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(Vortrag, am 10. Januar 1860 öffentlich gehalten zum Besten der Gesellschaft für Unterstützung bedürftiger Schriftsteller und Gelehrter.)


Geehrte Anwesende!

Die erste Auflage der Shakespeare‘schen Tragödie »Hamlet« und der erste Theil des Cervante'schen »Don Quichotte« erschienen in ein und demselben Jahre, zu Anfang des XVII. Jahrhunderts.

Diese zufällige Gieichzeitigkeit erschien mir von Bedeutung. Die Vergleichung der beiden genannten Werke führte mich auf eine Reihe von Gedanken: ich bitte um die Erlaubniß, diese Gedanken Ihnen mitzutheilen, indem ich im Voraus auf Ihre Nachsicht rechne. »Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen«, sagt Goethe. Ein Prosaiker hat kein Recht, dies zu beanspruchen; er darf jedoch erwarten, daß seine Leser – oder Zuhörer – geneigt sind, ihm auf seinen Wanderungen, in seinen Forschungen zu folgen.

So manche meiner Anschauungen wird Sie, geerhrte Anwesende, wegen ihrer Ungewöhnlichkeit vielleicht befremden. Aber darin eben besteht der eigenthümliche Vorzug großer poetischer Werke, denen der Genius ihrer Schöpfer eine unvergängliche Lebenskraft eingehaucht hat, daß die auf sie – wie auf das Leben überhaupt – sich beziehenden Anschauungen unendlich mannigfaltig, ja widersprechend, und doch zur selben Zeit gleich richtig sein können. Wie oft ist »Hamlet« kommentirt worden, und wie viel Kommentare sind noch zu erwarten. Zu welchen verschiedenartigen Schlüssen hat nicht das Studium dieses wahrhaft unetschöpflichen Typus geführt! – »Don Quichotte« bietet – wegen des Eigenthümlichen seiner Aufgabe, wegen der wahrhaft großartigen Klarheit der Erzählung, die wie von einer südlichen Sonne durchleuchtet erscheint, wenig Veranlassung zu Erläuterungen. Leider besitzen wir Russen keine gute Uebersetzung des »Don Quichotte«. Die meisten von uns behalten von ihm ziemlich unbestimmte Erinnerungen. Unter dem Worte »Don Quichotte« denken wir uns nichts Anderes, als einen Hanswurst – das Wort »Don Quichotterie« ist bei uns gleichbedeutend mit Unsinnigkeit, während wir dasselbe als ein Symbol höherer Selbstaufopferung – nur von einer komischen Seite aufgefaßt – verstehen sollten. Eine gute Uebersetzung des »Don Quichotte« wäre ein wahrhaftes Verdienst dem Publikum gegenüber; die Dankbarkeit Aller erwartet den Schriftsteller, der uns dieses einzig dastehende Wert in seiner ganzen Schönheit wiedergäbe. – Doch kehren wir zu dem Gegenstande unserer Unterhaltung zurück.

Ich sagte, daß mir das gleichzeitige Erscheinen des »Hamlet« und des »Don Quichotte« von Bedeutung erschienen sei. Es kam mir vor, als wenn in diesen beiden Figuren die beiden fundamentalen, entgegengesetzten Eigenthümlichkeiten der menschlichen Natur ein typisches Dasein gewonnen hätten – die beiden Pole jener Axe, um welche sich das Menschenleben dreht. Es schien mir, als ob alle Menschen mehr oder weniger dein einen oder dem andern dieser beiden Typen unterzuordnen seien, daß fast jeder von uns dem Don Quichotte oder dem Hamlet sich nähere. Freilich, heutzutage giebt es der Hamlete bedeutend mehr als der Don-Quichotte; aber auch die Letzteren haben nicht aufgehört zu existiren.

Erklären wir uns deutlicher.

Alle Menschen leben – bewußt oder unbewußt – kraft ihrer spezifischen Prinzipien, ihrer Ideale, d. h. kraft dessen, was sie als Wahrheit, Schönheit, Güte anerkennen. Die Einen empfangen ihr Ideal als etwas bereits Fertiges, mit bestimmten, historisch entwickelten Formen; sie leben, indem sie ihr Dasein nach diesen Idealen einrichten, wobei es allerdings oft vorkommt, daß sie, unter dem Einflusse der Leidenschaften oder des Zufalls, von demselben adweichen. Immerhin diskutiren sie dasselbe nicht, zweifeln nicht an ihm. Andere dagegen unterwerfen es der Analyse ihres eigenen Denkens. Wie dem auch sei, ich glaube nicht zu irren, wenn ich sage, daß für alle Menschen dieses Ideal, diese Grundlage und dieses Ziel ihrer Existenz entweder außer ihnen, oder in ihnen selbst liegt – mit anderen Worten: für einen jeden von uns nimmt die erste Stelle entweder sein eigenes Ich, oder etwas Anderes, was er als ein Höheres anerkennt, ein. Man könnte mir einwenden, das wirkliche Leben lasse solch’ scharfe Abgrenzungen nicht zu, bei einunddemselben Individuum wechselten diese beiden Anerkennungen, ja könnten sogar bis zu einem gewissen Grade ineinanderfließen. Es ist mir aber auch nicht eingefallen, zu behaupten, daß in der menschlichen Natur Abänderungen und Widersprüche etwas Unmögliches seien; ich wollte blos aus die beiden verschiedenartigen Beziehungen des Menschen zu seinem Ideale hinweisen – und werde setzt bemüht sein, darzulegen: in welcher Weise diese beiden verschiedenartigen Beziehungen nach meinem Ermessen in den von mir gewählten beiden Tvpen verkörpert sind.

Wir beginnen mit Don Quichotte.

Was drückt Don Quichotte an sich aus? Wollen wir ihn nicht mit dem hastigen Blicke betrachten, der sich nur an Oberflächlichkeiten und Details heftet! Wir wollen in Don Quichotte nicht bloß einen Ritter der traurigen Gestalt sehen, eine Figur, die zum Auslachen der alten ritterlichen Romane geschaffen ist. Es ist bekannt, daß die Bedeutung dieser Person sich unter der Hand seines mustergültigen Schöpfers ausgedehnt hat, und daß der Don Quichotte des zweiten Theiles – der liebenswürdige Gesellschafter von Herzögen und Herzoginnen, der weise Lehrer des Waffenträgers vom Gouverneur – daß dieser Don Quichotte nicht mehr derselbe ist, als den er sich uns im ersten Theile des Romans, besonders im Anfange desselben vorgestellt hat – nicht mehr jener seltsame und komische Kauz, der so reichlich mit Hieben versorgt wird. Deshalb wollen wir auch in unserer Betrachtung auf den Grund gehen. – Ich wiederhole: Was drückt Don Quichotte an sich aus? Den Glauben zu allererst; den Glauben an etwas Ewiges, Unerschütterliches, – mit einem Worte an das Wahre, an die Wahrheit, die außerhalb des einzelnen Menschen liegt, die sich ihm nicht leicht darbietet, die da erfordert daß man ihr diene und Opfer bringe; die aber der Beständigkeit des Dienstes und der Macht der Opfer zugänglich ist. Don Quichotte ist von Ergebenheit zu einem Ideal durchdrungen, welchem zulieb er geneigt ist, sich allen möglichen Entsagungen auszusetzen, sein Leben zu opfern. Sein eigenes Leben schätzt er nur insofern, als es als Mittel zur Realisirung des Ideals dienen kann, als Mittel zur Verpflanzung der Wahrheit und der Gerechtigkeit auf die Erde. Man wird mir einwenden, daß seine gestörte Einbildungskraft dieses Ideal aus der phantastischen Welt der ritterlichen Romane geschöpft habe; ich gebe es zu – und eben hierin besteht die Komik der Don-Quichotte’schen Persönlichkeit. Aber das Ideal selbst bleibt trotzdem in seiner ganzen, unversehrten Reinheit. Für sich allein zu leben, nur für sich zu sorgen – das hätte Don Quichotte für schändlich gehalten. Er lebt ganz und gar (wenn man sich so ausdrücken darf) außer sich, für die Anderen, für die Brüder, um das Böse auszurotten, zu wirken gegen die der Menschheit feindlichen Gäste: gegen die Zauberer, die Riesen, d. h. gegen die Unterdrücker. Er besitzt keine Spur von Egoismus, er denkt nicht an sich, er ist durch und durch Selbstaufopferung – beachten Sie nur dieses Wort! – er glaubt, glaubt fest und ohne Hintergedanken. Deshalb ist er auch unerschrocken, geduldig, begnügt sich mit der allerdürftigsten Nahrung, mit der allerarmseligsten Kleidung: er hat keine Zeit, sich um solche Kleinigkeiten zu kümmern. Sanft von Herzen, ist er groß an Geist und kühn; seine rührende Frömmigkeit stört nicht seine Freiheit. Dem Ehrgeiz fremd, hegt er keinerlei Zweifel, weder an sich, noch an seinem Berufe, noch sogar an seinen physischen Kräften. Sein Wille ist ein unerschüttierlicher Wille. Das immerwährende Streben nach einunddemselden Ziele verleiht seinen Gedanken eine gewisse Einförmigkeit, sein Verstand wird einseitig. Er hat wenig Kenntnisse; aber er benöthigt nicht des vielen Wissens: er weiß, um was es sich bei ihm handelt, wozu er auf Erden ist, und dies ist das wichtigste Wissen. Don Quichotte kann entweder als ein vollkommen unsinniger Mensch erscheinen, da die allerzweifelloseste Realität vor seinen Augen verschwindet, zerschmilzt wie Wachs, vom Feuer seines Enthusiasmus (er sieht in Wirklichkeit lebende Mauren in den hölzernen Puppen, Ritter – in den Schafböcken); oder als ein beschränkter Mensch, da er unfähig ist, sowohl leichthin mitzufühlen, als leichthin zu empfinden. Jedoch, gleich einem unverwüstlichen Baume, hat er tief im Boden Wurzel gefaßt, und ist nicht im Stande, weder seiner Ueberzeugung untreu zu werden, noch von einem Gegenstande zu einem andern hinüberzuflattern. Die Stätte seiner moralischen Durchdrungenheit (beachten Sie nur, daß dieser verrückte, umherziehende Ritter das moralischste Geschöpf von der Welt ist!) verleiht allen seinen Urtheilen und Anreden seiner ganzen Figur eine eigenthümliche Macht und Größe, ungeachtet der komischen und erniedrigenden Lagen, in welche er unaufhörlich geräth . . . Don Quichotte ist Enthusiast im Dienste des Ideales, und deshalb auch von dem Glanze desselben umleuchtet.

Was stellt nun aber Hamlet vor?

Analyse – zu allererst, und Egoismus, und deshalb auch Unglauben. Er lebt ganz und gar für sich, er ist Egoist; aber an sich zu glauben – vermag der Egoist nicht. Glauben kann man nur an das, was außer Einem oder über Einem ist. Aber dieses Ich, an das er nicht glaubt, ist ihm theuer. Es ist der Ausgangspunkt, zu welchem er fortwährend wieder zurückkehrt; denn er findet sonst Nichts in der ganzen Welt, woran er sich mit ganzer Seele anheften könnte. Er ist Skeptlker,und immer nur mit sich beschäftigt. Aber nicht mit seinen Pflichten, sondern mit seiner Lage. Alles bezweifelnd, schont Hamlet natürlich auch sich selbst nicht. Sein Verstand ist zu sehr entwickelt, als daß er durch das, was er in sich findet, befriedigt werden konnte. Er erkennt seine Schwäche an, aber jede Selbsterkenntniß ist eine Kraft: daher entsteht seine Ironie – ein Gegensatz zu dem Enthusiasmus bei Don Quichotte. Hamlet schimpft über sich mit Wohlbehagen und Uebertreibung; indem er beständig sich selbst beachtet, immerwährend in sein Inneres hineinsieht, kennt er alle seine Mängel auf das Feinste. Er verachtet sie, er verachtet sich selbst, und zu gleicher Zeit, kann man sagen, existirt er von dieser Verachtung und nährt sich von ihr. Er glaubt nicht an sich – und ist eitel; er weiß nicht recht, was er will und wozu er lebt – und hängt doch am Leben . . . »Oder hätte nicht der Ewige sein Gebot gerichtet gegen Selbstmord!« ruft er in der 2. Scene des I. Aktes aus . . . »O Gott! O Gott! Wie ekel, schaal und flach und unersprießlich scheint mir das ganze Treiben dieser Welt!« Aber er wird dieses schaale und unersprießliche Leben nicht opfern. Er denkt an den Selbstmord noch vor dem Erscheinen des Geistes seines Vaters, noch vor jenem, schrecklichen Auftrage, der seinen ohnedies schon gelähmten Willen vollkommen vernichtet – aber er wird sich nicht umbringen. Die Liebe zum Leben äußert sich schon in dem Denken an das Aufhören desselben: allen achtzehnjährigen Jünglingen sind solche Gefühle bekannt.

»Das kocht das Blut, das ist der Kräfte Ueberfluß.« Ader wir wollen nicht zu streng gegen Hamlet sein: er leidet; und seine Leiden sind schmerzhafter und ätzender als die Don Quichotte’s. Jenen schlagen grobe Hirten oder Verbrecher, die durch ihn ihre Freiheit wiedergewinnen; Hamlet fügt sich selbst Wunden zu, er martert sich selbst. Auch in seinen Händen befindet sich ein Schwert: das zweischneidige Schwert der Analyse.

Don Quichotte, wir müssen es gestehen, ist unbedingt lachenerregend. Seine Figur ist vielleicht die allerkomischste, die je ein Dichter gemalt hat. Sein Name ist sogar im Munde des russischen Bauern zum Spottnamen geworden. Ich hatte Gelegenheit, mich davon mit eigenen Ohren zu überzeugen. Wir brauchen nur an ihn zu denken, um sofort in unserer Vorstellung eine hagere, eckige, buckelnasige Figur heraufzubeschwören, in einen karikirten Panzer geschnürt, sitzend auf dem hinfälligen Gerippe eines kläglichen Rosses – jener unglückseligen, immer hungernden und geprügelten Rosinante, der man eine gewisse, halb spaßige, halb rührende Theilnahme nicht versagen kann. Don Quichotte ist lachenerregend . . . unter unserm Spott aber birgt sich ein versöhnendes und gleichzeitig sühnendes Geständniß – und wenn mit Recht gesagt wird: »was du verlachst, dem wirst du noch dienen«, so kann man hinzufügen: wen du verspottest, dem hast du verziehen, den kannst du sogar noch liebgewinnen. Hamlets Aeußeres dagegen ist anziehend. Seine Melancholie, sein blasses, obwohl nicht abgezehrtes Aussehen (seine Mutter bemerkt, daß er fett sei – »our son is fat«) seine schwarze Sammetkleidung, die Feder auf dem Hute, sein elegantes Benehmen, die unbezweifelte Poesie seiner Sprache, das ihn nie verlassende Gefühl des Vorzugs vor allen andern Menschen neben der giftigen Freude an seiner Selbsterniedrigung – Alles gefällt an ihm, Alles bezaubert. Jeder fühlt sich geschmeichelt, ein Hamlet genannt zu werden, Niemandem würde es angenehm sein, den Beinahmen »Don Quichotte« verdient zu haben. »Hamlet Baratinsky« – so schreibt Puschkin an seinen Freund. Ueber Hamlet sich lustig zu machen, würde Niemandem einfallen; und darin liegt eben seine Verurtheilung: ihn zu lieben, ist fast unmöglich. Nur solche Menschen, die Horatio ähnlich sind, sind im Stande, eine Anhänglichkeit an ihn zu gewinnen. Wir werden von solchen Menschen später noch reden. Theilnahme schenkt ihm Jedermann, und das ist auch verständlich: fast ein Jeder findet bei ihm seine eigenen Züge. Aber ihn lieben – ich wieder- hole es – ist unmöglich, weil er selbst Niemanden liebt.

Hamlet und Don Quichotte

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