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II
ОглавлениеMichail Nikolaitsch Ipatows Wohnsitz bestand aus zwei einzelstehenden Häuschen, die einander gegenüber zu beiden Seiten eines großen Teiches erbaut waren. Ein langer, mit Silberpappeln besetzter Damm schloß diesen Teich ab, mit dem fast in gleicher Höhe auch das rothe Dach einer kleinen Mühle zu sehen war. Gleichförmig erbaut und mit violetter Farbe angestrichen, schienen die beiden Häuschen aus den hellen Scheiben ihrer kleinen sauberen Fenster über die breite Wasserfläche hinweg einander zuzunicken. In der Mitte jedes der Häuschen trat eine halbkreisförmige Terrasse vor und erhob sich ein spitzer Giebel, der von vier dicht neben einander stehenden weißen Säulen getragen wurde. Um den ganzen Teich herum zog sich ein altmodischer Garten, in welchem Lindenbäume in Alleen und in vereinzelten dichten Gruppen umher- standen; uralte Fichtenbäume, dunkele Eichen mit moosgelben Stämmen, prachtvolle Eschen streckten hier und dort ihre Gipfel hoch empor; das dichte Grün der üppig wuchernden Flieder- und Akazienbüsche reichte bis an die Seiten beider Häuschen und ließ blos die Vorderseiten derselben frei, von welchen sich mit Ziegelerde bestreute, fest gestampfte Wege den Abhang hinabschlängelten. Bunte Enten, weiße und graue Gänse schwammen in getrennten Zügen auf dem glatten Spiegel des Teiches, der in Folge zahlreicher Quellen, die aus dem Grunde einer jähen und steinigen Schlucht an seinem Saume hervorsprudelten, niemals sumpfig wurde. Die Lage des Landsitzes war gut gewählt: freundlich, einsam und bequem.
Das eine der beiden Häuschen bewohnte Michail Nikolaitsch selbst; in dem anderen lebte seine Mutter, eine gebrechliche siebzigjährige Frau. Auf dem Damme angekommen, wußte Astachow nicht, nach welchem der Häuser er seinen Weg nehmen sollte. Er blickte um sich – auf einem halbverfaulten, gespaltenen Baumstumpfe stand barfuß ein Knabe vom Hofgesinde und angelte. Astachow rief ihn an.
– Zu wem wollen Sie denn, zur alten Frau oder zum jungen Herrn? fragte der Knabe, ohne das Schwimmholz seiner Angel aus dem Auge zu lassen.
– Zu welcher alten Frau? entgegnete Astachow, – ich will zu Michail Nikolaitsch.
– Ah! zum jungen Herrn? Nu, dann fahren Sie rechts! Und der Knabe zog aus dem spiegelglatten Wasser eine mittelgroße, silberhelle Karausche an der Angel heraus. Astachow schlug den Weg nach rechts ein.
Michail Nikolaitsch spielte gerade mit »Klappseele« Dame, als ihm Astachows Ankunft gemeldet wurde. Er war sehr erfreut, sprang von seinem Sessel auf, lief in das Vorzimmer hinaus und umarmte und küßte drei Mal den Gast.
– Sie treffen mich, Wladimir Sergeïtsch begann der redselige Alte, mit meinem unzertrennlichen Freunde, Iwan Iljitsch, der, beiläufig gesagt, von Ihrer Liebenswürdigkeit ganz bezaubert ist. (Iwan Iljitsch warf schweigend einen Blick in die Ecke.) Er war so freundlich, bei mir zu bleiben und Dame mit mir zu spielen, meine Hausgenossen sind alle in den Garten gegangen, ich werde aber sogleich nach ihnen schicken . . .
– Stören Sie dieselben nicht! fiel Astachow ein . . .
– Was da, stören, das fehlte noch! He, Wanka, lauf’ rasch nach dem Fräulein . . . sage, es wäre Besuch gekommen! Nun, wie gefällt Ihnen unsere Gegend? Gar nicht übel, nicht war? Kaburdin hat sie in Versen besungen. »Ipatowka, Asyl der Wonne,« so fängt das Gedicht an, und auch das Uebrige ist schön, ich habe es aber nicht ganz behalten. Der Garten ist groß, das ist fatal, schwer im Stande zu erhalten. Und die beiden Häuser, die einander so ähnlich sind, wie Sie vielleicht zu bemerken beliebt haben, sind von zwei Brüdern erbaut, meinem Vater Nikolai und meinem Onkel Sergei; auch den Garten haben sie angelegt, wahre Busenfreunde waren die Beiden . . . Danton – und . . . da haben wir’s! Ganz vergessen wie der Andere hieß . . .
– Pythion, bemerkte Iwan Iljitsch.
– Ist’s auch wahr? nun, gleichviel. (Der Alte war zu Hause ungezwungener in seiner Ausdrucksweise, als wenn er irgendwo zu Gaste war.) Es ist Ihnen, Wladimir Sergeïtsch, wahrscheinlich bekannt, daß ich Wittwer bin, meine Frau verloren habe. Meine ältesten Kinder befinden sich in Kronsanstalten; hier bei mir habe ich nur die beiden jüngsten und meine Schwägerin, die Schwester meiner seligen Frau. Sie werden sie sogleich sehen. Das ist aber schön, ich vergesse ganz, Sie zu bewirthen. Iwan Iljitsch, mein Bester, sorgen Sie doch für den Imbiß . . . was für ein Schnäpschen ziehen Sie vor?
– Vor dem Essen trinke ich Nichts.
– Was Sie sagen, wäre es möglich! Uebrigens, wie es Ihnen beliebt. Jeder nach seinem Geschmack. Hier bei uns werden keine Umstände gemacht. Wir leben hier, darf ich wohl sagen, nicht gerade in einer Wildniß, aber in einem stillen Hafen, ja, wirklich, ein stiller Hafen ist es, ein abgelegener Winkel! Warum nehmen Sie aber nicht Platz?
Astachow setzte sich, ohne den Hut aus der Hand zu legen.
– Erlauben Sie, daß ich es Ihnen leicht mache, sagte Ipatow; indem er ihm behutsam den Hut abnahm. Er stellte denselben in eine Ecke, kehrte zurück, blickte seinem Gaste freundlich in die Augen und unschlüssig, was er ihm wohl Verbindliches sagen sollte, richtete er in dem herzlichsten Tone die Frage an ihn, ob er gern Dame spiele.
– Ich spiele alle Spiele schlecht, erwiderte Astachow.
– Und daran thuen Sie wohl, entgegnete Ipatow, – das Damenspiel ist aber eigentlich kein Spiel, vielmehr eine Erholung, ein Zeitvertreib; nicht so, Iwan Iljitsch?
Iwan Ilitsch sah Ipatow mit gleichgültigem Blicke an, als dächte er bei sich: »weiß der Teufel, was es ist – Spiel oder Zeitvertreib,« und eine Weile darauf sagte er:
– Nun ja, das Damenspiel – jawohl.
– Das Schachspiel aber, das ist ein anderes Ding, « sagt man, fuhr Ipatow fort, – das soll ein überaus schwieriges Spiel sein Ich denke indessen . . . aber, da kommen die Meinigen schon! unterbrach er seine Rede mit einem Blicke nach der halboffenstehenden Glasthür, die in den Garten führte.
Astachow erhob sich, wandte sich um und wurde zuerst zwei kleine Mädchen von ungefähr zehn Jahren in rosafarbenen Zitzkleidchen und breiten Hüten gewahr, die behend die Stufen der Terrasse heraufliefen; bald nach ihnen zeigte sich ein junges dunkel gekleidetes Mädchen von etwa zwanzig Jahren, von hohem Wachse und voller, schlanker Gestalt. Sie traten alle in’s Zimmer, die kleinen Mädchen machten vor dem Gaste einen zierlichen Knicks.
– Hier, sagte der Wirth, empfehle ich Ihnen meine Töchter.
Die da heißt Katia, diese hier Nastja, und das da ist meine Schwägerin, Maria Pawlowna, von welcher ich mit Ihnen gesprochen habe; empfehle sie Ihrer Gewogenheit.
Astachow grüßte Maria Pawlowna; sie erwiderte seinen Gruß mit einer kaum merklichen Neigung des Kopfes. Maria Pawlowna hielt ein großes aufgeschlagenes Messer in der Hand; ihr dichtes braunes Haar war etwas in Unordnung gerathen, ein grünes Blättchen hatte sich in dasselbe verirrt, die Flechte kam unter dem Kamme hervor, das bräunliche Gesicht war geröthet und die rothen Lippen geöffnet; das Kleid schien zerdrückt. Ihr Athem war rasch, die Augen glänzten; man sah, daß sie im Garten gearbeitet hatte. Sie verließ sogleich wieder das Zimmer und die kleinen Mädchen liefen ihr nach.
– Die Toilette muß ja erst in Ordnung gebracht werden, bemerkte der Alte, zu Astachow gewandt, – ohne die geht es doch nicht.
Astachow lächelte dazu und wurde nachdenkend. Marja’s Erscheinung hatte ihn überrascht. Schon lange war ihm eine solche echt russische, ländliche Schönheit nicht zu Gesicht gekommen. Sie kehrte bald zurück, setzte sich auf den Divan und verharrte unbeweglich. Sie hatte das Haar geordnet, ihr Kleid jedoch nicht gewechselt und nicht einmal Manchetten angelegt. Ihre Züge drückten nicht sowohl Stolz, als Strenge, ja beinahe Härte aus. Ihre Stirn war breit und niedrig, die Nase kurz und gerade; ihre Lippen kräuselten sich zu einem leisen, trägen Lächeln, während sie die geraden Brauen verächtlich zusammenzog. Ihre großen, dunklen Augen hielt sie fast immer gesenkt. Ich weiß, schien ihr ganzes unfreundliches Gesicht zu sagen, ich weiß, daß Ihr Alle mich angafft; nun, gafft nur, ich bin Eurer doch überdrüssig. Und wenn sie ihre Augen erhob, lag in ihrem Blicke etwas Wildes, Stumpfsinniges und doch etwas Schönes und Edles, das an den Blick des Rehes erinnerte. Sie war vortrefflich gebaut. Ein klassischer Poet hätte sie mit Ceres oder Juno verglichen.
– Was habt Ihr im Garten gemacht? fragte Ipatow, um sie in’s Gespräch zu ziehen.
– Wir haben die trockenen Aeste abgeschnitten und Blumenbeete gegraben, gab sie mit etwas gedämpfter, aber angenehmer, wohltönender Stimme zur Antwort.
– So, und Ihr seid wohl recht müde?
– Die Kinder sind es, ich nicht.
– Weiß schon, entgegnete lächelnd der Alte, – Du bist eine echte Bobelina!2 Seid Ihr auch bei der Großmutter gewesen?
– Ja, sie schläft.
– Sie sind eine Freundin von Blumen? fragte sie Astachow.
– Ja, ich liebe die Blumen.
– Warum setzest Du Deinen Hut nicht auf, wenn Du ausgehst? bemerkte Ipatow, – sieh Dich an, wie roth und verbrannt Du bist.
Sie strich schweigend mit der Hand über ihr Gesicht. Ihre Hände waren nicht groß, aber etwas breit und ziemlich roth. Handschuhe trug sie nicht.
– Sie lieben auch den Gartenbau? fragte Astachow weiter.
– Ja.
Astachow erzählte nun von dem sehr schönen Garten eines reichen Gutsbesitzers N.* aus seiner Nachbarschaft. Der Obergärtner, ein Deutscher, bekommt an Gehalt allein 2000 Silberrubel, sagte er unter Anderem.
– Und wie heißt dieser Gärtner? fragte plötzlich Iwan Iljitsch.
– Ich erinnere mich nicht, mir däucht Meyer oder Müller. Warum fragen Sie?
– Nur so, entgegnete Iwan Iljitsch. – Um den Namen zu wissen.
Astachow fuhr in seiner Erzählung fort. Die kleinen Mädchen, Michail Nikolaitschs Töchter, waren unterdeß auch wieder herein gekommen, hatten sich still hingesetzt und horchten dem Erzähler zu . . .
Ein Diener erschien in der Thür und meldete die Ankunft Jegor Kapitonitsch’s.
– Ah, bitte, bitte! rief Ipatow.
Ein kleines, dickes, altes Männchen, von der Gattung der sogenannten Dachsfüßler, mit einem vollen und dabei runzeligen Gesichtchen, einem gebratenen Apfel nicht unähnlich, trat in das Zimmer. Er hatte einen grauen Schnürrock mit schwarzem Besatze und stehendem Kragen an; seine weiten, kaffeebraunen Beinkleider aus Halbsammet reichten lange nicht bis an die Fußknöchel.
– Guten Tag, mein werthgeschätzter Jegor Kapitonitsch!l rief Ipatow, ihm entgegentretend, – wir haben uns lange nicht gesehen.
– Was wollen Sie, entgegnete Jegor Kapitonitsch mit schnarrender, weinerlicher Stimme, nachdem er vorher alle Anwesenden begrüßt hatte, – Sie wissen ja, Michail Nikolaitsch, bin ich denn mein eigener Herr?
– Und wie wären Sie es denn nicht, Jegor Kapitonitsch?
– Sie glauben nicht, Michail Nikolaitsch, Familie, Geschäfte . . . Und dann noch Matröna Markowna!
Er machte eine Bewegung mit der Hand.
– Was ist es denn mit Matröna Markowna? fragte Ipatow.
Und dabei zwinkerte er Astachow zu, als wollte er zum Voraus dessen Aufmerksamkeit wecken.
– Die alte Geschichte, erwiderte Jegor Kapitonitsch, indem er sich niederließ, – ist immer unzufrieden mit mir, als ob Sie es nicht wüßten! Was ich auch sagen mag, es ist immer nicht recht, nicht delikat, nicht anständig. Und warum es nicht anständig ist, das mag der Himmel wissen. Und meine Fräulein Töchter halten es mit der Mutter, nehmen sich dieselbe zum Muster. Ich kann nicht anders sagen, Matröna Markowna ist eine vortreffliche Frau, aber doch gar zu streng in Betreff der Manieren.
– Aber ich bitte Sie, Jegor Kapitonitsch, was wäre denn Anstößiges in Ihrem Benehmen?
– Das denke ich auch, es hält aber schwer, ihr’s recht zu machen. Gestern zum Beispiel sagte ich bei Tisch: »Matröna Markowna (und Jegor Kapitonitsch gab seiner Stimme einen möglichst einschmeichelnden Ton), Matröna Markowna, sage ich, was ist denn das aber, der Aldoschka schont ja die Pferde nicht, er versteht ja nicht zu fahren, sage ich, der schwarze Hengst ist schon ganz dämlich geworden. Ist sie da aufgefahren, meine Matröna Markowna, hat sie mich durchgehechelt; verstehst nicht anständig zu sprechen, sagte sie, in Gegenwart von Damen: die Mädchen sind alle gleich vom Tische aufgesprungen und am folgenden Tage wurde es den Birülew’schen Fräuleins, den Nichten meiner Frau, gleich wiedererzählt. Und was war denn Schlechtes in meinen Worten? sagen Sie selbst! Wenn mir zuweilen unvorsichtigerweise Etwas entschlüpft, was doch bei Jedem vorkommen kann, besonders zu Hause, am anderen Tage wissen es schon die Birülew’schen Fräuleins. Man weiß wirklich nicht mehr, wie man sich benehmen soll. Zuweilen sitze ich da und denke so vor mir hin, – Sie wissen vielleicht, wenn ich denke habe ich einen schweren Athem, – da fängt Matröna Markowna wieder an, mich vorzunehmen: was schnarchst Du? sagt sie, wer schnarcht denn heut zu Tage! Was schiltst Du, sage ich, Matröna Markowna? Ich bitte Dich, Mitleid solltest Du haben und Du schiltst! Auch zu denken habe ich jetzt aufgehört, wenn ich zu Hause bin. Ich sitze blos da und stiere den Fußboden an. Bei Gott! Erst vor Kurzem war es, da sagte ich, als wir zu Bette gingen, Matröna Markowna, sagte ich, Du verwöhnst aber auch gar zu sehr Deinen kleinen Dienstburschen, sieh doch das Ferkel an, nicht einmal Sonntags wäscht er sich das Gesicht. Nun? ich denke, hier habe ich mich doch zart genug ausgedrückt; aber auch darin hatte ich es nicht getroffen, wiederum nahm mich Matröna Markowna vor: Du verstehst Dich nicht in Damengesellschaft zu benehmen, und am andern Tage schon wußten die Birülew’schen Fräuleins Alles. Wie wollen Sie, daß ich da noch an Besuchemachen denke, Michail Nikolaitsch?
– Was Sie da eben gesagt haben, nimmt mich sehr Wunder, entgegnete Ipatow, – das hätte ich von Matröna Markowna durchaus nicht erwartet; sie ist ja doch, wie es scheint . . .
– Eine ausgezeichnete Frau, fiel Jegor Kapitonitsch ein. – ein Muster, kann man wohl sagen, von Gattin und Mutter, aber streng in Betreff der Manieren. In Allem, sagt sie, wäre ein Ensemble nothwendig, mir aber fehle ein solches Ich spreche, wie Sie wissen; nicht französisch, hin und wieder verstehe ich nur Einiges. Was für ein Ensemble ist denn nun aber das, was mir fehlen soll?
Ipatow, der gleichfalls im Französischen nicht besonders bewandert war, zuckte blos die Achseln.
– Und was machen ihre Kinderchen, Ihre Knaben? will ich sagen, fragte er wiederum nach einer kleinen Weile Jegor Kapitonitsch.
Dieser blickte ihn von der Seite an.
– Ja, die Jungen, nun, ich bin mit ihnen zufrieden. Die Mädchen, die sind ganz ausgeartet, mit den Jungen bin ich aber zufrieden. Lelja ist ordentlich im Dienste, seine Vorgesetzten loben ihn; der Lelja ist ein gewandter Bursche. Michez – nun, mit dem steht es anders: ein wahrer Philantrop ist er geworden.
– Wie so, ein Philantrop?
– Weiß Gott! Er will mit Niemanden sprechen, thut scheu und Matröna Markowna verwirrt ihn noch mehr. Was nimmst Du Dir den Vater zum Vorbild? sagt sie. Vor ihm habe Achtung, aber was die Manieren betrifft, so nimm ein Beispiel an Deiner Mutter. Nun, mit der Zeit wird es sich schon geben.
Astachow bat Ipatow, er möge ihn mit Jegor Kapitonitsch bekannt machen. Zwischen Beiden entspante sich ein Gespräch. Maria nahm nicht Theil an demselben; Iwan Iljitsch setzte sich zu ihr und brachte auch nur ein paar Worte hervor. Die kleinen Mädchen traten zu ihm heran und erzählten ihm flüsternd Etwas . . . Die Haushälterin trat herein, eine trockene Alte mit einem dunkeln Tuche um den Kopf und meldete, das Essen sei bereit. Alle begaben sich in den Speisesaal.
Die Tafel zog sich ziemlich in die Länge. Ipatow hatte einen guten Koch und die Weine waren auch nicht schlecht, obgleich er dieselben nicht aus Moskau, sondern aus der Kreisstadt kommen ließ. Ipatow führte ein behagliches Leben. Er besaß im Ganzen nicht über dreihundert Seelen, schuldete aber Niemanden Etwas und hatte sein Gut in bester Ordnung. Bei Tische führte hauptsächlich der Wirth das Gespräch. Jegor Kapitonitsch mischte sich auch hinein, vergaß aber sich selbst dabei nicht: er aß und trank nach Herzenslust Maria war die ganze Zeit über schweigsam, nur zuweilen erwiderte sie mit einem halben Lächeln die hastigen Reden der beiden – Kleinen, die ihr zu Seiten saßen; sie schienen sie sehr lieb zu haben. Astachow versuchte einige Male ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen, jedoch ohne besonderen Erfolg. Klappseele Bodräkow zeigte selbst beim Essen Trägheit und Flauheit. Nach der Tafel begaben sich alle auf die Terrasse zum Kaffee. Das Wetter war wunderschön. Aus dem Garten zog der liebliche Duft der gerade in voller Blüthe stehenden Linden herauf; die Sommerluft, vom dichten Laube der Bäume und der Feuchtigkeit des nahen Teiches leicht gekühlt, verbreitete eine einschmeichelnde Wärme. Plötzlich wurde hinter den Pappeln des Dammes Pferdegetrappel hörbar und einen Augenblick daraus zeigte sich eine Reiterin in langem Amazonenkleide und rundem, grauem Hute auf einem fuchsbraunen Pferde; sie ritt im Galopp; auf einem kleinen, weißen Klepper folgte ihr ein Dienstbursche.
– Ah! rief Ipatow, – Nadeschda Alexejewna kommt angeritten – das ist doch eine angenehme Ueberraschung.
– Allein? fragte Maria, die bis dahin unbeweglich an der Thür gestanden hatte.
– Allein . . . Peter Alexejewitsch muß wohl eine Abhaltung gehabt haben.
Maria blickte unter der Stirn hervor, ihr Gesicht war mit Roth übergossen; sie wandte sich hinweg.
Unterdessen kam die Reiterin durch das Gartenpförtchen in den Garten und bis an die Terasse geritten, sie sprang leicht aus dem Sattel, ohne ihren Dienstburschen oder Ipatow, der ihr entgegenkommen wollte, abzuwarten. Hastig nahm sie die Schleppe ihres Amazonenkleides auf, lief die Stufen hinan, sprang auf die Terrasse und rief in heiterem Tone.
– Da bin ich!
– Willkommen! sagte Ipatow. – Ganz unerwartet, das ist doch hübsch. Erlauben Sie, daß ich ihr Händchen küsse . . .
– Da haben Sie es, erwiderte die Angekommene, – Sie müssen aber den Handschuh selbst abziehen. – Ich kann es nicht. Und indem sie ihm die Hand hinhielt, nickte sie Maria Pawlowna mit dem Kopfe zu. – Mascha, denke Dir, mein Bruder kommt heute nicht, sagte sie mit einem leichten Seufzer.
– Ich sehe es, daß er nicht da ist, erwiderte Maria halblaut.
– Er läßt Dir sagen, daß er zu thun habe. Sei nicht böse. Guten Tag, Jegor Kapitonitsch; guten Tag, Iwan Iljitsch. Guten Tag, Kinder . . . Waßja, setzte die Angekommene zu ihrem Dienstburschen gewendet, hinzu, – laß den Adonis gut herumführen, hörst Du. Mascha, gieb mir, bitte, eine Stecknadel, meine Schleife aufzustecken . . . Michail Nikolaitsch, kommen sie doch her.
Ipatow trat näher an sie heran.
– Wer ist dieser fremde Herr? fragte sie ihn ziemlich laut.
– Ein Nachbar, Astachow, Wladimir Sergeïtsch, wissen Sie, dem Ssassowo gehört. Wünschen Sie seine Bekanntschaft zu machen?
– Schon gut . . . nachher. Ach, was für ein herrliches Wetter, fuhr sie fort. – Jegor Kapitonitsch, sagen Sie doch, brummt Matröna Markowna bei solchem Wetter auch? . . .
– Matröna Markowna, mein gnädiges Fräulein, brummt bei keinerlei Wetter, sie ist nur streng in Betreff der Manieren . . .
– Und wie geht’s den Birülew’schen Fräuleins? Nicht wahr, die wissen gleich Alles am andern Tage . . .
Und sie brach in herzliches, lautes Lachen aus.
– Es kommt Ihnen immer das Lachen bei, erwiderte Jegor Kapitonitsch – Uebrigens, wann lacht sichs wohl besser, als in Ihren Jahren!
– Jegor Kapitonitsch, Herzchen, seien Sie nicht böse! Ach, bin ich müde! Erlauben Sie, daß ich Platz nehme . . .
Nadeschda ließ sich auf einen Armstuhl nieder und schob muthwillig ihren Hut in die Augen.
Ipatow führte ihr Astachow zu.
– Erlauben Sie, Nadeschda Alexejewna, daß ich Ihnen unseren Nachbar, Herrn Astachow, vorstelle. Sie werden vermuthlich schon viel von ihm gehört haben.
Astachow verneigte sich, während Nadeschda ihn unter dem Rand ihres runden Hutes hervor betrachtete.
– Nadeschda Alexejewna Weretjew, unsere Nachbarin, fuhr Ipatow zu Astachow gewandt fort. – Wohnt in unserer Gegend mit ihrem Bruder, Peter Alexejewitsch, Gardelieutenant außer Dienst. Intime Freundin meiner Schwägerin, und überhaupt unserem Hause sehr gewogen.
– Eine ganze Charakterliste, sagte lächelnd Nadeschda, wie bisher, Astachow unter ihrem Hute hervor anblickend.
Astachow dachte unterdessen bei sich: »die ist in der That auch sehr hübsch.« Und wirklich war Nadeschda Alexejewna ein sehr nettes Fräulein. Fein und schlank von Wuchse, schien sie bedeutend jünger, als sie wirklich war. Sie war bereits über siebenundzwanzig Jahre. Ihr Gesicht war rund, der Kopf nicht groß, das Haar blond und lockig, das Näschen spitz und fast dreist aufwärts gebogen. Die Augen schelmisch. Sie blitzten und sprühten vor Spottlust. Die überaus lebhaften und beweglichen Züge ihres Gesichtes nahmen zuweilen einen komischen Ausdruck an; es schimmerte ein gewisser Humor hindurch. Seiten und meist plötzlich bekam dies Gesicht einen Anflug von Nachdenklichkeit, dann wurde es sanft und treuherzig, sie war jedoch nicht im Stande, sich lange solcher Regung zu überlassen. Sie faßte leicht und elegant die lächerlichen Seiten der Menschen auf und zeichnete vorzügliche Caricaturen. Von Kindheit an hatte man ihr Alles zu Willen gethan und das war sogleich zu bemerken: Leute, die in ihrer Kindheit verwöhnt wurden, behalten bis an ihr Lebensende ein eigenes Gepräge. Der Bruder liebte sie , obgleich er behauptete, daß sie nicht wie eine Biene, wohl aber wie eine Wespe steche; denn die Biene, nachdem sie gestochen habe, sterbe, für die Wespe jedoch hätte der Stich weiter keine Folgen. Dies Gleichniß machte sie böse.
– Sind Sie für längere Zeit hergekommen? wandte sie sich mit gesenktem Blicke und mit der Reitgerte spielend an Astachow.
– Nein, ich denke morgen schon wieder abzureisen.
– Wohin?
– Nach Hause.
– Nach Hause? Und darf ich fragen, warum?
– Warum? Ich habe Geschäfte zu Hause, die keinen Aufschub dulden.
Nadeschda blickte ihn an.
– Sind Sie denn ein so . . . pünktlicher Mensch?
– Ich bestrebe mich, es zu sein, entgegnete Astachow.
– In der jetzigen positiven Zeit muß jeder ordentliche Mensch gesetzt und pünktlich sein.
– Das ist sehr wahr, bemerkte Ipatow. – Glauben Sie nicht, Iwan Iljitsch?
Iwan Iljitsch blickte blos Ipatow an, während Jegor Kapitonitsch äußerte:
– Ja, das ist wahr.
– Schade, sagte Nadeschda: – uns fehlt eben gerade ein joune premier. Sie spielen doch wohl Theater.
– Ich habe mich nie in diesem Fache versucht.
– Ich bin überzeugt, Sie würden gut spielen. Sie haben eine so . . wichtige Haltung ; heut zu Tage wird das von einem jeune premier gefordert. Wir wollen, mein Bruder und ich, ein Theater hier zu Stande bringen. Wir werden uns übrigens nicht allein auf Lustspiele beschränken, wir werden Alles spielen – Dramen, Balletts und sogar Trauerspiele. Warum sollte Mascha nicht zu einer Kleopatra oder Phädra passen? Betrachten Sie sie nur!
Astachow wandte sich um . . . Mit dem Kopf an die Thür gelehnt und die Hände gekreuzt, blickte Maria in Gedanken versunken hinaus in die Ferne . . . In diesem Augenblicke mahnte in der That ihre ganze Figur und Stellung an Umrisse antiker Statuen. Sie hatte Nadeschda’s letzte Worte nicht gehört, als sie jedoch gewahr wurde, daß die Blicke Aller sich plötzlich auf sie richteten, errieth sie sogleich den Grund, wurde roth und wollte sich in’s Gastzimmer zurückziehen . . . Nadeschda ergriff jedoch gewandt ihren Arm, zog sie mit dem coquetten Schmeicheln eines Kätzchens an sich und küßte ihre fast männliche Hand. Maria erröthete noch mehr.
2
Berühmte Parteigängerin, die sich durch bedeutende Geldopfer am griechischen Befreiungskriege betheiligte.