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Erst die anderen, dann wir!

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Ich muss gleich zu Anfang vorausschicken, dass ein heftiger Streit mit Bert Teufel, unter anderem, der Anlass war, dass wir in Europa, also in Hamburg, etwas Erholung suchten. Teufel hatte zum X-ten Mal eine Aufnahmeprüfung bei irgendeiner Schauspielschule in L.A. vermasselt, ferner war er noch bei einem Theater gewesen. Als Bianca ihm daraufhin sehr vorsichtig sagte: „Warum lässt du die Schauspielerei nicht ganz einfach sein? Du kannst es doch nicht erzwingen, oder?“ Da flippte Teufel aus, und obwohl er einige Joints intus hatte, wurde er nicht nur ungerecht, nein, er wurde auch vulgär, er nahm Biancas Kritik als Anlass, um mit „uns“ erneut in Streit zu geraten, obwohl wir nichts dafür konnten, dass er sich wie der letzte Idiot aufgeführt hatte. Bert Teufel hatte nämlich, insgeheim, ein eigenes Theaterstück geschrieben, eine Liebesgeschichte zwischen einem jungen Mann und einer jungen Frau, die Geschichte spielte im Mittelalter, sie war von Shakespeare seinem berühmten- und viel kopierten: Romeo und Julia Drama kaum zu unterscheiden. Man, die Theaterleitung, hatte ihm das auch deutlich zu verstehen gegeben, aber Teufel sah das natürlich ganz anders. Er versuchte zu erklären, zu rechtfertigen und sich größer zu machen als er eigentlich war, das hatte zur Folge, dass man ihn rausschmiss, mit der Bitte: Nicht wieder aufzutauchen, weil man von ihm- und seinen künstlerischen Ergüssen die Nase gestrichen voll hatte. Teufel geriet, nachdem ihn sein Versagen klar geworden war, in eine schwere Krise und er wollte mit Niemand mehr etwas zu tun haben. Auch sein getreuer Hund „Henry“ und seine getreue verständnisvolle „Chantal“ bekamen das deutlich zu spüren. Es war die Eiszeit angebrochen im sonnigen Kalifornien.

Um weitere Streitereien mit Bert Teufel zu vermeiden und aus dem Wege zu gehen flogen wir also nach Hamburg, wir mieteten uns im Stadtteil Ottensen in einem Mittelklasse Hotel ein. Etwas über ein Jahr war seit unserem letzten Aufenthalt in Germania vergangen. Was also hatte sich gravierend und zum Nachteil verändert? Hartz IV hatte die Leute in die Armut getrieben, nicht-angeleinte Hunde hatten Kinder angefallen und unter anderem das Gesicht zerbissen, der schwule Bürgermeister Ole von Beust saß immer noch fest in seinem warmen Sessel, und die Regierung in Berlin verlor zunehmend an Zustimmung. Oskar Lafontaine, der SPD-Untreue Querulant und die PDS waren ein Bündnis eingegangen, weil für den 18. September 2005 Neuwahlen bevorstanden, und sie sich gemeinsam, Oskar und Gregor, größere Chancen in Bezug auf Stimmen machten. Die SPD/Bündnis 90 die Grünen hatten nach fast sieben Jahren an der Regierung, das ohnehin schon runtergewirtschaftete Land, endgültig ruiniert. Nach viel zu vielen leeren Versprechungen, Phrasen, Lügen, Selbstinszenierungen und unfähigen, korrupten Ministern war Deutschland am Ende. Gerhard Schröder und der dauergrinsende Franz Müntefering, der sich einst mit seiner lesbischen Tochter, medienwirksam, vor die laufenden Kameras gestellt hatte, um dem Wähler Solidarität und sexuelles, väterliches Verständnis zu signalisieren, auch er- und all die anderen Genossen, hatten das Vertrauen der Bürger nicht nur verloren, sie hatten sich darüber hinaus auch lächerlich gemacht. Joschka Fischer, das fette, in feinsten Zwirn gekleidete Walross, der sonst immer für alles Schwierige eine plausible Erklärung parat hatte, er war aufgrund seines schwabbeligen Doppelkinnes zu einer Witzfigur geworden, die nicht einmal mehr in einen Zeichentrickfilm passte. Auf der anderen Seite dann die CDU/CSU, Angela Merkel, Edmund Stoiber und nicht zu vergessen den Radikalreformer Friedrich Merz, der von Politik genauso viel verstand, wie einer, der offen zugab, dass er „keine Ahnung habe“ von dem, was er da tat, es aber trotzdem tat, weil „es“ eine Menge Geld brachte. Von Herrn Guido Westerwelle (FDP) wollen wir hier an dieser Stelle einmal nicht sprechen, denn er war eigentlich nur noch schwul; schwul, arrogant, hochnäsig und auf dem besten Wege der Arsch vom Dienst zu werden. Sie alle aber wollten Deutschland nun wieder zu dem machen was es einmal war, nämlich, das Geldsäckel für andere Länder, das Auffangbecken für kriminelle Ausländer und zu guter Letzt: Der großzügige Nachbar in Europa, der gerne seine eigenen Leute ausbluten ließ, damit es anderen besser geht. Dass bei der SPD und bei der CDU/CSU Schwarzgeldaffären in den vergangenen Jahren, von ungeahntem Ausmaß den getreuen Wähler und die Öffentlichkeit gänzlich beunruhigt hatten, dieser Punkt wurde von der überparteilichen Bildzeitung einfach unter den Teppich gekehrt, man wollte den erwachten Wechselwähler nicht vorab verunsichern. Herr Lüders, unser Portier in unserem Hotel in Ottensen, war mit der täglichen Politik bestens vertraut, er, der erst kürzlich aus der SPD ausgetreten war, schwor auf das neue Linksbündnis von der WASG und der PDS. „Entweder die, oder gar keine Zukunft mehr,“ lautete seine Devise, aus der er im Übrigen auch keinen Hehl machte.

Das war sowieso im gesamten Land die Grundstimmung! Man hatte vor der Zukunft Angst, Leute wie: Roland Koch, Jürgen Rüttgers und andere Schleimpilze des politischen Waldes erschreckten die Bürger vorab, was passieren würde, würde die CDU ans Ruder kommen. Dadurch hatten auch ich und Bianca das Gefühl, dass aus den traditionellen Parteien die Luft raus war, denn die wollten bei den Arbeitslosen und Sozialschwachen erneut kürzen, andererseits jedoch waren die Gelder, die angeblich so knapp waren, für Naturkatastrophen, welche sich im Ausland ereigneten, ebenso für Kriege und Aufbauhilfen, diese Gelder standen sofort zur Verfügung, wenn irgendwo in der Welt Hilfe benötigt wurde, für die eigenen Bedürftigen stand „nichts“ zur Verfügung, sie sollten nur weiter sparen und sich einschränken – ganz im Sinne einer demokratischen Verfassung. Aufgrund dessen hatten wir, und auch unser politischer Berater Herr Lüders, den Eindruck, Deutschland würde nach der Devise handeln: Erst die anderen, dann wir! Übrigens wurde über solche Ansichten nicht mehr hinter vorgehaltener Hand geredet, oh nein, viele enttäuschte Stammwähler der gängigen Parteien, vertraten diese Ansicht genauso wie die trinkfreudigen Kneipenedddels, die entweder in Rente waren, oder die einfach die finanziellen Mittel besaßen, sich, Tag ein Tag aus, an ihrem Tresen festzuhalten, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Die allgemeine Stimmungslage entsprach genau dem Bild, welches man, immer mal wieder, durch das Fernsehen, von der Weimarer Zeit bekam: Parteienvielfalt, Konzeptlosigkeit, Armut, unorientierte Politiker, die den Kontakt zur Basis verloren hatten, und trotz alledem, Leute aus dem Medienbereich die merkten, dass etwas in Gange war. Zum Beispiel Magda und Ralf gehörten zu diesen, denen die politische Lage der Nation Sorgen bereitete. Während Magda sich der neugegründeten „Linkspartei“ anschloss, die aus der WASG und der PDS entstanden war, zog es Ralf wieder einmal mehr und mehr in die Welt des Alkohols; man darf Ralf nicht zu sehr auf den Alkohol beschränken, - das wäre nicht richtig, aber, was Ralf so innerhalb einer Woche wegsoff, ja, das war durchaus beachtlich, und er selber gestand uns bei einem Besuch in seiner- und Magdas Wohnung: „Der Alkohol ist zwar in vielen Fällen an allem Schlechten Schuld, aber es ist eben auch schön besoffen zu sein, um dann die Welt zu betreten, wo das viele Denken aufgehoben wird, wo immer die Sonne scheint, wo die Depressionen des Alltags keine Rolle mehr spielen, das ist eine Welt, die ich nicht missen möchte.“ Magda, seine tolerante Ehefrau sah das zwar etwas anders, aber sie verstand Ralf, wenn er gelegentlich mit Korn-Horst, mit Cognac-Günther oder auch mit Dosenbier-Rüdiger um die Ecken zog. „Männer brauchen das einfach so dann und wann,“ sagte sie zu uns, als wir uns bei ihr, und bei einem kühlen Glas Lambrusco, auf dem Balkon über „dies und das“ unterhielten und Ralf nickte freudig erregt, er lächelte dabei allerdings so eigenartig.

Als der Abend bei Magda und Ralf vorüber war, schlenderten wir die Ottenser Hauptstraße zu Möllers Eck hinunter. Auch hier waren wir seit über einem Jahr nicht mehr gewesen, aber es hatte sich nichts Wesentliches verändert. Wir bestellten zwei Flaschen Bier und zwei Apfelkörner, die uns auch prompt serviert wurden. Die Gäste bei Möller erkannten uns nicht mehr so richtig wieder, die Alkoholiker-Gang, wie ich sie immer genannt hatte, saß mit einem Getränk in der Hand, geistesabwesend, stumm, von Gleichgültigkeit gekennzeichnet und mit hängenden Schultern am Tresen. Musik wurde hier offensichtlich schon lange nicht mehr gespielt, ich meine, damit ein bisschen Schwung in den Laden kam. Nur Mona, eine platinblonde, zittrige, ehemalige Drogenabhängige, mit einem Glas Pilsener in den gelblichen Pfoten, wirkte froh und munter. Sie gehörte schon seit ewigen Zeiten mit zum Inventar, kein Tag verging bei Möller ohne Mona, Mona hatte vieles erlebt in ihrem Leben, da waren nicht immer nur die schlechten Zeiten gewesen, nein, zwischendurch gab es auch mal Kohle und die setzte sie gleich in Heroin um, damit die Wirklichkeit nicht in ihr Herz drang, welches sich so sehr nach Liebe und nach einem festen Partner sehnte. Doch das Leben hatte auch bei Mona Spuren hinterlassen. Ihr Gesicht hatte den Glanz verloren. Graue, vom Nikotinmissbrauch gezeichnete, Haut klebte in ihrem Antlitz. Schminke half nicht mehr, also unterließ Mona jeden Morgen den Blick in den Spiegel, es interessierte sie nicht mehr – sie ließ sich gehen, war aber dennoch mit sich und mit der Welt zufrieden. Nachdem wir ausgetrunken- und bezahlt hatten, bummelten wir in unser Hotel zurück, wo Herr Lüders uns mit einem freundlichem Gruß empfing, welchen wir ebenso freundlich erwiderten. Ein wenig angesäuselt ließen wir uns aufs Bett fallen, dann zogen wir uns langsam aus, kuschelten uns aneinander, anschließend gaben wir uns einen Gute-Nacht-Kuss und versanken in süßen Träumen. Am nächsten Tag erforschten wir den Kiez, doch der hatte sich auch nicht großartig verändert, er war immer noch genauso dreckig und verkommen, wie wir ihn einst zurückgelassen hatten...

Magda erkundigte sich, bei einem weiteren Besuch, von uns bei ihr – Tage später, nach unseren Kindern und nach unserem Hund, sie sagte: „Sind die drei auch gut versorgt? Habt ihr das Kindermädchen gewissenhaft geprüft? In der heutigen Zeit und nach allem, was man so hört und sieht – mit versteckter Kamera aufgenommen und so... na, ja, man weiß ja nie?“ „Sie sind in einer Familie, die mit uns gut befreundet ist, untergekommen,“ sagte Bianca, „Familie Collins, die weder mit Joan Collins noch mit Phil Collins verwandt oder verschwägert sind, sind eine klassische, vorbildliche, amerikanische, gesetzestreue und christliche Familie mit eigenen Kindern und genügend Platz zum Spielen.“ Ich fügte an: „Wir haben uns übrigens, nach der Geburt der Kinder für ein eigenes kleines Haus entschieden, unser Appartement war doch zu eng, gerade auch wegen unserem Hund. Und du Magda? Mal ganz ehrlich? Was macht die Kunst? Wie man so schön sagt.“ „Wir sind glücklich, glücklich mit uns, nicht mit dem, was gerade zurzeit in Deutschland geschieht. Ralf wollte eine Umschulung machen, leider hat das Arbeitsamt ihm diesen Wunsch nicht erfüllt; Ralf wollte mit seinem Kumpel „Paul“ in Afrika eine Goldmiene ausbeuten, auch das war leider ein Schuss in den Ofen, trotz hervorragender Goldproben, für die sich ein Amerikaner interessierte; Ralf wollte in Rente gehen, doch die LVA schmiss ihn raus. Und nun säuft „Ralfilein“ wieder ein bisschen mehr als ihm gut tut. Er hat Depressionen, deshalb nimmt er jeden Abend um 23:00 Uhr eine Tablette gegen seine trübsinnigen Gedanken, das Mittel heißt „Mirtazapin“, es wirkt sehr schnell, schon nach einer halben Stunde schläft Ralf ein und schnarcht, am nächsten Morgen ist er dann wieder ganz gut drauf, jedenfalls sagt er das immer zu mir.“ „Aber Ralf hat doch noch nie Tabletten genommen? Ist es denn unbedingt notwendig, dass Ralf sich mit Anti-Depressiva behandeln lässt?“ Fragte ich. „Ach, du weißt doch, nach dem Suff, da kommt der Kummer, es ist die gesamte Situation für Ralf, er kommt, wie so viele andere auch, einfach nicht mehr mit dem ganzen Scheiß zurecht. Das Geld langt hinten und vorne nicht, und die paar Kröten die ihm von Hartz IV zum Leben bleiben, oh mein Gott, dafür hat er keine 36 Jahre lang schwer gearbeitet.“ „Wo ist Ralf denn zurzeit gerade?“ Fragte Bianca. „Ralf ist bei Korn-Horst in Hamburg Hamm, Korn-Horst macht für Ralf immer mal wieder die Steuern, im Anschluss daran wird kräftig gesoffen und von alten Zeiten geschwärmt. Ich vermute Ralf kommt wohl erst heute Abend, sehr spät, nach Hause.“ Und in der Tat: Ralf kam noch. Er war voll wie Hacke, er hatte außerdem geweint, er zeigte uns zum wiederholten Male seinen Hartz IV Bescheid, dann schleppte er sich zum Kühlschrank, griff sich eine Flasche Bier, öffnete diese und setzte sich noch ein Weilchen zu uns. „Hast du einen schönen Tag gehabt?“ Fragte Magda. „Ja und nein.“ „Ja und nein, was bedeutet das?“ „Ach, ich hatte Krach mit Korn-Horst wegen der Steuern, und Paul hat sich von mir Geld geliehen, das er dann an jemand anderen weiterverliehen hat, den ich nicht abkann, und ich habe ihm auch gesagt: Wenn du an „den“ mein Geld weiterverleihst, obwohl „ich“ das nicht will, dann gibt es Ärger.“ „Und? Gab es Ärger?“ Fragte Magda. „Ja, es hat sogar „gescheppert“ wie man in meiner Heimat Aschaffenburg zu sagen pflegt. Ich habe meinen Standpunkt deutlich vertreten, da war Paul dann beleidigt... der kann mich mal kreuzweise. Ach, Scheiße, alles ist im Grunde genommen nur noch scheiße. Ich nehme jetzt gleich mein Mirtazapin ein und lege mich hin. Gute Nacht alle zusammen.“ So geschah es dann auch. Und da auch Magda ständig gähnte, verabschiedeten wir uns, denn wir wollten ebenfalls nach Hause - in unser Hotel, weil uns die Müdigkeit spontan gepackt hatte, nach ein bisschen zuviel Alkohol und Haschkeksen.

Wir stellten am nächsten Tag fest, dass Hamburg sich zwar nicht so verändert hatte, dass man darüber die Nase rümpfen sollte, aber dass sich etwas zum Besseren hin verändert hatte, das war auch nicht der Fall. Der schwule Bürgermeister Ole von Beust und sein Lebensgefährte Roger Kusch ließen die Dinge so wie sie schon immer waren, schließlich wollten beide keinen Ärger mit dem Rotlichtmilieu haben. Wie das gemeint ist? So wie ich es geschrieben habe! – Nur eine vage Vermutung, mehr nicht.

Unser Portier – Herr Lüders, der heimlich gerne mal zur Buddel griff und selbstgedrehte Zigaretten konsumierte, sagte in der ersten Woche, wo wir im Hotel logierten, einmal zu uns: „Ich bin jetzt fast sechzig Jahre alt, und bin Hamburger mit Leib und Seele, das sollte man wissen. Ich habe neuerdings Blutdruckschwankungen, meine Gamma GT Werte (Leberwerte) sind auch immer leicht erhöht, ich esse gerne deutsche Markenbutter auf Brot, deshalb ist mein Cholesterin ständig zu hoch, ferner bumse ich so gerne, weil ich immer noch geil bin, aber mittlerweile vergeht mir sogar die Lust zu bumsen, zu saufen und zu fressen.“ „Tja,“ sagte ich, „die Deutschen, also die, die Verantwortung tragen, gerade in Bezug auf die ständigen Fleischskandale, diese Typen sind nichts als Wichser, aber daran wird sich vermutlich nichts ändern?“ „Doch,“ sagte Herr Lüders energisch und mit erhobenen Zeigefinger, „wenn die neue Linkspartei, was zu sagen hat, dann können sich die anderen, die uns so verarmt haben, und sogar noch einen Schritt weiter gehen wollen, diese Spielzeug-Figuren der Industrie können sich dann warm anziehen, weil sie nicht mehr gebraucht werden.“ Und als ich mir die Worte von Herrn Lüders so überlegte, ja, da kam in mir der Gedanke hoch: Der Mann könnte recht haben. Seine Frau Heide, der im Übrigen das kleine Hotel in dem wir wohnten gehörte, sie war einige Jahre jünger als ihr Gatte, aber nichts desto weniger politisch auf dem Laufenden. Sie sagte eines Abends zu mir und zu Bianca, bei einem Glas Bordeaux auf Kosten des Hauses, in den Privatgemächern von Familie Lüders: „Schröder dieser unfähige Zwerg, der hat von nichts Ahnung, der redet so eine Scheiße, dass ich „mich“ manchmal bekotzen könnte. Es ist für mich unbegreiflich wie so ein Schwachkopf Bundeskanzler werden konnte. Wir haben hier bei uns im Hotel Leute von verschiedenen Parteien wohnen gehabt, und ich will auch nicht undankbar sein, wegen der Trinkgelder und so, aber die Pfeifen von der SPD... die sind zu blöd zum Scheißen, ich sage es dir. Die können nicht mal richtig mit Messer und Gabel essen, bei der CDU ist es nicht großartig anders, von FDP und von den Grünen will ich lieber gar nicht erst sprechen. Nur soviel: Fast alle waschen sich nach dem Scheißen und nach dem Pissen „nicht“ die Hände, - an den unbenutzten Handtüchern kann man das nachprüfen, habt ihr so etwas schon mal erlebt?“ Ich dachte spontan, nach Heide ihren Worten, an die Gäste von Ingo Wilff seiner Bahnhofskneipe (Hamburg-Harburg), dort waren mir jene hygienischen Nachlässigkeiten einzelner Gäste mehrmals aufgefallen, also damals, als ich gelegentlich dort mein Bier trank. Dennoch, eine eklige Vorstellung.

Heide- und auch ihr Mann Rudolf Lüders neigten bisweilen zu Übertreibungen, die aufgrund des Millennium Wechsels einen gewissen persönlichen Stellenwert eingenommen hatten, denn viele waren ja, seit dem Jahr 2000, der Meinung, dass der Millennium Wechsel für so allerlei verantwortlich war. Das klingt irgendwie seltsam, aber der mit: Raketen und Sektflaschen gefeierte Wechsel ins 21igste Jahrhundert war, und nicht nur für die Familie Lüders, der Beginn einer sichtlichen sowie allgemeinen Verarmung, welche kaum zu übersehen war, die dennoch von RTL und SAT 1 in ihren Hetzsendungen am Mittag geleugnet wurde. Natürlich gab es vorher auch schon Warnsignale, gerade die konfuse Politik von Rot/Grün in Deutschland sei hier genannt, aber auch das ganz private Auftreten von Bundeskanzler Schröder, Außenminister Fischer sowie das mitleiderregende Gesicht von Angela Merkel, vermittelten der Bevölkerung den Eindruck: Die Politik sei auf der Suche nach einem neuen Volk, welches ihre Spinnereien, ihre Skandale, besonderes in Bezug auf Schwarzgeldaffären, mitmachen würde. Und da so etwas natürlich nicht geht, nicht funktionieren kann, übte man an den „eigenen“ Leuten, in wie weit diese sich einlullen ließen, man stocherte so lange in den Wunden der Enttäuschung, der Arbeitslosigkeit, der Depression und der Verarmung herum bis sich eine neue Linke formierte die zuhörte, wenn der Bürger redete und sich nicht voll quatschen ließ. Bianca und ich waren somit, wieder einmal Zeitzeugen geworden, die durch einen ganz normalen Besuch, in der uns so vertrauten Heimat, das Geschehen sowie das Umdenken der Bevölkerung hautnah miterleben ließ. Rudolf Lüders sagte: „Das haben die jetzt davon, ich freue mich über jede Stimme, welche das neue Linksbündnis bekommt.“ Und seine energische Frau Heide, die von Politikern sowieso „nichts“ hielt, nahm die Hand ihres aufgeweckten Gatten und drückte sie fest an ihren Busen, mit den Worten: „Unser Herz schlägt links.“ „Wie schön für euch,“ sagte Bianca, „soviel Einigkeit verdient meine Hochachtung.“ „Meine auch,“ sagte ich, „der Wahlkampf hat also begonnen, möge der Bessere gewinnen.“

In den nächsten Tagen tauchten die Kinder von Familie Lüders auf, nämlich die dunkel-blonde, 24ig jährige, etwas sehr sexy angezogene Kerstin in einem Minirock, der mir den Atem raubte; mit einem sehr angenehmen Parfum, mit Charme und mit einem Schlafzimmerblick. Ja, und auch ihre pralle Oberweite muss von den Göttern höchst persönlich geschaffen worden sein, so sehr erregte sie meine Aufmerksamkeit. Kerstin ihr Gesicht war schmal gehalten, mit einem leichten, bronzefarbenen Teint versehen, ihre glänzenden schulterlangen Haare waren wunderbar anzuschauen, ebenso ihre Augen, sie drückten viel Wärme und Empfänglichkeit aus – ich war hingerissen von ihr. Ihre beiden Brüder Kurt und Tommy wirkten auf mich und Bianca nicht so freundlich. Kurt, der jüngere von beiden Brüdern - Mitte zwanzig, hatte gerade seinen Job verloren, ferner hatte er sich mit dem „Stellvertretenden Geschäftsführer“ seiner ehemaligen Firma, die ihn einst beschäftigte, so dermaßen geprügelt, dass Kurt einige Blessuren hinweggetragen hatte, die einer ärztlichen Behandlung bedurften, aber schon wieder am Abklingen waren. Tommy, der nur ein Jahr älter war als Kurt, erweckte auf uns den Eindruck eines ausgekochten Ganoven der ganz genau wusste wo es lang ging, wenn die Konjunktur auf Sparflamme lief. Er fuhr den Wagen mit der eingebauten Vorfahrt, ferner gefiel ihm Bianca „so gar nicht“, und im Gegensatz zu Kurt sprach er eine Sprache, die unweigerlich aus dem Kiezmilieu stammte, und dem war auch so. Als wir mit ihm einmal alleine an der kleinen Hotelbar seiner Eltern saßen, da sagte er: „Ich hab` mich mit nem` Kohlensack arrangiert und ferner mit zwei Kanacken, wir haben auf St. Georg und auf dem Kiez jeweils einen Laden erworben, läuft ganz gut. Bisschen bumsen, bisschen koksen und gezockt wird in den Hinterzimmern, die Bullen kriegen ihre Provision, oder auch mal ein paar Naturalien damit sie die Augen- und ihre Gebeißleisten zuhalten, und... na, ja, so lässt einer den anderen eben in Ruhe. Dank unseres liberalen Senates ist so etwas möglich. Zu Zeiten, wo Herr Schill Innensenator und zweiter Bürgermeister war, hui, hui, hui – da hatten wir alle, die von der Dealerei und der Prostitution lebten, reichlich Probleme, aber dieses düstere Kapitel ist Gott sei Dank abgeschlossen.“ Als Tommy das so daher sagte, da erinnerte er mich ein wenig an Bert Teufel, sicherlich Teufel war zu weibisch und zu schwul, Tommy hingegen war ein knallharter Bursche, der nie ohne Waffe aus dem Haus ging, dem sogar Teile der Hamburger Polizei, in gewisser Weise, unterstellt waren, ich meine, Tommy konnte parken, wo immer er wollte, ohne einen Strafzettel zu kassieren, er durfte außerdem in aller Öffentlichkeit Gras rauchen – die Polizei übersah so etwas, und wenn doch einmal ein jüngerer, unerfahrener Beamter Tommy aufs Korn nehmen wollte, dann wurde er recht barsch von einem anderen, eingeweihten Beamten, der Tommy direkt unterstellt war, zurückgepfiffen und zurechtgewiesen, damit so etwas nicht noch einmal vorkam. Tommy wohnte außerhalb von Hamburg in einem schicken Häuschen zusammen mit einem ehemaligen Fotomodell, die nach dem Ende ihrer Karriere auf dem Laufsteg erst für einen Luden in der Davidstraße geackert hatte, doch als Tommy sie sah, sich in sie verliebte und er für sie die „Abstecke“ löhnte, da nahm er sie bei sich auf. Kurt wohnte in Winterhude, er arbeitete gelegentlich für seinen Bruder – als Drogenkurier und Mädchen-Zureiter für die beiden Läden, so besserte er sich sein Hartz IV Geld etwas auf. Die Einzige die im Hotel ihrer Eltern wohnte war die ansehnliche Kirstin. Kirstin Lüders war so ein wenig das Aushängeschild des Ganzen, sie zog die Gäste an, weil bekannt war, dass sie am Abend die Bar im Hotel führte, und sehr tiefe Einblicke in ihr Dekolleté gewährte, die von den männlichen Gästen mit großzügigen Trinkgeldern belohnt wurden.

Bianca fragte mich als wir in unserem Zimmer waren, bezüglich, Kirstin: „Möchtest du gerne mal mit ihr schlafen? Kriegst du einen Steifen, wenn du sie siehst? Bist du geil, oder gar verknallt in sie? Na, was ist? Rede schon!“ Was sollte ich Bianca also sagen? Natürlich war Kirstin geil, sie war eine erotische Naturgewalt, sie wäre in der Tat mal etwas Abwechslung gewesen, aber ich wollte Bianca nicht enttäuschen, auch wenn sie sich das so vorgestellt hatte. Ich sagte zu Bianca: „Sei nicht so eifersüchtig! Natürlich ist Kirstin geil, und ich glaube jeder kriegt bei ihr einen hoch, aber das ist doch auch ganz menschlich, es liegt nun einmal in der Natur des geschlechtsreifen Mannes, dass er durch die Optik einer schönen Frau erregt wird, das geht „mir“ bei „dir“ nicht anders, wenn du im knappen Mini mit Stöckelschuhen vor mir auf- und ab gehst.“ „Aber trotzdem würdest du sie gerne mal bumsen, nicht wahr?“ „Nein! Und jetzt ist Schluss. Zieh dich aus, dann zeige ich dir „wen“ ich jetzt gerne bumsen möchte, du geiles Luder.“ Und wir trieben es wirklich so dermaßen laut miteinander, dass wir am nächsten Morgen von den anderen Hotelgästen argwöhnisch beobachtet wurden. Man redete über uns, nicht so laut, dass das Gesprochene ausführlich und detailgetreu an unsere Ohren drang, ich meine, so dass wir jedes Wort verstehen konnten - das nun gerade nicht, aber man hielt uns wohl für primitive Schweine, so war unser Eindruck. Frau Lüders die uns, wie jeden Morgen, im Frühstücksraum die Brötchen, den Käse, die Geflügelwurst, den Kakao und den Orangensaft servierte lächelte sehr herzlich. „Na, hattet ihr zwei `ne Menge Spaß im guten und altvertauten Hamburg? Bei euch scheint es letzte Nacht ja hoch her gegangen zu sein, und geduscht habt ihr hinterher auch noch, das zeigt, dass euch die Sauberkeit sehr am Herzen liegt – alle Achtung. Trotzdem habe „ich“ eure Betten frisch bezogen, irgendetwas geht ja immer daneben, nicht wahr? Guten Appetit übrigens, lasst es euch schmecken.“ Bianca kicherte daraufhin relativ laut nach diesen eindeutigen Worten von Frau Lüders, allerdings hinter vorgehaltener Hand, so dass die anderen Ehepaare, die mit uns im Frühstücksraum saßen, sich wohl ihre eigenen Gedanken machten. Welche Gedanken das waren? - Das wäre jetzt wohl zu viel des Guten um darüber zu berichten. Ich für meinen Teil hätte im Boden versinken können, ich hatte das Gefühl, dass man „mich“ nicht nur anstarrte, sondern, dass man mich auch als asozialen Proleten abgestempelt hatte, der nur an das „Eine“ dachte. Sicherlich, ich bin nicht prüde, ich bin kein Kind von Traurigkeit, aber dass nun das ganze Hotel wusste, dass wir letzte Nacht miteinander geschlafen hatten... irgendwie ging mir das zu weit. Hastig würgte ich zwei halbe Käsebrötchen runter, nahm zwischendurch drei Knoblauchperlen ein, trank meinen Kakao aus, und bat Bianca darum sich etwas zu beeilen, da ich mit ihr noch hinunter zu den Landungsbrücken wollte.

Es war ein herrlicher Junitag, als wir an den Landungsbrücken ankamen, es duftete nach Frühling, nach Hamburg, nach dem Hafen, nach der Freiheit und ich glaube, es roch sogar ein bisschen nach den Gewürzen der Speicherstadt, die in winzigkleinen Partikelchen die Luft erfüllten und in unsere Nasen gelangten, wo sie dann haften blieben. Ich fragte Bianca daraufhin: „Was ist nun schöner, Hamburg oder Santa Monica?“ „Och Mensch, darüber haben wir beide doch schon so oft philosophiert. Man kann das beizeiten „trübe Hamburg“ und das immer „sonnige Santa Monica“ nicht miteinander vergleichen, beides hat seinen ganz eigentümlichen und persönlichen Reiz, so ist das nun mal.“ „Meinst du?“ „Ja, das meine ich, und ich habe auch keine Lust weiter darüber zu fachsimpeln. Lass uns jetzt irgendwo reinsetzen und was Alkoholisches trinken, ich habe Durst.“ Also gingen wir in eine Kneipe, bestellten uns was zu trinken, nahmen unsere Getränke allerdings mit vor die Tür an einen Tisch, weil wir die Schiffe und die Touristen beobachten wollten. Und als wir da so saßen, fragte ich Bianca: „An was denkst du gerade?“ „An Chantal und an Bert Teufel.“ „Wieso gerade an die beiden?“ „Ich habe da so ein Gefühl, als wenn die zwei hier bald auftauchen könnten.“ „Weil sie uns vermissen?“ „Vielleicht auch das, aber in erster Linie hat jeder mal, von Zeit zu Zeit, Heimweh, und das kann ganz schön auf die Psyche drücken.“ „Wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich auf Bert Teufel und auf Chantal ruhig mal `ne Weile verzichten, ich wollte mit dir alleine sein, wenn du verstehst, was ich meine? Ich muss die beiden nicht immer- und überall um mich herum haben.“ „Natürlich verstehe ich dich, aber witzig wäre es schon, wenn wir alle zusammen hier in Hamburg wären - nur vorübergehend natürlich, mehr nicht.“ „Also, gut. Mal angenommen die zwei kämen hier an, völlig unverhofft und ohne Vorankündigung, was dann?“ „Es gibt Handys... bitte vergiss das nicht, mein Schatz. Chantal und Bert Teufel haben deine- sowie auch meine Nummer, hast du das etwa vergessen?“ Bianca hatte recht – wie immer. Es war natürlich idiotisch von mir zu denken, dass wir unsere Handys die ganze Zeit in Hamburg ausschalten würden, nur um mit Chantal und Teufel keinen Kontakt zu haben, eine beknackte Idee von mir. Und in der Tat, am Sonntagabend klingelte Biancas Handy, es war Chantal, das Gespräch ging über zehn Minuten – ich wandte mich genervt ab, doch als Bianca ihr Handy wieder ausgeschaltet hatte, sagte sie nur zu mir: „Sie kommen! Und zwar bereits am Mittwoch, was sagst du dazu?“ „Ich bin überrascht, ein Alptraum scheint wahr zu werden. Kommen sie in unser Hotel?“ „Natürlich! Wohin den sonst? Hättest du eben zugehört, dann müsstet du nicht so blöde fragen.“ „So eine Scheiße, ich wollte eigentlich mal meine Ruhe haben.“ „Nun übertreibe doch nicht gleich, ich glaube der Streit mit Teufel ist vorüber.“ „So? Glaubst du das?“ „Ja, das glaube ich, denn ich soll dich von Bertilein und von Chantal ganz besonders herzlich grüßen. Ich doch süß, nicht wahr?“ „Ja! Sehr süß...“

Warum Bianca noch zusätzlich, im Laufe des Abends, eine SMS, mit unserer Hotel-Adresse, an Chantal schicken musste blieb mir unklar, aber ich fragte auch nicht danach, denn ich wollte keinen Krach haben. Trotzdem, als ich mir so vergegenwärtigte, dass Chantal und Bert Teufel in Hamburg, und dann auch noch in demselben Hotel, aufkreuzten würden, in dem wir uns einquartiert hatten, da wurde ich nachdenklich, um nicht zu sagen: Gereizt. Natürlich hatte ich Teufel, rein finanziell betrachtet, eine Menge Kohle zu verdanken, auch der flotte Dreier mit Chantal war immer von erlesener, sexueller Güte gewesen, aber mir war im Juni 2005 nicht sonderlich nach den beiden, weil ich mit Bianca „ganz alleine“ sein wollte, deswegen hatten wir unsere Gören ja auch in „andere“ fürsorgliche Hände gegeben, natürlich auch unseren treuen Hund. Ich bin kein Rabenvater, Bianca keine Rabenmutter, also, nicht dass man mich hier falsch versteht, aber ein künstlerischer Geist so wie „ich“ braucht eben seine Ruhe, um seine Batterien wieder aufladen zu können, und das geht eben nur, wenn ausreichend Ruhe und Entspannung gegeben ist. Bianca sah das natürlich wieder mal ganz anders, sie sagte zu mir: „Mach hier bloß keine Szene, wenn die beiden ankommen. Dann, wenn es soweit ist, tue wenigstens so, als wenn du dich freuen würdest. Schließlich ist Bertilein nicht nur deinetwegen aus Santa Monica gekommen, sondern er will auch ein paar alte Freunde besuchen, Typen vom Fernsehen und so...“ „Wie schön. Und Chantal wird wohl mit ein paar ehemaligen Kunden herumvögeln, sehe ich das richtig?“ „Leck mich am Arsch.“ „Nun sei doch nicht gleich so aggressiv. Ich will die Situation, vorab, doch nur ein wenig entkrampfen.“ „Dann halt deine Fresse, bedenke, Teufel weiß „genug von dir“ - aus früheren Zeiten, um dich ziemlich „dumm“ dastehen zu lassen, wenn du verstehst, was ich meine?“ „Ich verstehe schon. Nur, ich hatte mir eigentlich gedacht, dass wir den Kontakt zu Teufel und Chantal, generell, also ganz bewusst, etwas lockern.“ „Lockern? Damit er „uns“ irgendwann anscheißt?“ „Siehst du, das „meine“ ich, denn die Möglichkeit besteht ja auch noch, nicht wahr?“ „Wenn man es so sieht, na, ja... aber in Santa Monica gehen wir uns doch ohnehin schon alle aus dem Weg. Jedenfalls haben die gegenseitigen Besuche doch erheblich abgenommen.“ „Sie würden noch mehr abnehmen, wenn er als Schauspieler endlich Erfolg hätte, und zwar nicht bei irgend so einer Provinzbühne, sondern richtig beim Film, von mir aus hier mitten in Deutschland, Casting-Agenturen gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Und wenn Teufel schlau genug ist, oder wir ihn daraufhin weisen, dann kauft er sich vielleicht in eine sogenannte „Daily-Soap“ einfach mit ein; Kontakte und Freunde dürfte er ja wohl noch mehr als genug haben, sein Talent steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt Papier.“ „Er und Talent? Gemein bist du wohl gar nicht, was?“ „Nein, mein Schatz, das bin ich „überhaupt“ nicht.“

Bevor Chantal und Bert Teufel in unserem Hotel eintrafen, befreundeten Bianca und ich uns mit einem englischen Ehepaar, welches sich für „längere Zeit“ einquartiert hatte. Arthur Grisham und seine Frau Patricia waren seit einem Monat Gäste des Hotels in Altona/Ottensen, er- und sie natürlich auch, sprachen ein hervorragendes Deutsch, mit einem leichten, aber musikalischen, englischen Akzent, dass wir nur so staunten. Wir saßen, allmorgendlich, gemeinsam an einem Frühstückstisch, der von Frau Lüders extra für uns vier hergerichtet worden war, mit frischen Blumen und so... Arthur Grisham war für eine britische Company in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz tätig. Beide wohnten generell immer etwas länger in Hotels, wie sie (Patricia) uns erklärte, wenn der Preis nicht zu hoch ist, denn das, das Wohnen in einem Mittelklasse Hotel, sei ja auch besser als kurzfristig eine Wohnung anzumieten, gerade, weil beide des Öfteren länger in den deutschsprachigen Ländern zu tun hatten. Arthur war so eine Art von Unternehmensberater, und sie begleitete ihn unentwegt – als Sekretärin. „Wir sind ein eingeschworenes Team,“ sagte sie zu uns, „Kinder wollen wir noch nicht, unsere Arbeit ist die Erfüllung unseres Lebens.“ Und Artuhr fügte mit hochgezogenen Augenbrauen hinzu: „Deutschland ist so schön, aber es sitzt, im Moment, auch ganz „schön“ tief in der Scheiße. Wie geht ihr beide mit der angespannten Situation in Deutschland um, obwohl ihr in Amerika/Kalifornien lebt?“ „Nun, ja,“ sagte ich, „wir wundern uns natürlich auch, aber man muss die Probleme eben nehmen wie sie kommen, erst dann sollte man eingreifen.“ „Du spielst auf die Neuwahlen im September an?“ „Ja, dann kann sich in Deutschland einiges zum Guten ändern, wenn die Leute vorher nicht wieder auf die leeren Versprechungen der traditionellen Parteien hereinfallen.“ Patricia meinte nach einer Weile: „Der Euro hat vieles kaputt gemacht, die ständigen politischen Skandale aus Deutschland schaffen außerdem keinen positiven Eindruck, Gerhard Schröder und Franz Müntefering haben ein ganzes Land, ein Stück Europa auf dem Gewissen, man sollte sie ins Burgverlies sperren.“ Wir mussten alle lachen. Ja, denn das war der typische britische Humor, der aus einer Zeit stammte, wo nicht lange diskutiert wurde, sondern, wo man Nägel mit Köpfen machte. Die Grishams hatten selbstverständlich mitbekommen, dass wir Besuch aus Amerika erwarteten, und als Bianca sagte: „Am Mittwoch wird der Teufel kommen,“ da kam es bei den Grishams zu einer leichten, aber doch recht amüsanten, sprachlichen Konfusion. „Der Teufel?“ Fragte Arthur etwas nachdenklich. „Ja,“ sagte Bianca mit fester Stimme und roten Wangen, „Bert Teufel und Chantal, direkt aus Santa Monica,“ und da verstanden die Grishams, dass es sich bei diesem Teufel, um eine Person der Gegenwart handelte, und nicht etwa um eine historische oder literarische. „Teufel... was für ein interessanter Name,“ sagte Patricia, „und so einfach zu merken.“

Noch zwei Tage, dann sollten Bert Teufel und Chantal anreisen, um uns mit ihrer Gegenwart zu erfreuen; erfreuen ist sicherlich, nachdem, was alles in Santa Monica vorgefallen war der falsche Ausdruck, aber irgendwie musste man die Ankunft der beiden ja benennen. Während Bianca, die zwei Tage bis zur Ankunft von Teufel und Chantal, - mit shoppen, mit Massagen und mit Nichtstun verbrachte, hielt ich mich mit politischen Dingen auf dem Laufenden. Natürlich waren in diesem Zusammenhang die Gespräche mit Magda und Ralf im Grunde genommen keinesfalls von allzu großer Abwechslung geprägt, aber ich will es nicht nur darauf beschränken, denn es gab ja auch noch diverse Tageszeitungen, Fernsehprogramme und unterschiedliche Meinungen in den Kneipen und Restaurants, die „mich“ mit einem gewissen Schwung erfüllten, jawohl Schwung, ich war beschwingt, es tat mir durchaus gut. Und ich kann dieses Gefühl nicht beschreiben, es war, vielleicht aufgrund der Verarmung der Gesellschaft, etwas um mich herum geschehen, das meine Aufmerksamkeit spürbar erregt hatte, mich aber auch beunruhigte. Die Leute waren generell verändert, sie redeten weniger, sie warteten, sie schwiegen - nicht aus Furcht, weit gefehlt, sie beobachteten mit einem stillen und heimlichen Wohlgefühl wie die Bundesrepublik Deutschland, das Land: Der Gerne-Geber, damit es anderen besser geht als dem eigenen Volk (ist damit wieder gemeint) also, wie diese Regierung und dessen Opposition, endlich an totaler Glaubwürdigkeit verlor, Tag für Tag. Ich muss, offen und ehrlich, im Nachhinein, gestehen, dass ich mich dieser Freude ohne Gewissensbisse anschloss. Bianca, Familie Lüders und auch die Grishams, Magda und Ralf sowieso, ihnen war anzusehen, dass der Herbst, genauer gesagt: Der 18. September, wohl einige Überraschungen für uns alle parat hatte, die wir herbeisehnten, auch wenn die hochnäsige SPD (Schröder und Müntefering) Lässigkeit und Gelassenheit demonstrierte. Die CDU war hingegen in voller Planung wie man den Armen noch mehr wegnehmen könnte, wie man die Wirtschaftsprobleme noch mehr dramatisieren könnte, um neue Reformen und Kürzungen bei denjenigen durchzuführen, die ohnehin schon im Dreck vor sich hin vegetierten. Angela Merkel sah sich auf der Höhe ihrer zweifelhaften Karriere angekommen, sie musste nur noch die Wahlen gewinnen, - die Bildzeitung half tatkräftig mit, damit der endgültige Untergang der BRD auch mit ihrer Hilfe besiegelt werden konnte. Es wurden Versprechungen vom Zaume gebrochen, dass man sich geradezu überfordert fühlte, alles sollte (auch bei der CDU) durch rigorose Reformen und drastische, soziale Einschnitte wieder so werden wie es einmal war, nur die Umsetzung dessen, stand eben noch zur Debatte. Doch geglaubt, haben das nicht mal die Erzkonservativen – und zwar aller traditionellen Parteien, jene schafften, in weiser Voraussicht, schon mal, vorab, die illegal erworbene Kohle ins Ausland, denn da lag sie ja sicher, - für den Fall der Fälle, dass das Volk sich erheben würde, wie schon einmal, vor langer Zeit... über die man nicht so gerne spricht.

Aber wie verbrachte ich die zwei Tage bis zur Ankunft von Chantal und Teufel außerdem? Ich habe mich natürlich nicht nur mit politischen Dingen beschäftigt, obwohl Herr und Frau Lüders endlose Gespräche über die neue Linkspartei (WASG und PDS) mit mir zu pflegen führten; Familie Grisham hielt sich britisch und dabei sehr korrekt zurück; Magda und Ralf wetterten vom Jähzorn und vom Siegeswillen ergriffen gegen die alte, korrupte Ordnung, die natürlich keine gewesen war. Nun, das war alles gut und schön anzuhören und mir längst bekannt, aber ich brauchte, obwohl mein politisches Interesse, angesichts dieser Umwälzungen nicht völlig im Argen lag so etwas wie Zerstreuung. Ich holte mir diese Zerstreuung indem ich durch Hamburg latschte, denn die Ankunft von Teufel und von Chantal passte mir eigentlich überhaupt nicht in den Kram. Mir war Teufel irgendwie fremd geworden, er war keine tickende Zeitbombe, nein, soweit würde ich nicht gehen, aber er hatte schon so etwas Bedrückendes an sich, vielleicht aufgrund seines ständigen Scheitern bei unterschiedlichen Film- und auch Casting-Agenturen, vorwiegend natürlich in Amerika. Er strahlte eine Form von Beklemmung aus, die sich unweigerlich auf andere übertragen konnte, und selbst Chantal, das wilde Sexluder, die einst kooperativ und zugänglich war, sie hatte sich von ihm doch recht viel angenommen. Chantal war, für meine Begriffe, und auch das war mir im Laufe der Zeit in Santa Monica aufgefallen, eigenständiger geworden. Sie ging nicht „ihren“ Weg, das meine ich nicht, sie ging aber geradewegs darauf zu, weil sie Pläne hatte, die nur schwer nachzuvollziehen waren. Bianca sagte mir einmal in Santa Monica: „Chantal hat etwas an sich, das unvergleichlich ist, sie ist so bodenbehaftet, so intelligent, so unglaublich versaut, aber dann auch wieder die kuschelnde Schmusemaus, welche sich nach Geborgenheit und nach wahrer Liebe sehnt.“ Ich sah das zwar nicht so romantisch, ich sah es eher sachlich, um nicht zu sagen: Kühl. Und genau das war ich auch, also ich, ich war kühl, oder wie die Amerikaner zu sagen pflegen: Cool. Und so ein cooler Typ wie ich, der sollte den Tatsachen realistisch ins Auge sehen, denn, was hatte ich schon zu befürchten? Dass Bert Teufel mich wieder in seine Drogengeschäfte mit einspannen würde? Oder dass er etwa, mit meiner Hilfe- und Unterstützung, eine Schauspielkarriere im weltoffenen Hamburg anstreben könnte? Letzten Endes war mir das alles scheißegal. Trotzdem, der Tag der Ankunft von den beiden Individuen rückte näher, Magda und Ralf war das ziemlich Wurst. Als ich Magda auf die Ankunft von den beiden ansprach, zuckte sie nur so mit den Schultern, Ralf hingegen sagte, und dabei schon wieder leicht angetrunken: „Na, ja, und? Dieser Teufel, der kann, was in die Fresse haben, und Chantal, diese olle Bordsteinschwalbe, diese blöde Sau, diese... Ach, soll sie doch der Teufel holen, die können mich mal – alle beide, das ist meine Meinung.“ „Reiß dich zusammen,“ zischte ihm Magda nach jener kleinen Entgleisung zu. Doch der übelgelaunte Ralf, der einst in Aschaffenburg das Licht der Welt erblickte, war wieder mal randvoll - so wie es den Anschein hatte, und er legte sich plötzlich, ohne sich dabei zu entkleiden und zu verabschieden, ins Bett, um zu schlafen.

Als ich abends mit Bianca, nur mit einem Höschen bekleidet, im Bett lag, sagte sie zu mir: „Hättest du Lust jetzt ein wenig zu bumsen?“ „Ja, sicher...“ „Ja, sicher? Das klingt nicht gerade nach Leidenschaft, was ist mit dir?“ „Ich bin genervt, weil Chantal und Teufel im selben Hotel wohnen werden wie wir. Warum können die nicht woanders einziehen? Ich möchte nicht mehr diesen Kontakt zu Teufel.“ „Und deswegen hast du jetzt keine richtige Lust mit mir zu bumsen?“ „Du weißt, was ich meine – also bitte...“ Und schon ging es los, Biancas heiße Küsse erregten mich, sie wusste mal wieder ganz genau, was sie wollte, ich drang in sie ein und besorgte es ihr, nicht so lange wie sonst, aber immerhin „ausreichend“. Dennoch, ich war nicht ganz bei der Sache, Bianca hingegen blieben diese Gedanken meinerseits verborgen. Und nachdem ich gekommen war, wir uns ausgiebig duschten, uns dann erneut in die Federn legten, da schlummerten wir ein. Es war eine auffallend ruhige Nacht, es war eine Nacht in der ich allerdings von Sorgen und Befürchtungen geplagt wurde, nicht im Übermaß, aber doch so, dass mein Magen nach einigen Bieren verlangte, welche ich mir zu später Stunde, auf leisen Sohlen, von der überaus ansehnlichen Kirstin Lüders aushändigen ließ. „Ein kleiner Schlummertrunk?“ Fragte sie mich. „Ja, so etwas in der Art,“ lautete meine Antwort. „Liebe macht eben durstig,“ fügte sie lächelnd hinzu, „nicht wahr?“. „In der Tat,“ sagte ich, und nahm die Biere (die sich in Flaschen befanden) zu uns mit ins Zimmer, wo ich sie durch meine Kehle laufen ließ, um besser schlafen zu können. Bianca bekam von der Löschung meines Durstes nicht das Geringste mit – sie schlief. Und als auch „meine“ Augenlider immer schwerer wurden, ich die Bierflaschen in eine Plastiktüte stellte, da legte ich mich zu Bett, entspannt und beruhigt durch die Wirkung des Alkohols schlief ich ein. Ich träumte von den fünfziger Jahren, warum weiß ich nicht mehr, es war Sommer, es war heiß und ich saß in einem alten Personen-Beförderungs-Bus, der die Strecke von Harburg bis nach Wilhelmsburg fuhr. Ich saß in der letzten Reihe, meine Haare waren mit Pomade zurückgekämmt, vor mir saßen einige junge Frauen – hübsch anzusehen in ihren engen Röcken und Stöckelschuhen sowie hochgesteckten Haaren. Irgendjemand hatte ein Radio dabei; Rock `n` roll erklang, die Meister der neuen Musik gaben ihr Bestes, von Elvis bis Peter Kraus, von Jerry Lee Lewis bis Ted Herold – alle waren zu hören, ich war begeistert. Was für ein Traum?

Doch dieser Traum ging selbstverständlich, wie alle schönen Träume, am nächsten Morgen zu Ende. Es war noch während des gemeinsamen Frühstückes mit den Grishams, als Biancas Handy laut und unüberhörbar klingelte – Chantal war dran. Sie und Bert Teufel waren bereits gelandet, saßen in einem Taxi, und waren auf den Weg in „unser“ Hotel. Frau- sowie Herr Lüders waren sichtlich erfreut. Die Grishams aßen hingegen ihre Brötchen seelenruhig weiter. Patricia sagte zwischendurch: „Es ist doch immer wieder aufregend – Freunde, oder auch nur „ehemalige“ Freunde, nach einer gewissen Zeit wiederzusehen, nicht wahr?“ „Das kann man halten wie man will,“ sagte ich daraufhin. An dieser Stelle sei anzumerken, dass nur noch wir, also ich und Bianca, dann eine wortkarge Studentin aus Frankfurt und die Grishams, Gäste im Hotel von Familie Lüders waren. Während wir also alle auf die Ankunft von Chantal und Bert Teufel warteten, beobachtete ich die Studentin, welche „immer“ für sich alleine saß, und die kaum mehr als ein unverständliches: „Guten Morgen,“ von sich gab, wenn man sie mal im Hotelgang oder im Frühstücksraum antraf. Wo- oder, was sie studierte wusste niemand, sie war in den Morgenstunden meistens immer mit mehreren Büchern beschäftigt und machte sich Notizen. Gegen 11:00 Uhr vormittags trank sie dann regelmäßig an der Bar zwei doppelte „Bloody Marys“ und verschwand anschließend wortlos, - bis sie so gegen 18:00 Uhr wieder, aus dem Nichts, auftauchte, um sich langsamen Schrittes in ihr Zimmer zurückzuziehen, Abendbrot aß sie nur sehr selten. Das Einzige, was wir von ihr wirklich wussten war, und zwar, dank Herrn Lüders, der unauffällig und gegen alle zulässigen Vorschriften im Gästebuch nachgesehen hatte, ihr Name, der da lautete: S. v. Burg. „Ein seltsamer Name,“ bemerkte Arthur Grisham ganz leise, denn sie (S. v. Burg) saß ja nicht weit entfernt von uns, an jenem Morgen, wo wir die Ankunft von Chantal und Teufel erwarteten. Frau Lüders mutmaßte noch leiser als Arthur Grisham es getan hatte, in Bezug auf den eigentümlichen Namen der Studentin, dass sie vielleicht aus verarmten Adel stammen könnte. Bianca sagte daraufhin: „Es wäre wohl am besten man würde sie fragen, denn Spekulationen helfen hier nicht weiter.“ Doch auch Bianca räumte ein: „Andererseits geht es uns ja auch nichts an, wer- oder, was sie ist. Wenn sie ihre Ruhe haben will, - dann hat das seinen Grund, ich meine, wenn sie Konversation betreiben wollte, von sich aus, dann wäre sie doch schon an uns herangetreten, nicht wahr?“ So sahen wir anderen das auch, schließlich wollten wir uns nicht aufdrängen und das Studium der jungen, adretten Dame aus Frankfurt ungünstig, mit unseren Sorgen, beeinflussen. Trotzdem waren wir natürlich neugierig, aber richtig getraut hatte sich niemand mit ihr zu sprechen, denn da war ja auch noch die Sache mit den zwei doppelten Bloody Marys, welche die Studentin mit Namen: S. v. Burg, vor ihrem Aufbruch zur Universität, täglich- und gerne, zu sich nahm. „Vielleicht nur als Teil ihrer Persönlichkeit, der gefestigt werden soll, ich vermute, das ist so eine Art von legitimer Stressbewältigung, denn, die Universität verlangt den Studierenden heutzutage doch recht viel ab,“ sagte Patricia zu uns - ganz, ganz, ganz leise.

Plötzlich jedoch sprang die Tür zum Frühstücksraum auf, Chantal und Bert Teufel wirbelten herein, sie begrüßten uns mit einem: „Hallo, da sind wir. Die erste Runde Champagner geht auf uns.“ Beide knutschten uns ab, so als ob niemals, auch nur die geringste Spur eines Streites zwischen uns gewesen wäre, die Grishams unterbrachen ihr Frühstück daraufhin, sie nahmen Chantal und Bert Teufel in Augenschein. Noch, bevor Chantal, Teufel oder die Grishams etwas sagen konnten, stellte ich die vier einander vor. Patricia war sehr beeindruckt von der ungewöhnlichen Kleiderwahl Chantals, die irgendwie flatterhaft wirkte, sie sagte zu ihr: „Wie man an Ihnen zweifellos feststellt, hat sich die europäische „Haute Couture“ mittlerweile auch auf dem amerikanischen Kontinent etabliert, eine erfreuliche Tatsache, die meine Bewunderung verdient.“ Und Chantal konterte sofort zurück, indem sie zu Patricia sagte: „Amerika ist eben in vielerlei Dingen fortschrittlich, auch wenn man sich das „hier in Europa“ nicht vorstellen kann, und die sommerliche Mode, um das einmal klarzustellen, ist nur der Ausdruck eines Lebensgefühls, welches ich in meiner kalifornischen Wahlheimat gelernt habe. England ist, vielleicht aufgrund des ständigen, trübsinnigen Wetters da wohl „noch nicht“ soweit.“ „Aber meine Damen,“ unterbrach Teufel, „wir wollen uns doch nicht über das Lebensgefühl einer Nation streiten, nur, weil in einem Land mehr- und in einem anderen Land etwas weniger- oft die Sonne scheint. Ich halte das geradezu für intolerant.“ Arthur Grisham schloss sich Teufels Meinung voll und ganz an, er sagte: „Intolerant, ja, ich glaube das ist das richtige Wort; eine gute Wort-Wahl.“ Und nachdem Frau Lüders den, eisgekühlten, sprudelnden Champagner serviert hatte, wir alle nett miteinander angestoßen hatten, da „legte“ sich die anfängliche Missverständlichkeit in Bezug auf die Haute Couture, auf welche die beiden Damen so viel Wert gelegt hatten. - Man mag jetzt vermuten, dass zwischen Chantal und Patricia eine Antipathie herrschte, doch dem war nicht so. Jene harmlosen Feststellungen der modeinteressierten Damen waren lediglich die Richtigstellung von Geschmäckern, die in einem anderen Kulturkreis entstanden waren. Anzumerken bleibt hierbei vielleicht die Kleidung von Bert Teufel als er im Frühstücksraum erschien, er trug einen roten Anzug, gelbliche Stiefelletten, schulterlange, nachgefärbte Haare, Ketten, Ringe, Ohrschmuck, Make-up und er roch so schwul nach Parfum, dass Arthur Grisham mich im Laufe des Tages zur Seite nahm, und sagte: „Mein Eindruck von diesem Bert Teufel ist, dass er nicht „nur“ schwul ist, sondern, dass er auch „zu“ schwul ist. Denn so tritt man doch nicht auf... und dieses Weib (er meinte damit Bert Teufel) will Schauspieler werden? Möge uns der liebe Gott davor bewahren, es wäre eine ungeheure Katastrophe, und nicht nur für das zahlende Publikum, sondern auch für die schauspielende Zunft als solches - Amen.“

Es erübrigt sich vielleicht zu erwähnen, dass Chantal in den folgenden Tagen weniger flatterhaft und luftig auftrat, denn sie hatte natürlich auch „angemessenere Klamotten“ mit dabei, als jenen Santa Monica Badestrand-Look. Sogar Bert Teufel bemerkte, ohne dass es ihm jemand sagen musste, dass seine Auswahl der Kleidung etwas zu gewagt und zu ausgefallen für das weltoffene aber traditionsbewusste Hamburg war, also wechselte auch er sein Outfit vom bunten Vogel zum seriösen Hanseaten, der seinen eigentlichen Wohnsitz in Kalifornien hatte. Die Grishams nahmen diese Veränderung mit aufrichtiger Freude zur Kenntnis, - waren sie doch mit den Kalifornischen Gepflogenheiten nicht so sehr vertraut, so empfanden sie nach der optischen Anpassung, an die ihnen „normal“ erscheinende Allgemeinheit, eine gewisse Wiederherstellung der Ordnung. Und ich weiß noch wie Patricia zu mir sagte: „Ich habe eigentlich nichts gegen bunte Vögel, doch bei Bert und Chantal schien mir der gute Stall verloren gegangen zu sein, deshalb „kommentierte“ ich, und das nur aus guten Gründen, das erste Erscheinen der beiden...“ Sogar Herr Lüders sah sich aufgerufen, mir und Bianca zu sagen: „Wir haben hier im Hotel schon viele Menschen, aus vielen Ländern gehabt, mit Eigentümlichkeiten, mit kuriosen Extrawünschen und seltsamen Gebräuchen, aber trotzdem stand die Persönlichkeit, für uns immer im Vordergrund. Denn, der zahlende Gast verpflichtet sich in erster Linie, durch die Wahl, sich, bei uns einzuquartieren, dazu, dass unser Haus seinen tadellosen Ruf behält, darum sind ich und meine Frau immer bemüht, durch gegenseitige Akzeptanz und Freundlichkeit, für ein angenehmes Klima zu sorgen. Im Falle von Herrn Teufel und dieser Chantal hat sich durch Selbsteinsicht, eine mögliche Spannung von vornherein, in Luft aufgelöst – das empfinde ich als gut und vernünftig.“

Frau Lüders hat uns dann, am selben Tag, zu anderer Stunde, noch einmal genau dasselbe erzählt. „Die sind ja wie auf einander abgestimmt,“ sagte Bianca zu mir. „Ja,“ sagte ich daraufhin, „das ist die Eingeschliffenheit der Ehe, man versteht sich ohne Worte und ohne sich zu sehen, weil man sich kennt, man nimmt die Persönlichkeit des anderen in Teilen an, obwohl bei den Lüders wahrscheinlich auch eine tiefe, innerliche Verbundenheit herrschen muss, anders kann ich mir derartige Übereinstimmungen nicht erklären. Aber, es ist doch auch interessant zu sehen, wie Herr- und Frau Lüders im selben Takt durch das Leben gehen.“ „Und anscheinend sind sie damit sehr zufrieden, sie wirken immer so ruhig und so beherrscht, wie kommt das?“ „Das ist die hanseatische Gelassenheit. Genauer gesagt bedeutet das, dass man sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen lässt, und über Kuriositäten mit Charme sowie Anteilnahme, mit einer Kühlheit, die allerdings auf ehrlicher, aufrichtiger Freundlichkeit basiert, hinwegzugehen- stellenweise auch hinwegzusehen weiß.“ „Was?“ „Ja, so ist das.“

Das Rätsel um die Studentin aus Frankfurt, wurde, durch die Aufmerksamkeit von Herrn Lüders, in Bezug auf ihren Vornamen, gelöst. Herr Lüders hatte nämlich genau beobachtet, wie die Studentin einen Brief geschrieben hatte, und zwar auf einem handelsüblichen Block, wie er in Papiergeschäften zu erhalten ist. Dieser bestimmte Block wurde allerdings, von der Studentin, nachdem sie den Brief unterschrieben hatte, im Frühstücksraum achtlos zurückgelassen. Herr Lüders war beim Betrachten des Blockes sofort aufgefallen, dass die Studentin, während des Verfassens jenes verdächtigen Briefes, mit einem Kugelschreiber, relativ fest aufgedrückt haben musste, denn man konnte einzelne Worte noch ohne große Schwierigkeiten erkennen. Somit war es nun möglich, durch das vorsichtige Handtieren mit einem Bleistift, welchen Herr Lüders über das gesamte Papierblatt hin und her strich, den Brief zu entschlüsseln – ein alter Trick aus der Schule. Was uns allen sofort auffiel und auch interessierte, war der Vorname der Studentin, der da lautete: Sybille. Die gute Sybille hatte einer Freundin in Frankfurt Allgemeines über die Uni, über den miesen Fraß in der Mensa und über einige sonderbare Lehrkräfte geschrieben, denen sie unterstellte, ohne jegliche fachliche Kompetenz zu sein. Ferner schrieb sie, dass Germanistik irgendwie scheiße- und langweilig sei, aber andererseits müsste man etwas studieren, um die Eltern nicht zu enttäuschen, denn die würden sich ja letzten Endes mit dem Studium schmücken, damit sie im Freundes- und im Bekanntenkreis „selber“ etwas darstellen könnten. Außerdem deutete sie an, dass sie sich, wenn es nach ihr gegangen wäre, wohl mehr für ein Musikstudium entschlossen hätte, aber das könnte sie ja später noch nachholen. „Aha! Dann wissen wir also endlich Bescheid,“ triumphierte Herr Lüders, „ist mir auch lieber so, ich kontrolliere „normalerweise“ niemanden, aber, wenn gewisse Verdachtsmomente bestehen, dann mache ich schon mal eine Ausnahme.“ Nach diesen Worten riss Herr Lüders das entschlüsselte Blatt Papier vom Block, faltete es, und ließ es dann, zu unserer aller Verwunderung, in seiner Gesäßtasche verschwinden. Kurz darauf verließ er den Frühstücksraum. Patricia sagte: „Herr Lüders scheint sehr um das Ansehen des Hotels bemüht zu sein? Ich hoffe er installiert in den einzelnen Zimmern keine Videokameras, denn bisher kamen „wir“ eigentlich immer gerne hierher.“ „Genauso ist es, Darling,“ sagte Arthur Grisham und fasste uns alle scharf ins Auge. Bert Teufel schüttelte ungläubig den Kopf, er wollte etwas sagen, doch ihm blieben die Worte im Halse stecken, Chantal sprang für ihn ein, sie meinte: „Vielleicht war die Entscheidung, dass „wir“ uns in dieses Hotel einquartieren, doch etwas übereilt, man hätte vorab Alternativen mit berücksichtigen sollen, doch da „wir“ ja auch nur auf Stippvisite in Hamburg sind, wollen wir das Beste daraus machen.“ „Ja, das müssen wir wohl,“ sagte Bianca. Ich hingegen sagte: „Sybille von Burg hat sich „bisher“ aber auch irgendwie eigenartig benommen, sehr mitteilsam ist sie nicht gerade, darum verstehe ich, bis zu einem gewissen Grad, die Besorgnis von Herrn Lüders, er will halt, das alles in Ordnung ist.“ „Deutsche Ordnung?“ Fragte mich Arthur. „Ja, wahrscheinlich,“ antwortete ich.

Bert Teufel machte mich, nachdem er sich, vorwiegend allein, eine Woche lang in Hamburgs düstersten Gegenden ausgetobt hatte, darauf aufmerksam: „Diese Verarmung ist wirklich eine Schande. Wo man hinsieht Armut über Armut.“ „Ja,“ sagte ich, „das ist mir und Bianca auch schon aufgefallen, aber die Neuwahlen im September werden zeigen, in wie weit sich der Normalbürger das gefallen lässt.“ Teufel sog an seinem Joint während ich das sagte, tief und genüsslich ließ er das Haschisch in seinen Körper hinein, um dann, vom THC benebelt, in eine Art von Rausch zu verfallen, er setzte sich ohne Worte auf einen Stuhl und dämmerte dahin. Ich ließ ihn allein und ging gelangweilt nach Möller (meine Lieblingskneipe), dort versuchte ich ein wenig nachzudenken. Mir war nämlich immer noch nicht so richtig klar: Warum Chantal und Teufel nach Hamburg gekommen waren? Dass Bianca und Chantal in Santa Monica, trotz aller Gegenbehauptungen, öfters mal am Shoppen waren und sich gerne am Strand von den „Muskel-Protzen“ bewundern ließen, nun, das war mir egal - es war nicht der Rede wert, aber, und da war ich mir ziemlich sicher, sagte mir mein Verstand: Teufel und Chantal sind nicht nur auf Stippvisite in Hamburg, nein, sie sind wohl mit irgendetwas in Planung. Es war ja auch nicht schwer zu kombinieren, worum es sich handeln würde, nämlich eventuelle Drogengeschäfte, Schauspielerei, Geld oder einen Wohnsitz, denn Chantal sowie auch Teufel, hatten sich, unabhängig voneinander, an einen Makler gewandt, sie machten diesbezüglich keinen Hehl daraus, ganz im Gegenteil, wir, also ich und meine kleine Maus Bianca, wir wurden fast schon offiziell in ihre Absicht (eine Wohnung zu beziehen) mit eingeweiht. Und als ich bei Möller so rumhing mit meinen Gedanken, betraten Michael Jürf und Ralf den Laden, Ralf sah eigentlich „wie immer“ etwas angeschlagen aus, und Michael war in bester Laune. Beide erzählten mir von ihren diversen Alkoholexzessen von denen Magda nichts mitbekam, nichts mitbekommen sollte. Ferner hatte Mr. Megabyte und Trunkenbold Ralf, - für Michael, einen gebrauchten 10 Gigabyte PC besorgt. Michael sollte in die Welt der Bits und Bytes eingeführt werden; Michael der deswegen an heftigsten Selbstzweifeln litt, wurde von Ralf immer wieder aufgebaut, Ralf versicherte ihm, dass er es schaffen wird mit dem PC umzugehen, doch Michael ließen solche Prognosen unberührt; Michael war immer noch der etwas weinerliche, wehleidige zu Extremen neigende „Beamten-Sohn“ aus Horneburg, welcher sich „nichts“ so richtig zutraute, egal, was es auch war. Michael fraß am liebsten in irgendeinem Imbiss alles auf und ließ sich hinterher vollaufen, das war in der Regel sein Tagesablauf, und genau „das“ wollte Ralf ändern.

Natürlich war der Abend mit den beiden Schwerstarbeit für meine Leber, aber es war auch mal wieder interessant, Dinge zu erfahren, die mir in Santa Monica fehlten. Ralf sagte mit einmal: „Wir! Wir drei, müssen an die Ostsee nach Timmendorf fahren. Und wisst ihr auch warum? Ich sage es euch, weil es in Timmendorf ein ganz neues Arbeitsamt gibt, und zwar in der Wohldstraße. Man hat es extra für die Arbeitslosen gebaut, die es auch im elitären Timmendorf gibt.“ Ich sagte zu Ralf: „Ich komme gerne mit, aber nicht mit dem Auto!“ „Nein, nein,“ sagte Ralf, „wir fahren mit dem Zug bis nach „Travemünde Strand“ und dann steigen wir in den Bus ein – ich kenne mich da sehr gut aus. Du darfst nicht vergessen: Die Ostseeküste ist immer noch tief in meinem Herzen verankert, besonders der Priwall, dort habe ich einst mit meiner Freundin gewohnt.“ Michael hatte das Wort „Priwall“ anscheinend noch nie zuvor gehört, und er erkundigte sich bei Ralf umgehend, nach dessen Bedeutung. „Der Priwall, also der Priwall den „ich“ meine, der ist von Travemünde aus mit der Fähre zu erreichen.“ „Und wie lange dauert die Fahrt?“ Fragte Michael. „Keine zwei Minuten,“ sagte Ralf, „und es kostet höchstens 50 Cent – mehr nicht.“ „Und wann fahren wir zum Prieefall?“ Fragte Michael mit lallender Stimme. „Das heißt: Priwall du Pfeife, - und nicht Prieefall,“ korrigierte Ralf ein wenig belehrend, er nahm dabei Michael die Bierflasche aus der Hand, doch Michael hatte die Augen schon geschlossen, was um ihn herum geschah nahm er nicht mehr wahr, sein fettes Gesicht ruhte auf seinem Brustkorb. „Der hat für heute genug,“ sagte ich zu Ralf. „Genug? Was ist „wann“ schon genug? Man hat im Grunde genommen nie genug – so ist das.“ Nach diesen seltsamen Sätzen holte Ralf zum Rundumschlag aus, er machte die Gesellschaft, vor allem deren derzeitigen Zustand für alles Schlechte verantwortlich, aber auch „seine“ Zunge wurde immer schwerer - natürlich vom Alkohol, Ralf bestellte dennoch weiterhin Apfelkorn und Bier. „Heute zahle ich!“ Hörte man ihn stolz sagen. Und nachdem wir erneut angestoßen hatten, holte er sein Portemonnaie heraus, er zeigte es herum, obwohl das niemanden beeindruckte. „Ich habe heute Morgen schwarz gearbeitet, und ich sage das ganz offen, weil mir sowieso alles scheißegal ist, wenn mich einer deswegen anscheißen will – bitte, dann schlage ich ihm, was in die Fresse, habt ihr mich verstanden?“ Doch Ralf sein Rumgegröle, seine, alkoholbedingte Angeberei wurde von keinem der ebenfalls besoffenen Gäste als Bedrohung empfunden, ganz im Gegenteil – man machte sich über Ralf lustig, was dieser allerdings als Neid der Besitzlosen abtat. Kurz vor Mitternacht ließ Ralf ein Taxi kommen, er und Michael erhoben sich wie in Zeitlupe von ihren Plätzen und wankten durch die Tür ins Freie. Mir ging es nicht großartig anders, ich schwankte nach draußen und machte mich auf den Weg ins Hotel.

Die Stippvisite

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