Читать книгу Der Sohn des Wolfes - Jack London, Jack London - Страница 5
Der Sohn des Wolfs
ОглавлениеMänner schätzen ihre Frauen selten gebührend ein, wenigstens nicht, ehe sie sie verloren haben. Der Mann weiß nicht die wunderbare Atmosphäre zu schätzen, von der die Frau umgeben ist, solange er darin lebt; nimm sie ihm aber, und eine stets wachsende Leere beginnt sich in seinem Dasein zu offenbaren, und ihn überkommt eine Art Hunger, etwas so Unbestimmbares, dass er es nicht ausdrücken kann. Haben seine Kameraden nicht mehr Erfahrung als er selber, so werden sie verständnislos den Kopf schütteln und ihm schwere körperliche Arbeit auferlegen. Aber der Hunger wird zunehmen; der Mann wird das Interesse für die Begebenheiten des täglichen Lebens verlieren und kränkeln, bis er eines schönen Tages, wenn das Gefühl der Leere unerträglich geworden ist, eine Erleuchtung hat.
Geschieht das im Yukonland, so befrachtet der Mann, wenn es Sommer ist, gewöhnlich einen Prahm oder schirrt, wenn es Winter ist, seine Hunde an und steuert nach Süden. Einige Monate später kehrt er dann, wenn er überhaupt Vertrauen zu dem Lande gewonnen hat, mit einer Frau wieder, die dies Vertrauen oder – was auch vorkommt – die Gefahren und Enttäuschungen mit ihm teilen kann. Dies soll nur dazu dienen, den Egoismus des Mannes zu zeigen. Es bringt uns aber auch auf den Fall des »Grindigen« Mackenzie, der sich in alten Tagen ereignete, ehe das Land von einwandernden Chechaquas Neulinge. überschwemmt und verteilt war, und zwar zu einer Zeit, als Klondike einzig Anspruch darauf erhob, dass man von seiner Lachsfischerei Kenntnis nehme.
Dem Grindigen Mackenzie sah man es an, dass er unter der Mühsal des Grenzerlebens geboren war und gelebt hatte. Sein Gesicht war von fünfundzwanzigjährigem unaufhörlichen Kampf mit den wildesten Launen der Natur gezeichnet, und die wildesten und härtesten Jahre von allen, die beiden letzten, hatte er damit verbracht, nach dem Gold zu graben, das dort in der Finsternis der Eisregionen verborgen liegt. Als die Sehnsucht ihn überkam, war er nicht überrascht, denn er war ein praktischer Mann und hatte andere Männer in der gleichen Lage gesehen. Aber er verheimlichte nach Möglichkeit jedes Zeichen seiner Krankheit. Das einzige, was man merkte, war, dass er schwerer als je arbeitete. Den ganzen Sommer kämpfte er mit den Moskitos und wusch die steilen Sandbänke im Stuart River für doppelten Naturalienlohn aus. Dann flößte er Bauholz den Yukon abwärts nach Forty Mile und baute sich eine so bequeme Hütte, wie sich irgendein Lager ihrer nur rühmen konnte. Sie schien so gemütlich zu werden, dass mancher Mann mit Freuden sein Partner geworden wäre, nur um bei ihm zu wohnen. Aber er vernichtete jede Hoffnung mit derben Worten, die für ihre Barschheit und Bündigkeit bekannt waren, und kaufte sich doppelten Proviantvorrat.
Wie schon erwähnt, war der Grindige Mackenzie ein praktischer Mann. Wenn er etwas haben wollte, bekam er es meistens, aber er bog nie weiter von seinem Wege ab, als streng notwendig war. Obwohl er Arbeit und Mühsal gewohnt war, scheute er doch eine Reise von sechshundert Meilen übers Eis, zweitausend Meilen übers Meer und noch ein drittes Tausend Meilen, ehe das Ziel erreicht war – alles nur, um sich eine Frau zu holen. Das Leben war zu kurz. Daher spannte er seine Hunde vor, verstaute eine merkwürdige Last auf seinem Schlitten und steuerte quer über die Wasserscheide, deren westliche Hänge von den Hauptzuflüssen des Tanana durchfurcht wurden.
Er war ein zäher Reisender, und seine Wolfshunde konnten bei weniger Nahrung schwerer arbeiten und länger laufen als irgendein Gespann in Yukon.
Drei Wochen später fuhr er dann in das Jagdlager am oberen Tanana ein. Die Indianer wunderten sich über seine Unbesonnenheit, denn sie hatten einen schlechten Ruf und waren bekannt dafür, dass sie weiße Männer um unbedeutender Dinge, wie einer geschliffenen Axt oder einer zerbrochenen Büchse, willen töteten. Aber er bewegte sich unbewaffnet, mit einer seltsamen Mischung von Demut, Vertraulichkeit, Kaltblütigkeit und Unverschämtheit unter ihnen. Eine flinke Hand und eine tiefe Kenntnis von der Mentalität der Wilden gehörte dazu, um mit Glück so verschiedene Waffen zu handhaben; aber er war ein Meister in dieser Kunst und wusste, wann er schmeicheln und wann er mit dem Donnerkeil seines Zornes drohen sollte.
Zuerst machte er dem Häuptling Thling-Tinneh seine Aufwartung und überreichte ihm ein paar Pfund schwarzen Tee und Tabak, wodurch er seine äußerste Gewogenheit gewann. Dann mischte er sich unter die Männer und Mädchen und gab ihnen am Abend einen Potlach. Der Schnee wurde festgestampft in einem Oval, das etwa hundert Fuß in der Länge und fünfundzwanzig Fuß in der Breite maß. In der Mitte wurde ein langes Feuer angezündet und der ganze Platz mit Zweigen bedeckt. Die Hütten standen verlassen, und die ungefähr hundert Mitglieder des Stammes sangen zu Ehren ihres Gastes. Der Grindige Mackenzie hatte sich ihren nicht sehr reichen Wortschatz angeeignet und wusste auch in ihren tiefen Kehllauten, ihrer fast japanischen Mundart, ihrem eigenartigen Satzbau und in all ihren ehrenden und schmückenden Ausdrücken zu reden. Er hielt also Reden in ihrem eigenen Stil und befriedigte ihre angeborene Liebe zur Poesie durch unförmliche Bilder. Nachdem Thling-Tinneh und der Schamane geantwortet hatten, schenkte er den Männern Kleinigkeiten, beteiligte sich an ihren Gesängen und erwies sich als ein Meister in ihrem »Zweiundfünfzig-Stöcke-Spiel«.
Und sie rauchten seinen Tabak und waren vergnügt. Die jüngeren Männer nahmen jedoch eine herausfordernde Haltung ein und zeigten eine gewisse prahlerische Zudringlichkeit, die dank den deutlichen Hinweisen der zahnlosen Squaws und dem Kichern der jungen Mädchen nicht zu verkennen war. Sie hatten nur wenige weiße Männer, »Söhne des Wolfs« gekannt, aber merkwürdige Dinge von ihnen gelernt.
Das entging auch der Aufmerksamkeit des Grindigen Mackenzie nicht, trotz seiner scheinbaren Sorglosigkeit. Als er sich in seinen Schlafsack gewickelt hatte, dachte er ernsthaft darüber nach und rauchte viele Pfeifen, während er seinen Kriegsplan schmiedete. Nur ein Mädchen hatte ihn gefesselt, und das war keine andere als Zarinska, die Tochter des Häuptlings. Ihre Züge, ihre Gestalt und Haltung entsprachen am meisten dem Schönheitstyp des weißen Mannes. Sie wirkte auch unter ihren Stammesschwestern beinahe auffallend. Sie wollte er besitzen, zu seiner Frau machen und sie – ja, er wollte sie Gertrud nennen! Nachdem er diesen Entschluss gefasst hatte, drehte er sich auf die Seite und schlief ein als der echte Sohn seiner alles besiegenden Rasse.
Es war eine langsame Arbeit und ein schwieriges Spiel, aber der Grindige Mackenzie manövrierte gewandt und mit einer Sorglosigkeit, die die Sticksindianer unsicher machte. Er achtete sorgfältig darauf, dass die Männer ihn als sicheren Schützen und gewaltigen Jäger kennenlernten, und das Lager erscholl von Beifallsrufen, als er auf sechshundert Ellen einen Elch erlegte. Abends pflegte er dem Häuptling Thling-Tinneh einen Besuch in seinem Zelt aus Renntierfellen abzustatten, mächtig zu prahlen und freigebig Tabak zu verteilen. Auch den Schamanen vergaß er nicht, denn er kannte den Einfluss des Medizinmannes auf sein Volk und war bestrebt, ihn auf seine Seite zu bekommen. Aber dieser Würdige fühlte sich als großer Mann, wollte sich nicht günstig stimmen lassen, so dass man offenbar mit ihm als mit einem künftigen Feind rechnen musste.
Obgleich sich keine Gelegenheit für ein Gespräch mit Zarinska ergab, warf Mackenzie ihr doch manchen verstohlenen Blick zu und gab ihr seine Absicht deutlich zu erkennen. Und sie verstand sie gut, umgab sich jedoch, wenn die Männer fort waren oder sonst eine Möglichkeit gewesen wäre, mit ihr zu sprechen, kokett mit einem Kreis von Frauen. Aber er hatte keine Eile und wusste zudem, dass sie an ihn dachte, und dass einige Tage Denken seinen Absichten nur dienlich sein konnte.
Endlich verließ er eines Abends, als seiner Ansicht nach die Zeit gekommen war, die verräucherte Wohnung des Häuptlings und eilte nach dem benachbarten Zelt. Wie gewöhnlich saß sie von Squaws und Mädchen umgeben da, die alle mit dem Nähen von Mokassins und mit Perlenarbeiten beschäftigt waren. Bei seinem Eintritt lachten sie, und der Klatsch, der ihn mit Zarinska zusammenbrachte, wurde laut. Aber eine nach der andern wurde ohne Umschweife in den Schnee gesetzt, und bald war die Neuigkeit über das ganze Lager verbreitet.
Er führte seine Sache gut in ihrer Sprache, denn sie verstand die seine nicht, und nach zwei Stunden erhob er sich, um zu gehen.
»Zarinska wird also mit in die Wohnung des weißen Mannes kommen? Gut! Ich werde jetzt mit deinem Vater sprechen, denn ihm wird es vielleicht nicht gefallen. Und ich werde ihm viele Geschenke geben; aber er darf nicht zu viel verlangen. Wenn er nein sagt? Gut! Zarinska wird dennoch in die Wohnung des weißen Mannes kommen.«
Er hatte schon den Fellzipfel erhoben, um zu gehen, als ein leiser Ausruf ihn bewog, sich umzudrehen. Zarinska war auf dem Bärenfell in die Knie gesunken, ihr Gesicht strahlte in weiblicher Hingebung, und schamhaft schnallte sie ihm den schweren Gürtel auf. Er sah verwirrt auf sie hinab, misstrauisch, angestrengt auf den schwächsten Laut von draußen lauschend. Aber ihre nächste Bewegung verscheuchte alle Furcht, und er lächelte froh. Sie nahm aus ihrem Nähbeutel eine Elchfellscheide, die herrlich mit bunten Perlen in phantastischen Mustern verziert war. Sie zog sein großes Jagdmesser, betrachtete ehrfürchtig die scharfe Schneide, schien sie mit dem Daumen probieren zu wollen und schob sie hierauf in ihre neue Hülle. Dann steckte sie ihm die Scheide in den Gürtel, an ihren gewöhnlichen Platz, gerade über der Hüfte. Es war wie eine Szene aus alten Tagen – die Dame und ihr Ritter. Mackenzie hob sie dann auf und berührte ihre Lippen mit seinem Bart – diese ihr fremde Liebkosung der weißen Männer. Es war eine Begegnung zwischen Steinzeit und Stahlzeit. Die Luft zitterte von Erregung, als Mackenzie, ein Bündel unter dem Arm, den Zipfel von Thling-Tinnehs Zelt beiseite schlug. Die Kinder liefen draußen herum und sammelten trockenes Holz für den Potlach, ein Geschwirr von Weiberstimmen wuchs beständig, die jungen Männer berieten sich in murrenden Gruppen, und aus der Hütte des Schamanen ertönten die unheimlichen Klänge eines Beschwörungsgesanges.
Der Häuptling war allein mit seinem triefäugigen Weibe, aber ein Blick genügte, um Mackenzie zu erzählen, dass seine Neuigkeit bereits alt war. Er ging daher geradeswegs auf die Sache los, indem er die perlengestickte Scheide demonstrativ nach vorn schob, um die Verlobung bekanntzugeben.
»O Thling-Tinneh, du mächtiger Häuptling der Sticks und des Tanana-Landes, du Herrscher über Lachs und Bär, Elch und Rentier! Der weiße Mann steht in einer großen Sache vor dir. Viele Monde hat seine Wohnung leer gestanden, und er ist einsam. Und sein Herz hat sich in der Stille verzehrt und hungert nach einem Weibe, das neben ihm in seiner Wohnung sitzen und ihm, wenn er von der Jagd heimkehrt, warmes Feuer und gutes Essen bieten kann. Er hat seltsame Dinge gehört. Das Trippeln kleiner Mokassins und den Klang von Kinderstimmen. Und eines Nachts hatte er ein Gesicht, und er sah den Raben, der dein Vater ist, den großen Raben, der der Vater aller Sticks ist. Und der Rabe sprach zu dem einsamen weißen Manne und sagte: ›Binde dir deine Mokassins und schnalle dir deine Schneeschuhe an und belade deinen Schlitten mit Nahrung für viele Schläfe und mit schönen Geschenken für den Häuptling Thling-Tinneh. Denn du sollst dein Angesicht dorthin wenden, wo die Frühlingssonne hinter dem Land zu versinken pflegt, und nach den Jagdgründen dieses großen Häuptlings ziehen. Dort sollst du ihm reiche Geschenke machen, und Thling-Tinneh, der mein Sohn ist, soll dir ein Vater sein. In seiner Wohnung ist ein Mädchen, dem ich den Atem des Lebens für dich eingehaucht habe. Dies Mädchen sollst du zum Weibe nehmen.‹ O Häuptling, so sprach der große Rabe; und deshalb lege ich meine Geschenke vor deine Füße, deshalb bin ich gekommen, um deine Tochter zu nehmen!«
Der alte Mann wickelte sich mit dem würdigen Bewusstsein seiner Majestät in seine Felle, schob aber die Antwort hinaus, da ein Kind hereinkroch und ihm den Bescheid überbrachte, dass er in den Rat kommen solle, worauf es wieder verschwand.
»Oh, weißer Mann, den wir den Elchtöter genannt haben, auch bekannt als der Wolf und der Sohn des Wolfs! Wir wissen, du kommst von einem mächtigen Volke. Wir sind stolz, dass wir dich als Gast bei unserm Potlach haben; aber der Königslachs paart sich nicht mit dem Hundelachs, und so auch der Rabe nicht mit dem Wolf.«
»Nein, das stimmt nicht!« rief Mackenzie. »Ich habe die Töchter des Raben in den Lagern der Wölfe gefunden – die Squaw von Mortimer, die von Tregidgo und die von Barnaby, der vor zwei Eisbrüchen kam, und ich habe von anderen Squaws gehört, wenn meine Augen sie auch nicht sahen.«
»Sohn, deine Worte sind wahr; aber sie passen schlecht zusammen, wie Wasser und Sand, wie die Schneeflocken und Sonne. Hast du aber Mason und seine Squaw getroffen? Nein? Er kam vor zehn Eisbrüchen – der erste aller Wölfe. Und mit ihm kam ein mächtiger Mann, rank wie ein Weidenzweig, groß und stark wie der graue Bär, mit einem Herz wie der Sommermond; sein –«
»Oh!« unterbrach ihn Mackenzie, der sich der wohlbekannten Gestalt erinnerte – »Malemute Kid!«
»Ja, er war ein mächtiger Mann. Aber sahst du die Squaw? Sie war Zarinskas Schwester.«
»Nein, Häuptling, aber gehört habe ich von ihr. Mason – fern, fern im Norden zerschmetterte ihn eine Kiefer, schwer von Jahren. Aber seine Liebe war groß, und er hatte viel Gold. Mit dem und mit ihrem Knaben reiste sie zahllose Schläfe der Mittagssonne des Winters zu, und dort lebt sie noch – kein schneidender Frost, kein Schnee, keine Mitternachtssonne, keine Winternacht.«
Ein zweiter Bote unterbrach sie mit einer gebieterischen Aufforderung des Rates. Als Mackenzie ihn in den Schnee hinausjagte, sah er einen Augenblick schwankende Gestalten vor dem Ratsfeuer, hörte die tiefen Basstöne vom rhythmischen Gesang der Männer und wusste, dass der Schamane den Zorn des Volkes entfachte. Eile tat not. Er wandte sich an den Häuptling.
»Ich will dein Kind haben, und sieh, hier ist Tabak, Tee, hier sind viele Tassen Zucker, warme Decken, große und gute Tücher. Und hier, sieh, hier ist eine treffliche Büchse mit vielen Kugeln und viel Pulver.«
»Nein«, antwortete der alte Mann und wehrte sich gegen die großen Reichtümer, die vor ihm ausgebreitet waren. »In diesem Augenblick hat mein Volk sich versammelt. Es will nichts von dieser Heirat wissen.«
»Aber du bist der Häuptling.«
»Doch meine jungen Männer sind wütend, weil die Wölfe ihnen ihre Mädchen genommen haben, so dass sie nicht heiraten können.«
»Höre mich, o Thling-Tinneh! Ehe die Nacht dem Tage weicht, wird der Wolf seine Hunde nach den Bergen des Ostens wenden und in das Land des Yukons ziehen. Und Zarinska wird seinen Hunden den Weg bahnen.«
»Und ehe die Nacht halb vergangen ist, werfen meine jungen Männer vielleicht das Fleisch des Wolfes den Hunden vor, und seine Knochen liegen im Schnee verstreut, bis der Frühling sie bloßlegt.«
Das war Drohung. Mackenzies Bronzegesicht färbte sich dunkelrot. Er erhob seine Stimme. Die alte Squaw, die bis jetzt als passive Zuhörerin dabeigesessen hatte, versuchte, an ihnen vorbei zur Tür zu kriechen. Der Gesang der Männer brach plötzlich ab, und man hörte laute Stimmen; er warf die alte Frau unsanft auf ihr Fellager zurück.
»Noch einmal rufe ich: Höre mich, o Thling-Tinneh! Der Wolf stirbt mit zusammengebissenen Zähnen, und mit ihm werden zehn deiner stärksten Männer zur Ruhe gehen – Männer, die man vermissen wird, denn die Jagd hat längst begonnen, und es dauert nicht viele Monde, bis der Fischfang beginnt. Was nützt es euch, dass ich sterbe? Ich kenne die Gebräuche deines Volkes. Dein Anteil an meinem Reichtum wird nur sehr klein sein. Gibst du mir dein Kind, so ist alles dein. Noch eines: Meine Brüder werden kommen, und ihrer sind viele, und ihre Bäuche sind nie gefüllt; und die Töchter des Raben werden Kinder in den Wohnungen des Wolfes gebären. Mein Volk ist größer als dein Volk. Das ist die Bestimmung. Willige ein, und all diese Reichtümer sind dein.«
Mokassins knirschten draußen im Schnee. Mackenzie spannte den Hahn seiner Büchse und lockerte die beiden Revolver im Gürtel.
»Sag' ja, o Häuptling!«
»Aber mein Volk wird nein sagen.«
»Sag' ja, und alles dies ist dein. Mit deinem Volke werde ich später abrechnen.«
»Der Wolf will es so. Schön, ich nehme seine Geschenke – aber ich habe ihn gewarnt.«
Mackenzie reichte ihm die Sachen, sorgte aber dafür, dass der Patronenauswerfer der Büchse vernagelt war. Als Zugabe erhielt der Häuptling noch ein in den buntesten Farben strahlendes seidenes Taschentuch. Der Schamane trat jetzt mit einem Dutzend junger Leute ein, aber der Weiße drängte sich kühn zwischen ihnen hindurch und verließ das Zelt.
»Pack' ein!« lautete sein lakonischer Gruß, als er an Zarinskas Zelt vorbeikam; dann eilte er, um seine Hunde anzuschirren. Wenige Minuten später bog er an der Spitze seines Gespanns, das Weib an seiner Seite, auf dem Ratplatz ein. Er setzte sich an das obere Ende des Kreises neben den Häuptling. Neben ihm, etwas zurück, saß Zarinska – wie es sich ziemte; im Übrigen war die Lage gefährlich, und er musste sich den Rücken decken.
Zu beiden Seiten saßen die Männer zusammengekauert am Feuer und sangen ein Lied ihres Volkes aus längst entschwundener Zeit. Voll von eigenartigen, langgezogenen Kadenzen und immer neuen Wiederholungen, klang es nicht gerade schön. »Schrecklich« war die beste Bezeichnung dafür. Am unteren Ende tanzten ein Dutzend Weiber unter den Augen des Schamanen. Wer sich nicht ganz der Ekstase der Beschwörung hingab, bekam schwere Vorwürfe von ihm zu hören. Halb verborgen unter der Masse des rabenschwarzen, gelösten Haares, das ihnen bis zur Hüfte reichte, schwankten sie langsam hin und her, und ihre Leiber wogten nach dem wechselnden Rhythmus.
Es war eine unheimliche Szene, ein Überspringen der Zeiten. Im Süden ging das neunzehnte Jahrhundert auf die Neige, und hier lebten Urmenschen, nur wenig verschieden von den vorhistorischen Höhlenbewohnern, der vergessene Rest einer älteren Welt. Die lohfarbenen Wolfshunde saßen zwischen ihren fellgekleideten Herren oder kämpften miteinander um Platz, und der Widerschein des Feuers leuchtete in ihren roten Augen und ihren geifernden Fängen, die Wälder lagen in geisterhafter Ruhe, finster und teilnahmslos da. Das weiße Schweigen, das vor einer Stunde nach dem Waldessaume zurückgetrieben war, schien jetzt wieder vorzudringen. Die Sterne tanzten mit großen Sprüngen am Himmel, wie sie zu tun pflegen, wenn die Kälte am schlimmsten ist. Polargeister schleppten ihre Feuergewänder über den Himmel.
Als der Grindige Mackenzie seinen Blick über die pelzgekleideten Reihen schweifen ließ, um Gesichter zu suchen, die er vermisste, kam ihm die wilde Größe des finsteren Auftritts zum Bewusstsein. Sein Blick weilte einen Augenblick auf einem neugeborenen Kinde, das an der nackten Brust seiner Mutter saugte. Es war sehr kalt – mehr als siebzig Grad Fahrenheit. Er dachte daran, wie empfindlich gegen die Kälte die Frauen seiner eigenen Rasse waren, und lächelte finster. Und doch war er den Lenden eines so zarten Weibes mit einem so königlichen Erbe entsprungen – einem Erbe, das ihm die Herrschaft über Land und Meer, über Tiere und Völker aller Zonen verlieh. Ein einzelner gegen hundert, vom arktischen Winter umgeben, fern von den Seinen, fühlte er den Drang, das Erbe zu heben, den Wunsch, zu besitzen, die wilde Liebe zur Gefahr, die Lust zum Kampf, die Fähigkeit zu siegen oder zu sterben.
Singen und Tanzen hörte auf, und der Schamane entwickelte eine wilde Beredsamkeit. Mit allen Mitteln seiner wüsten Mythologie bearbeitete er klug die Leichtgläubigkeit seines Volkes. Seine Stellung war stark. Indem er das gute, schöpferische Prinzip als in der Krähe und im Raben verkörpert hinstellte, brandmarkte er Mackenzie als den Wolf, das streitbare, vernichtende Prinzip. Der Kampf zwischen diesen Mächten war nicht allein geistig, Mann gegen Mann kämpften ihn, jeder unter seinem Totem. Sie waren die Kinder von Jelchs, dem Raben, dem Feuerbringer; Mackenzie war ein Kind des Wolfs oder, mit anderen Worten, des Teufels. Für sie war es Verrat und Gotteslästerung schlimmster Art, in diesem ewigen Kampf Waffenstillstand zu schließen, ihre Töchter dem Erbfeind zu vermählen. Kein Ausdruck war zu stark, keine Bezeichnung gehässig genug, um Mackenzie als Meuchelfeind und Sendling des Satans zu brandmarken. Als er in seiner Rede so weit gelangt war, hörte man aus tiefer Brust seiner Zuhörer ein wütendes, unterdrücktes Knurren.
»Ja, meine Brüder, Jelchs ist allmächtig! Brachte er uns nicht das himmlische Feuer, damit wir uns wärmen konnten? Zog er nicht Sonne, Mond und Sterne aus ihren Höhlen, damit wir sehen konnten? Lehrte er uns nicht, mit den Geistern des Hungers und des Frostes zu kämpfen? Aber jetzt ist Jelchs zornig auf seine Kinder, und sie sind hingeschwunden bis auf eine Handvoll, und er will ihnen nicht mehr helfen. Denn sie haben ihn vergessen und sind böse Wege gewandert. Sie haben seine Feinde in ihre Hütten eingelassen und ihnen erlaubt, an ihren Feuern zu sitzen. Und der Rabe trauert über die Sünden seiner Kinder; wenn sie sich aber erheben und zeigen, dass sie sich besonnen haben, dann wird er aus der Finsternis kommen und ihnen helfen. Oh, Brüder! Der Feuerbringer hat euerm Schamanen eine Botschaft zugeflüstert, und ihr sollt sie hören. Lasst die jungen Männer die jungen Weiber in ihre Hütten führen. Lasst sie dem Wolf an die Kehle fahren; lasst ihre Feindschaft nicht sterben. Dann sollen ihre Weiber fruchtbar werden, und sie sollen zu einem mächtigen Volk aufwachsen! Und der Rabe wird den großen Stamm ihrer Väter und ihrer Väter Väter aus dem Norden herbeiführen. Und sie werden die Wölfe zurücktreiben, bis sie wie das Lagerfeuer verschwundener Jahre sind, und wir werden wieder über alles Land herrschen! Das ist die Botschaft von Jelchs, das Wort des Raben.«
Diese Verheißung vom Kommen eines Messias ließ die Sticks aufspringen und in ein heiseres Heulen ausbrechen. Mackenzie zog vorsichtig die Daumen aus den Fausthandschuhen und wartete, was da kommen sollte. Ein Geschrei erhob sich, man rief nach dem Fuchs, bis einer der jungen Männer vortrat und sprach:
»Brüder! Der Schamane hat weise gesprochen. Die Wölfe haben unsere Weiber genommen, und unsere Männer sind kinderlos. Wir sind zu einer Handvoll eingeschrumpft. Die Wölfe haben unsere warmen Felle genommen und uns böse Geister dafür gegeben, die in Flaschen wohnen, und Kleider, die nicht vom Biber oder vom Dachs kommen, sondern aus Gras gemacht sind. Und sie sind nicht warm, und unsere Männer sterben an seltsamen Krankheiten. Ich, der Fuchs, habe mir kein Weib genommen, und weshalb? Zweimal sind die Mädchen, die mir gefielen, in das Lager der Wölfe gegangen. Und jetzt habe ich Felle von Biber, Elch und Renntieren gesammelt, um die Gunst Thling-Tinnehs zu gewinnen, dass er mir Zarinska, seine Tochter, gebe. Aber jetzt hat sie Schneeschuhe an den Füßen, um den Hunden des Wolfs den Weg zu bahnen. Ich rede nicht für mich allein. Wie mir, so ist es auch dem Bären ergangen. Auch er möchte gern der Vater ihrer Kinder sein, und viele Felle hat er dazu gesammelt. Ich spreche für alle jungen Männer, die keine Frau haben. Die Wölfe sind immer hungrig. Immer nehmen sie das Beste, die Raben bekommen nur den Abfall.«
»Seht Gugkla!« rief er, indem er brutal auf eine Frau wies, die Krüppel war. »Ihre Beine sind krumm wie die Spanten eines Birkenkanus. Sie kann weder Holz sammeln, noch den Jägern das Fleisch tragen. Haben die Wölfe sie gewählt?«
»Nein! Nein!« brüllten die Stammesgenossen.
»Und Moyri, deren Augen der böse Geist schielend gemacht hat. Selbst die kleinen Kinder werden bange, wenn sie sie ansehen, und man sagt, dass sogar der graue Bär ihr ausweicht. Wurde sie gewählt?«
Wieder erscholl grausamer Beifall.
»Und dort sitzt Pischet. Sie hört meine Worte nicht. Nie hat sie das Gespräch der Frauen, die Stimme ihres Mannes und das Plaudern ihres Kindes gehört. Sie wohnt im weißen Schweigen. Machen die Wölfe sich etwas aus ihr? Nein! Sie nehmen sich das Beste von der Beute; uns bleibt nur der Abfall. Brüder! So soll es nicht bleiben! Die Wölfe sollen nicht mehr um unser Lagerfeuer schleichen. Die Zeit ist gekommen.«
Ein mächtiger Lichtstreif, das Nordlicht, schoss purpurn, grün und gelb über den Zenit, baute eine Brücke von Horizont zu Horizont. Den Kopf zurückgeworfen und die Arme ausgestreckt, stand er da; seine Rede hatte ihren Höhepunkt erreicht.
»Seht! Die Geister unserer Väter haben sich erhoben, und große Taten sollen heute Nacht verrichtet werden!«
Er trat zurück, und ein anderer junger Mann trat, etwas unsicher und von seinen Kameraden getrieben, vor. Er überragte sie um Haupteslänge, mit seiner breiten Brust bot er der Kälte Trotz. Unsicher trat er von einem Fuß auf den andern. Er konnte kein Wort herausbringen, und ihm war schlecht zumute. Sein Gesicht war schrecklich anzusehen, denn es war einmal durch einen furchtbaren Schlag halb zerrissen. Endlich schlug er sich mit der geballten Faust auf die Brust, schnaufte wie ein Trommelwirbel, und seine Stimme erscholl wie die Brandung gegen Klippen.
»Ich bin der Bär – Silberspitze und der Sohn Silberspitzes! Als meine Stimme noch die eines Mädchens war, tötete ich schon Luchs, Elch und Rentier. Als sie wie der Schrei des Vielfraßes unter einem Steinhaufen erklang, ging ich südwärts über die Berge und tötete drei Männer vom Stamme des weißen Flusses. Als sie wie das Brüllen des Sturmes wurde, begegnete ich dem grauen Bären, aber ich wich ihm nicht aus.«
Hier hielt er inne, und seine Hand fuhr bedeutungsvoll über die furchtbare Narbe.
»Ich bin nicht wie der Fuchs. Meine Zunge ist gefroren wie der Fluss. Ich kann nicht reden. Meiner Worte sind wenige. Der Fuchs sagt, heute Nacht sollen große Taten ausgeführt werden. Gut! Die Rede fließt von seiner Zunge wie die Ströme im Frühling, aber er ist sparsam mit Taten. Heute Nacht will ich mit dem Wolfe kämpfen. Ich will ihn töten, und Zarinska soll an meinem Feuer sitzen. Der Bär hat gesprochen.«
Obgleich alle Geister der Hölle ihn umtosten, hielt der Grindige Mackenzie stand. Da er wusste, wie wenig ihm seine Büchse im Nahkampf nützen konnte, schob er beide Revolver im Gürtel so hin, dass er sie mit einem einzigen Griff erreichen konnte, und zog die Fäustlinge halb aus. Er wusste, dass es keine Hoffnung gab, wenn sie ihn gesammelt angriffen, aber seinem Worte getreu, bereitete er sich vor, mit zusammengebissenen Zähnen zu sterben. Der Bär jedoch hielt seine Genossen zurück, indem er die eifrigsten mit seiner furchtbaren Faust vertrieb. Als der Lärm sich zu legen begann, blickte Mackenzie sich nach Zarinska um. Sie sah prachtvoll aus. Mit halbgeöffneten Lippen und zitternden Nüstern bog sie sich, wie ein Tiger im Sprunge, auf den Schneeschuhen vor. Ihre großen schwarzen Augen hefteten sich in Furcht und Trotz auf ihre Stammesgenossen. So stark war ihre Spannung, dass sie zu atmen vergaß. Die eine Hand krampfhaft gegen die Brust gedrückt, die andere um die Hundepeitsche gepresst, schien sie zu Stein verwandelt. Als er sie ansah, ließ ihre Spannung nach. Ihre Muskeln erschlafften; mit einem tiefen Seufzer sank sie zurück und warf ihm einen Blick zu, der mehr als Liebe enthielt.
Thling-Tinneh versuchte zu reden, aber sein Volk übertönte seine Stimme. Da trat Mackenzie vor. Der Fuchs öffnete den Mund zu einem durchdringenden Schrei, aber so wild sprang Mackenzie auf ihn los, dass er zurückwich und der Schrei in seiner Kehle erstickte. Sein Erschrecken wurde mit schallendem Gelächter begrüßt, und Mackenzie bekam einen Augenblick Ruhe zum Sprechen.
»Brüder! Der weiße Mann, den ihr den Wolf zu nennen beliebt, kam mit aufrichtigen Worten zu euch. Er war nicht wie der Innuit. Er sprach keine Lügen. Er kam als Freund und wollte euer Bruder sein. Aber eure Männer haben gesprochen, und die Zeit der sanften Worte ist vorbei. Zunächst will ich euch sagen, dass der Schamane eine böse Zunge hat und ein falscher Prophet ist, und dass die Botschaft, die er brachte, nicht vom Feuerbringer ist. Seine Ohren sind der Stimme des Raben verschlossen, und in seinem eigenen Kopfe hat er listige Pläne erdacht und euch zum Narren gehalten. Er hat keine Macht. Als eure Hunde verzehrt wurden, als euer Magen schwer war von ungegerbten Häuten und Mokassinstreifen, als die alten Männer starben, als die alten Frauen starben, und als die Säuglinge an den vertrockneten Brüsten der Mütter starben, als das Land finster war und ihr zugrunde ginget wie der Lachs in der Falle, ja, als die Hungersnot unter euch herrschte, brachte da der Schamane euern Jägern Glück? Brachte er euerm Magen Fleisch? Ich sage euch, der Schamane hat keine Macht. Seht, ich speie ihm ins Gesicht!«
Trotz aller Bestürzung über die Lästerung war kein Laut zu hören. Einige der Frauen waren zwar entsetzt, aber unter den Männern war nur eine Spannung zu spüren, als erwarteten sie ein Wunder. Aller Augen richteten sich auf die Hauptdarsteller. Der Priester war sich klar, dass ein kritischer Augenblick gekommen war, er fühlte seine Macht wanken, öffnete den Mund zu Drohungen, wich aber vor dem furchtbaren Vorrücken Mackenzies, seiner erhobenen Faust und seinen flammenden Blicken zurück. Mackenzie lächelte höhnisch und fuhr fort:
»Bin ich getroffen? Hat der Blitz mich verbrannt? Sind die Sterne vom Himmel gefallen und haben mich zerschmettert? Pah! Mit dem Hund bin ich fertig! Und jetzt will ich euch von meinem Volk erzählen, dem mächtigsten aller Völker, die auf Erden herrschen. Zuerst jagen wir, wie ich jage – allein. Dann aber jagen wir in Rudeln, und zuletzt wimmelt das ganze Land von uns wie von den Renntieren. Wen wir in unsere Wohnungen nehmen, der lebt. Wer nicht kommen will – stirbt. Zarinska ist ein schönes Mädchen, aufrecht und stark. Wohl geeignet, die Mutter von Wölfen zu werden. Selbst wenn ich sterbe, wird sie es werden; denn meiner Brüder sind viele, und sie werden der Spur meiner Hunde folgen. Hört das Gesetz des Wolfes: Wer das Leben eines Wolfes nimmt – zehn von seinem Volke sollen mit ihrem Leben dafür büßen. In vielen Ländern ist der Preis bezahlt worden, in vielen Ländern wird er bezahlt werden.
»Lasst mich wieder zurückkommen auf den Bären und den Fuchs. Es schien, als hätten sie beide ihre Augen auf das Mädchen geworfen. Aber seht, ich habe sie gekauft! Thling-Tinneh stützt sich auf die Büchse, die andern Waren liegen an seinem Feuer. Aber ich will den jungen Männern entgegenkommen. Dem Fuchs, dessen Zunge trocken von vielen Worten ist, will ich fünf lange Rollen Tabak geben. Dann kann sein Mund wieder feucht werden und seine Zunge im Rate lärmen. Dem Bären aber, auf den ich stolz bin, will ich zwei Decken, zwanzig Tassen Mehl und ebenso viel Tabak wie dem Fuchs geben. Und wenn er mit mir über die Berge im Osten zieht, dann will ich ihm eine Büchse geben, wie Thling-Tinneh sie bekam. Wenn nicht? Gut! Der Wolf ist der Worte müde. Doch noch einmal will er die Worte des Gesetzes sagen: Wer das Leben eines Wolfes nimmt – zehn von seinem Volke sollen mit ihrem Leben dafür büßen.«
Mackenzie trat lächelnd auf seinen Platz zurück, aber im Innern war er unruhig. Die Nacht war noch finster. Das Mädchen trat zu ihm, und er hörte genau zu, wie sie ihm von den Kunstgriffen des Bären im Messerkampf erzählte.
Die Entscheidung fiel für den Kampf. Im Handumdrehen waren Dutzende von Mokassins dabei, den in den Schnee gestampften Platz um das Feuer zu erweitern. Es wurde viel über die anscheinende Niederlage des Schamanen gesprochen. Manche behaupteten, er hätte nur seine Macht zurückgehalten, während andere sich an frühere Begebenheiten erinnerten und dem Wolf recht gaben. Der Bär trat in die Mitte des Kampfplatzes, ein langes entblößtes Jagdmesser russischer Arbeit in der Hand. Der Fuchs machte darauf aufmerksam, dass Mackenzie Revolver hätte. Daher nahm er seinen Gürtel ab und schnallte ihn Zarinska um, deren Hände er auch seine Büchse anvertraute. Sie schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht schießen – für ein Weib bestand wenig Aussicht, solch feine Dinge zu gebrauchen.
»Wenn mir Gefahr von hinten droht, so rufe laut: ›Mein Gatte!‹ Nein, so: ›Mein Gatte!‹«
Er lachte, als sie es wiederholte, kniff sie in die Backe und trat wieder in den Kreis. Nicht allein an Reichweite und Größe war der Bär ihm überlegen, seine Klinge war auch um gut zwei Zoll länger. Mackenzie hatte schon Männern in die Augen gesehen, und daher wusste er, dass er einem Manne gegenüberstand.
Immer wieder wurde er bis an den Rand des Feuers oder in den tiefen Schnee hinausgedrängt, und immer wieder arbeitete er sich mit der Taktik des geübten Faustkämpfers in die Mitte zurück. Nicht eine Stimme erhob sich, um ihn anzufeuern, während sein Gegner Beifall, Winke und Warnungen erhielt. Aber er biss die Zähne zusammen, während die Messer klirrten; und er stieß und parierte mit einer Kaltblütigkeit, die er der Kenntnis seiner eignen Kraft verdankte. Anfangs fühlte er Sympathie für seinen Feind; aber sie musste bald dem Lebensinstinkt in seiner ursprünglichsten Form weichen, und an dessen Stelle trat wieder die Lust, zu töten. Die Kultur von Jahrtausenden war von ihm abgestreift, er war ein Höhlenbewohner, der um sein Weibchen kämpfte.
Zweimal traf er den Bären und sprang selbst unbeschädigt zurück; das dritte Mal aber verfing sich sein Messer, und sie blieben aneinanderhängen. Jetzt begann er die furchtbare Kraft seines Gegners zu spüren. Seine Muskeln spannten sich zu schmerzenden Knoten, die Sehnen drohten zu zerreißen, aber immer näher kam der russische Stahl. Er versuchte loszukommen, ermattete sich aber nur dadurch. Der in Pelze gekleidete Kreis schloss sich immer dichter in der sicheren Erwartung eines entscheidenden Stoßes. Aber mit einem Ringergriff machte er eine halbe Seitwärtsdrehung und hieb nach seinem Gegner. Wider Willen bog sich der Bär nach hinten und kam dadurch aus dem Gleichgewicht. Da warf Mackenzie sich vor und schleuderte ihn außerhalb des Kreises in den tiefen Schnee. Der Bär taumelte und kam im Sprunge zurück.
»Oh, mein Gatte!« die Stimme Zarinskas zitterte vor Angst.
Ein Bogenstrang schwirrte, Mackenzie duckte sich blitzschnell, ein Pfeil mit einer Knochenspitze fuhr über ihn hinweg und bohrte sich in die Brust des Bären, der mitten im Sprunge war und nun über seinen zusammengekauerten Feind taumelte. Im nächsten Augenblick stand Mackenzie auf den Beinen und hatte sich umgedreht. Der Bär lag unbeweglich da, aber auf der andern Seite des Feuers stand der Schamane und legte einen neuen Pfeil auf den Bogen.
Mackenzies Messer kreiste durch die Luft. Er hatte die schwere Klinge an der Spitze gegriffen. Sie funkelte im Feuerschein, als das Messer über die Flammen schwirrte. Der Schamane schwankte einen Augenblick und stürzte dann nach vorn in die Gluten. Das Messer saß bis zum Schaft in seiner Kehle.
Klick! Klick! – Der Fuchs hatte sich der Büchse Thling-Tinnehs bemächtigt und versuchte vergeblich, eine Patrone hineinzuschieben, ließ sie aber fallen, als er das Lachen Mackenzies hörte.
»Der Fuchs weiß wohl noch nicht mit dem Spielzeug umzugehen? Er ist nur ein Weib. Komm her! Gib sie her, dann will ich es dir zeigen.«
Der Fuchs zögerte.
»Komm, sage ich!«
Wie ein geprügelter Hund kroch er vorwärts.
»So und so, und jetzt ist es in Ordnung.«
Eine Patrone flog an ihren Platz, der Hahn war gespannt, und Mackenzie hob die Büchse an die Schulter.
»Der Fuchs hat gesagt, heute Nacht sollen große Taten verrichtet werden, und er sprach die Wahrheit, große Taten sind getan, aber die des Fuchses war die kleinste. Ist er noch entschlossen, Zarinska heimzuführen? Will er vielleicht den Weg beschreiten, den der Schamane und der Bär geebnet haben? Nicht? Gut!«
Mackenzie wandte sich verächtlich ab und zog sein Messer aus der Kehle des Priesters.
»Gibt es noch andere junge Männer, die dergleichen im Sinn haben? Dann will der Wolf sie zu zweit oder zu dritt auf einmal nehmen, bis keiner mehr da ist. Nein? Gut! Thling-Tinneh, hier gebe ich dir deine Büchse zum zweiten Mal. Wenn du einmal ins Land des Yukons kommst, so wisse, dass immer ein Platz und viel Essen für dich am Feuer des Wolfes ist. Die Nacht weicht jetzt dem Tage. Ich gehe, aber vielleicht komme ich wieder. Und noch einmal: Denkt an das Gesetz des Wolfes!«
Als er zu Zarinska schritt, war er in ihren Augen übernatürlich. Sie nahm ihren Platz an der Spitze des Gespanns ein, und die Hunde setzten sich in Gang. Wenige Augenblicke später war sie von dem dunklen Walde verschlungen. Solange hatte Mackenzie gewartet. Jetzt schnallte er sich die Schneeschuhe an, um ihr zu folgen.
»Hat der Wolf die fünf langen Rollen vergessen?«
Mackenzie wandte sich wütend gegen den Fuchs. Dann überkam ihn die Komik der Situation.
»Ich will dir eine kurze Rolle geben.«
»Wie der Wolf will«, antwortete der Fuchs demütig und streckte die Hand aus.