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II

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Die Gutsbesitzer in Südrußland lieben es, von Zeit zu Zeit große Bälle zu geben und zu denselben die Herren Offiziere einzuladen, damit ihre heirathsfähigen Töchter die nöthigen Bekanntschaften machen können.

Etwa zehn Werst von dem Dorfe Kirilowo wohnte solch ein Gutsbesitzer, ein gewisser Perekatoff. Er besaß etwa vierhundert Seelen und ein recht hübsches Wohnhaus. Seine einzige achtzehnjährige Tochter hieß Marja, seine Frau Nenila Makarjewna. Herr Perekatoff hatte in seiner Jugend bei der Cavallerie gedient, aber aus Trägheit und aus Vorliebe für das Landleben seinen Abschied genommen, um für den Rest seines Lebens jenes ruhige Dasein zu führen, das dem nur mittelmäßig begüterten Landadel zur Gewohnheit geworden ist. Nenila stammte in nicht ganz legitimer Weise von einem hohen Würdenträger in Moskau ab.

Ihr Beschützer ließ sie in seinem eigenen Hause sehr sorgfältig erziehen. Aber bei der ersten Gelegenheit entledigte er sich ihrer mit einer gewissen Hast – wie einer Waare von zweifelhaftem Werthe. Denn Nenila war nicht schön und der hohe Würdenträger hatte ihr nur eine Mitgift von zehntausend Rubel ausgesetzt. Sie nahm Herrn Perekatoffs Antrag mit Freuden an, und Herr Perekatoff schätzte sich glücklich, dass er eine so gebildete und kluge und mit einem so hohen Würdenträger verwandte Dame zur Frau erhielt. Auch nach der Hochzeit ließ der hohe Herr dem jungen Paar noch gnädig seinen Schutz angedeihen, das heißt, er geruhte die Wachteln anzunehmen, welche Perekatoff ihm schickte und redete ihn mit »lieber Freund«, ja bisweilen sogar mit dein vertraulichem »Du« an.

Nenila hatte ihren Mann vollständig unter dem Pantoffel und führte nicht bloß das Regiment im Hause, sondern leitete auch die Verwaltung des Gutes; aber sie verwaltete es in sehr verständiger Weise und jedenfalls weit besser, als es Herr Perekatoff gethan hätte. Sie ließ ihn sein Joch nicht zu schwer fühlen, hielt ihn jedoch sehr kurz. Sie bestimmte, welchen Anzug er zu tragen hatte, sie verordnete, das; er sich nach englischer Mode kleiden müsse; auf ihren Befehl ließ er sich ein spanisches Kinnbärtchen wachsen, um auf diese Weise eine große Warze verbergen zu können, welche einer reifen Himbeere glich. Allen Fremden, die ins Haus kamen, erzählte Nenila, ihr Mann spiele die Flöte und alle Flötenspieler ließen sich am Kinn die Haare wachsen, um bequemer das Instrument halten zu können.

Herr Perekatoff erschien bereits am frühen Morgen mit hohem sauberem Halstuch und sorgfältig gekämmt und gewaschen. Uebrigens war er mit seinem Geschick vollkommen zufrieden, er speiste immer sehr gut, that was er wollte und schlief so lange er konnte. Wie die Nachbarn behaupteten, hatte Nenila eine »fremde Hausordnung« eingeführt; das heißt, sie hielt sich nur wenig Dienstboten und kleidete dieselben anständig. Unablässig nagte an ihr der Wurm des Ehrgeizes; sie wünschte, daß der Adel ihren Mann für irgend ein Amt ausersehen möchte; aber die Junker des Kreises ließen sich zwar Nenilas vortreffliche Speisen schmecken, gaben jedoch bei den Wahlen nicht ihrem Manne die Stimmen, sondern bald dem Generalmajor a. D. Burkholz, bald dem Major a. D. Burundukoff. Herr Perekatoff kam ihnen wie ein großstädtischer Stutzer vor.

Die Tochter glich dem Vater. Nenila hatte sehr viel Mühe auf ihre Erziehung verwendet. Sie sprach vorzüglich französisch und spielte leidlich Clavier. Sie war von Mittelgröße, ziemlich gut entwickelt und ein wenig blass: ihr etwas volles Gesicht war beständig belebt von einem freundlichen fröhlichen Lächeln; ihr blondes, wenn auch nicht sehr dichtes Haar, die schwarzen Augen und die angenehme Stimme machten sie zu einer gefälligen Erscheinung. Dazu kam, daß sie weder affectirt war, noch Vorurtheile hegte, eine für ein Steppenfräulein ungewöhnliche Bildung besaß und in Rede und Benehmen sich einfach und ungezwungen zu geben wußte – das alles fiel Einem unwillkürlich auf. Sie hatte sich ganz frei entwickelt; Nenila legte ihr in keiner Weise irgend welchen Zwang auf . . .

Eines Tages war die ganze Familie um die Mittagsstunde im Gastzimmer vereint. Perekatoff stand in grünem Rock, mit hohem carrirtem Halstuch und erbsenfarbenen Beinkleidern nebst Stiefeletten an einem Fenster und fing mit großer Aufmerksamkeit Fliegen. Die Tochter saß hinter ihrem Stickrahmen; langsam und graziös hob und senkte sich ihre kleine volle Hand hinter dem Canevas. Nenila saß auf dem Sopha und blickte schweigend vor sich hin.

»Sag mal, Sergey Sergejitsch,« wandte sie sich an ihren Mann, »hast Du die Einladung an das Regiment geschickt?«

»Die zu heut Abend? Jawohl, ma chère!« (Es war ihm verboten sie mit dem russischen »Mátuschka«, Mütterchen anzureden.) »Jawohl, versteht sich!«

»Wir haben nicht Herren genug« fuhr Nenila fort. »Die jungen Damen wissen nicht, mit wem sie tanzen sollen.«

Ihr Mann seufzte, als wäre er tief betrübt über diesen Mangel an Herren.

»Mama,« begann plötzlich Marja, »ist Herr Lutschkoff auch eingeladen?«

»Welcher Herr Lutschkoff?« .

»Einer von den Offizieren. Er soll ein sehr interessanter Mann sein.«

»Wirklich!«

»Ja . . . schön ist er nicht und auch nicht mehr jung, aber alle fürchten sich vor ihm. Er ist ein schrecklicher Duellant.« (Mama zog die Brauen zusammen.) »Ich möchte ihn sehr gern einmal sehen.«

»Dann würdest Du was Rechtes zu sehen bekommen.« nahm Perekatoff das Wort. »Du denkst wohl, er sei eine Art Lord Byron?« (Man begann damals in Russland gerade von Byron zu sprechen.) »Dummes Zeug. Siehst Du, mein Kind, auch ich galt meiner Zeit für einen gefährlichen Händelsucher!«

Marja sah den Vater verwundert an, sprang dann lächelnd auf ihn zu und küßte ihn auf die Wangen. Auch Nenila mußte lächeln; aber Perekatoff hatte nicht gelogen.

»Ich weiß nicht, ob dieser Herr ebenfalls kommt,« fuhr die Mutter fort. »Möglich, dass er uns die Ehre erweist.«

Die Tochter seufzte.

»Na, na, daß Du Dich nicht in ihn verliebst!« bemerkte Perekatoff. »Ich weiß, heutzutage schwärmt ihr jungen Damen gern für solche Leute . . .«

»Ich nicht,« antwortete Marja naiv.

Nenila warf ihrem Manne einen kalten Blick zu. Perekatoff begann verlegen mit seiner Uhrkette zu spielen, ergriff dann seinen breitkrämpigen englischen Hut und ging hinaus auf dem Hof. Demüthig und schüchtern folgte ihm der Hund. Das kluge Thier wußte sehr wohl, daß sein Herr im Hause nicht viel zu sagen hatte, und benahm sich deshalb vorsichtig und bescheiden.

Nenila näherte sich der Tochter, hob sanft ihr Köpfchen und schaute ihr freundlich in die Augen. »Nicht wahr, Du sagst mir’s, wenn Du Dich verliebst?« sagte sie.

Marja küßte lächelnd der Mutter die Hand und bewegte mehrmals zustimmend den Kopf.

»Vergiß es nicht,« fuhr die Mutter fort, streichelte ihr die Wange und folgte ihrem Mann.

Marja lehnte sich im Stuhl zurück, der Kopf sank auf die Brust, die Hände falteten sich. Lange schaute sie so mit blinzelnden Augen durch’s Fenster . . . Eine leichte Röthe spielte auf ihren frischen Wangen. Dann richtete sie sich seufzend wieder auf, wollte ihre Stickerei von Neuem vornehmen, ließ die Nabel fallen, stützte das Gesicht auf die Hand und versank, kaum merklich an den Nagelspitzen kauend in Träumerei . . .

Nach einer Weile blickte sie über die Schulter zurück, betrachtete den ausgestreckten Arm, stand auf, trat vor den Spiegel, setzte sich lächelnd den Hut auf und ging hinaus in den Garten . . .

Abends gegen acht Uhr begannen die Gäste sich einzufinden. Frau Perekatoff empfing und unterhielt mit großer Liebenswürdigkeit die älteren Damen; ihre Tochter unterzog sich derselben Aufgabe gegenüber den jungen Damen, und der Herr vom Hause redete mit den Gutsbesitzern von Wirthschafts-Angelegenheiten wobei er sich beständig nach seiner Gattin umblickte. Allmählich erschienen auch die jungen Provinzialstutzer – sie kamen absichtlich etwas spät – und endlich der Herr Oberst, begleitet von seinem Adjutanten, Kister und Lutschkoff, welche er der Dame vom Hause vorstellte. Kister murmelte das übliche »sehr angenehm«, während Lutschkoff sich nur stumm verbeugte. Herr Perekatoff eilte sofort auf den Oberst zu, drückte warm die Hand und blickte ihm gerührt in die Augen. Der Oberst machte gleich ein finsteres Gesicht.

Der Tanz begann. Kister engagirte die Tochter vom Hause. Der Ball wurde mit einer Ecossaise eröffnet, einem Tanze, der damals noch sehr in Mode war.

»Sagen Sie mir doch,« sprach Marja, als sie einige Male die Runde gemacht hatten und nun unter den ersten Paaren standen, »warum tanzt Ihr Freund nicht?«

»Mein Freund – wen meinen Sie?«

Marja zeigte mit dem Fächer nach Lutschkoff.

»Der tanzt niemals,« entgegnete Kister.

»Warum ist er denn hierhergekommen?«

Kister lächelte. »O, er wollte gern das Vergnügen haben – —«

Marja unterbrach ihn. »Sie sind wohl erst vor Kurzem in unser Regiment eingetreten?«

»In »Ihr« Regiment?« versetzte Kister lächelnd; »ja, erst vor kurzem.«

»Und langweilen Sie sich nicht hier in unserer Gegend?«

»Aber ich bitte Sie! . . . Ich habe hier so angenehme Gesellschaft gefunden! . . . und dann die Natur . . . !«

Und Kister verbreitete sich über die Naturschönheiten Südrußlands.

Marja hörte ihm gesenkten Hauptes zu. Lutschkoff stand in einer Ecke und sah gleichgültig den Tänzern zu.

»Wie alt ist Herr Lutschkoff?« fragte sie plötzlich.

»Etwa . . . etwa fünfunddreißig,« sagte Kister.

»Er soll sehr gefährlich – sehr jähzornig sein.« fügte sie schnell hinzu.

»O, ein wenig aufbrausend . . . aber sonst ein ganz braver Mensch.«

»Wie ich höre, fürchten sich Alle vor ihm.«

Kister lachte.

»Und Sie?«

»Ich? . . . Herr Lutschkoff und ich sind gute Freude.«

,Wirklich?«

»Sie sind dran! Sie sind dran!« wurde ihnen von allen Seiten zugerufen. Die Beiden fuhren leicht zusammen und begannen wieder durch den Saal zu tanzen.

»Ich gratulire,« sprach der Cornet zu Lutschkoff, als er nach Beendigung des Tanzes seinen Freund aufsuchte; »während der ganzen Zeit hat die Tochter vom Hause nur nur von Dir gesprochen.«

»Nicht möglich!« versetzte Lutschkoff spöttisch.

»Du bist ein Glücksmensch! Sie ist ein sehr hübsches Mädchen; sieh nur!«

»Wo ist sie?«

Kister zeigte sie ihm.

»Ah! Nicht übel!«

Und Lutschkoff gähnte.

Welch’ ein Eiszapfen!« rief Kister, und damit eilte er wieder fort, um eine andere junge Dame zum Tanz aufzufordern.

Die Nachricht, welche Kister seinem Freunde überbracht hatte, that diesem trotz des Gähnens ungemein wohl. Daß er Neugierde erregte, schmeichelte seiner Eigenliebe ganz außerordentlich. In seinen Reden verachtete er die Liebe, denn er fühlte, das; es ihm sehr schwer fallen würde, Liebe zu erregen. Sehr leicht dagegen war es, den Gleichgültigen und Stolzen zu spielen. Lutschkoff war häßlich und durchaus nicht mehr jung; aber er hatte seine Person mit einer Art Nimbus umgeben, und so durfte er sich damit auch brüsten.

Allmählich hatte er sich an die bittere Befriedigung gewöhnt, welche die Vereinsammung gewährt. Nicht zum ersten Mal hatte eine Frau ihm ihre Aufmerksamkeit zugewendet; einige gar hatten sich ihm zu nähern versucht; aber mit seiner grausamen Gleichgültigkeit hatte er sie wieder von sich gestoßen. Er wußte, dass die Zärtlichkeit ihm schlecht zu Gesicht stand. (Kam es zu einer Erklärung, so war er erst unbeholfen, und dann – aus Aerger darüber – grob und beleidigend.) Er erinnerte sich einiger Frauen, die er vor Jahren gekannt; kaum schien das Verhältniß einen herzlichen Charakter annehmen zu wollen, da wurden sie von einem so eisigen Gefühl der Abneigung erfaßt, dass sie sich augenblicklich von ihm zurückzogen. So war er denn schließlich dahin gekommen ein räthselhaftes Wesen anzunehmen und das zu verachten, was das Schicksal ihm versagt hatte. . . Eine andere Verachtung kennen ja die meisten Menschen nicht. Jeder ehrliche und unwillkürliche, das heißt wahre Ausbruch der Leidenschaft war für Lutschkoff etwas Unbegreifliches; er spielte selbst dann eine Rolle, wenn er aufbrauste. Nur dem jungen Cornet flößte er keinen Widerwillen ein, wenn er in höhnisches Lachen ausbrach; die Augen des braven Deutschen strahlten vor edler freudiger Antheilnahme, wenn er Lutschkoff gewisse Stellen aus seinem geliebten Schiller vorlas und dann der Raufbold mit gesenktem Kopf und verdutzter Miene vor sich hin starrte . . .

Kister tanzte, bis er vor Müdigkeit umzusinken drohte. Lutschkoff saß noch immer regungslos in seiner Ecke. Von Zeit zu Zeit blickte er mit zusammengezogenen Branen verstohlen nach Marja hinüber; aber sobald ihre Blicke sich begegneten, gab er seinem Gesicht einen gleichgültigen Ausdruck. Marja hatte bereits dreimal mit Kister getanzt. Der ehrliche, so begeisterungsfähige Jüngling hatte ihr Vertrauen gewonnen und so plauderte sie ganz ungezwungen und fröhlich mit ihm: aber in ihrem Innern fühlte sie sich beklommen . . . ihre Gedanken beschäftigten sich mit Lutschkoff.

Man intonirte die Masurka. Die Offiziere wurden lebendig; die Absätze schlugen an einander und es war, als ob die Epauletten sich bewegten; ja sogar die Civilisten begannen mit den Absätzen zu klappern. Noch immer rührte Lutschkoff sich nicht von der Stelle, teilnahmslos folgten seine Augen den durcheinander wirbelnden Paaren.

Da berührte Jemand seinen Arm . . . Er sah sich um; sein Nachbar deutete aus Marja. Da stand sie mit gesenkten Blicken vor ihm und hielt ihm die Hand entgegen. Einen Augenblick sah Lutschkoff sie erstaunt au, dann schnallte er gleichgültig den Degen ab, warf seine Mütze an die Erde, trat linkisch zwischen die Stühle, ergriff Marja bei der Hand und tanzte mit ihr durch den Saal, jedoch ohne zu hüpfen und mit den Absätzen zu klappern; es war, als erfüllte er widerwillig eine unangenehme Pflicht . . . Seiner Tänzerin pochte heftig das Herz.

Der Raufbold

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