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3. Kapitel. Heulender Hunger

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Der Tag begann günstig. Kein Hund war in der Nacht verschwunden, und in besserer Stimmung begaben sich die Männer auf die Fahrt durch das Schweigen, die Dunkelheit und die Kälte. Bill schien die trüben Ahnungen der letzten Nacht vergessen zu haben und scherzte und spaßte sogar mit den Hunden, die um die Mittagszeit den Schlitten an einer schlechten Wegstelle umgeworfen hatten.

Die Verwirrung war fürchterlich. Der Schlitten war zwischen einem Baumstamm und einem ungeheuren Felsblock eingeklemmt und noch dazu um und umgekehrt. Die Männer waren gezwungen, die Hunde auszuspannen, und als sie sich über den Schlitten beugten, um ihn aufzurichten, bemerkte Heinrich, dass Einohr zur Seite schlich.

»Hierher, Einohr!« rief er ihm zu, indem er sich aufrichtete und nach dem Hund umwandte. Aber Einohr begann über den Schnee zu laufen, indem er die Stricke hinter sich herschleppte, denn auf der zurückgelegten Bahn stand die Wölfin und wartete auf ihn. Als er näher kam, wurde er plötzlich vorsichtig. Anstatt zu laufen, machte er kurze, zierliche Schritte und blieb dann stehen. Er betrachtete sie aufmerksam und misstrauisch, doch voller Verlangen. Sie schien ihm zuzulächeln, indem sie ihm die Zähne in mehr schmeichelnder als drohender Weise zeigte. Sie machte spielend ein paar Schritte auf ihn zu und blieb dann stehen. Einohr ging näher, immer noch auf der Hut, mit gespitzten Ohren, erhobenem Schwanz und den Kopf hoch in der Luft. Er machte den Versuch, sie zu beschnuppern, aber sie sprang scheu wie spielend rückwärts, und jedesmal, wenn er sich näherte, wich sie zurück und lockte ihn so Schritt für Schritt aus der Sicherheit der menschlichen Gefährten. Einmal, als ob eine unbestimmte Warnung ihm durch den Kopf geschossen wäre, blickte er sich nach dem umgeworfenen Schlitten, den Gefährten und den beiden Männern um, die ihm fortwährend zuriefen. Allein was auch immer in seinem Geiste vorgehen mochte, es wurde durch die Wölfin zerstreut, die auf ihn zukam, ihn einen Augenblick beschnüffelte und dann wieder scheu vor ihm zurückwich, als er sich von neuem ihr näherte.

Mittlerweile hatte sich Bill der Büchse erinnert, die eingeklemmt unter dem umgeworfenen Schlitten lag, doch bis Heinrich ihm geholfen hatte, denselben aufzurichten, standen Einohr und die Wölfin dicht beisammen, und die Entfernung war für einen Schuss zu groß.

Zu spät erst sah Einohr seinen Fehler ein. Bevor die Männer sehen konnten, was vorging, hatte er sich umgedreht und begann auf sie zuzulaufen. Plötzlich sahen sie, wie ein Dutzend hagere, graue Wölfe über den Schnee springend sich im rechten Winkel der Bahn näherten und ihm den Rückzug abschnitten. Augenblicklich verschwand die Scheu und die spielerische Laune der Wölfin. Wild knurrend sprang sie auf Einohr los. Er parierte den Angriff mit der Schulter und versuchte, da ihm der gerade Rückweg zum Schlitten abgeschnitten war, im Bogen dahin zu gelangen. Allein immer mehr Wölfe erschienen und nahmen die Verfolgung auf, während die Wölfin nur wenige Schritte hinter ihm herlief.

»Wo willst du hin?« fragte Heinrich plötzlich und legte die Hand auf den Arm des Gefährten. Bill riss sich los. »Ich kann das nicht länger mit ansehen,« sagte er. »Sie sollen keinen von den Hunden mehr haben, wenn ich's verhindern kann.«

Mit der Flinte in der Hand sprang er in das Gebüsch neben der Bahn. Seine Absicht war klar genug. Er wollte den Bogen, den Einohr beschrieb, noch vor dessen Verfolgern berühren, und er hoffte, mit der Büchse in der Hand und im hellen Licht des Tages würde es ihm möglich sein, den Wölfen Furcht einzujagen und den Hund zu retten.

»Höre, Bill,« rief ihm Heinrich nach, »sei vorsichtig. Wage dich nicht zu weit vor!«

Heinrich setzte sich auf den Schlitten und wartete, für ihn war weiter nichts zu tun. Bill war ihm gänzlich aus dem Gesicht verschwunden, aber er konnte Einohr sehen, wie er hin und wieder im Gebüsch oder hinter den Tannen verschwand und wieder zum Vorschein kam. Heinrich hielt das Schicksal des Hundes für hoffnungslos und dieser schien sich seiner Gefahr vollkommen bewusst zu sein, denn er rannte in dem weiteren Bogen, während das Rudel Wölfe den Inneren und kleineren Kreis beschrieb. Es war eine vergebliche Hoffnung, dass Einohr über die Verfolger einen so großen Vorsprung gewinnen würde, dass er an ihnen vorbei und quer zum Schlitten gelangen konnte.

Rasch näherten sich die verschiedenen Linien dem verhängnisvollen Punkte. Draußen im Schnee, von Bäumen und Gebüsch verdeckt, das wusste Heinrich, waren die Wölfe mit Einohr und Bill zusammengekommen. Nur zu schnell, viel schneller als er es erwartet hatte, war es geschehen. Er hörte einen Schuss, dann noch zwei in rascher Aufeinanderfolge und wusste, dass Bills Munition verbraucht wäre.

Dann erhob sich ein fürchterlicher Lärm, ein wütendes Knurren und Kläffen. Er erkannte Einohrs gellenden Todesschrei, er hörte das Wehgeschrei eines sterbenden Wolfs, dann war alles aus. Das wütende Geknurr hörte auf, das wilde Gekläff erstarb und tiefes Schweigen senkte sich über das einsame Land.

Der Mann blieb noch eine Zeitlang auf dem Schlitten sitzen. Er brauchte nicht hinzugehen, um zu sehen, was sich zugetragen hatte; er wusste es als wäre es vor seinen Augen geschehen. Einmal fuhr er auf und griff hastig nach der Axt, die auf dem Schlitten festgebunden war. Aber er setzte sich wieder und brütete weiter, während die beiden noch übrigen Hunde sich zitternd an ihn schmiegten.

Endlich erhob er sich müde, wie wenn alle Widerstandskraft aus seinem Körper gewichen wäre, und schickte sich an, die Hunde vor den Schlitten zu spannen. Er schlang einen Strick um die Schulter und zog mit den Hunden gemeinsam. Er wanderte nicht weit. Sobald die Dunkelheit hereinbrach, schlug er schnell das Lager auf und trug für einen reichlichen Holzvorrat Sorge. Er fütterte die Hunde, kochte das Abendessen und machte das Bett dicht neben dem Feuer zurecht.

Allein er sollte keine Ruhe finden. Bevor er die Augen schloss, waren die Wölfe für seine Sicherheit viel zu nahe gekommen. Man brauchte sich nicht mehr anzustrengen, um sie zu sehen. Sie waren alle in engem Kreise dicht um das Feuer, er konnte sie deutlich sehen. Einige lagen, andere saßen, noch andere krochen auf dem Bauche heran oder schlichen vor- und rückwärts, und einige schliefen sogar. Hier und da sah er einen, der wie ein Hund zusammengerollt im Schnee dalag und sich des Schlafes erfreute, der ihm versagt war.

Er unterhielt ein helles Feuer, denn er wusste, dass das das einzige Mittel sei, ihre gierigen Zähne von seinem Leibe fernzuhalten. Die beiden Hunde hielten sich dicht in seiner Nähe und schmiegten sich, wie um Schutz flehend, an ihn und knurrten wütend oder winselten erschrocken, wenn ein Wolf sich zu nahe heranwagte. In solchen Augenblicken pflegte der ganze Kreis lebendig zu werden. Die Wölfe sprangen dann auf und drängten vorwärts, während lautes Gekläff und wütendes Geknurr ringsum erscholl. Dann wieder legte sich der Lärm, und hier und da versank ein Wolf von neuem in Schlaf.

Doch immer enger ward der Kreis. Allmählich, Zoll für Zoll zog er sich zusammen, indem hier und da ein Wolf näher kroch, bis die Tiere nur noch auf Sprungweite entfernt waren. Dann pflegte wohl der Mann ein brennendes Holzscheit in die Hand zu nehmen und es unter das Rudel zu schleudern. Ein eiliger Rückzug erfolgte unter ärgerlichem Gekläff und Geknurr, wenn ein wohlgezielter Wurf ein zu dreistes Tier getroffen und versengt hatte.

Der Morgen fand den Mann müde, matt und schlaftrunken an. Er kochte im Dunkeln das Frühstück, und als der Tag um neun Uhr anbrach und das Rudel sich zurückzog, machte er sich an die Arbeit, die er in den langen Stunden der Nacht geplant hatte. Er hieb junge Tannenbäume um und machte daraus Stangen, der er hoch oben in den Kronen einiger Bäume zu einem festen Gerüste verschränkte. Dann zog er mit Hilfe der Hunde mit den Schlittenriemen, die er als Seil benutzte, den Sarg auf dieses Gerüst hinauf.

»Sie haben Bill gekriegt, und sie mögen auch mich bekommen, aber, junger Mann, dich sollen sie nicht haben,« sagte er zu der Leiche auf dem Baum.

Dann machte er sich auf den Weg, während der leichte Schlitten hinter den willigen Hunden rasch dahintanzte, denn auch sie wussten, dass ihre Sicherheit nur von ihrer Ankunft in Fort Mc. Gurry abhinge. Die Wölfe wurden in ihrer Verfolgung immer dreister, sie trabten lässig im Rücken und zu beiden Seiten hinterher, während die roten Zungen heraushingen und die Rippen in den mageren Körpern bei jeder Bewegung zu sehen waren. Sie waren wirklich nur noch Haut und Knochen und die Muskeln zu Bindfäden zusammengeschrumpft, so dass Heinrich sich im Stillen wunderte, wie sie noch auf den Beinen bleiben konnten, und sich fragte, ob sie nicht jeden Augenblick im Schnee zusammenbrechen würden.

Er wagte es nicht, bis zum Dunkelwerden zu wandern. Um Mittag erwärmte die Sonne nicht nur den südlichen Horizont, sondern sie zeigte sogar einen blassen, goldenen Streifen am Himmel. Er nahm dies als Zeichen, dass die Tage nun wieder länger würden und die Sonne wiederkehre. Allein kaum war ihr freundlicher Schein verschwunden, als er schon das Lager aufschlug. Es blieben ihm noch mehrere Stunden matten Tageslichtes und grauer Dämmerung, allein er benutzte dieselben, um einen großen Vorrat Brennholz zu schlagen.

Mit der Nacht kehrten die Schrecken wieder. Nicht nur wurden die hungrigen Wölfe dreister, sondern Heinrich litt auch unter der Schlaflosigkeit. Er entschlummerte unwillkürlich, wie er mit den Decken um die Schultern, dem Beil zwischen den Knien und die Hunde zu beiden Seiten neben dem Feuer hockte. Er erwachte einmal und erblickte vor sich, nicht zwölf Schritte entfernt, einen großen grauen Wolf, einen der größten des Rudels. Als er ihn erblickte, reckte sich das Tier bedächtig wie ein Hund und gähnte ihm ins Gesicht, indem er ihn mit einem Ausdruck anschaute, als sei er nur eine hinausgeschobene Mahlzeit, die bald verzehrt werden würde, und diese Sicherheit zeigte auch das ganze Rudel. Er zählte noch zwanzig Wölfe, die ihn alle hungrig anstarrten oder ruhig im Schnee liefen. Sie erinnerten ihn an Kinder, die um einen gedeckten Tisch herumstehen und nur auf die Erlaubnis zum Essen warten. Und er selber war diese Mahlzeit! Er wunderte sich nur, wie und wann dieselbe beginnen würde.

Wie er so Holz auf das Feuer warf, kam es ihm in den Sinn, dass er seinen Körper noch nie zuvor so bewundert hätte. Er betrachtete das Spiel der Muskeln, er bewunderte die sinnreiche Mechanik der Finger. Beim Schein des Feuers krümmte er dieselben langsam und wiederholt; bald jeden einzeln, bald alle zusammen spreizte er sie aus und machte damit schnelle Bewegungen des Greifens. Er besah genau die Nägel, betastete bald derb, bald sanft die Fingerspitzen, um das Gefühl in den Nerven zu prüfen. Das alles entzückte ihn, und er fing auf einmal an, diesen zu künstlich bereiteten Leib liebzugewinnen, der so schön, so glatt, so fein arbeitend ihm gehorchte. Dann warf er einen scheuen Blick auf die Wölfe, die erwartungsvoll im Kreise um ihn herumstanden, und mit einem Schlage fuhr es ihm durch den Sinn, dass dieser wunderbare Leib, dies lebendige Fleisch nichts weiter sei als eine von den hungrigen Tieren heißbegehrte Speise, die sie gierig mit den Zähnen zerfleischen würden, geradeso wie ein Elch, ein Kaninchen auch nur Speise für ihn gewesen wäre.

Einmal fuhr er aus dem Schlummer, der nur einem bösen Traume glich, empor und sah die rötliche Wölfin vor sich. Sie saß nur ein halb Dutzend Schritte von ihm entfernt im Schnee und blickte ihn unverwandt an. Die beiden Hunde ihm zu Füßen winselten und knurrten, aber sie kümmerte sich darum nicht. Sie blickte nur den Mann an, und auch er starrte sie eine Weile an. Es lag keine Drohung in ihrem Blick. Sie schaute ihn nur gleichsam sinnend an, aber er wusste, dass dieser Ausdruck nur eine Folge großen Hungers wäre. Er war Speise, und sein Anblick erzeugte in ihr die Begier des Appetits. Ihr Mund öffnete sich, der Speichel floß heraus und sie leckte sich das Maul im angenehmen Gefühl der Vorfreude.

Eine wilde Angst durchzuckte ihn. Er streckte die Hand nach einem brennenden Holzscheit aus, um es nach ihr zu werfen. Allein ehe seine Finger das Wurfgeschoß erfasst hatten, sprang sie schnell zurück, und er wusste, dass sie es gewohnt gewesen war, mit Feuerbränden geworfen zu werden. Sie hatte beim Wegspringen geknurrt und dabei all ihre weißen Zähne bis zur Wurzel entblößt. Der sinnende Ausdruck war verschwunden und eine boshafte Gier an seine Stelle getreten, die ihm Schauder einflößte. Er blickte auf seine Hand, die noch das brennende Holzscheit hielt, und bemerkte, wie sich die Finger so zart und fein um die ungleiche Oberfläche legten, wie sie sich um das raue Holz krümmten, und wie der kleine, der dem brennenden Teil des Holzes zu nahe kam, feinfühlig von selber vor der sengenden Glut zurückfuhr und einen kühleren Platz aufsuchte, und im nämlichen Augenblick schaute der Mann wie in einem Gesichte, wie diese feinfühligen, zartbesaiteten Finger von den weißen Zähnen der Wölfin zermalmt wurden. Nein! nie zuvor hatte er seinen Leib so lieb gehabt als nun, da er denselben vielleicht nicht mehr lang sein eigen nennen würde. Die ganze Nacht scheuchte er das hungrige Rudel mit Feuerbränden zurück. Wenn er unwillkürlich einschlummerte, so weckte ihn das Gewinsel und Geknurr der Hunde. Der Morgen kam, aber zum ersten Mal verscheuchte das Licht des Tages die Wölfe nicht mehr. Der Mann wartete vergebens, dass sie sich zurückziehen sollten. Sie blieben im Kreise um ihn und um das Feuer und zeigten eine freche Sicherheit, die seinen durch das Morgenlicht erzeugten Mut erschütterte.

Er machte einen verzweifelten Versuch, sich auf den Weg zu machen, allein in dem Augenblick, als er den Schutz des Feuers verließ, sprang der kühnste Wolf auf ihn los, doch zu kurz. Der Mann rettete sich dadurch, dass er zurückwich, aber kaum sechs Zoll von seiner Hüfte klappten die Zähne des Tieres zusammen. Das übrige Rudel drang auf ihn ein, und nur durch Feuerbrände, die er rechts und links um sich warf, trieb er die Wölfe in eine respektvolle Entfernung zurück.

Selbst am hellen Tage wagte er es nicht, das Feuer zu verlassen, um Holz zu hauen. Etwa zwanzig Fuß entfernt erhob sich eine ungeheure vertrocknete Tanne. Er verbrachte die Hälfte des Tages damit, das Lagerfeuer nach dem Baume hinzuziehen, wobei er stets ein halbes Dutzend brennender Reisigbündel bereithielt, um sie auf die Feinde zu schleudern. Als er den Baum erreicht hatte, studierte er den Wald in der Umgegend, um den Baum in der Richtung zu fällen, wo es das meiste Brennholz gab.

Die Nacht verlief wie die vorige, nur dass das Bedürfnis nach Schlaf überwältigend wurde. Das Knurren der Hunde verlor seine Wirksamkeit, denn sie knurrten jetzt fortwährend, und seine schlaftrunkenen, halb erstarrten Sinne nahmen es nicht mehr wahr, wenn der Ton lauter und dringender wurde. Einmal schreckte er empor; die Wölfin war kaum einen Meter von ihm entfernt. Mechanisch ergriff er einen Feuerbrand und schleuderte ihn ihr in den offenen Rachen. Sie sprang zurück und heulte gellend vor Schmerz, und während er über den Gestank des versengten Haares und Fleisches frohlockte, sah er, wie sie zornig knurrend mit dem Kopfe hin und her schlenkerte.

Darauf band er sich, bevor er wieder einschlummerte, einen brennenden Fichtenast an die rechte Hand. Nur auf wenige Augenblicke schloss er die Augen, dann erweckte ihn der Schmerz der Flamme an dem eigenen Fleische. An diesem Plane hielt er mehrere Stunden lang fest, und alles ging gut, bis er den Ast einmal nicht fest genug angebunden hatte. Als diesmal seine Augen sich geschlossen hatten, fiel ihm der Ast aus der Hand.

Er träumte, dass er in Fort Mc. Gurry wäre. Es war warm und gemütlich dort, und er spielte mit dem Agenten Karten. Dabei schien es ihm, als sei das Fort von Wölfen umzingelt. Sie heulten vor dem Tor, und manchmal hielt er oder der Agent im Spiel inne, um zu lauschen und über ihre fruchtlosen Versuche einzudringen, zu lachen. Plötzlich gab es einen Krach. Die Tür wurde seltsamerweise erbrochen, und er konnte sehen, wie die Wölfe in das große Wohnzimmer des Forts eindrangen. Der Lärm und das Geheul war fürchterlich geworden, und dieses Geheul störte ihn jetzt. Der Traum verwandelte sich, aber das Geheul blieb.

Plötzlich erwachte er vollständig und fand, dass der Lärm Wirklichkeit sei. Mit furchtbarem Geheul und Gekläff stürzten die Wölfe über ihn her. Die Zähne des einen hatten sich über seinem Arm geschlossen, und als er instinktiv ins Feuer sprang, fühlte er, wie die Zähne eines andern ihm ins Bein drangen. Und nun begann ein Kampf mit den Waffen des Feuers. Eine Zeitlang schützten die dicken Pelzhandschuhe ihm die Hände, und so warf er nach allen Richtungen glühende Kohlen in die Luft, bis das Lagerfeuer einem Vulkan glich. Doch konnte das nicht lange dauern. Die Hitze versengte ihm das Gesicht, die Augenbrauen und Wimpern waren ihm verbrannt und an den Füßen wurde die Glut unerträglich. Mit einem brennenden Ast in der Hand sprang er aus dem Feuer heraus, doch die Wölfe hatte er zurückgetrieben. Überall, wohin die glühenden Kohlen gefallen waren, zischte es im Schnee, und von Zeit zu Zeit verkündete ein knurrendes Gebrumm und ein wilder Satz, dass ein fliehender Wolf auf eine glühende Kohle getreten war.

Nachdem der Mann noch ein paar feurige Brände den letzten Feinden nachgeschickt hatte, warf er die rauchenden Pelzhandschuhe in den Schnee und stampfte umher, um sich die Füße abzukühlen. Die beiden letzten Hunde waren fort, und er wusste wohl, dass sie nur ein Gang bei dem lang ausgesponnenen Mahl gewesen waren, das mit dem Dicken begonnen hatte, und dessen letzter wahrscheinlich er selber sein würde.

»Ihr habt mich aber doch noch nicht!« schrie er und ballte die Faust gegen die hungrigen Bestien, und bei dem Ton seiner Stimme geriet das ganze Rudel in Aufregung. Das Knurren wurde allgemein, und die Wölfin schlich heran und betrachtete ihn gierig.

Er machte sich jetzt daran, eine Idee, die ihm gekommen war, auszuführen. Er dehnte das Feuer zu einem großen Kreise aus und ließ sich innerhalb desselben auf den Schlafdecken nieder, um sich gegen den schmelzenden Schnee zu schützen. Allein kaum war er hinter der Flammenmauer verschwunden, als das ganze Rudel neugierig näher kam, um zu sehen, was aus ihm geworden wäre. Bisher war ihnen die Nähe des Feuers verwehrt gewesen, nun ließen sie sich dicht um dasselbe nieder, und wie Hunde zwinkerten sie mit den Augen, gähnten und dehnten die mageren Glieder in der ungewohnten Wärme. Auf einmal setzte sich die Wölfin nieder, richtete die Nase zu den Sternen empor und begann zu heulen. Sogleich stimmte ein Wolf nach dem andern ein, bis das ganze Rudel mit himmelwärts gerichteten Nasen das Hungergeheul ertönen ließ.

Die Morgendämmerung kam und endlich das Tageslicht. Der Mann machte den Versuch, den Flammenkreis zu verlassen, aber die Wölfe stürzten über ihn her, und doch musste er Brennholz holen, denn sein Vorrat war zu Ende und das Feuer heruntergebrannt. Zwar scheuchten die geschleuderten Feuerbrände die Wölfe zur Seite, doch nicht mehr völlig zurück, und als er es endlich aufgab und in den Flammenkreis zurücktaumelte sprang ein Wolf auf ihn los, doch zu kurz und fiel mit allen Vieren in die Kohlen. Das Tier schrie erschrocken auf, fletschte die Zähne und hinkte zurück, um die Pfoten im Schnee abzukühlen.

Der Mann kauerte auf den Decken nieder. Den Oberkörper vornüber gelehnt, den Kopf zwischen den Knien, schien er den Kampf aufgegeben zu haben, nur von Zeit zu Zeit hob er die Augen, um das Niedersinken des Feuers zu beobachten. Der Flammenkreis begann Lücken zu zeigen, die allmählich immer größer wurden.

»Vermutlich könnt ihr bald kommen, um mich zu holen,« murmelte er. »Auf jeden Fall will ich jetzt schlafen.«

Einmal erwachte er und sah in einer Lücke zwischen den Flammen gerade vor sich die Wölfin stehen und ihn unverwandt anblicken. Wiederum wachte er auf, nur wenig später, obgleich es ihm schien, als seien Stunden verstrichen. Allein eine merkwürdige Veränderung war eingetreten, eine so rätselhafte, das er verwundert die Augen aufriss. Was sich zugetragen hatte, konnte er anfangs nicht verstehen, doch die Wölfe waren fort, nur der zertretene Schnee ringsum zeigte, wie nahe sie ihm gewesen. Der Schlaf übermannte ihn von neuem, sein Kopf sank herab, als er plötzlich zusammenfuhr. Er hatte Menschenstimmen gehört, das Knirschen des Schnees unter den Schlitten, das Knarren von Lederriemen, das Bellen von Hunden. Vier Schlitten kamen vom Flussbett herauf und nach dem Lagerplatz unter den Bäumen. Ein halbes Dutzend Leute umstanden den Mann, der mitten in dem ersterbenden Feuer hockte. Sie rüttelten ihn, sie brachten ihn mit Gewalt zu sich. Er blickte sie wie ein Betrunkener an und lallte in seltsam schlaftrunkener Weise: »Rothaarige Wölfin – kam mit den Hunden zum Füttern – fraß zuerst das Hundefutter, – dann die Hunde – und hernach Bill –«

»Wo ist Lord Alfred?« schrie einer der Männer ihm ins Ohr, indem er ihn derb schüttelte. Der andere schüttelte den Kopf.

»Nein, den hat sie nicht bekommen. Der ist oben in den Bäumen am letzten Lagerplatz.«

»Tot?« schrie der Mann.

»Ja, – und im Kasten,« antwortete Heinrich. Dann schüttelte er verdrießlich die Hand des Fragenden von der Schulter ab und fuhr fort: »Lass mich in Ruh', hörst du? Ich bin ganz kaputt. – Gute Nacht, ihr alle.«

Die Augen fielen ihm zu, sein Kinn sank auf die Brust, und kaum hatten sie ihn auf die Decken im Schnee gelegt, so erklang sein Schnarchen durch die frostkalte Luft.

Doch ein anderer Ton ließ sich noch vernehmen, schwach und in weiter Ferne – das Geheul der hungrigen Wölfe, die auf andern Raub ausgingen, da der Mensch ihnen entgangen war.

Wolfsblut

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