war, die Entbindungsstation in den letzten Zipfel des Kreises zu legen, wusste er nicht. Vor allem im Winter erwies es sich als problematisch. Seine Schwester wäre beinahe eines jener Kinder geworden, die irgendwo unterwegs das Licht des Krankenwagens erblickten.

Christian riss sich von seinen Gedanken los. Schließlich zeigte die Uhr inzwischen Mittag an und er hatte noch ein Stück Fahrt vor sich. Noch einmal tippte er nun eine Nachricht für Monika ins Handy: »Es kann sein, dass ich heute später komme. Fahre nach München. ILD«

Septemberrennen

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