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VII

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Nach drei Tagen wechselnden Windes waren wir endlich in den Nordostpassat gekommen. Trotz meinem Knie hatte ich gut geschlafen, und als ich jetzt das Deck betrat, fand ich die ›Ghost‹ mit vollen Segeln außer den Klüvern vor einem frischen Winde vorwärtsjagend. O dieser wunderbare, mächtige Passat! Den ganzen Tag segelten wir, die ganze Nacht, den nächsten Tag und die nächste Nacht und wieder Tag um Tag, immer vor demselben stetigen, starken Winde. Der Schoner segelte ganz von selbst. Es gab kein Heißen und Hahlen von Leinen und Schooten, kein Umlegen der Toppsegel, keine andere Arbeit für die Matrosen, als zu steuern. Nachts, wenn die Sonne untergegangen war, wurden die Segel gelockert, wenn morgens dann der Tau verdampfte, wurden sie wieder angezogen – das war alles.

Abwechselnd zehn, zwölf, elf Knoten ist die Geschwindigkeit, mit der wir fahren. Und immer aus Nordost bläst der brave Wind, der uns von Morgengrauen bis Morgengrauen an zweihundertundfünfzig Meilen weit auf unserm Kurs treibt. Sie stimmt mich trübe und wieder froh, diese Eile, mit der wir San Francisco hinter uns lassen und hinab in die Tropen schäumen. Mit jedem Tage wird es fühlbar wärmer. In der zweiten Hundewache kommen die Matrosen nackt an Deck und begießen sich eimerweise mit Wasser. Fliegende Fische zeigen sich schon, und nachts versucht die Wache die auf Deck gefallenen zu fangen. Thomas Mugridge hat seine obligate Bestechung bekommen, und so steigt aus der Kombüse der herrliche Duft von gebratenen fliegenden Fischen, während vorn und achtern Delphinfleisch aufgetischt wird. Johnson hat die schimmernden schönen Tiere von der Spitze des Bugspriets aus gespeert.

Johnson verbringt fast die ganze Zeit dort oder hoch oben auf den Dwarssalingen und beobachtet die ›Ghost‹, wie sie das Wasser unter dem Druck ihrer Segel durchschneidet. Leidenschaft und Bewunderung leuchten aus seinen Augen, und in einer Art Verzückung starrt er auf die schwellenden Segel, das schäumende Kielwasser und das Heben und Senken über die nassen Berge, die majestätisch unserer Bahn folgen.

Tage und Nächte sind ein Wunder und wildes Entzücken, und obgleich meine traurige Arbeit mir nur wenig Zeit läßt, stehle ich mir doch hie und da einen Augenblick, um immer wieder auf die unendliche Pracht zu schauen, die in der Welt zu finden ich mir nicht hätte träumen lassen. Der Himmel droben ist fleckenlos blau – blau wie das Meer selbst, das unter dem Bug wie azurfarbener Atlas schimmert. Auf allen Seiten stehen am Horizont blasse Wolkenlämmer, unbeweglich, unveränderlich, wie eine Silberfassung um den makellosen Himmelstürkis.

Eine Nacht werde ich nie vergessen. Ich hätte schlafen sollen, lag jedoch auf der Back und blickte hinab auf das geisterhafte Schaumgekräusel, das der Bug der ›Ghost‹ beiseiteschob. Es klang wie das Rieseln eines Bächleins über bemooste Steine in einem stillen Tal, und das leise Murmeln verzauberte mich und ließ mich vergessen, dass ich ›Hump‹, der Kajütsjunge, dass ich van Weyden war, der Mann, der fünfunddreißig Jahre zwischen Büchern verträumt hatte. Aber eine Stimme hinter mir rief mich in die Wirklichkeit zurück. Es war die wohlbekannte Stimme Wolf Larsens, stark wie die unüberwindliche Sicherheit des Mannes, und doch weich wie die Worte, die er sprach:

O die Tropennacht! Sie glüht,

Und das Meer von Funken sprüht

Und den Himmel kühlt.

Stetig zieht der Bug voran

Seine sternbesäte Bahn,

Wo der Wal, der wilde, spielt.

Dein Rumpf ist zernarbt von der Sonne, mein Schiff,

Deine Falle sind straff vor Tau,

Denn wir brausen hinab unsern alten Weg, abseits von den andern,

Den langen Weg nach Süden wir wandern.

Den Weg, der stets neu, ins leuchtende Blau!

»Na, Hump? Wie gefällt Ihnen das?« fragte er nach einer angemessenen, durch Worte und Situation bedingten Pause.

Ich sah ihm ins Gesicht. Es glühte von Licht wie das Meer selbst, und seine Augen schimmerten im Sternenschein.

»Ich bin, offengestanden, ganz erstaunt über Ihre Begeisterung«, erwiderte ich kalt.

»Ja, Mann, das ist das Leben! Das Leben selbst!« rief er.

»Das eine billige Ware ohne Wert ist«, gab ich ihm mit seinen eigenen Worten zurück.

Er lachte, und es war das erstemal, dass ich eine ehrliche Lustigkeit in seiner Stimme hörte.

»Sie wollen also nicht verstehen, was Leben heißt; ich kann es Ihnen nicht in den Schädel hämmern! Natürlich ist das Leben wertlos, nur nicht für einen selber. Und ich kann Ihnen sagen, dass mein Leben jetzt gerade recht wertvoll ist – für mich. Es ist um keinen Preis zu kaufen, was Sie sicher für maßlose Überschätzung halten werden. Aber ich kann nichts dafür, denn es ist eben das Leben in mir, das den Wert bestimmt.«

Er schien nach Worten zu suchen, um seine Gedanken auszudrücken, und fuhr dann fort:

»Wissen Sie, ich bin seltsam gehoben. Die ganze Zeit fühle ich einen Widerhall in mir, als wäre alle Macht der Welt mein. Ich erkenne die Wahrheit, ich kann göttlich Gutes von Bösem, Recht von Unrecht unterscheiden. Ich sehe weit und klar. Fast könnte ich an Gott glauben. Aber – und seine Stimme veränderte sich, und das Licht erlosch auf seinem Antlitz – was ist das für ein Zustand, in dem ich mich befinde? Diese Lebensfreude? Dieser Triumph des Lebens? Diese Inspiration, wie ich es wohl nennen darf? Das ist etwas, das kommt, wenn die Verdauung nicht gestört, wenn der Magen in Ordnung, der Appetit gut ist und der ganze Organismus richtig funktioniert. Es ist eine Bestechung des Lebens, Champagner des Blutes, das Aufwallen des Ferments – manchen gibt es heilige Gedanken ein, andere läßt es Gott sehen oder, wenn sie ihn nicht sehen, erschaffen. Das ist alles – der Rausch des Lebens, das Aufbrausen des Gärstoffes, das Murmeln des Lebens, das trunken ist von dem Bewußtsein, zu leben. Und – pah! Morgen muß ich dafür zahlen, wie der Säufer zahlen muß. Morgen weiß ich, dass ich sterben muß, höchstwahrscheinlich auf dem Meere, dass ich nicht mehr selbsttätig kriechen, dass ich mich nur noch in Fäulnis bewegen werde mit den Bewegungen der See, dass ich gefressen werde, um alle Kraft und Beweglichkeit meiner Muskeln zu verwandeln in die Kraft und Beweglichkeit von Flossen, Schuppen und Eingeweiden der Fische. Pah! Schon ist der Champagner schal geworden. Das Funkeln und Prickeln ist vorbei, und es ist ein fades Gesöff.«

Er verließ mich ebenso plötzlich, wie er gekommen, lautlos mit der Wucht und Leichtigkeit eines Tigers. Die ›Ghost‹ pflügte sich ihren Weg. Das Gurgeln am Bug tönte wie Schnarchen, und als ich darauf lauschte, da verließ mich allmählich der Eindruck, den Wolf Larsens rascher Wechsel von hoher Begeisterung zu tiefer Verzweiflung auf mich gemacht hatte. Dann erklang mittschiffs der kräftige Tenor eines Matrosen, der das ›Lied des Passats‹ sang:

Ich bin der Wind, den der Seemann liebt –

Ich bin die Stärke und Treue,

Er folgt meiner Spur in den Wolken hoch.

Über die unergründliche Bläue.

Durch Licht und Dunkelheit folg' ich der Spur

Des Schiffes wie ein Hund,

Morgens und mittags und mitternachts

Blas ich die Segel ihm rund.

Der Seewolf

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