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1 Das Glück meines Lebens

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Ich möchte immer noch an die Liebe glauben.

Letztlich ist es das, was mich am Leben hält. Trotz allem, was einem sonst noch so passiert und was einem Angst machen kann.

Ich rede jetzt nicht von Sex, auch wenn es ein wichtiger Bestandteil des erfüllten Liebeslebens ist, und ich gemeinsame Leidenschaft immer genießen konnte.

Ich rede von emotionaler Nähe zu jemandem, der mir Ruhe, Kraft und Gelassenheit gibt, das Leben irgendwie zu meistern. Lange Zeit hatte ich bei Hannah das Gefühl, die Dinge des Lebens im Griff zu haben und hoffnungsvoll der Zukunft entgegensehen zu können.

Seltsam, immer wenn ich an sie zurückdenke, sehe ich zunächst ihr markantes Profil, das mir dauerhaft in Erinnerung geblieben ist.

Plötzlich saß sie neben mir im Schauspielhaus. Ich hatte schon eine Weile in der fünften Reihe des Kleinen Hauses Platz genommen und studierte das Programmheft. Das Theater am Alten Markt der Stadt Bielefeld ist vorwiegend der Schauspielabteilung vorbehalten und dient den Städtischen Bühnen als zweite Spielstätte.

Manchmal sitze ich auch heute noch in einem der Cafes auf dem Marktplatz, der mal Dreh- und Angelpunkt des Wirtschaftslebens der Stadt war. Die schönen Fassaden und prächtigen Giebel liebevoll restaurierter Patrizierhäuser erinnern an diese Zeit.

Bielefeld mit über 330000 Einwohnern ist ein Handels- und Dienstleistungszentrum von überregionaler Bedeutung, Universitätsstadt und Oberzentrum eines ostwestfälischen Raums mit über zwei Millionen Menschen.

Entgegen landläufiger Meinung sind die Menschen der Region gar nicht stur, sondern lebendig und engagiert, mit dem Blick für das Machbare, und halten nichts von Utopien, wie sie Metropolen etwa anbieten, die glauben, ihre Bewohner immer in Atem halten zu müssen.

Mir gefällt die Ausstrahlung mittelgroßer Städte, die um ihre Grenzen wissen und den Menschen gerade deshalb Halt bieten.

Es war seit etlichen Jahren das erste Mal, dass ich eine Vorstellung besuchte, und das auch nur, weil ein guter Freund mir seine Karte überlassen hatte. Martin ist freier Kameramann und arbeitete zu der Zeit - wie ich auch noch gelegentlich - für den Westdeutschen Rundfunk, dessen Sendezentrum am Hang des Teutoburger Waldes liegt. Seine Frau Marie, die ein Abo hatte, war erkrankt, und er selbst konnte den Termin nicht wahrnehmen.

Normalerweise mache ich mir nicht so viel aus Theater, aber ich hatte nichts Besseres vor, und ich dachte, das Stück könnte mich interessieren.

Außerdem wollte ich demnächst Rita Liebermann interviewen, eine alte Schauspielerin, die vor einem Jahr für Aufregung gesorgt hatte, als sie den Justizminister des Landes auf einer Wahlveranstaltung ohrfeigte.

So gesehen betrachtete ich den Besuch im Kleinen Haus gewissermaßen als atmosphärische Vorbereitung auf die geplante Reportage.

Das Kleine Haus am Alten Markt steht in schwierigen finanziellen Zeiten bei den Kommunalpolitikern immer mal wieder aus Kostengründen zur Disposition, aber es hat sich eine breite Bürgerinitiative gegründet, die mit gezielten medienpolitischen Aktionen die Schließung der zweiten Spielstätte zu verhindern sucht.

In dem Stück, von dem ich bereits eine Filmversion gesehen hatte, ging es um eine Liebe, die aus banalen Gründen verloren gegangen war.

Das kam mir bekannt vor. Ich lebte seit zwei Jahren getrennt, doch die Beziehung zu meiner Frau Vera hatte schon Jahre davor ein Ende gefunden. Dabei hatte es lange in unserer Ehe Zeiten gegeben, in denen ich mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen konnte.

Jetzt saß ich in diesem Theater und konnte mir ein Leben mit ihr nicht mehr vorstellen. Ja, ich konnte mich manchmal kaum erinnern, wie dieses Leben im Alltag gewesen war. Die Gefühle für unsere gemeinsame Tochter Annabel sind mir dagegen erhalten geblieben. Sie sind eher stärker geworden, seit sie mit achtzehn in Osnabrück - wo auch meine Exfrau noch wohnt - ein eigenständiges Leben als Studentin der Literaturwissenschaften führt. In großen Abständen sehe ich sie, und wir führen Gespräche von Vater zu Tochter.

Zuerst sah ich ihre Beine. Ich war in das Programmheft vertieft und bemerkte im Seitenblick, dass sich eine Frau neben mich setzte. Der leichte, sommerliche Duft, der von ihrem Parfum ausging, erinnerte mich an etwas, aber ich kam nicht drauf, was es war. Ich riskierte einen kurzen Blick, und die Frau, die Mitte/Ende dreißig sein mochte, grüßte freundlich mit einem kurzen Lächeln. Sie schien allein gekommen zu sein.

Bevor ich mir weitere Gedanken machen konnte, hob sich der Vorhang, und es wurde schnell klar, dass die Verfilmung des Stoffes den Ursprungstext geradezu verhunzt hatte.

Ausgerechnet als der Mann seiner Frau einen Blumenstrauß mitbringt, teilt diese ihm ohne Vorwarnung mit, dass sie sich scheiden lassen will. Zunächst glaubt er an einen dummen Scherz, bis ihm in der entstehenden verbalen und von der Frau resolut geführten Auseinandersetzung klar wird, dass sie es durchaus ernst meint.

„Man könnte denken, dass es um Leben und Tod geht“, sagt der Mann unsicher und flapsig.

„Für mich schon“, antwortet die Frau kühl, und der Mann ist eine Weile sprachlos.

Ich sehe, dass meine Nachbarin ihre wohlgeformten Beine übereinander schlägt und mit der linken Hand Halt am Sessel sucht, als sich die Spannung steigert.

Der Streit eskaliert, weil der pragmatische Mann überzeugt ist, auch für die unerwartete Situation eine Lösung zu finden. Je mehr er jedoch an ihre Vernunft appelliert oder an wunderbare Jahre erinnert, desto fremder erscheinen ihm die Antworten seiner Frau.

Sie sagt Sätze wie Ich mag nicht wie du kaust und so, was der Mann nicht versteht und was ihn zusätzlich reizt. Schließlich dreht er ganz einfach durch und schlägt seiner Frau brutal ins Gesicht.

Die körperliche Auseinandersetzung und anschließende Sprachlosigkeit des Paares werden für den Zuschauer fast unerträglich, und man möchte eingreifen, bevor der geistig-seelische und physische Streit mit einem offenen Ende abbricht. Ja, ist es offen?

Ich würde das gern meine schöne Nachbarin nach der Vorstellung fragen, aber ich kann sie nirgends entdecken. Sie scheint im allgemeinen Aufbruch ganz einfach verschwunden zu sein. In der Pause hat sie sich angeregt mit einer anderen Frau unterhalten, und ich hatte keine Gelegenheit zur Kontaktaufnahme. So verschwindet meine Sitznachbarin schnell wieder aus meinem Leben, und ich erspare mir eine Abfuhr, die mir den weiteren Abend hätte verderben können.

Vielleicht wäre sie aber auch die Frau meines Lebens geworden. Alles ist möglich.

Das ist es ja gerade, und das macht es so schwer, das Leben zu verstehen, ihm entsprechende Bedeutung und Sinn zu geben und an etwas fest zu halten.

Das Glück meines Lebens

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