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Erster Theil
Viertes Kapitel
ОглавлениеDer junge Mann, den wir eben den Lesern vorgeführt haben, hieß Wladimir Nikolaitsch Panschin. Er diente in Petersburg als Beamter für besondere Aufträge im Ministerium des Innern. In die Stadt O. war er im zeitweiligen Auftrage der Regierung gekommen und stand dem Gouverneur, General Sonnenberg, dessen entfernter Verwandter er war, zur Verfügung. Panschin’s Vater, ein verabschiedeter Stabsrittmeister, bekannter Spieler, ein Mann mit süßlichen Augen, abgelebtem Gesichte und nervösem Zittern in den Lippen, hatte sich sein Leben lang in hohen Kreisen bewegt, besuchte die englischen Clubbs beider Residenzen und galt für einen geschickten, obgleich nicht sehr zuverlässigem aber angenehmen Lebemann. Trotz seiner Geschicklichkeit befand er sich fast fortwährend an der äußersten Grenze der Armuth und hinterließ seinem einzigen Sohne ein kleines und in der größten Unordnung befindliches Vermögen; dagegen hatte er sich, freilich nach seiner Art, um dessen Erziehung bekümmert. Wladimir Nikolaitsch sprach, französisch vortrefflich, englisch gut, deutsch schlecht. So muß es auch sein: ordentliche Leute schämen sich, gut deutsch zu sprechen, aber ein deutsches Wörtchen bei einigen meist spaßhaften Gelegenheiten in die Welt zu schicken, ist erlaubt; »c’est même trés chic,« wie sich die petersburger Pariser ausdrücken. Mit seinem fünfzehnten Jahre verstand es Wladimir Nikolaitsch, ohne verlegen zu sein, in jeden Saal zu treten, sich in demselben angenehm zu unterhalten und zur passenden Zeit sich zu entfernen.
Panschin’s Vater hatte seinem Sohne viele, Verbindungen verschafft; wenn er zwischen zwei Robber oder nach einem geschickten großen Schlemm mischte, vergaß er es nicht, irgend einem großen Herrn, einem Liebhaber von Cammersspielen, ein paar Worte über seinen Woldemar zuzuflüstern, Wladimir Nikolaitsch, seinerseits, als er sich auf der Universität befand, die er mit dem Rang eines wirklichen Studenten absolvirte, hatte die Bekanntschaft einiger jungen Leute von vornehmen Stande gemacht und sich Zugang in die besten Häuser verschafft. Ueberall wurde er gut aufgenonnnen; denn er hatte ein angenehmes Aeußere, war gewandt, witzig, immer gesund und zu Allem bereit; wo es nöthig war, achtungsvoll, wo es möglich war, frech, ein vortrefflicher Kamerad, un charmant garcon; ein Vielen verschlossenes Reich eröffnete sich ihm. Früh begriff Panschin die Geheimnisse der Lebensweisheit; er verstand es, die Gesetze der Welt aufrichtig zu achten, verstand es, mit einem halbspöttischen Ernste sich mit Unsinn zu befassen und sich den Schein zu geben, daß er alles Ernste für Unsinn halte; – er tanzte vortrefflich, kleidete sich nach englischer Mode. In kurzer Zeit hatte er sich den Ruf eines der liebenswürdigsten und geschicktesten jungen Leute in Petersburg verschafft.
In der That war Panschin sehr geschickt, – nicht weniger als sein Vater, – aber er war auch sehr begabt. Zu Allem hatte er Talent; er war guter Sänger, geschickter Zeichner, schrieb Verse, war ein sehr leidlicher Schauspieler; kaum achtundzwanzig Jahre alt, war er schon Kammerjunker und hatte, einen ziemlich hohen Rang. Panschin hatte festes Vertrauen in sich, in seinen Geist, in seinen Scharfsinn; kühn und fröhlich und festen Schrittes ging er vorwärts; sein Leben floß so schön dahin. Er war gewohnt, Allen zu gefallen, Jungen und Alten, und bildete sich ein, er kenne die Menschen, besonders die Frauen; freilich kannte er ihre gewöhnlichen Schwächen. Den Künsten nicht fremd, fühlte er in sich Glut und einige Hingebung und Begeisterung, und in Folge dessen erlaubte er sich verschiedene Abweichungen von den Regeln des Weltlebens. Er lebte flott, schloß Bekanntschaften mit Leuten, die nicht zur sogenannten Welt gehörten und hielt sich im Allgemeinen frei und einfach; in der Seele aber war er kalt und listig, und während der wildesten Orgien beobachtete und bemerkte sein kluges, braunes Auge Alles; dieser kühne, dieser freie Jüngling konnte sich niemals vergessen, konnte sich niemals ganz hinreißen lassen. Zu seiner Ehre muß man hinzufügen, daß er niemals mit seinen Eroberungen prahlte. In das Haus von Maria Dmitriewna fand er Eingang sofort nach seiner Ankunft in O. und war bald dort wie zu Haus. Maria Dmitriewna war ihm von ganzem Herzen zugethan.
Panschin grüßte freundlich Alle, die sich im Zimmer befanden, drückte die Hand von Maria Dmitriewna und Elisabeth Michailowna, gab Gedeonowsky einen leichten Schlag auf die Schulter und, sich auf seinen Absätzen herumdrehend, fing er Lenchen auf und küßte ihr die Stirn.
»Und Sie fürchten sich nicht, solch ein böses Pferd zu reiten?« fragte ihn Maria Dmitriewna.
»Um Gottes Willen! Mein Pferd ist ja sanft, wie ein Lamm; ich will Ihnen aber sagen, was ich fürchte: nämlich Preferance mit Sergei Petrowitsch zu spielen; gestern habe ich bei den Belenizyns ihm Hab und Gut verspielt.«
Auf Gedeonowsky spielte ein feines und demüthiges Lächeln: er buhlte um die Gunst des jungen, glänzenden Beamten aus Petersburg, des Lieblings des Gouverneurs. In seinen Gesprächen mit Maria Dmitriewna sprach er oft von den außerordentlichen Fähigkeiten Panschin’s. Denn, meinte er, wie sollte man auch ihn nicht loben? Der junge Mann bahnt sich einen Weg in der höhern Sphäre des Lebens, ist ein ausgezeichneter Beamter und hat nicht den geringsten Stolz. Uebrigens galt Panschin auch in Petersburg für einen guten Beamten; die Arbeit ging ihm flink von den Händen, er sprach von ihr wie im Spaße und wie es einem Weltmanne, der keine besondere Bedeutung seinen Bemühungen giebt, geziemt, doch war er ein »guter Arbeiter.« Die Obern lieben solche Untergebene; er selbst aber zweifelte nicht, daß er, wenn er es nur würde wollen, mit der Zeit Minister werden könne.
»Sie sagen, Sie hätten mir viel verspielt?« meinte Gedeonowsky; »wer hat aber vorige Woche von mir zwölf Rubel gewonnen? Und noch. . .«
»Ein schlauer Fuchs, ein schlauer Fuchs!« unterbrach ihn Panschin mit einer freundlichen, aber etwas verächtlichen Nachlässigkeit, und näherte sich, ihm keine Aufmerksamkeit mehr schenkend, Liesen.
»Ich konnte hier die Ouverture aus dem Oberon nicht finden,« begann er. »Madame Belenizyn prahlte zwar, sie hätte die ganze classische Musik, aber in der That hat sie nichts als Polkas und Walzer; ich habe schon nach Moskau geschrieben, und in einer Woche werden Sie diese Ouverture haben. A propos, ich habe gestern eine neue Romanze geschrieben; die Worte sind auch von mir. Wollen Sie, daß ich Sie Ihnen vorsinge? Ich weiß nicht, was an meiner Arbeit ist; Madame Belenizyn fand die Romanze sehr hübsch, aber ihre Worte haben gar keinen Werth. Ich möchte Ihre Meinung hören; übrigens glaube ich, ist es besser nachher.«
»Warum denn nachher?« mischte sich Maria Dmitriewna in das Gespräch; »warum denn nicht jetzt?«
»Wie Sie befehlen,« meinte Panschin mit einem frohen und süßen Lächeln, das sich bei ihm immer ebenso schnell zeigte, als es sich verlor; er rückte mit seinem Knie einen Stuhl an das Piano, setzte sich auf denselben und, nachdem er einige Accorde gegriffen hatte, begann er, die Worte stark betonend, folgende Romanze:
Der Mond schwimmt hoch, von Wolken rings umzogen
In bleicher Zahl;
Doch von der Höhe lenkt des Meeres Wogen,
Sein Zauberstrahl,
Gleich stürmischem Meer, erkannte Dich mein Herze
Als Mondenschein
Und es bewegt sich jetzt – in Freud und Schmerze —
Durch Dich allein.
Es bat mein Herz, vor Lieb’ und stummen Qualen
Jetzt keine Ruh’;
Mir ist so schwer . . . doch fremd, gleich Mondesstrahlen
Bist Stürmen Du.
Das zweite Couplet sang Panschin mit besonderem Ausdruck und besonderer Kraft, die stürmische Begleitung ahmte die Bewegung der Wellen nach. Nach den Worten: Mir ist so schwer . . . seufzte er leise, schlug die Augen nieder und senkte die Stimme – morendo. Als er geendigt hatte, lobte Liese das Motiv, Maria Dmitriewna sagte: »es ist reizend,« – Gedeonowsky aber rief: »himmlisch!« sowohl Poesie als auch Harmonie sind gleich himmlisch!« – Lenchen blickte mit kindlicher Ehrfurcht auf den Sänger. Mit einem Worte; das Werk des jungen Dilettanten gefiel allen Gegenwärtigen ausnehmend; im Vorzimmer aber, an der Thür des Saales stand ein eben gekommener schon alter Mann, welchem, dem Ausdrucke seines Antlitzes und den Bewegungen seiner Schultern nach zu urtheilen, Panschin’s Romanze, obgleich sie sehr hübsch war, kein besonderes Vergnügen verschafft hatte! Nachdem er einige Augenblicke gewartet, und den Staub von seinen Stiefeln mit einem dicken Schnupftuch: abgewischt hatte, kniff er seine Augen zusammen und seine Lippen nahmen einen finsteren Ausdruck an, er bückte seinen ohnedies schon gekrümmten Rücken noch tiefer und trat in den Saal hinein.
»Ach, Christophor Fedorowitsch« wie geht es?« rief vor allen Andern Panschin und sprang von seinem Stuhle auf. »Ich ahnte nicht, daß Sie hier seien, in Ihrer Gegenwart hätte ich mich niemals entschlossen, meine Romanze zu singen, denn ich weiß, Sie sind kein Freund von leichter Musik.«
»Ich habe nichts gehört,« sagte in schlechtem Russisch der Eingetretene und blieb, nachdem er Alle gegrüßt hatte, ungeschickt in der Mitte der Stube stehen.
»Sie kommen, Monsieur Lemm, meiner Liese eine Stunde zu geben?« fragte Maria Dmitriewna.
»Nein, nicht an Elisabeth Michailowna, sondern an Helene Michailowna.«
»Ja so, sehr schön, Lenchen, geh’ mit Herrn Lemm hinauf.«
Der Alte folgte dem Mädchen, Panschin aber hielt ihn auf.
»Gehen Sie nach der Stunde nicht fort, Christophor Fedorowitsch,« sagte er, »Elisabeth Michailowna will mit mir eine Sonate von Beethoven vierhändig spielen.«
Der Alte brummte etwas in den Bart, Panschin aber fuhr auf deutsch, die Worte schlecht aussprechend, fort:
»Elisabeth Michailowna hat mir die geistliche Cantate gezeigt, die Sie ihr gewidmet haben, – eine reizende Composition! Glauben Sie ja nicht, daß ich ernste Musik nicht zu würdigen weiß, – im Gegentheil: sie ist zuweilen langweilig, aber dafür sehr nützlich.«
Der Alte wurde bis hinter die Ohren roth; warf auf Liesen einen Seitenblick und eilte aus dem Zimmer.
Maria Dmitriewna bat Panschin die Romanze zu wiederholen; er entgegnete aber, er wünsche nicht die Ohren des gelehrten Deutschen zu zerreißen, und schlug Liesen vor, Beethovens Sonate vorzunehmen. Da seufzte Maria Dmitriewna und schlug ihrerseits Gedeonowsky vor, mit ihr in den Garten zu gehen. »Ich möchte,« sagte sie »mit Ihnen noch etwas sprechen und Sie um Rath wegen unseres armen Fedia fragen.«
Gedeonowsky zeigte seine Zähne, dankte, nahm mit zwei Fingern seinen Hut, auf dessen Krempe seine Handschuhe glatt und sauber lagen, und entfernte sich mit Maria Dmitriewna. In der Stube blieben nur Panschin und Liese; sie brachte und schlug die Sonate auf, beide setzten sich schweigend an’s Clavier. Undeutlich drangen von oben die Töne von Scalen, gespielt von Lenchens noch unsicheren Händen.