Читать книгу Zwei Freunde - Иван Тургенев - Страница 1

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Es war im Frühjahr 184., als Boris Andrejitsch Wjasownin, ein junger Mann von etwa 26 Jahren, auf seinem Erbgute eintraf, das in einem der Gouvernements des mittleren Rußlands gelegen war. Er hatte sich kurz vorher vom Amte zurückgezogen – »häuslicher Verhältnisse wegen« – und wollte sich nun der Verwaltung seines Gutes widmen. Dieser Gedanke war freilich an und für sich sehr lobenswert, doch Boris Andrejitsch war, wie es übrigens nur zu oft der Fall ist, ganz gegen seinen Willen auf ihn gekommen. Seine Einkünfte verminderten sich nämlich von Jahr zu Jahr, wogegen die Schulden immer mehr heranwuchsen. Er hatte daher schließlich die Ueberzeugung gewonnen, daß es ihm doch unmöglich sein würde, seine Beamten-Carriere fortzusetzen und in der Residenz zu leben, d.h. so zu leben, wie er es bisher gewohnt gewesen. Und so hatte er sich denn beklommenen Herzens entschlossen, einige Jahre der Aufbesserung seiner »häuslichen Verhältnisse« zu widmen – ein Plan, der eben sein plötzliches Erscheinen in der ländlichen Einöde veranlaßte.

Wjasownin fand sein Gut in einem zerrütteten Zustande vor, die Meierei verwahrlost, das Haus fast in Trümmer gesunken. Er gab dem bisherigen Starosta1 den Abschied, ersetzte ihn durch einen andern und reducirte die Gehälter der Dienerschaft. Für sich selber ließ er zwei oder drei Zimmerchen in Ordnung bringen und das Dach an den Stellen, durch welche der Regen in das Innere des Hauses freien Zutritt fand, neu verschalen. Er ergriff vorläufig keine durchgehenderen Maßregeln und ließ sich vor der Hand in keine Reformen ein, scheinbar von dem einfachen Gedanken ausgehend, daß man zu allererst dasjenige genauer kennen lernen müsse, was man zu vervollkommnen beabsichtige. Er schickte sich an, seine Wirthschaft näher zu studiren und den Sachen auf den Grund zu gehen. Jedoch mußte man gestehen, daß er diese Aufgabe ohne besonderen Eifer und Eile betrieb. Nicht gewöhnt aus dem Lande zu leben, empfand er eine überwältigende Langeweile und wußte oftmals nicht, auf welche Weise er die langen Tage ausfüllen sollte. Nachbarn hatte er wohl in ziemlicher Anzahl; jedoch unterhielt er mit ihnen keine Bekanntschaft. Nicht etwa, daß er sie mied, sondern weil sich ihm keine Gelegenheit bot, in nähere Beziehungen zu ihnen zu treten. Endlich, als schon der Herbst herangekommen war, gelang es ihm, die intimere Bekanntschaft eines seiner nächsten Nachbarn zu machen. Derselbe hieß Peter Wassiljewitsch Krupitzin. Er hatte früher in einem Kavallerieregiment gedient, und hatte als Rittmeister seinen Abschied genommen. Zwischen den Bauern Krupitzin’s und denen Wjasownin’s existirte seit uralten Zeiten ein Streit betreffs einer Heuwiese von etwa 2½ Djessatinen. Dieser Streit pflegte nicht selten in Schlägereien auszuarten, wenn z.B. die eine Partei versuchte, heimlich aus dem streitigen Gebiete Heu herüberzuschmuggeln und dabei von Leuten der andern Seite ertappt wurde. Daraus entstanden jedesmal Unannehmlichkeiten, und der Streit hätte wahrscheinlich noch lange fortgedauert, wenn nicht Krupitzin, nachdem er aufgrund näherer Erkundigungen über die friedfertigen Gesinnungen seines Nachbarn nicht in Zweifel sein durfte, den Entschluß gefaßt hätte, zu ihm hinüberzufahren und persönlich diese Angelegenheit zu schlichten. Die Unterredung hatte die besten Erfolge. Erstens wurde der Streite ein für alle mal, und zwar zu beiderseitiger Zufriedenheit, ein Ende gemacht; zweitens aber gefielen sich die Herren gegenseitig, fingen von dieser Zeit an sich öfter zu sehen, und bis zur Winterszeit hatten sie sich derart genähert, daß sie fast unzertrennlich wurden.

Und nichts destoweniger waren diese Herren sehr wenig für einander geschaffen. Wjasownin, obwohl zur Zeit nicht in glänzenden Verhältnissen, stammte von reichen Eltern, hatte eine gute Erziehung erhalten und auf der Universität studirt; er verstand mehrere Sprachen, hatte eine gewisse Vorliebe fürs Lesen und konnte überhaupt Ansprüche auf Bildung machen. Krupitzin dagegen konnte nur mit Noth einen französischen Satz zustande bringen, pflegte nur in den äußersten Fallen ein Buch zur band zu nehmen und gehörte überhaupt in die Kategorie der ungebildeten Leute. Auch in ihrem Aeußeren bekundeten Beide sehr wenig Aehnlichkeit. Wjasownin war mehr von schlankem Wachse, hager, blond und näherte sich dem englischen Typus. Er hielt sehr viel aus Sauberkeit und pflegte mit besonderer Sorgfalt seine Hände; auch kleidete er sich mit Eleganz und liebte es dabei vornehmlich, mit feinen Cravatten zu paradiren, ganz nach den Gewohnheiten eines flotten Residenzbewohners. Krupitzin hingegen war von niederem Wuchse, hochschultrig, hatte braune Gesichtsfarbe und schwarze Haare. Sommer und Winter pflegte er eine Art von Sackpaletot aus broncefarbenem Tuche zu tragen, mit weitabstehenden Taschen; »diese Farbe gefällt mir deshalb pflegte er zu sagen, »weil sie echt ist und nicht ausgeht.« Die Tuchfarbe war auch wirklich dauerhaft, aber dafür das Tuch selbst schon ziemlich schmutzig. Wjasownin aß gut und sprach gern davon, wie angenehm es sei, gut zu essen, und was das heiße, in der Eßkunst bewundert zu sein. Krupitzin verzehrte Alles, was ihm aufgetragen wurde, sobald es ihm nur der Mühe werth schien, sich dabei aufzuhalten. Stieß er auf Kohlsuppe und Ganze – so ließ er sie sich mit Wohlgefallen hinter einander schmecken. Wurde ihm deutsche Wassersuppe aufgetragen, so griff er mit demselben Appetit nach ihr; fand er aber daneben auch Grütze vor, so legte er sich in den Teller auch Grütze – und es mundete ihm recht gut. Kwaß liebte er – nach seinem eigenen Ausdrucke – wie seinen leiblichen Vater; dagegen hatte er einen Abscheu vor französischen Weinen, besonders vor den rothen, und nannte sie Essigwasser. Ueberhaupt war Krupitzin weit entfernt davon, wählerisch zu sein, während Wjasownin es so weit trieb, daß er sogar seine Sacktücher zweimal des Tages wechselte. Mit einem Worte, unsere Freunde hatten, wie schon oben bemerkt, sehr wenig mit einander gemein. Nur Eins war ihnen beiden zugleich eigen: sie waren, so zu sagen gute Kerle, brave biedere Leute. Krupitzin war schon so von Geburt aus, Wjasownin hatte sich erst später in sein jetziges Wesen hineingelebt. Außerdem zeichneten sich Beide noch durch eine Eigenthümlichkeit aus; weder der Eine noch der Andere konnte sich einer leidenschaftlichen Vorliebe für Etwas rühmen, d. h. es war für sie Beide Nichts vorhanden, an dem sie etwa mit Gluth und Hingebung hingen. – Noch bleibt schließlich zu bemerken übrig, daß Krupitzin 6 bis 8 Jahre älter war, als sein Nachbar.

Ihre Tage verbrachten sie ziemlich einförmig. Gewöhnlich des Morgens, jedoch nicht allzufrüh, so etwa gegen 10 Uhr, saß Boris Andrejitsch am Fenster, in seinem prachtvollen aufgeknüpften Schlafrocke, frisirt, gewaschen und in einem schneeweißen Hemde mit einen Buche vor sich und einer Tasse Kaffee in der Hand. Die Thür pflegte sich dann bald zu öffnen und auf der Schwelle erschien Peter Wassiljewitsch in seinem üblichen nachlässigen Aussehen. Sein Dörfchen war etwa eine halbe Werst von Wjasowna (so hieß nämlich das Gut von Boris Andrejitsch) entfernt. Sehr oft übrigens übernachtete Peter Wassiljewitsch bei Boris Andrejitsch.. »Ah, guten Morgen«, riefen sie sich dann gleichzeitig zu. – »Nun, wie haben Sie geschlafen?« – Dann trat ein etwa 15 jähriger Knabe, Fedjuschka mit Namen, im Kosakenanzug vor, bei dem sogar die Haare, die wie bei einer Streitschnepfe im Frühling sich in die Höhe sträupten, ein schläfriges Aussehen hatten; er schleppte den Schlafrock von Peter Wassiljewitsch aus bucharischem Zeuge herbei. Und Peter Wassiljewitsch brachte einen eigenthümlichen Laut hervor, zog den Schlafrock an und machte sich an den Thee und die Pfeife. Alsdann begann die Unterhaltung – es war kein lebhaftes Gespräch, das sie unterhielten – ein Gespräch, oft stockend mit Pausen und Pausen. Sie unterhielten sich vorn Wetter, vorn gestrigen Tage, von den Landarbeiten und Getreidepreisen. Sie sprachen auch von den benachbarten Gutsbesitzern und Gutsbesitzerinnen. In den ersten Tagen nach seiner Bekanntschaft mit Boris Andrejitsch hielt es Peter Wassiljewitsch für seine Pflicht und freute sich sogar der Gelegenheit, ihn über das Residenzleben zu befragen, über wissenschaftliche Angelegenheiten und Bildungssachen – mit einem Worte, über erhabene Gegenstände. Die Antworten von Boris Andrejitsch amüsirten ihn und erregten oftmals seine Verwunderung und Aufmerksamkeit; jedoch brachten sie bei ihm gleichzeitig eine Art von Abspannung hervor, so daß dann gewöhnlich einige Zeit lang alle derartigen Gespräche ganz und gar aufhörten. Uebrigens bekundete auch seinerseits Boris Andrejitsch keine besondere Lust, dieselben zu erneuern. Dann und wann jedoch pflegten sie dieselben wieder aufzunehmen. Es kam z.B. vor – wenn auch nicht allzuoft, – daß Peter Wassiljewitsch plötzlich eine Frage aufstellte, wie etwa: was denn eigentlich der elektrische Telegraph für ein Ding sei? Nachdem er in solchen Fällen die nicht gerade leicht faßliche Erklärung von Baris Andrejitsch angehört hatte, pflegte er nach einer kleinen Pause zu bemerken: »Ja, ein wunderbares Ding!« Und lange nachher brachte er keine gelehrten Fragen mehr aufs Tapet. Zum größten Theile hatten ihre Unterhaltungen etwa folgenden Charakter. Peter Wassiljewitsch z.B. macht einen Zug aus der Pfeife und fragt, den Rauch durch die Nase blasend:

– Was haben Sie da für ein neues Mädchen, Boris Andrejitsch? Ich begegnete ihr auf der Hintertreppe.

Boris Andrejitsch bringt seine Cigarre an den Mund, raucht zwei, drei Züge hintereinander, und einen Schluck von seinem kalten, weißgemachten Thee einschlürfend, antwortet er:

– Was für ein neues Mädchen meinen Sie denn?

Peter Wassiljewitsch beugt sich ein wenig seitwärts, und, durch das Fenster nach dem Hof hinaus schauend, wo der Hund in diesem Augenblicke einen barfüßigen Jungen bei den Waden packt, erwiedert er:

– So ein blondköpfiges Mädchen. . . sonst nicht übel.

– Acht – antwortet nach einer Pause Boris Andrejitsch – das ist meine neue Wäscherin.

– Wo kommt sie denn her? fragt wiederum Peter Wassiljewitsch halb verwundert.

– Aus Moskau. Sie war dort in der Lehre.

Und Beide schweigen.

– Wie viel haben Sie denn im Ganzen Wäscherinnen, Boris Andrejitsch? – läßt sich von Neuem Peter Wassiljewitsch vernehmen, mit Aufmerksamkeit den Tabak betrachtend, der mit einem trockenen Knistern unter der Asche der angebrannten Pfeife aufsprüht.

– Drei, – antwortete Boris Andrejitsch.

– Drei! Und ich habe nur eine Einzige. Und auch diese hat fast Nichts zu thun. Bei mir, Sie wissen ja, giebt es nicht viel zu waschen.

– So, so! – antwortet Boris Andrejitsch.

Und die Unterhaltung nimmt damit auf einige Zeit ein Ende.

Unter solchen Gesprächen pflegte der Morgen zu verstreichen und man erreichte die Frühstücksstunde. Peter Wassiljewitsch legte viel Gewicht auf das Frühstück und behauptete daß die zwölfte Stunde grade diejenige Tageszeit sei, wo der Mensch Appetit bekomme. Und wirklich: er aß zu dieser Stunde mit solcher Heiterkeit, mit einem so gesunden und angenehmen Wohlbehagen, daß auch ein Deutscher seine Freude daran gehabt haben würde. So pflegte Peter Wassiljewitsch regelrecht sein Frühstück einzunehmen. Boris Andrejitsch aß weniger. Er begnügte sich gewöhnlich mit einem wenig Fricassee von Huhn, mit zwei oder drei weichgekochten Eiern nebst Butter und irgend einem englischen Dessert aus einem wunderlich geformten und patentirten Gefäße, für welches er viel Geld gezahlt hatte, und das er eigentlich abscheulich fand, obwohl er in der Regel versicherte, daß er ohne dasselbe keinen Bissen in den Mund nehmen könnte. Nach dem Frühstück gingen die beiden Freunde bei schönem Wetter bis Mittag aus; sie besichtigten die Wirthschaft oder spazierten, schauten zu, wie die jungen Pferde eingefahren wurden u.s.w. Manchmal gelangten sie bis zum Dorfe Peter Wassiljewitsch’s und traten dann zuweilen in sein Häuschen ein.

Dieses Häuschen war klein und baufällig. Es glich eher einer ganz gewöhnlichen Bauernhütte, als dem Wohnsitze eines Gutsherrn. Auf dem Strohdache, welches durch und durch von Sperlings- und Dohlennestern durchlöchert war, wuchs grünes Moos. Von zwei Eschenblöcken, die einst oben in die Wand nebeneinander eingesetzt waren, hatte sich der eine nach außen gesenkt, während sich der andere ganz und gar nach unten neigte und in den Boden hineinwuchs. Mit einem Worte. das Haus Peter Wassiljewitsch’s sah elend aus, sowohl von außen, als von innen. Aber Peter Wassiljewitsch machte sich nicht viel daraus. Als Junggeselle und anspruchsloser Mensch kümmerte er sich wenig um die Bequemlichkeiten des Lebens, und war schon damit zufrieden, daß er überhaupt einen Winkel besaß, wo er sich zur Noth vor Regen und Kälte schützen konnte. Seine Wirthschaft versah die Haushälterin Macedonia. eine Frau in mittleren Jahren, die seht arbeitsam und sogar ehrlich war, aber unglückselige Hände besaß. Nichts wollte ihr gelingen. Nahm sie ein Geschirr zur Hand, so zerbrach es in Stücke, die Wäsche bekam Risse, die Speisen kamen entweder roh oder angebrannt aus der Pfanne. Peter Wassiljewitsch hatte sie mit dem Namen Caligula beehrt.

Von Natur gastfreundlich hatte Peter Wassiljewitsch gern Gäste bei sich und bewirthete sie trotz der Spärlichkeit seiner Mittel aufs Beste. Besonders war er in dieser Richtung geschäftig während der Besuche Boris Andrejitsch’s. Aber Dank seiner Macedonia, die vor lauter Eifer immer Hals über Kopf einherlief, fielen die Aufwartungen stets ziemlich schlecht aus und beschränkten sich meistentheils auf ein Stück gedörrten, alt gewordenen Störrückens und ein Gläschen Bittern, von welch letzterem sich Peter Wassiljewitsch gewöhnlich sehr richtig ausdrückte, daß er recht gutgegen den Magen sei. Nach dem Spaziergange pflegten beide Freunde zu Boris Andrejitsch zurückzukehren, und sie speisten nun, ohne sich zu beeilen. Wenn sie sich dann in einer Weise restaurirt hatten, als ob dein Mittag kein Frühstück vorangegangen wäre, begab sich Peter Wassiljewitsch nach einem einsamen Winkel und hielt dort sein Mittagschläfchen, das gewöhnlich zwei, drei Stunden in Anspruch nahm. Boris Andrejitsch war unterdessen mit der Lektüre ausländischer Zeitungen beschäftigt. Des Abends kamen die Freunde wieder zusammen: ihre Freundschaft war eben derart, daß sie sich nicht trennen konnten! Manchmal spielten sie Prèfèrence; wenn nicht, so unterhielten sie sich in derselben Weise wie am Morgen. Es kam auch mitunter vor, daß Peter Wassiljewitsch die Guitarre von der Wand herunterholte und zu ihr diese oder jene Romanze mit ziemlich angenehmer Tenorstimme sang. Peter Wassiljewitsch liebte die Musik sehr, viel mehr, als es bei Boris Andrejitsch der Fall war, der indessen den Namen Beethoven’s nicht ohne Entzücken aussprechen konnte und sich immer vornahm, ein Clavier aus Moskau zu bestellen. In den Augenblicken, wo ihn Mißmuth und Niedergeschlagenheit unwandelten, hatte Peter Wassiljewitsch die Gewohnheit, eine Romanze vorzutragen, die sich auf seine Dienstzeit im Regiment bezog. Mit besonderem Ausdruck und etwas näselnd pflegte er dann folgende Verse vorzutragen:

Kein Franzose briet uns Essen,

Wackerer Djentschik, habe Dank!

Redekampf war längst vergessen,

Kleine Catalani sang;

Hörnertöne signalirten

Und Feldwebel rapportirten.


Boris Andrejitsch accompagnirte seinen Freund dann und wann, seine Stimme war aber nicht wohlklingend, und er sang falsch. Gegen zehn Uhr, manchmal auch schon früher, gingen die Freunde auseinander – und am darauf folgenden Tage ging es von neuem los, nach demselben Programm.

Eines Tages, wie gewöhnlich etwas zur Seite gebeugt und Boris Andrejitsch gegenüber seinen Platz einnehmend, warf Peter Wassiljewitsch einen besonders aufmerksamen Blick auf ihn und äußerte sich, ihn sinnend im Auge behaltend:

– Nur Eins befremdet mich an Ihnen, Boris Andrejitsch.

– Und das wäret – fragte Jener.

– Nun, ich sag’s Ihnen Sie sind jung, klug, gebildet – was Teufel, hocken Sie da im Dorfe?

Boris Andrejitsch sah seinen Nachbar verwundert an.

– Sie wissen ja, Peter Wassiljewitsch, – sagte er endlich – daß, wenn nicht meine Umstände . . . meine Umstände sind es, die mich dazu nöthigen, Peter Wassiljewitsch.

– Die Umstände? Ihre Umstände sind einstweilen noch nicht so arg. Ihr Gut kann schon seinen Mann ernähren. Treten Sie in den Dienst ein.

Und nach einer kurzen Pause setzte er hinzu:

– Ich an Ihrer Stelle würde in ein Ulanenregiment eintreten.

– In ein Ulanenregiment? Und weshalb grade in ein solches?

– Hm! weil es mich dünkt, daß es dort am anständigsten für Sie wäre.

– Aber erlauben Sie. Sie selbst waren ja Husar!

– Ich? Freilich, ich habe als Husar gedient – erwiederte mit Lebhaftigkeit Peter Wassiljewitsch. – Und was für ein Regiment war das! Ein zweites derart finden Sie in der ganzen Welt nicht mehr! Ein goldenes Regiment war es! Die Vorgesetzten, die Kameraden – alles prächtige Leute! Für Sie jedoch . . . wahrlich . . . für Sie wäre es nach meiner Ansicht doch besser, zu den Ulanen zu gehen. Sie haben blondes Haar, eine nette Taille – Alles spricht dafür.

– Aber erlauben Sie, Peter Wassiljewitsch. Sie vergessen, daß ich mich den militärischen Vorschriften unterwerfen und den Anfang mit dem Junkerrang machen müßte. In meinen Jahren wäre dies etwas schwierig. Ich glaube sogar, daß es unstatthaft ist!

– Ja, dass ist wahr – erwiederte Peter Wassiljewitsch, und ließ die Augen sinken. – Nun, – in diesem Falle heirathen Sie! – sagte er plötzlich, den Kopf erhebend.

– Sie haben aber heute ganz wunderliche Gedanken! – rief Boris Andrejitsch aus.

– Weshalb denn wunderliche? Sagen Sie nur selbst: Heißt denn das leben? Was warten Sie denn noch ab? Sie versäumen Ihre Zeit. Ich möchte nur wissen, was für einen Nutzen Sie von Ihrem Nichtheirathen haben könnten.

– Aber es handelt sich ja hier nicht um Nutzen. – begann Boris Andrejitsch.

– Nein, entschuldigen Sie, – unterbrach ihn Peter Wassiljewitsch, indem er sich ganz unerwartet ereiferte – es ist wahrlich ganz wunderbar, wie heutzutage die jungen Leute vor dem Ehestande zurückschrecken. Ich kann es mir gar nicht erklären! Sie, Boris Andrejitsch, Sie sollten daraus nicht achten, daß ich selbst unverheirathet bin. Ich habe vielleicht auch heirathen wollen und mich auch beworben aber, es wurde mir eine Nase gedreht.

Bei diesen Worten spreizte Peter Wassiljewitsch die Finger seiner rechten Hand auseinander und bewegte den Daumen gegen die Nase.

– Aber mit Ihren Vorzügen – wie sollte man damit nicht heirathen?

Boris Andrejitsch sah ihn nachdenkend an.

– Ist es etwa ein Glück, Junggeselle zu sein? – fuhr Peter Wassiljewitsch fort. Wahrhaftig, die heutige Jugend kommt mir ganz sonderbar vor.

Und Peter Wassiljewitsch klopfte mit Verdruß seine Pfeife aus, indem er mit dem Kopf gegen den Arm des Sessels schlug und dann mit Eifer durch das Rohr blies.

– Aber wer hat Ihnen denn eigentlich gesagt, Peter Wassiljewitsch, daß ich nicht die Absicht hätte, zu heirathen? – bemerkte zögernd Boris Andrejitsch.

Peter Wassiljewitsch hatte soeben in seinen aus carmoisinrothem Sammet genähten, mit Flimmern verzierten Tabaksbeutel die Finger gesteckt – bei diesen Worten hielt er bewegungslos inne.

– Ja wohl! – sagte Boris Andrejitsch fortfahrend – ich bin bereit zu heirathen. Schaffen Sie mir eine Braut, und ich heirathe.

– Sie meinen es ernst?

– Ganz ernst!

– Aber wirklich, allen Scherz bei Seite! – Auf Ehre . . . im Ernst?

– Sie sind aber ein eigenthümlicher Mensch, Peter Wassiljewitsch! Nun gut! Auf Ehre – ich spaße nicht!

Peter Wassiljewitsch stopfte seine Pfeife zu Ende.

– Denken Sie an Ihr Versprechen, Boris Andrejitsch! Für eine Braut wird schon gesorgt sein.

– Gut! – erwiederte Boris Andrejitsch – Aber sagen Sie mir, weshalb wollen Sie mich denn eigentlich verheirathen?

– Deshalb, weil Sie, wie ich sehe, nicht dazu gemacht sind, Ihr Leben beschäftigungs- und zwecklos dahinzubringen.

Boris Andrejitsch lächelte.

– Es schien mir bisher, daß ich im Gegentheil in dieser Beziehung ein Meister sei.

– Sie haben mich nicht recht verstanden – antwortete Peter Wassiljewitsch, und gab dem Gespräche eine andere Wandung.

Zwei bis drei Tage später erschien Peter Wassiljewitsch bei seinem Nachbar, nicht in seinem gewöhnlichen Sackpaletot, sondern im schwarzblauen Rock mit hoher Taille, ganz kleinen Knöpfen und langen Aermeln. Sein Schnurrbart war von der Bartwichse steif und schwarz; das Haar, von der Stirn in Form zweier Würstchen steil aufgewickelt, glänzte grell von Pomade. Ein großes seidenes Halstuch schnürte seinen Hals fest zusammen und verlieh dem ganzen oberen Theile seines Körpers eine feierliche Steifheit und ein festliches Aussehen.

– Ader was soll denn diese Toilette bedeuten? – fragte Boris Andrejitsch.

– Diese Toilette hat die Bedeutung – antwortete Peter Wassiljewitsch, wobei er sich langsam und nicht mit der sonst gewohnten Ungezwungenheit auf einen Stuhl niederließ – daß Sie den Befehl ertheilen sollen, vorzufahren. Wir fahren.

– Wohin denn?

– Zur Braut.

– Zu welcher Braut?

– Sie scheinen unser Gespräch von letzthin vergessen zu haben?

Boris Andrejitsch lachte auf; im Innern aber fühlte er sich beklommen.

– Aber, Peter Wassiljewitsch, es war ja nur Spaß!

– Spaß? Wie vermochten Sie aber damals zu schwören, daß sie nicht spaßen? Nein, Baris Andrejitsch, nehmen Sie mir es nicht übel, aber Ihr Wort müssen Sie halten. Ich habe schon die nöthigen Anstalten getroffen.

Boris Andrejitsch wurde immer stutziger.

– Was sollen denn das für Anstalten sein? fragte er.

– O, seien Sie nur ruhig . . . Was denken Sie denn von mir! Ich habe blos eine unserer Nachbarinnen, eine höchst liebenswürdige Persönlichkeit, benachrichtigt, daß wir die Absicht hätten, ihr heute unsere Aufwartung zu machen.

– Wer ist diese Nachbarin?

– Sie werden es schon erfahren – nur keine Eile! Kleiden Sie sich zunächst an, und geben sie den Befehl zum Anspannen.

Boris Andrejitsch sah sich unentschlossen um.

– Aber, Peter Wassiljewitsch, wozu dies Alles? Sehen Sie nur, was für ein Wetter heute ist!

– Das Wetter macht nichts. Es ist immer so.

– Haben wir weit zu fahren?

– Gegen fünfzehn Weist im Ganzen.

Boris Andrejitsch schwieg ein wenig.

– Wollen wir nicht wenigstens erst frühstücken?

– Frühstücken! – Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Wissen Sie was. Boris Andrejitsch? Sie beschäftigen sich mit Ihrer Toilette, und ich werde inzwischen das Nöthige bestellen – ein Schnäpschen und etwas Caviar. Es dauert in nicht lange; und bei unserer Wittwe werden wir uns schon satt essen. Seien Sie nur unbesorgt!

– Ist sie denn Wittwe? – fragte Boris Andrejitsch, nochmals sich umwendend, nachdem er sich bereits seinem Cabinet genähert hatte.

Peter Wassiljewitsch schüttelte mit dem Kopfe.

– Sie werden schon sehen! Sie werden schon sehen! Boris Andrejitsch entfernte sich und schloß die Thür hinter sich ab, während Peter Wassiljewitsch im Zimmer zurückblieb und Wagen und Frühstück bestellte.

Boris Andrejitsch war lange mit seinem Ankleiden beschäftigt. Peter Wassiljewitsch hatte schon, ein finsteres Gesicht machend, das zweite Glas zu sich genommen, als endlich Boris Andrejitsch wieder auf der Schwelle seines Cabinets erschien. Er hatte viel Sorgfalt aus seine Toilette verwendet. Er trug einen modisch zugeschnittenen bequemen, schwarzen Rock, dessen mattes Dunkel von den hellgrauen Beinkleidern angenehm abstach. Dazu gesellten sich ein schmales, schwarzes Halstuch und eine zierliche, dunkelblaue Weste. Eine goldene Kette, mit dem Haken in das letzte Knopfloch befestigt, verlor sich bescheiden in dem Seitentäschchen. Die feinen Stiefel knarrten mit Noblesse. Bei seinem Erscheinen verbreitete sich ein Duft von Eß-Bouquet und der Geruch nach frischer Wäsche. Peter Wassiljewitsch vermochte nur noch ein »ah!« hervorzustoßen und griff dann sofort nach seiner Mütze.

Boris Andrejitsch zog aus seine Linke einen Glaciéhandschuh, nachdem er ihn zuerst behaucht hatte; dann schenkte er sich mit derselben, leicht zitternden Hand ein Gläschen voll und setzte es an den Mund, griff endlich ebenfalls zum Hut und begab sich mit Peter Wassiljewitsch in das Vorzimmer.

– Ich thue es nur Ihnen zulieb, sagte Boris Andrejitsch, in den Wagen steigend.

– Geben wir zu, es wäre mir zulieb! – antwortete Peter Wassiljewitsch, auf den augenscheinlich die elegante Ausstattung seines Freundes einen bedeutenden Eindruck gemacht hatte. – Wer weiß – vielleicht werden Sie mir später dankbar sein.

Er erklärte nun dem Kutscher, wohin er zu fahren habe. Der Wagen rollte davon.

– Wir begeben und zu Sofia Kirillowna Sadnjeprowskaja, – sagte endlich Peter Wassiljewitsch nach einer längeren Pause, während welcher unsere beiden Freunde unbeweglich wie Steinsäulen nebeneinander gesessen hatten. – Haben Sie schon von ihr gehört?

– Ich glaube, – ja – erwiederte Boris Andrejitsch – Ist es etwa die welche Sie für mich erwählt haben?

– Und weshalb denn auch nicht? Sie ist eine Frau von ausgezeichnetem Verstande, besitzt Vermögen, hat feine Manieren, man könnte sagen, Manieren, wie sie Eine aus der Residenz besitzt. Uebrigens, sehen Sie sich die Dame selbst an – Sie übernehmen ja keine Verpflichtungen . . .

– Das hoffe ich! – erwiederte Boris Andrejitsch. – Wie alt wird sie sein?

– Fünf- bis siebenundzwanzig Jahre schätze ich. Jedenfalls nicht älter. Grade in den blühendsten Jahren!

Bis zum Gute von Frau Sadnjeprowskaja waren es nicht 15, sondern gehörige 25 Weist, sodaß Boris Andrejitsch zuletzt tüchtig fror und fortwährend sich abmühte, sein von der Kälte geröthetes Näschen in den Biberkragen seines Mantels zu vergraben. Peter Wassiljewitsch fürchtete sich überhaupt nicht vor der Kälte, besonders aber dann nicht, wenn er sein Festgewand anhatte. In diesem Falle schwitzte er vielmehr. – Die Meierei von Frau Sadnjeprowskaja wurde repräsentirt durch ein neues weißes Hans mit grünem Dache, eine Villa in städtischer Bauart, an die sich ein kleines Gärtchen und ein Hofraum anschlossen. In der Umgegend von Moskau sind solche Häuschen öfter anzutreffen, in der Provinz werden sie jedoch viel seltener. Man bemerkte an Allem, daß die Frau Gutsbesitzerin sich noch nicht lange hier niedergelassen hatte. Unsere Freunde stiegen aus dem Wagen. Auf der Treppe wurden sie von einem Diener empfangen, der in erbsengrüne Beinkleider und einen grauen rund abgestutzten Frack mit Bronceknöpfen gekleidet war. Im Vorzimmer, das recht nett aussah und eine Schlafbank enthielt, kam ihnen ein eben solcher Diener entgegen. Peter Wassiljewitsch ließ sich und seinen Freund bei der Herrin anmelden. Der Diener aber begab sich nicht erst zur Herrin, sondern antwortete auf der Stelle, daß die gnädige Frau bereit sei, die Herren zu empfangen.

Die Gäste schritten vorwärts und traten durch das Eßzimmer, in welchem ein Canarienvogel fast zum Betäuben schmetterte, in das Gastzimmer ein. Es war mit Möbeln nach modernstem russischem Geschmack ausgestattet. Die Stühle waren äußerst gekünstelt und gewunden. Ihre Bauart sollte dem Sitzenden besondere Bequemlichkeit bieten – ein Vorwand, der in Wirklichkeit natürlich keine Bewahrheitung erfuhr. Es verstrichen keine zwei Minuten, als sich im Nebengemach das Rauschen eines seidenen Kleides vernehmen ließ. Die Portière ging auseinander und die Wirthin trat mit lebhaften Schritten in das Zimmer ein. Peter Wassiljewitsch machte ein paar Verbeugungen und führte Boris Andrejitsch auf sie zu.

– Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen – sagte ungezwungen die Wirthin, indem sie ihn rasch mit ihren Blicken musterte. – Ich bin Peter Wassiljewitsch sehr verbunden für die Gelegenheit, eine so angenehme Bekanntschaft anzuknüpfen. Bitte die Herren, Platz zu nehmen!

Die Frau des Hauses setzte sich, mit dem Kleide rauschend, auf ein niederes Sopha, lehnte sich an seine Rückwand streckte die Füßchen, die mit sehr netten Halbstiefeln angethan waren, etwas vor und kreuzte die Hände. Sie trug ein grünseidenes Kleid, das sich, streifenweise wiederkehrend, in lichtere Farben abtönte und mehrreihig besetzt war.

Boris Andrejitsch setzte sich ihr gegenüber in einen Lehnstuhl. Peter Wassiljewitsch nahm in einiger Entfernung Platz. Die Unterhaltung nahm ihren Anfang. Boris Andrejitsch studirte aufmerksam sein vis-à-vis. Sie war eine Frau von schlankem Wachse und äußerst sittlicher Taille, etwas bräunlich von Gesichte, aber sonst wirklich hübsch. Der Ausdruck ihres Gesichtes und besonders der großen, glänzenden Augen, die sich nach außen zu wie bei den Chinesen, ein wenig in die Höhe zogen, zeigte eine eigenthümliche Mischung von Kühnheit und Schüchternheit, und konnte unmöglich auf Natürlichkeit Anspruch machen. Bald kniff sie die Augen zusammen bald öffnete sie dieselben unerwartet weit. Aus ihren Lippen spielte unaufhörlich ein Lächeln, welches sich den Anschein von Gleichgültigkeit zu geben suchte. Alle ihre Bewegungen waren ungezwungen, fast übermüthig. Uebrigens machte ihr Aeußeres auf Basis Andrejitsch einen angenehmen Eindruck. Nur der schiefe Scheitel ihres Haares, der ihren Zügen ein flottes und burschenhaftes Aussehen verlieh, störte ihn. Außerdem drückte sie sich im Russischen nach seiner Meinung zu rein und korrekt aus. Boris Andrejitsch theilte nämlich die Meinung von Puschkin, daß

»Die man schöne, doch scherzlose Lippen nicht küßt,

man Feinheit der Sprache mit den Fehlern vermißt.«


Mit einem Worte, Sofia Kirillowna gehörte zu der Kategorie von Frauen, welche bei galanten Herren als flotte Salon-Damen, bei den Ehegatten als schlagfertig und redegewandt in besonderem Ansehen stehen und von alten Junggesellen als lebenslustige Weibchen sehr geschätzt werden.

Die Unterhaltung begann damit, daß man von der Einförmigkeit des ländlichen Aufenthaltes sprach.

– Hier ist fast kein lebendiges Wesen zu finden; man hat wahrlich Niemand, mit dem man ein Wort wechseln könnte – sagte Sofia Kirillowna immer das »s« scharf betonend. – Ich begreife nicht, wie die Menschen hier existiren können. Dazu – fügte sie mit Coquetterie hinzu – bleiben noch Diejenigen, mit denen man angenehm verkehren könnte, aus; sie besuchen uns so selten und überlassen uns arme Menschen der düsteren Einsamkeit.

Boris Andrejitsch verbeugte sich ein wenig und murmelte eine nicht besonders treffende Entschuldigung vor sich hin, wobei Peter Wassiljewitsch einen Blick auf ihn warf, als ob er sagen wallte: »Nun, was habe ich Ihnen gesagt? Nicht war, sie ist mit den Worten nicht verlegen?«

– Rauchen Sie vielleicht? – fragte Sofia Kirillowna.

– Jawohl. . . jedoch . . .

– Ach, bitte, bitte! . . . Ich rauche ja selbst.

Nach diesen Worten nahm sie ein ziemlich umfangreiches, silbernes Etui vom Tische, holte aus demselben eine Cigarette hervor und bot solche auch den Gästen an. Beide machten Gebrauch von dem also Gereichten. Sofia Kirillowna schellte und befahl einem eintretenden Knaben, der über die ganze Brust in einer rothen Weste steckte, Feuer zu bringen. Der Knabe kam zurück und trug auf einem krystallenen Präsentirteller eine brennende Wachskerze heran. Die Cigaretten wurden angeraucht.

– Da haben Sie’s – zum Beispiel: Sie werden es kaum glauben! – nahm die Wittwe daß Gespräch wieder auf, indem sie den Kopf ein wenig zurückwarf und den Rauch in seinen Strömen nach oben entließ – es giebt hier Leute, welche die Ansicht vertreten, daß es für eine Dame unpassend sei zu rauchen. Vom Reiten – schon gar nicht zu reden; behüte Gott! man würde uns steinigen. So ist es hier – wiederholte sie nach einer kurzen Pause, – Alles, was das alltägliche Niveau übersteigt, was mit den Satzungen eines, Gott weiß von wem ersonnenen Anstandes nicht im Einklange steht, wird dem strengsten Tadel unterworfen.

– Besonders pflegt in dieser Beziehung die Damenwelt boshaft zu sein – bemerkte Peter Wassiljewitsch.

– Das ist wahr! – versetzte die Wittwe. – Behüte Einen der Himmel, mit diesen Zungen zu thun zu haben! Uebrigens, ich verkehre mit dieser Klasse gar nicht. Das Geklätsch ihrer Vertreterinnen gelangt ganz und gar nicht in meine Einöde.

– Und Sie empfinden dabei keine Langeweile? – fragte Boris Andrejitsch.

– Langeweile? Nein! Ich lese . . . und wenn ich die Bücher satt habe, überlasse ich mich meinen Gedanken oder lege mir die Karten aus und stelle Fragen an mein Schicksal.

– Wie ist es denn möglich, daß Sie sich mit Wahrsagereien abgeben? – fragte Peter Wassiljewitsch.

Die Wittwe lächelte nachsichtig.

– Und weshalb denn auch nicht? Ich bin alt genug, um es mir erlauben zu dürfen.

– Aber, verzeihen Sie . . . ! – erwiederte Peter Wassiljewitsch.

Sofia Kirillowna kniff ein wenig die Augen zusammen und fixirte ihn.

– Uebrigens, wir thun wohl gut, dies Gespräch bei Seite zu lassen, – bemerkte sie, und wendete sich mit Lebhaftigkeit an Boris Andrejitsch. – Ich bin überzeugt, Monsieur Wjasownin, daß Sie sich für die russische Litteratur interessiren Nicht?

– Freilich. . . ich. . .

Wjasownin las viel, aber gerade Russisches las er ungern und wenig. Besondere waren ihm die neuesten Erscheinungen auf diesem Gebiete ganz fremd: er blieb bei Puschkin stehen.

– Sagen Sie nun gütigst: wie ist das zu erklären, daß Marlinsky in der letzten Zeit beim Publikum in Ungnade gerathen ist? Das kann nach meiner Meinung, nur eine außerordentliche Ungerechtigkeit sein. Was halten Sie von ihm?

– Marlinsky ist freilich ein Schriftsteller, dem man gewisse Verdienste nicht absprechen kann – erwiederte Boris Andrejitsch.

– Er ist ein wahrer Dichter! Er läßt unsere Phantasie in einer Welt . . . in einer bezauberndem herrlichen Welt schwelgen, während es heut zu Tage ja gang und gäbe ist, nur das Alltägliche zu beschreiben. Ich wüßte wahrlich nicht, was man Schönes in diesem Alltagsleben hier auf Erden finden könnte – und Sofia Kirillowna deutete mit der flachen Hand um sich herum.

Boris Andrejitsch sah sie bedeutungsvoll an.

– Ich bin nicht mit Ihnen einverstanden. Ich finde auch hier sehr viel Schönes – sagte er, indem er auf »hier« einen besonderen Ton legte.

Sofia Kirillowna lachte plötzlich grell auf. Peter Wassiljewitsch hob ebenfalls plötzlich den Kopf, besann sich ein wenig und wendete dann seine Aufmerksamkeit der Cigarette wieder zu. Das Gespräch nahm in dieser Weise seinen Fortgang bis zum Mittag, indem man schnell von einem Gegenstande auf den andern überging – was wohl nicht der Fall ist, wenn die Unterhaltung wahrhaft interessant wird. Unter Anderem kam man auch auf den Ehestand zu sprechen, auf dessen Licht- und Schattenseiten und auf die Stellung der Frau im Allgemeinen. Sofia Kirillowna sprach sich energisch gegen das Heirathen aus. Sie ereiferte sich schließlich und, allmählich in Feuer gerathen, vertheidigte sie ihre Ansicht in gesucht klingenden Redensarten, obwohl die Gäste ihr fast nicht widersprachen; nicht umsonst hatte sie eine solche Vorliebe für Marlinsky. Sie verstand es auch, zur rechten Zeit die Kunstausdrücke der allerneuesten Stilart in Anwendung zu bringen. Die Worte »artistisch«, »Kunstprinzip«, »bedingen« entflossen beständig ihrem Munde.

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Verwalter.

Zwei Freunde

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