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Der Hund

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Wenn man die Möglichkeit des Übernatürlichen, die Möglichkeit seines Hineinspielens in das wirkliche Leben zugeben soll, – so gestatten Sie die Frage, welche Rolle soll dann noch der gesunde Menschenverstand spielen?« verkündete Anton Stepanowitsch und kreuzte seine Hände über dem Magen.

Anton Stepanowitsch hatte den Rang eines Staatsrates, war an irgendeinem sonderbaren Departement angestellt, redete langsam, gemessen und im Baß und erfreute sich allgemeiner Hochachtung. Erst kurz vorher hatte man ihm, wie seine Neider sagten, den Stanislausorden angehängt.

»Sie haben vollkommen recht,« bemerkte Skworewitsch.

»Darüber wird auch niemand streiten,« fügte Kinarewitsch hinzu.

»Ganz meine Meinung,« bestätigte mit einer Fistelstimme der Gastgeber, Herr Finoplentow, der in einer Ecke saß.

»Ich kann mich aber, offen gestanden, dieser Meinung nicht anschließen, denn mir selbst ist einmal etwas durchaus Übernatürliches passiert,« sagte ein Mann von mittlerem Wuchs und mittleren Jahren, mit einem ziemlichen Embonpoint und einer Glatze, der bisher schweigend hinter dem Ofen gesessen hatte . . . Alle Anwesenden blickten ihn sofort neugierig und fragend an, – und alle schwiegen.

Dieser Mann, ein nicht sehr bemittelter Gutsbesitzer aus dem Gouvernement Kaluga, war erst vor kurzem nach Petersburg gekommen. Er hatte einmal bei den Husaren gedient, sein Vermögen verspielt, den Abschied genommen und sich schließlich auf dem Lande niedergelassen. Die mit der Abschaffung der Leibeigenschaft zusammenhängenden wirtschaftlichen Veränderungen hatten seine Einkünfte erheblich gekürzt, und so war er nach Petersburg gekommen, um sich nach einer Stelle umzusehen. Er besaß weder irgendwelche Fähigkeiten noch Verbindungen, baute aber felsenfest auf die Freundschaft eines ehemaligen Regimentskameraden, der plötzlich, ohne ersichtlichen Grund, Karriere gemacht hatte und dem er einst behilflich gewesen war, einen Falschspieler zu verprügeln. Außerdem baute er auch noch auf sein Glück, welches ihn auch wirklich nicht im Stiche ließ: einige Tage später bekam er die Stelle eines Inspektors der Staatsmagazine, eine vorteilhafte und sogar ehrenvolle Stelle, die keinerlei besondere Talente erforderte: die Magazine bestanden überhaupt nur im Projekt, und es war sogar noch nicht bekannt, womit sie einst gefüllt werden sollten; ersonnen waren sie aber aus Gründen der Staatsökonomie.

Anton Stepanowitsch war der erste, der das allgemeine Schweigen brach.

»Wie, mein sehr verehrter Herr?« begann er: »Sie wollen im Ernste behaupten, daß Sie etwas Übernatürliches erlebt haben, ich will sagen, etwas, was mit den Gesetzen der Natur nicht übereinstimmt?«

»Ja, das will ich behaupten,« entgegnete der »sehr verehrte Herr«, der eigentlich Porfirij Kapitonowitsch hieß.

»Etwas, was mit den Gesetzen der Natur nicht übereinstimmt!« wiederholte Anton Stepanowitsch, dem diese Phrase offenbar gut gefiel, beinahe empört.

»Ja, das meine ich eben; gerade so etwas, wie Sie zu sagen geruhten.«

»Das ist höchst merkwürdig! Was meinen Sie, meine Herren?« Anton Stepanowitsch bemühte sich, seinen Zügen einen ironischen Ausdruck zu geben; es kam aber nichts dabei heraus, oder richtiger gesagt, der Herr Staatsrat nahm eine Miene an, als ob er einen üblen Geruch wittere. »Dürfen wir Sie vielleicht bitten, verehrter Herr,« fuhr er, sich an den Gutsbesitzer aus Kaluga wendend, fort: »Dürfen wir Sie vielleicht bitten, uns die Einzelheiten eines so merkwürdigen Erlebnisses mitzuteilen?«

»Warum nicht? Mit Vergnügen!« erwiderte der Gutsbesitzer. Er rückte seinen Stuhl ungezwungen in die Mitte des Zimmers vor und begann folgendermaßen:

»Ich besitze, meine Herren, was Ihnen vielleicht bekannt, vielleicht auch unbekannt ist, ein kleines Gut im Koselskischen Kreise. Vor Jahren hat es mir etwas eingebracht, doch heutzutage kann es mir selbstverständlich nichts als Unannehmlichkeiten bringen. Von Politik will ich übrigens nicht sprechen! Auf diesem Gute also habe ich einen kleinen Hof, einen Gemüsegarten, einen Teich mit Karauschen und was sonst noch dazu gehört, ein paar Wirtschaftsgebäude und schließlich ein Häuschen für meinen eigenen sündigen Leib . . . Darin hauste ich als Junggeselle. Eines Abends, – so vor sechs Jahren mag es gewesen sein – kam ich spät nach Hause: hatte beim Nachbar Karten gespielt, war aber, was ich Sie wohl zu beachten bitte, vollkommen nüchtern; ich kleidete mich aus, legte mich zu Bett und löschte das Licht aus. Nun stellen Sie sich vor, meine Herren, – kaum habe ich das Licht ausgelöscht, als sich etwas unter meinem Bette zu rühren anfängt! Ich denke mir: eine Ratte? Nein, keine Ratte: es kratzt, es rumort, es juckt sich . . . Schließlich klappert es mit den Ohren!

Selbstverständlich ist's ein Hund. Wo soll aber ein Hund herkommen? Ich halte mir keine Hunde; ist's vielleicht irgendein zugelaufener? Ich rief meinen Diener; Filjka hieß er. Der Diener kam mit einem Licht. ›Was ist das‹, sage ich ihm, ›mein lieber Filjka, für eine Unordnung!? Da ist ein Hund unter mein Bett geraten.‹ – ›Was für ein Hund?‹ sagt er. – ›Woher soll ich es wissen?‹ sage ich. ›Es ist deine Sache darauf zu sehen, daß dein Herr nicht gestört wird.‹ – Mein Filjka bückt sich und beginnt mit der Kerze in der Hand unter dem Bette zu suchen. ›Hier ist ja gar kein Hund!‹ sagt er schließlich. – Auch ich bücke mich: wirklich keine Spur von einem Hund. – Was für ein Unsinnl Ich schaue auf Filjka, er lächelt.– ›Dummkopf,‹ sage ich zu ihm: ›was grinst du? Der Hund ist wohl, als du die Türe aufgemacht hast, in den Flur geschlüpft. Und du, Maulaffe, hast es nicht bemerkt, weil du immer schläfst. Vielleicht denkst du, daß ich betrunken bin?‹ Er wollte etwas entgegnen, ich jagte ihn aber fort, rollte mich zu einem Kringel zusammen und hörte in jener Nacht nichts mehr.

Doch in der nächsten Nacht – denken Sie es sich nur! – wiederholt sich die gleiche Geschichte. Wie ich nur die Kerze ausblies, beginnt es gleich wieder zu kratzen und mit den Ohren zu klappern. Ich rief wieder Filjka herbei, er sah wieder unters Bett – wieder nichts! Ich schickte ihn weg, blies die Kerze aus und – pfui Teufel! – der Hund ist schon wieder da. Es ist auch ganz sicher ein Hund: ich höre ganz genau, wie er atmet, wie er mit den Zähnen nach Flöhen sucht . . . So ungewöhnlich deutlich höre ich es! – ›Filjka!‹ rufe ich wieder, ›komm mal her, doch ohne Licht!‹ Filjka kommt. – ›Nun, hörst du es?‹ – ›Ich höre es wohl,‹ sagt er. Ich kann ihn nicht sehen, doch ich fühle, daß er vor Angst am ganzen Leibe zittert. – ›Und was sagst du dazu?‹ frage ich ihn. – ›Was soll ich dazu sagen, Porfirij Kapitonowitsch? Es ist Teufelsspuk!‹ – ›Du dummer Kerl,‹ sage ich ihm, ›schweig' doch lieber mit deinem Teufelsspuk . . .‹ Doch wir beide piepsen wie die Vögel und zittern wie im Fieber; finster ist es auch. Ich zünde das Licht an: nichts zu sehen, nichts zu hören, wir beide stehen da weiß wie Kalk. So ließ ich die Kerze bis zum Morgen brennen. Nun erkläre ich Ihnen, meine Herren, – Sie mögen es mir glauben oder nicht – von dieser Nacht an wiederholte sich die Geschichte jede Nacht durch volle sechs Wochen. Schließlich gewöhnte ich mich daran und ließ sogar die Kerze nicht mehr brennen, denn ich kann bei Licht nicht schlafen. Soll er von mir aus lärmen, soviel er will! Er wird mir ja nichts zuleide tun!«

»Wie ich sehe, gehören Sie nicht zu den Feigsten,« unterbrach ihn mit einem halb spöttischen, halb herablassenden Lächeln Anton Stepanowitsch. »Man sieht gleich den Husaren!«

»Vor Ihnen würde ich auf keinen Fall Furcht haben,« versetzte Porfirij Kapitonowitsch und sah für einen Augenblick wirklich wie ein Husar aus. »Hören Sie aber weiter. Da kommt zu mir ein Nachbar zu Besuch, derselbe, mit dem ich Karten zu spielen pflegte. Er aß bei mir zu Mittag, was es eben gab, ließ mir so an die fünfzig Rubel für den Besuch zurück und wollte sich dann nach Hause begeben, denn draußen wurde es dunkel. Ich habe aber so gewisse Absichten und sage ihm: ›Bleib doch bei mir zu Nacht, Wassilij Wassilijewitsch; morgen gewinnst du mit Gottes Hilfe alles zurück.‹ Mein Wassilij Wassilijewitsch überlegt sich hin und her und bleibt. Ich lasse ihm das Bett in meinem Schlafzimmer richten . . . Wir legen uns hin, rauchen und plaudern noch eine Weile – hauptsächlich über das zarte Geschlecht, wie es sich unter Junggesellen gehört, – scherzen ein bißchen . . . Ich sehe: Wassilij Wassilijewitsch löscht seine Kerze aus, und kehrt mir den Rücken; das heißt: Gute Nacht! Ich warte noch eine Weile und lösche auch meine Kerze aus. Nun denken Sie sich: ich habe noch gar nicht nachgedacht, was es nun für eine Karambolage geben wird, als das liebe Geschöpf auch schon zu lärmen anfängt. Es begnügt sich nicht mit dem gewöhnlichen Lärm, sondern kriecht unter dem Bette hervor, geht durchs Zimmer, klopft mit den Pfoten auf die Diele, klappert mit den Ohren und stößt plötzlich an den Stuhl, der neben Wassilij Wassilijewitschs Bett steht. – ›Porfirij Kapitonowitsch,‹ sagt der, und zwar mit einer ganz gleichgültigen Stimme, ›ich wußte gar nicht, daß du dir einen Hund angeschafft hast. Was ist's für einer? Ein Hühnerhund oder was?‹ – ›Ich habe gar keinen Hund,‹ sage ich ihm darauf, ›und habe auch nie einen gehabt!‹ – ›Was, du hast keinen Hund? Und was ist denn das?‹ – ›Was das ist? Zünde die Kerze an, so wirst du es selbst sehen.‹ – ›Ist das kein Hund?‹ – ›Nein.‹ – Wassilij Wassilijewitsch dreht sich im Bette um. – ›Du scherzest wohl, mein Lieber?‹ – ›Nein, ich scherze nicht.‹ – Da höre ich, wie er ein Zündhölzchen an der Schachtel reibt; das Vieh treibt aber noch immer sein Wesen und juckt sich das Fell. Endlich brennt die Kerze und . . . basta! Keine Spur mehr! Wassilij Wassilijewitsch sieht mich an, – und ich sehe ihn an. – ›Was ist das,‹ fragt er mich, ›für ein Witz?‹ – ›Das ist so ein Witz,‹ sage ich ihm, ›daß, wenn du an die eine Seite Sokrates in eigener Person und an die andere Friedrich den Großen hinsetzt, so werden auch die daraus nicht klug werden.‹ – Und ich erzähle ihm alles mit sämtlichen Einzelheiten. Wie da mein Wassilij Wassilijewitsch aufspringt! Wie wenn er sich verbrüht hätte! Kann unmöglich mit den Füßen in seine Stiefel hineingeraten. – ›Einspannen!‹ schreit er: ›Einspannen!‹ – Ich versuche ihn zu besänftigen, er will aber auf nichts hören! Er seufzt und ächzt. – ›Ich bleibe keine Minute länger hier! Du bist nach alledem ein verdammter Mensch! Einspannen!‹ Endlich gelang es mir, ihn zu überreden. Nur mußte ich sein Bett in ein anderes Zimmer schleppen und in allen Ecken Nachtlichter anzünden lassen. Am nächsten Morgen beim Tee war er schon einigermaßen ruhiger und begann, mir Ratschläge zu geben. ›Du solltest versuchen, Porfirij Kapitonowitsch,‹ sagte er mir, ›für einige Tage das Haus zu verlassen: vielleicht wirst du dann diesen Teufelsdreck loswerden.‹ – Ich muß Ihnen aber sagen, meine Herren, daß dieser Nachbar ein Mann von ungewöhnlichem Verstande war! Unter anderem hatte er seine eigene Schwiegermutter so ganz wunderbar herumgekriegt: er hatte sie einen Wechsel unterschreiben lassen, doch so, daß sie es selbst gar nicht merkte, eine so gefühlvolle Stunde hatte er sich dazu ausgesucht. Sie wurde weich wie Butter, gab ihm sogar eine Vollmacht zur Verwaltung des ganzen Gutes – was hätte er sich noch wünschen können? Und das ist doch wirklich nicht leicht, eine Schwiegermutter so herumzukriegen! Was meinen Sie, meine Herren? Er verließ mich aber ziemlich mißvergnügt: ich hatte ihm nämlich wieder an die hundert Rubel im Kartenspiel abgeknöpft. Er schimpfte sogar auf mich und sagte, daß ich undankbar und gefühllos sei. Was traf mich aber für eine Schuld? Nun, das alles versteht sich von selbst, – seinen Rat nahm ich aber zur Kenntnis: noch am gleichen Tage reiste ich in die Stadt und mietete mich in einem Gasthaus, bei einem mir bekannten alten Sektierer ein. Dieser war ein höchst ehrenwerter Greis, wenn auch etwas unwirsch infolge seiner Zurückgezogenheit: seine ganze Familie war ihm ausgestorben. Nur konnte er in seinem Hause keinen Tabakrauch leiden, und gegen Hunde hatte er eine ganz schreckliche Abneigung: ich glaube, er würde es vorziehen, sich selbst eigenhändig in Stücke zu reißen, als einen Hund zu sich über die Schwelle zu lassen! Er pflegte zu sagen: ›Hier in meiner Kammer geruht an der Wand die Himmelskönigin in eigener Person zu wohnen; wie sähe es aus, wenn ein unflätiger Hund seine unsaubere Schnauze gegen die gleiche Wand erheben wollte!‹ Man kennt es ja – Unbildung! Im übrigen bin ich der Meinung: ein jeder soll sich an die Weisheit halten, die ihm gegeben ist!«

Der Hund

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