Читать книгу Die lebende Mumie - Иван Тургенев - Страница 2
ОглавлениеDu Heimatland der himmlischen Geduld —
Du Land des russischen Volkes.
F. Tiutschew.
Ein französisches Sprichwort sagt: »Ein trockener Fischer und ein nasser Jäger sind traurige Gestalten.« Da ich nie eine Leidenschaft für die Fischerei gehabt habe, kann ich nicht darüber urtheilen, was ein Fischer bei hellem, klarem Wetter empfindet und in wie weit das Vergnügen, das ihm eine reichliche Beute gewährt, die Unannehmlichleit, durchnäßt zu sein, überwiegt. Für den Jäger aber ist ein Regen – ein wahres Elend. Und in gerade solch ein Elend geriethen ich und mein Jäger Jermolaj, als wir uns auf der Hühnerjagd im Belew’schen Kreise befanden. Seit dem frühen Morgen schon goß es wie mit Spähnen. Was hatten wir nicht schon alles gethan, uns vor dem Regen zu schützen! Unsere Gummimäntel fast ganz über den Kopf gezogen, die dickbelaubtesten Bäume, unter denen es weniger tröpfelte, als Schutz ausgesucht . . . die wasserdichten Mäntel, davon abgesehen, daß sie uns beim Schießen hinderlich waren, ließen auch das Wasser auf die unverschämteste Weise durch; und unter den Bäumen schien es anfangs nicht zu tröpfeln, wenn aber das vom Regen schwerer und schwerer gewordene Laub sich neigte, so ließ jeder Ast wie aus einer Spritze eine ganz gehörige Menge Wasser auf einmal auf uns herab, die als kalter Strahl hinter das Halstuch bis tief den Rücken hinablief . . . »Und das war schon des Guten zu viel, gar nicht zum Aushalten!« wie Jermolaj sich ausdrückte.
»Nein, Peter Petrowitsch,« rief er endlich aus, »so geht das nicht weiter! Heute läßt sich nicht jagen. Den Hunden geht bei dem Regen die Witterung verloren; das Gewehr versagt . . . Pfui, ist das eine Aufgabe!«
»Ja, aber was sollen wir denn anfangen?« fragte ich.
»Je nun, lassen Sie uns nach Alexejewka aufbrechen. Ihnen ist’s vielleicht unbekannt – aber es steht dort ein Bauernhof – der gehört Ihrer Mutter; – es mögen etwa acht Werst von hier sein. Dort könnten wir die Nacht über bleiben, und morgen . . .
»Hierher zurückkehren?«
»Nein, nicht hierher. . . In der Nähe von Alexejewka weiß ich ein paar Stellen . . . viel günstiger als diese hier, für die Jagd auf Birkhühner.«
Ich fragte meinen treuen Begleiter nicht, warum er mich denn nicht geradeswegs dahin geführt hatte, wir machten uns auf und kamen noch am selben Tage nach dem Bauernhose, von dessen Vorhandensein ich in der That keine Ahnung gehabt hatte. Bei demselben stand ein kleineres Nebengebäude, das freilich alt und nicht zu bewohnen, daher auch reinlich war; in diesem brachte ich eine ziemlich ruhige Nacht zu.
Am folgenden Morgen erwachte ich bereits recht früh. Die Sonne war kaum aufgegangen, kein Wölkchen am ganzen Himmel sichtbar; Alles ringsum schimmerte im doppelten, mächtigen Glanze der Morgensonne, wie des gestrigen Regens. Während mir die Tarataika (zweiräderiger Bauernkarren) angespannt wurde, schlenderte ich in dein kleinen, einstigen Obstgarten, der jetzt ganz verwildert da lag und das Nebenhäuschen mit seinen, wohlriechende saftige Birnen tragenden alten Bäumen ringsum einschloß. Wie herrlich war es heute in der frischen freien Luft, unter dem klaren blauen Himmel, wo die trillernden Lerchen die Silberperlen ihrer helltönenden Stimmen erschallen ließen! Auf ihren Flügeln trugen sie sicher Thautropfen mit empor und ihre Lieder selbst klangen wie thaubenetzt. Ich lüftete meine Kopfbedeckung und athmete aus voller Brust hoch auf. Am Fuß eines nicht tiefen Abhangs war ein Bienenstand abgezäunt. Ein schmaler Fußpfad führte zu demselben hin, sich durch dichtes Unkraut und Nesseln dahinschlängelnd, zwischen welchen eine Menge, Gott weiß von woher angewehter, spitziger Halme dunkelgrüner Hanfpflanzen hervorragten.
Ich schlenderte auf dem Fußpfade hin und gelangte an den Bienenstand. Hart an demselben stand ein geflochtener, kleiner Schuppen, ein sogenannter Amschanik, in welchen man im Winter die Bienenstöcke stellt. Ich warf einen Blick in die halbgeöffnete Thür desselben: drinnen war alles dunkel, still, trocken; ein Geruch von Krauseminze und Melissen strömte mir entgegen. In einem Winkel stand eine Art roher Bettstelle und auf derselben lag, in eine Bettdecke gewickelt, eine kleine Gestalt . . . Ich wollte mich entfernen . . .
»Herr, ach guter Herr, Peter Petrowitsch!« rief eine schwache, feine Stimme, gedehnt und heiser, wie das Säuseln des Schilfs am Sumpfe mir zu.
Ich blieb unwillkürlich stehen.
»Peter Petrowitsch! Treten Sie näher, bitte!« wiederholte die Stimme sanft und flehend. Sie kam aus jener von mir bemerkten Ecke, vom dort stehenden Bette her.
» Ich näherte mich demselben – und blieb starr « vor Verwunderung stehen.
Vor mir lag ein lebendes menschliches Wesen – aber welch’ ein trauriges!
Der vollkommen ausgetrocknete, kupferfarbene, mumienhafte Kopf vor mir gleich vollkommen dem eines alten griechischen Heiligenbildes; die Nase war so scharf und spitz wie die einer Messerklinge, von Lippen fast keine Spur, nur Zähne und Augen allein waren weiß und unter dem Kopftuch hingen einige dünne Strähnen flachsgelber Haare hervor. Auf den Falten der Bettdecke bewegten zwei hagere, skelettartige, ganz braune Händchen die langen dünnen Finger langsam wie steife Stäbchen. Ich blickte mit gespannter Aufmerksamkeit auf das traurige Geschöpf: eigenthümlich, nicht nur daß dass Gesichtchen nichts Abstoßendes, Unangenehmes hatte, es schien mir sogar lieblich, sanft – doch aber entsetzlich anzuschauen; ganz etwas Ungewöhnliches! Und um so entsetzlicher erschien mir dieses Gesicht, als ich auf seinen metallfarbenen Wangen und Lippen die vergebliche Anstrengung las, mir zuzulächeln!
»Sie erkennen mich nicht, Herr?« lispelte die Stimme, die gewissermaßen die Worte zwischen den farblosen sich kaum bewegenden Lippen hervorhauchte. – »Ja, wie sollten Sie auch wohl! Ich bin ja die Lukéria (Lucrezia) . . . erinnern Sie sich, die den Reigentanz bei Ihrer Mutter auf dem Dorfe zu führen pflegte . . . erinnern Sie sich, ich war ja auch oft die Vorsängerin?«
»Du, die Lukéria!« rief ich unwillkürlich. – »Du, ist es möglich!«
»Ja, Herr, ich . . . ich bin die Lukéria.«
Ich wußte wahrlich nicht, was ich sagen sollte und blickte bestürzt aus dieses dunkle unbewegliche Gesicht mit den starr auf mich gerichteten, hellen und doch zugleich todten Augen. »War denn das zu glauben?« diese Mumie sollte jene Lukéria sein, das schönste, blühendste Mädchen nicht allein im ganzen Dorfe, sondern weit und breit umher? – jene hohe, üppigvolle, blendend weiße, muntere Dirne, mit den rothen Wangen, dem Grübchen im runden Kinn und dem schelmischen Blick, jene Tänzerin und Sängerin mit der glockenhellen Stimme? jene kluge Lukéria, welche allen jungen Burschen die Köpfe verdrehte, die selbst mir damals sechzehnjährigen Jüngling heiß um’s Herz machte und um welche ich heimlich seufzte?«