Читать книгу MEGA - Jake Bible - Страница 7
Ein Angebot
ОглавлениеDer Mann betrachtete das Video auf dem Tablet. Er starrte wie gebannt darauf. Die Geräuschkulisse der Kneipe, in der er saß, nahm er gar nicht wahr, obwohl an diesem Freitagabend Hochbetrieb herrschte und scharenweise Stammgäste zugegen waren. Als die Aufzeichnung abbrach, ruhte sein Blick noch kurz auf dem Bildschirm, bevor er zu dem Mann aufsah, der ihm am Tisch gegenübersaß. Er legte das Gerät beiseite und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Glas in seiner Hand.
»Eine ganz schöne Schau, was?«, bemerkte er im gepflegten Akzent eines Südafrikaners. Die Ausdrucksweise der ringsum Sitzenden klang beileibe nicht so kultiviert. Er zuckte zusammen, als eine dicke Frau torkelnd vorbeikam und Bier aus ihrem Krug vergoss. Er war noch nie sonderlich scharf darauf gewesen, mit den niederen Elementen unter seinen Landsleuten anzubandeln. Nachdem er seine Krawatte zurechtgerückt, sich geräuspert und die Brust seines Anzugjacketts glattgestrichen hatte, spielte er es noch einmal ab. »Was ich damit sagen will: ein beeindruckendes Video, wirklich.«
»Beeindruckend?« Sein Gegenüber musste lachen. Ende zwanzig, dunkelblond und mit hellblauen Augen sah der Mann aus wie ein Model von Abercrombie & Fitch im Ruhestand, allerdings in erheblich besserer Form. Sein schwarzes T-Shirt betonte die ohnehin ausgeprägte Muskulatur an Armen und Oberkörper. Er beugte sich nach vorn. Seine strahlenden Augen blickten eisig kalt.
»Beeindruckend? Mehr haben Sie nicht dazu zu sagen? Es ist verdammt nochmal unglaublich!« Der Mann streckte eine Hand aus und klopfte auf den Bildschirm, um jedes Wort zu betonen, das er sprach. »Eine solche Entdeckung hat seit zwei Jahrhunderten niemand gemacht, Mr. – äh, wie war ihr Name noch gleich?«
»Konig«, erwiderte der andere. »Muss ich Sie jedes Mal daran erinnern, Mr. Chambers?«
»Bitte nennen Sie mich Darren.« Chambers lächelte. »Ich bitte um Verzeihung, aber mit Namen tue ich mich schwer – schon immer. Eine Fremdsprache lerne ich in 48 Stunden, aber wie der Mann heißt, der meine Zukunft in den Händen hält, kann ich mir nicht merken. Ziemlich daneben, nicht wahr?«
Darren lachte, Mr. Konig nicht.
»Wie dem auch sei, jetzt wissen Sie, was es mit dem Filmchen auf sich hat«, fuhr Chambers fort. »Danach habe ich gesucht. Nach jahrelanger Forschung bin ich nun an diesem Punkt angelangt: Die Bestätigung in Form eines schnöden YouTube-Videos, das irgendein unbekannter afrikanischer Teenager hochgeladen hat. Davon gehe ich zumindest aus. Ich ließ eine Laufbahn beim Sondereinsatzkommando der US-Navy sausen, um dieser Sache auf den Grund zu gehen. Und nun, da die Stanvelt-Bank von Kapstadt wegen meiner säumigen Zahlungen ungehalten ist, darf die Sache auch nicht scheitern.«
»Sechs Monate säumig, Mr. Chambers«, betonte Konig. »Das ist kein Pappenstiel, genauso wenig wie Ihre Schulden. Mit jedem weiteren Tag steigen Ihre Verzugsgebühren und Strafzinsen. Wissen Sie, wie viel es allein diese Woche ausmacht?«
»Will ich es wissen?«, erwiderte Darren lachend – und wieder blieb Konig unberührt.
»186.000 Rand, Mr. Chambers. Das sind ungefähr 18.000 US-Dollar. Und zwar, wie gesagt, in einer Woche. Insgesamt belaufen sich Ihre Schulden momentan auf annähernd 800.000.«
»Rand?«, hakte Darren hoffnungsfroh nach.
»US-Dollar«, versicherte Konig.
»Uah.« Darren strahlte ihn weiter fröhlich an. Das Handy klingelte – zum wiederholten Male. Sein Chief Officer versuchte ihn bereits seit zwanzig Minuten zu erreichen. Er ließ den Anrufbeantworter übernehmen … nach dreizehn Nachrichten in Abwesenheit. Teufel auch, eine Unglückszahl.
»Mit dieser Entdeckung werde ich in der Lage sein, meine Schulden innerhalb kürzester Zeit zu begleichen«, beteuerte Darren. »Buchverträge, Lesereisen, Exklusivberichte, ein Special in National Geographic – mindestens. Alles, was ich brauche, ist ein letzter Aufschub … und weitere fünfzig Riesen, mehr nicht.«
Jetzt musste auch Konig lachen. Es klang schrill, weshalb sich mehrere Bargäste umdrehten, um sich zu vergewissern, dass er keinen Anfall oder etwas in der Art erlitt. Wegen der ungewollten Aufmerksamkeit, die er auf sich zog, wurde er rot. Noch einmal räusperte er sich, rückte seine Krawatte zurecht, die im Übrigen perfekt saß, und glättete die Anzugjacke.
»Mr. Chambers …«
»Darren.« Und wieder lächelte Chambers. Es wirkte charmant und hatte ihn in der Regel noch nie im Stich gelassen. »Wir kennen uns doch mittlerweile so gut, dass wir uns beim Vornamen ansprechen sollten, nicht wahr?«
»Sie können sich nicht einmal meinen Nachnamen merken, Mr. Chambers«, echauffierte sich Konig, dessen kalter Tonfall alles ausdrückte. »Eigentlich wollte ich darauf hinweisen, dass ein weiterer Aufschub nicht notwendig ist.« Er zog sein Handy heraus und lächelte, als er aufs Display blickte. »Vor genau fünf Minuten wurde Ihr Darlehenskonto geschlossen. Sie schulden uns nichts mehr.«
»Was? Moment mal, wovon reden Sie überhaupt?« Er hatte die Frage noch nicht zu Ende gestellt, da erhob sich Konig und knöpfte sein Jackett zu. »Geschlossen? Wie kann das sein?«
»Ein Investor hat die Summe beglichen«, erklärte der Bankangestellte und sah sich in der Kneipe nach dem besten Weg durch die Menge um. Keiner schien ihm zu gefallen, denn so oder so würde er sich an mehreren größeren Gruppen von Saffern – eine Bezeichnung, die Mr. Konig diskriminierend fand, die meisten seiner südafrikanischen Bekannten jedoch nicht – vorbeizwängen müssen.
»Investor? Was zum Henker soll das heißen? Es ist mein Schiff, hören Sie? Mein Schiff! Sie haben kein Recht, mir …«
»Wenn ich Sie hier unterbrechen darf, Mr. Chambers«, beschwichtigte Konig. »Ich habe damit nichts zu tun. Die Stanvelt-Bank von Kapstadt schickt Ihnen schon seit Wochen Schreiben, um Sie darüber zu informieren, dass Ihr Boot heute um genau 19 Uhr zwangsversteigert wird. Sie haben auf keinen dieser Briefe geantwortet.«
»Briefe? Zwangsversteigert?«, wiederholte Darren. »Ich hielt es für eine Drohung von Finanzgebern. Sie wissen schon … leeres Geschwätz, um mich unter Druck zu setzen.«
»Finanzgeber machen keine leeren Drohungen, Mr. Chambers«, unterstrich Konig. »Das haben Sie nicht nötig.«
»Und was zur Hölle sollte das dann alles?« Darren stand auf und zeigte auf sein Tablet. »Warum wollten Sie sich mit mir treffen, wenn es Ihnen fern lag, mein Darlehen zu verlängern? Und wieso baten Sie darum, sich dieses Video wieder und wieder … ach, drauf geschissen!«
»Wir haben Streichhölzer gezogen«, gestand Konig. »Seltsam, sicher, aber niemand wollte derjenige sein, der Sie ablenkt, solange die Auktion läuft. Ihnen eilt ein gewisser Ruf voraus … Ich bin froh, dass sich der Jähzorn, für den Sie bekannt sind, heute Abend in Grenzen hielt. Wenn Sie mich nun entschuldigen, ich habe einen Termin mit einer jungen Dame wegen einer Immobilie, die ich nur ungern warten ließe.«
»Mich ablenken …«, sann Darren mit hochrotem Kopf. Seine Schläfen pochten. Er warf einen Blick auf sein Handy, das ihn darauf hinwies, dass die Zahl der Nachrichten auf 15 gestiegen war. Sein Chief Officer ließ nicht locker.
»Also gut dann.« Mr. Konig bot ihm seine Hand an. »Tut mir leid wegen der Umstände, aber das Video hat mir gefallen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie diesen rätselhaften Wal fangen, Mr. Chambers. Mancher im Büro lachte darüber, aber mich sprach dieser abenteuerliche Zeitvertreib schon immer an. Wenn ich mich einmal zur Ruhe setze, möchte ich auch in See stechen.«
Der Schlipsträger wartete vergeblich darauf, dass Darren seine Hand schüttelte. So nickte er bloß und machte sich auf den Weg.
»He, Konig«, rief Darren hinter ihm. »Ihnen gefiel das Video? Hier, nehmen Sie es mit, Sie Wichser!«
Konig drehte sich um und machte große Augen, bevor ihn das Tablet genau an der Stirn traf. Er taumelte rückwärts und streckte eine Hand nach hinten aus, um Halt zu finden. Zu greifen bekam er nur ein Bierglas, das ihm aus den Fingern glitt, auf den Boden fiel und zerbrach, nachdem er den Besitzer von oben bis unten mit dem Inhalt besudelt hatte. Konig fand wieder Halt, doch als der begossene Mann aufstand, war der fast einen Kopf größer als er. Konigs Knie wurden weich.
»Oh«, brachte er noch hervor, bevor eine dicke Faust auf seiner Nase niederging. Sein Blut mischte sich unter die Schweinerei aus Bier und Scherben auf dem Bretterboden des Etablissements.
»Du zahlst mir ein Bier«, brummte der Mann und hob Konig am Anzugkragen hoch. »Sofort.«
»Schon gut, schon gut«, beschwichtigte der Angestellte mit belegter und wegen seiner Verletzung näselnder Stimme. »Gern auch einen ganzen Krug.«
»He«, rief Darren und packte den Mann am Arm. »Das ist mein Banker. Wäre nett, wenn Sie ihn in Ruhe ließen.«
»Als würde mich interessieren, was du nett findest, Yankee«, höhnte der Kerl. »Geh zurück an deinen Tisch und lass das hier von ein paar Saffern regeln.«
»Wissen Sie was«, sagte Darren, der den Anschein gab, der Aufforderung Genüge zu tun. »Ich lebe schon lange in diesem Land, und begreife immer noch nicht, warum es Ihnen gefällt, Saffer genannt zu werden. Für meinen Geschmack klingt es doch zu sehr nach Kaffer.«
»Stimmt«, pflichtete Konig bei, dessen Füße noch in der Luft hingen, während weiterhin Blut aus seiner Nase lief und vom Kinn tropfte. »Hat mir persönlich auch noch nie gefallen.«
»Wenn Sie Ihn jetzt abstellen würden«, bat Darren und drehte sich zu seinem Tisch um. »Oder muss ich es Ihnen auf die harte Tour beibringen?«
»Harte Tour?«, fragte der Mann. »Harte Tour kenne ich nicht, Weißbrot.«
»Dann passen Sie mal auf.« Darren grinste, hob einen Stuhl hoch und schwang ihn herum. »Ich zeig's Ihnen.«
Der Stuhl krachte gegen die Schulter des Schwarzen, woraufhin er Konig losließ. Der Banker ging zu Boden und kroch unter den Tisch, an dem er wenige Minuten zuvor mit Darren gesessen hatte. Er sah, wie sich der Mann zu Chambers umdrehte.
»Das war die harte Tour?« Er lachte und holte mit einer Faust aus. »Ihr Yankees müsst euch was Besseres einfallen lassen.«
»Chambers, nein!«, rief der Wirt. Alle Augen richteten sich auf die beiden Männer. »Nicht schon wieder!«
Der Schwarze staunte nicht schlecht, als sein Hieb ins Leere ging. Darren war verschwunden, und dabei hatte er gar nicht bemerkt, wie er sich bewegt hatte. Umso mehr wunderte er sich, als er einen üblen Schmerz in der Seite verspürte, dann auf dem Rücken und zuletzt auf der anderen Seite. Plötzlich stand Darren lächelnd wieder vor ihm.
»Jetzt pinkeln Sie eine Woche lang Blut«, sagte er. »Nur damit Sie's wissen.«
Der folgende Kinnhaken, der den verblüfften Kerl erwischte, haute ihn um. Er polterte auf den Tisch hinter sich, und fegte alles von dessen Platte. Andere Gäste schrien und johlten und gingen aufeinander los. Darren stand einfach nur da und sah auf den Mann herunter, der vor ihm auf dem Tisch lag.
»Die harte Tour«, sagte er noch einmal, bevor sich drei Freunde des Kerls seiner annahmen.
Konig schlug die Hände über dem Kopf zusammen und beobachtete mit Schrecken, dass ein gewalttätiges Chaos in der Bar losbrach. Darren hatte sich geschickt vor den drei Typen weggeduckt, die jeweils fast so wuchtig waren wie der erste Mann, sodass sich die Kerle gegenseitig trafen und ein paar Sekunden lang auf den Boden einschlugen, bevor sie merkten, dass ihr Gegner entwischt war.
Chambers ließ sie grinsend wissen, wo er sich aufhielt, bevor er denjenigen packte, der obenauf lag. Als er ihm ein Knie in den Schritt rammte, stieß der Mann einen hochtönenden Schrei aus, gefolgt von einem Zischen. Darren tätschelte seine Wange und ließ ihn wieder los. Die anderen beiden rafften sich auf und gingen wieder auf ihn los, doch er schlug ihre Hände zur Seite wie Mücken mit einer Fliegenklatsche, was die beiden aus dem Gleichgewicht brachte. Sie stolperten an ihm vorbei.
Ein kurzer Tritt ins Gesäß eines jeden, und die Kerle stürzten über weitere Tische, was noch mehr Kleinholz nach sich zog und den Irrsinn weiter ausarten ließ.
»Wollen Sie die ganze Nacht da unten bleiben?«, fragte Chambers. Er bückte sich und sah Mr. Konig an.
»Hinter Ihnen!«, rief dieser.
»Nun gut, bleiben Sie am besten da, bis ich uns den Weg freigekämpft habe«, erwiderte Darren.
Dann erhielt er zwei Fausthiebe ins Genick, die ihn in die Knie gehen ließen. Er schüttelte den Kopf und verzog schmerzvoll das Gesicht.
»Mit deiner harten Tour kannst du deine Mama beeindrucken«, brüllte der Schläger. »Meine Freundin langt kräftiger zu als du.«
»Ach was«, entgegnete Darren, als er dem nächsten Angriff auswich. »Wieso gibt sie sich überhaupt mit dir ab? Sie braucht einen echten Kerl, keinen Kak wie dich.«
Darren zog die Arme des Mannes über seine Schulter und schnellte in die Höhe, wobei sie in eine Richtung knickten, in die man Arme nicht beugen sollte. Der Mann brüllte. Dann drehte der Weiße ihn um, legte eine Hand an seinen Hinterkopf und ließ das Gesicht gegen sein Knie sausen. Er lächelte, als er Knochen brechen hörte.
Nachdem der Kerl zu Boden gegangen war, widerstand Darren der Versuchung, ihm in den Wanst zu treten. Wäre einfach nicht fair gewesen.
»Bleiben Sie nun?«, fragte er Konig. »Nicht, dass es mich einen feuchten Scheiß interessieren würde.«
»Verflucht, Chambers!«, rief der Wirt wütend, während sich Darren auf dem Weg zur Tür ununterbrochen duckte und irgendjemandem auswich. »Du wirst das bezahlen!«
»Schreib's diesem Penner auf die Rechnung. Der hat immerhin angefangen«, rief Darren zurück und winkte ein letztes Mal, bevor er den Ausgang nahm und sich dem Gemenge entzog.
Als er hinaus auf den Gehsteig trat, vernahm er Sirenen, die zusehends lauter heulten. An der nächsten Straßenkreuzung stand ein Taxi.
»He da!«, rief Darren und rannte darauf zu. »Taxi!«
Er stürzte sich auf den Rücksitz und versteckte sich hinter zerfetzten Rückenlehnen.
»Hast was ausgefressen da drin, was?«, fragte der Fahrer in breitestem Afrikaans. »Brauch keinen Säufer in meiner Kiste, such dir ein anderes.«
»Ich habe nichts getrunken, Sportsfreund«, entgegnete Chambers. »Kam nicht dazu.«
»Zu dumm«, erwiderte der Fahrer. »Der Stoff ist zu schade, um ihn zu verschütten. Wo willst du hin, Bruder?«
»Table Bay«, gab Darren an und setzte sich aufrecht hin, als der Wagen losfuhr. »Zum Hafen.«
»Kostet extra«, ließ ihn der Schwarze wissen. »Ist nicht meine Strecke, klar?«
»Ich zahle«, versicherte Darren, wenngleich er gar nicht sicher war, ob er genug Geld bei sich hatte. »Hauptsache ich komme schnell genug hin.«
Er lehnte sich zurück, während das Taxi durch Kapstadts Straßen raste.
»Soll ich dich am V&A rauslassen?«, fragte der Fahrer schließlich.
»Duncan Dock«, sagte Darren. »Dort liegt mein Schiff.«
Mein ehemaliges, ergänzte er in Gedanken und schob ein leises »Fuck« nach.
»Was meinst du?«, fragte der Fahrer.
Darren winkte ab und drehte den Kopf zur Seite, um aus dem Fenster zu sehen. Sein Schiff, die Hooyah, war sein Leben. Er hatte das Sonderkommando der Marine vor vier Jahren nicht gerade im Guten verlassen, auch wenn es in gegenseitigem Einvernehmen geschehen war. So stand es auch in seiner Akte. Doch bei seinem Weggang hatte er nicht wenige Brücken zu Kameraden hinter sich abgebrochen. Er war für Team Six vorgesehen gewesen, und ein paar seiner ehemaligen Gefährten rieben sich daran, dass er diese Ehre ausgeschlagen hatte, um einem Wal hinterherzujagen.
Allerdings handelte es sich nicht um irgendeinen Wal. Nein, Darren war seinem persönlichen Moby Dick begegnet. Bei seiner Rückkehr von einem Einsatz vor der somalischen Küste hatte er im Wasser Kontakt mit etwas, das ihm eine Heidenangst einjagte, und dies mochte bei einem abgehärteten SEAL eine Menge bedeuten. Das Schlauchboot, mit dem er geborgen werden sollten, war schon zum Greifen nah gewesen, als ihn etwas streifte. Als er unter sich blickte, um zu sehen, was es war, hätte er beinahe vor Schreck sein Tauchgerät verloren, erblickte er doch nichts weniger als das größte Auge, das er je gesehen hatte, bevor die Kreatur wieder untertauchte. Er schätzte ihre Länge auf fünfzehn Meter, sehr wahrscheinlich sogar mehr. Von den Lebewesen des Meeres wusste er einiges, aber etwas Derartiges hatte er bislang nicht zu Gesicht bekommen. Was er erblickt hatte, ähnelte keiner Art von Wal, die er kannte. Der Körper war zu gedrungen, der Schwanz zu breit, und während der wenigen Augenblicke, in welchen er den Kopf des Tieres gesehen hatte, war ihm ein Maul aufgefallen, wie es kein Wal in unserer Zeit haben sollte. Folglich musste es sich um eine unbekannte Art handeln – etwas Altes. Etwas sehr Altes.
Von dem Augenblick an war er in einen Bann geschlagen. Die Kreatur verfolgte ihn in seinen Träumen. So verließ er die Navy. Der Kontakt hatte nur wenige Sekunden gedauert, doch dies genügte dem Soldaten, um sich selbst in Zweifel zu ziehen. Chambers hatte Männer und Frauen getötet, Dörfer verwüstet und Wohnbunker gesprengt, Terrorzellen und Drogenkartelle ausradiert. All dies bedrückte ihn nicht, beziehungsweise er ließ es nicht zu, doch ein Wal, der ihn vor Furcht lähmte? Nicht hinnehmbar.
Zumindest legte er es sich so zurecht, denn dass er besessen war, wollte er sich nicht eingestehen. Er war ein SEAL, und als solcher gefeit vor Obsessionen … was wiederum himmelschreiendem Unsinn entsprach, da die meisten Mitglieder der Einheit in einer von Zwangsneurosen bestimmten Traumwelt lebten und mit ihrer hyperaktiven Intelligenz hart am Rande des Wahnsinns entlang schrammten, einzig kontrolliert durch eingeschleifte Disziplin, die sich in Gelassenheit und hohlen Köpfen äußerte: ein Leben der Widersprüche.
Er brauchte ein Jahr, um eine Crew zusammenzustellen, die ihm Glauben schenkte. Dank seines Charmes und kreativer Finanzierungsmethoden gelang es ihm, ein Schiff zu erstehen und seiner Leidenschaft mit Ernsthaftigkeit nachzugehen. Irgendwo da draußen schwamm der Wal, und das wusste Darren, genauso wie die Hälfte seiner Besatzung. Die andere Hälfte wollte es glauben und fand es ziemlich cool, dass ihr Kapitän ein ehemaliger SEAL war.
Der Lack blätterte jedoch allzu schnell ab, weshalb er mehr Wechsel unter seinen Männern vorgenommen hatte, als er heute zählen konnte. An die Namen aller erinnerte er sich jedenfalls nicht mehr, aber sein Chief Officer hielt ihm die ganze Zeit über die Treue – und er war derjenige, den Darren anrief, kurz bevor er den Hafen erreichte.
»Rufst du diese verschissenen Voicemails auch mal ab, oh Captain, mein Captain?«, fragte Chief Officer Marty Lake, als Darren den Anruf entgegennahm. »Ich schätze nein, da du nicht losschreist.«
Martin Hogarth Lake war etwa genauso alt wie Darren, ihm aber um Jahre an Weisheit voraus. Wenn es hart auf hart kam, bewahrte er einen kühlen Kopf und ging aus der Schusslinie, wenn sein Kapitän frustriert war und ausrastete. Er ließ nicht zu, dass die Crew an Darren zweifelte, selbst wenn es bedeutete, den einen oder anderen über die Reling baumeln zu lassen, um ihnen eine Lektion zu erteilen. Hatte man mit CO Lake zu tun, lernte man zwangsläufig schnell. Außer Darren, der einfach nie kapierte – vor allem nicht, dass man stets auf seinen ersten Offizier hören sollte, insbesondere wenn dieser sagte, dass man drauf und dran sei, das Schiff zu verlieren.
»Das habe ich nicht nötig«, erwiderte Darren. »Der Typ von der Bank hat es mir im Groben erklärt. Das Arschloch hat sich mit mir getroffen, um mich abzulenken, ohne Scheiß.«
»Du meinst, er lenkte dich von der Auktion ab, die gerade zu Ende gegangen ist, damit du die Bieter nicht zu Brei schlägst? Richtig, das war seine Aufgabe, und die hat er wunderbar erledigen können, weil du einfach nicht an dein Dreckshandy gegangen bist.«
»Wurde sie verkauft?«, fragte Darren.
»Wer, die Hooyah? Jawohl, aber die Crew ist hier bei mir. Ich schalte den Lautsprecher an, dann kannst du sie aufheitern, obwohl sie gerade nicht müde werden, dir die Pest an den Hals zu wünschen.«
»Was wurde aus der ganzen Ausrüstung?«, fuhr Darren fort. »Unseren Daten?«
»Die liegen auf Festplatten gesichert vor mir«, gab Lake an. »Das Weiterforschen kannst du dir allerdings abschminken.«
»Aber …«
»Die Geräte wurden mit dem Geld der Bank gekauft, Captain, gehörten also dazu.«
»Fuck«, fluchte Darren wieder und kratzte sich an der Stirn. Er seufzte. »Ich komme zum Hafen, bis gleich.«
Er beendete die Verbindung und steckte das Telefon zurück in seine Jeansjacke. Dann nahm er seine Brieftasche heraus; mehr als zwanzig Rand hatte er nicht dabei.
»Fahren Sie hier ran«, bat er den Taxifahrer. »Einen Moment, ich geh noch etwas Geld besorgen.«
»Oh nein, das lässt du schön bleiben«, tönte der Schwarze, als er anhielt. »Zahltag sofort, Bruder.«
»Hören Sie, mein Chief Officer hat Bargeld, ich selbst gerade nicht. Der Wirt hat mir das Wechselgeld wegen der Schlägerei vorenthalten. Geben Sie sich einen Ruck, Mann, ich werde Sie nicht betrügen.«
»Du drückst die Kohle ab. Sofort«, beharrte der Fahrer.
Darren starrte kurz auf den Türgriff, als er die automatische Verrieglung klicken hörte. Dann setzte sich in Bewegung: Mit dem Ellbogen schlug er die Türscheibe ein und kletterte hindurch, bevor der Fahrer noch etwas sagen konnte. Der sprang mit einem langen Rohrstock in der Hand aus dem Fahrzeug.
»Und für die Scheibe zahlst du jetzt auch!«, schnauzte er. Die Waffe berührte beinahe Darrens Brust. »Für wen hältst du dich, Mann?«
»Stecken Sie das Ding weg«, sagte Darren mit erhobenen Händen. »Ich hole Ihr Geld, also kommen Sie wieder runter. Dazu muss ich bloß …«
Der Stock stach gegen sein Brustbein.
»Kannst anrufen, wen du dazu brauchst, Kumpel«, entgegnete der Fahrer, »aber du gehst nirgendwohin, solange ich keine Kohle sehe.«
»Scheiße«, fluchte Darren. »Die harte Tour, und das schon zum zweiten Mal heute Abend.«
»Was sagst du?«
»Ich meinte, dann muss es eben auf die harte Tour gehen, tut mir leid.«
»Ist nicht nötig, Mr. Chambers«, rief eine Stimme, bevor sich eine Hand auf Darrens Schulter legte. »Ich zahle das.«
Darren drehte sich um. Vor ihm stand ein Mann, der etwa so groß war wie er selbst, jedoch mehrere Jahrzehnte älter, körperlich topfit und braungebrannt. Mit seinen Khaki-Shorts und dem Poloshirt sah er aus wie ein Golfprofi. Der Mann lächelte und zückte seine Brieftasche. »Was kostet das?«
Der Fahrer zuckte mit den Achseln. »So viel hast du nicht dabei.«
»Schätzungen helfen weder Ihnen noch mir«, erwiderte der Mann, während er ein paar Tausend Rand abzählte. Er hatte einen amerikanischen Akzent, den Darren zuzuordnen suchte, was ihm aber nicht gelang. »Hier, Kollege, das sollte reichen.«
Der Fahrer nahm den Stoß Scheine zögerlich entgegen und blätterte durch, wobei sein Blick von Darren zu dem Amerikaner und schließlich wieder aufs Geld huschte.
»Und? Genügt das?«
»Ja, geht klar«, antwortete der Schwarze, steckte das Geld ein und sprang wieder in sein Auto. Vor dort aus zeigte er mit dem Stock auf Darren. »Glück gehabt, Bruder. Ich weiß, wie man mit dem Ding hier umgeht.«
Die beiden Männer sahen zu, wie der Wagen davonfuhr, bevor sie einander zukehrten.
»Ich glaube, er war derjenige, der Glück hatte«, bemerkte der Amerikaner sichtlich erheitert. »Richtig?«
»Wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
»Mr. Ballantine«, stellte sich der Ältere vor und bot Darren die Hand an. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Der Kapitän schüttelte sie. »Haben Sie auch einen Vornamen?«
Mr. Ballantine verneinte.
»Das ist Bullshit«, knarrte Darren, »aber egal. Vielen Dank. Ich zahle Ihnen das Geld zurück. Nutzen Sie PayPal? Dann geben Sie mir einfach Ihre E-Mail und ich schick's Ihnen.«
»Wir wissen beide, dass es nicht dazu kommen wird, nicht wahr?«, bemerkte Ballantine. »Mehr als diese paar Rand in Ihrem Geldbeutel haben Sie nicht mehr, und auch wenn Chief Officer Lake eventuell noch etwas in seinem Seesack aufbewahrt, ist es bestimmt nicht so viel wie das, was ich dem Taxifahrer gerade gegeben habe.«
»Woher zum Teufel kennen Sie den Namen meines CO?«, fragte Darren erstaunt. Er war angespannt und hätte jeden Moment wieder zuschlagen können.
»Beruhigen Sie sich, Special Operator«, bat Ballantine, »oder soll ich Sie Captain nennen?«
»Captain«, antwortete Darren. »Ich bin kein Operator mehr.« Er sah hinunter zum Ufer, wo die Hooyah lag. »Aber wahrscheinlich auch nicht mehr lange Captain.«
»Ach, verkaufen Sie sich nicht unter Wert«, erwiderte Ballantine. »Captain Chambers geht in Ordnung, und ich habe das Gefühl, dass es dabei bleiben wird.«
»Was zum …? Sie scheinen eine Menge über mich zu wissen.« Darren spürte, dass sich hinter seinem rechten Auge Druck aufbaute, also war wieder mal Migräne im Anflug. Mist, er war seit Monaten schmerzfrei, und so wie sich das gerade anfühlte, kamen richtig fiese Kopfschmerzen auf ihn zu. »Ich kann das Geld wirklich nicht zurückzahlen, das haben Sie korrekt festgestellt, und ich für meinen Teil würde mich jetzt gern verziehen. Sie sind mir unheimlich, dennoch danke dafür, dass Sie das Taxi bezahlt haben. Bis hoffentlich nicht so bald.«
Als er gehen wollte, hielt ihn der Amerikaner am Arm fest, und instinktiv hätte Darren den Kerl am liebsten sofort verprügelt, ihn in den Boden gestampft und ihm den Arm ausgerenkt. Doch die Art, wie Ballantine ihn anpackte, ließ ihn zaudern. Dieser Gedankengang dauerte nur Sekundenbruchteile.
»Ich denke, Sie und Ihre Crew brauchen mich, Captain Chambers«, behauptete der Mann.
»Lassen Sie meinen Arm los, Sir«, knurrte Darren. Der Amerikaner tat es sofort, entschuldigte sich aber nicht. »Sie glauben zu wissen, was wir brauchen, haben bestimmt irgendetwas gegoogelt und versuchen jetzt, Ihr Ding zu drehen, aber was Sie auch verkaufen mögen: Ich nehm's Ihnen nicht ab. Wie gesagt, Sie sind mir nicht geheuer. Wahrscheinlich ein Schwindler; das steht Ihnen ins Gesicht geschrieben. Ja, Sie stinken geradezu nach Plastik, wie ein frisch ausgepackter Barbie-Ken. Nochmals danke fürs Zahlen, schönen Abend und so.«
»Captain Chambers«, begann Ballantine noch einmal. »Sie müssen mir zuhören; ich mache Ihnen ein Angebot, das Sie interessieren wird.«
»Sie legen es wirklich drauf an, was? Wollen Sie wirklich den Rest der Nacht im Krankenhaus verbringen?«, fragte Darren provozierend. »Wer sind Sie, verflucht?«
»Mr. Ballantine«, wiederholte der Mann seelenruhig. »Das sagte ich Ihnen bereits.«
»Hören Sie, Vater, ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet, da Sie mir aus der Klemme halfen, aber stecken Sie sich Ihre Predigten sonst wohin«, wetterte Darren. »Sagen Sie mir, wer Sie sind, oder …«
»Gehen wir ein Stück«, schlug Ballantine vor und zeigte zum Schiff. »Ich erkläre Ihnen alles, wenn wir uns mit Ihrer Crew treffen.«
»Sie treffen sich einen Scheißdreck mit irgendwem, Arschloch!«, rief Darren. Die Migräne bahnte sich rasend schnell an, wie er an den kleinen Flecken erkannte, die sich bereits in seinem Sichtfeld auftaten. Das Licht der Laternen, die den Parkplatz säumten, kam Nadelstichen in seinen Augen gleich. »Verpissen Sie sich!«
Mr. Ballantine nickte. »Ja natürlich, mein Fehler. Alles, was ich in Erfahrung gebracht habe, deutete darauf hin, dass Sie der Richtige für den Job sind, doch offensichtlich schwang dabei teilweise Wunschdenken meinerseits mit. Verzeihung, wenn ich Sie aufgehalten habe.«
Er bot Darren die Hand an, doch der schüttelte sie nicht, ja schaute nicht einmal darauf, sondern stierte in Ballantines Augen. Irgendetwas in ihnen erkannte er wieder. Den gleichen Ausdruck sah er, wenn er sich morgens vor den Spiegel stellte, und es gab nur wenige Menschen auf der Welt, die diesen Blick besaßen.
»Noch einen angenehmen Abend«, verabschiedete sich Ballantine, ließ die Hand sinken und nickte Darren ein letztes Mal zu. »Ich würde ja sagen, leben Sie wohl, aber mich beschleicht das Gefühl, dass wir uns bald wiedersehen.«
»Hauen Sie ab«, erwiderte Darren, da strahlten Scheinwerfer die beiden an und der Ältere drehte sich um.
Der Wagen, ein schwarzer Mercedes mit getönten Scheiben, hielt vor Mr. Ballantine an, eine Fahrerin stieg aus, kam auf die andere Seite und hielt ihm die Tür auf. Darren war überrascht, dass es sich um eine Frau handelte, zumal sie kaum einen Meter fünfzig groß war und ihrer Statur nach zu urteilen vielleicht hundert Pfund wog – wenn sie einen vollen Magen hatte. Aber vorschnell urteilen wollte er nicht. Ihre Bewegungen ließen erkennen, dass sie trainiert war, und sie trug mitten in der Nacht eine Sonnenbrille, was immer ein Warnsignal war.
Ballantine lächelte ihm noch einmal zu und stieg ein. Die Chauffeurin würdigte Darren keines Blickes, sondern schlug die Tür zu und kehrte zur Fahrerseite zurück. Darren wartete, bis das Auto verschwunden war.
»Was für eine irre Nacht«, sagte er, bevor er sich umdrehte und zur Anlegestelle ging.
Als er die Hooyah erreichte, dröhnte und hämmerte es in seinem Schädel. Auf dem rechten Auge sah er nur noch verschwommen, und alles, was er jetzt wollte, war ein abgedunkelter Raum sowie etwas Oxycodon, dann konnte ihn die Welt kreuzweise. Leider bedeuteten ihm die Gesichter seiner Crew, dass er selbst derjenige war, der sie kreuzweise konnte.
»Sie stecken es gerade weg«, sagte Lake, während er auf Darren zukam.
Groß und dunkelhäutig mit kurzgeschnittenen Haaren und braunen Augen, die tief in ihren Höhlen lagen, hätte man Lake als attraktiv bezeichnen können, wäre da nicht die Narbe, die vom Haaransatz durch die linke Augenbraue über den Nasenrücken und die rechte Wange verlief, was ihn wie den Handlanger eines Bösewichts wirken ließ … was Lake sogar recht war, denn es sorgte dafür, dass die Besatzung in der Spur blieb.
»Shit, Marty, ich hab's richtig vermasselt. Ehrlich, ich dachte, die Bank würde mein Darlehen erweitern. Immerhin hab ich dem Typen das Video gezeigt, Mann. Scheiße, jetzt hab ich nicht mal mehr mein Tablet!«
»Wurde es auch von der Bank eingesackt?«, fragte Lake.
»Ich hab’s in der Bar liegenlassen«, erwiderte Darren. »Typisch.«
»Kannst du vielleicht mit der Crew sprechen? Wie wär's mit ein paar aufmunternden Worten oder einem endgültigen Lebewohl, Schlagwörter zur Suche bei Online-Jobbörsen? Ich fände ja Experte für sinnlose Unterfangen treffend.«
»Rutsch mir den Buckel runter, Marty«, maulte Darren und ging an Lake vorbei zu den Männern.
Die Hooyah war kein großes Schiff, sie bot nur acht Personen Platz. So zählte Darren ohne Lake, der nun hinter ihm stand, sechs Mann zu seiner Crew. Diese standen mit gepackten Seesäcken zu ihren Füßen am Ufer und starrten ihren Ex-Kapitän an. Darren blickte in ihre Gesichter, um die Stimmung einzuschätzen und zu erahnen, wie wütend sie waren, doch alle wirkten eher traurig als aggressiv, was die Situation umso schlimmer machte. Mit Zorn konnte Darren umgehen, nicht aber mit Niedergeschlagenheit.
»Ich schulde euch eine Erklärung«, sagte er. »Ihr wart auf diesem Schiff, weil ihr mir vertrautet. Ihr vertrautet darauf, dass ich wusste, was ich tat, und dass unsere Forschungsarbeit zu einem Ergebnis führen würde. Die Hälfte von euch hält mich für den letzten Arsch, die andere für übergeschnappt.«
»Das trifft auf uns alle zu, Captain«, merkte der zweite Offizier Daryl Jennings auf. Er war durchschnittlich groß, normal gebaut und rothaarig mit lichter werdendem Schopf, eine unauffällige Erscheinung. Aber Darren wusste es besser: Er war in einem australischen Knast auf ihn gestoßen, nachdem Jennings eine Hafenkneipe fast im Alleingang auseinandergenommen hatte. »Aber nur die Hälfte glaubt, es sicher zu wissen.«
Darren lächelte, und die meisten der Männer taten es ihm gleich. »Danke, Jennings, das macht es mir leichter.«
»Für mich wird es nicht leicht«, beschwerte sich Bootsmann Trevor Popeye De Bruhl. »Ich verstehe überhaupt nichts vom Arbeiten auf dem Festland, und momentan heuert keine Sau Seeleute an. Hab schon gesucht.«
De Bruhl hatte seinen Spitznamen aus gutem Grund inne, denn er sah genauso aus wie die Comicfigur: zu kurz geraten, dünn und kahl, aber mit baumdicken, tätowierten Unterarmen. Er schielte sogar wie Popeye. Bei der Tabakpfeife allerdings hörte es auf, denn er hasste Raucher. De Bruhl war in den Staaten geboren und aufgewachsen, hatte also den Großteil seiner 42 Lenze dort verbracht, doch seine Eltern stammten beide aus Südafrika, weshalb er die doppelte Staatsbürgerschaft und manches Sonderrecht genoss, das sich auf der Hooyah als praktisch erwies … oder erwiesen hatte.
»Ich muss irgendwie zurück in die Mobile Bay«, sagte Maschinist Karl ›Bach‹ Breitenbach. »Zu Fuß komme ich von hier schwerlich nach Alabama.«
Er war vermutlich der vielseitigste unter Chambers' Männern und hatte sowohl ein Händchen für alles, was mit Booten zu tun hatte, als auch für Maschinen im Allgemeinen. Sein Vater unterhielt einen Segelhafen in der Nähe der zahllosen Kasinos in der Mobile Bay an der Golfküste. Schon in jungen Jahren hatte Bach seine Freizeit damit totgeschlagen, an Motoren oder nautischen Systemen zu basteln. Er konnte einen Evinrude E30MRL beinahe genauso schnell zerlegen, säubern und wieder zusammenbauen, wie Darren seinen Colt-M4-Karabiner. Und das, obwohl er nur eine Hand hatte.
Damit fuhr er sich gerade über die grauen Stoppeln auf seinem Schädel. Mit 200 Pfund bei einer Größe von etwas über einem Meter achtzig war er kein Leichtgewicht, doch aufgrund seiner fehlenden Hand wirkte er weniger furchteinflößend. Die meisten Menschen nahmen ihn zwar wahr, übersahen ihn aber gern, weil sie ihn wegen seiner Behinderung nicht ernst nahmen. Ein Fehler … der 50-Jährige hatte lange Zeit damit verbracht, den Stumpf am Ende seines linken Unterarms zu verhärten, sodass er recht gut austeilen konnte.
»Ich kümmere mich um alles«, versprach Darren. »Für jeden von euch.«
Hilfstechniker Morgan ›Cougher‹ Colfer, der stets an Bachs Seite stand, nickte und strich sich die langen, schwarzen Strähnen aus dem Gesicht. Das Batman-Shirt, das er immer trug, war mit Fettflecken und Spritzern von – hoffentlich, dachte Darren – Ketchup übersät. Die beiden nickten einander zu, bevor sich Cougher die Ellbogenbeuge vor den Mund hielt und hustete, wobei er sich anhörte wie eine schnatternde Gans.
Hinter ihm stand Chief Steward Beau McWhitt, der hinaus aufs dunkle Wasser im Hafenbecken schaute. Er hatte die Arme verschränkt, und da er ein Tanktop trug, sah man, wie sich sein Bizeps spannte und zuckte, fast wie von selbst. Darren wollte ihn bei Gelegenheit fragen, ob er wieder Steroide schluckte. Endlich drehte ihm der Jungspund den Kopf zu, wobei ihm der Wind das hellblonde Haar ins Gesicht wehte. Er war knapp einen Meter siebzig groß und hatte noch die Züge eines angehenden Teenagers, bloß ohne Akne. Man dachte ständig, er müsse demnächst seinen Wachstumsschub bekommen, aber für einen 23-Jährigen bestand da keine Hoffnung mehr.
»Wo steckt Gunnar?«, wollte Darren wissen. »Hat er sich bereits aus dem Staub gemacht?«
Lake drehte sich um und verwies mit einer Kopfbewegung auf eine Gestalt am anderen Ende des Kais, die man im Dunkel der Nacht kaum sah.
»Oje«, seufzte Darren. »Wie kommt er damit klar?«
Jennings antwortete: »Captain, die haben uns alles abgenommen, und das meiste Zeug hat Gunnar selbst gebaut. Er ist völlig fertig.«
Die anderen murmelten zustimmend.
»Oje«, wiederholte Darren. »Ich werde mit ihm reden.«
»Er hat sein Messer dabei«, fügte Cougher hinzu. »Fuchtelt damit herum, seit der Schlepper auftauchte.«
»Ich werde aufpassen«, erwiderte Darren. »Danke.«
Da sie schon Freunde gewesen waren, bevor sich Darren der Navy angeschlossen und die Spezialausbildung begonnen hatte, war es nicht leicht für ihn, nur eine Erinnerung hervorzukramen, die nicht in dieser oder jener Weise mit Gunnar zusammenhing. Sie kannten einander von Kindesbeinen an und waren in der gleichen Gegend – die Gärten hinter ihren Elternhäusern hatten aneinandergegrenzt – groß geworden. Während ihrer Schulzeit lagen sie ständig im Wettstreit, bei Sport und Spiel oder als sie ihre ersten Autos kauften. Bei der Armee hätte sich dies fortgesetzt, da sie beide das Meer liebten, doch Gunnar schlug eine medizinische Laufbahn ein, statt zur See zu gehen. An der John Hopkins University schloss er als Jahrgangsbester ab, doch im Laufe seiner Assistenzzeit reifte der Entschluss, nicht als Chirurg weiterzuarbeiten, sondern einen Doktortitel in Meeresbiologie anzustreben.
Sie hatten sich nie aus den Augen verloren. Als Darren Gunnar dann seine haarige Geschichte von dem unbekannten Lebewesen erzählte, ließen die beiden ihre Freundschaft erst richtig wiederaufleben. Der Ozean schien ihr neuer gemeinsamer Spielplatz zu werden, und auch ihr Wettbewerb blühte in unterschiedlicher Form wieder auf. Statt sich im Sport oder mit Pferdestärken zu messen, wollte einer den anderen in seiner Überzeugung von ihrer Mission übertrumpfen: Wer hatte mehr Ausdauer, um sie bis zuletzt durchzuziehen?
Gunnar unterbreiten zu müssen, dass sie beide verloren hatten, brach Darren beinahe das Herz.
»Willst du mich umbringen?«, fragte er, als er sich neben ihm auf der Ufermauer niederließ. Damit bezog er sich auf das Klappmesser in Gunnars rechter Hand, das er mit den Fingern rotieren ließ wie ein Schlagzeuger seine Sticks.
»Ach was«, entgegnete der junge Mann. »Ich habe zu viel gearbeitet und bin völlig fertig.«
»Ich auch. Arschkriechen ist ein Knochenjob.«
»Aber du bist verdammt gut darin«, bemerkte Gunnar und sah seinen alten Freund an. »Man könnte dich praktisch Oberarschkriecher nennen.«
»Klingt ganz schön hart.«
»Aber stimmt es denn nicht?«
»Doch«, gestand Darren und schüttelte den Kopf. »Ich kann das so gut, dass ich den meisten oben wieder rauskomme.«
Sie blickten übers Wasser, während sie damit haderten, ihre Gefühle in Worte zu fassen.
»Ich mach's wieder gut«, sagte Darren schließlich. »Das verspreche ich.«
»Tu das nicht«, erwiderte Gunnar.
»Was, wiedergutmachen?«
»Versprechen. Du weißt, dass du es nicht erfüllen kannst.«
»Herrgott nochmal«, rief Darren. »Warum hast du nur einen Stock im Arsch?«
»Ich könnte zustechen.« Gunnar drehte das Messer mit den Fingern um, sodass es in seiner Hand liegenblieb, die Klinge nach außen gerichtet und der Daumen am Ende des Hefts ruhend. Obwohl er damit nicht drohen wollte, deutete die Geste an, dass er ihm die Waffe an die Kehle halten wollte.
Messerkunststücke, ein weiteres Wettbewerbsfeld der beiden.
Gunnar ließ seine Hand in den Schoß sinken. Falls er verärgert gewesen war, hatte sich dieses Empfinden mit dem Küstenwind zerstoben.
»Scheiße ist nur, dass sie mir nicht erlaubten, meine Mappen mitzunehmen. Die Harddisks habe ich, aber die Mappen liegen mitsamt allen Aufzeichnungen immer noch auf der Hooyah.«
»Ich besorge sie wieder«, beteuerte Darren. »Dieses Versprechen kann ich halten.«
Gunnar lachte kurz auf. »Na, dann ist ja alles bestens. Danke, Mann.«
Darren klopfte ihm auf die Schulter und stand auf. »Okay, genug Trübsal geblasen, kippen wir uns einen hinter die Binde.«
»Wer gibt einen aus?«, fragte Lake, der ihnen bis auf ein paar Meter nahegekommen war. Der Rest der Mannschaft stand gleich hinter ihm. »Nicht, dass ich lauschen wollte, aber ich machte mir doch Sorgen, ihr zwei könntet euch gegenseitig den Hals umdrehen.«
»Gar nicht so abwegig«, bemerkte Gunnar, nahm die Hand, die Darren ihm anbot, und ließ sich aufhelfen. »Sieht so aus, als sei ich mit der Zeche dran. Ein Hoch auf Treuhänder.«
»Heuern die auch an?«, fragte Popeye.
»So läuft das nicht, Kumpel«, erwiderte Gunnar. »Das hab ich dir schon tausendmal erklärt.«
»Aber was soll der Scheiß dann überhaupt?«, wunderte sich De Bruhl. »Die geben dir einfach nur Geld, ohne dass du dafür arbeiten musst? Klingt für mich eher nach Hände in den Schoß legen.«
Die halbe Besatzung musste sich das Lachen verkneifen – Gunnar ausgenommen, denn er war es gewohnt. »Du hast nicht rein zufällig genug Geld, um ein neues Schiff zu kaufen, oder?«, fragte Bach.
»So funktioniert es auch nicht«, sagte Gunnar. »Klugscheißer.«
»Also dann … Saufen?«, erinnerte Darren. »Wer hat die Schlüssel für den Van?«
Die Männer wechselten Blicke und schauten dann geschlossen auf Lake.
»Mist«, fluchte er und sah hinaus aufs Wasser. »Die sind noch an Bord.«
»Na toll«, knirschte Darren. »Wer weiß, wie man eine Zündung kurzschließt?«
Alle, auch er selbst, hoben die Hände.
»Darum liebe ich euch alle so sehr, Jungs«, fügte er hinzu und lief los. Seine Migräne verschwand zum Glück langsam wieder. »Wer als letzter am Wagen ankommt, muss fahren!«
Das Wettlaufen eignete sich bestens zum Abreagieren; niemand unter ihnen schlug ein anständiges Kräftemessen aus. Doch als sie den Parkplatz erreichten, erhielten sie einen empfindlichen Dämpfer.
»Wo ist die Kiste?«, fragte Beau. »Wer hatte sie zuletzt? Ich bin heute Morgen zum Einkaufen gefahren und habe sie hier geparkt.«
Alle sahen sich auf dem fast leeren Platz um, bevor sie sich Darren zukehrten.
»Kacke, ich dachte, der Van sei abbezahlt.«
»Elende Kröte«, rief Bach und zeigte mit seinem Stumpf auf ihn. »Was denn noch alles, Captain?«
Es hupte zweimal, und auf der anderen Seite des Parkplatzes schaltete jemand seine Scheinwerfer ein. Die Crew staunte nicht schlecht, als ein brandneuer Ford-Kleinbus mit getönten Scheiben vorfuhr. Ballantines Chauffeurin stieg aus, ging herum, zog die Doppeltür auf und bat sie mit einer Geste hinein. Ihr Boss ließ das Beifahrerfenster herunter und strahlte die Männer an.
»Hallo, meine Herren«, sagte er. »Ich dachte, Sie bräuchten bestimmt eine Mitfahrgelegenheit, also wechselte ich den Wagen. Lust auf eine Spritztour?«
»Meine Fresse, Sie lassen es nicht auf sich sitzen, wenn man sagt, Sie sollen sich verpissen, oder?«, fragte Darren. Die Crew blickte zwischen ihm und Ballantine hin und her.
»Ich sagte doch, wir würden uns bald wiedersehen«, erwiderte der Ältere. »Freuen Sie sich doch, denn anscheinend haben Sie den Anschluss verpasst.«
Chambers starrte nur böse, also widmete sich Ballantine den anderen. »Wer kann einen oder zwei Drinks vertragen?« Die Männer standen unschlüssig da. »Ich zahle, und wenn ich einen oder zwei sage, meine ich so viel, wie Sie vertragen.«
»Bin dabei«, sagte Cougher.
»Ich auch«, schloss sich Jennings an.
Die beiden stiegen ein und grinsten der Fahrerin anzüglich zu, aber sie ignorierte es.
»Sonst noch jemand?«, fragte Ballantine.
»Bedeutet so viel, wie wir vertragen, dass ich bis zur Kotzgrenze gehen kann, oder darf ich mich wieder fangen und dann mit dem Saufen weitermachen?«
»Wie Sie wünschen«, erwiderte Ballantine.
Popeye schlug Darren auf den Rücken und stieg ebenfalls ein. Die übrigen folgten kurz darauf, sodass Darren und Gunnar zuletzt allein am Bordstein standen.
»Sollte ich wissen, was es mit diesem Typen auf sich hat?«, fragte Gunnar. »Fickt er mich in den Arsch, wenn ich einsteige?«
»Ich kenne ihn nicht«, erklärte Darren. »Bin ihm vorhin zum ersten Mal begegnet, aber er kam mir dumm von der Seite wie ein Stalker.«
Gunnar wandte sich an Ballantine: »Werden Sie versuchen, mir an die Wäsche zu gehen?«
»Hätten Sie das gern«, konterte dieser.
Die anderen Männer beugten sich geschlossen nach vorn und warteten gespannt auf die Antwort des CO.
»Nicht heute Abend«, flachste er schließlich, »aber Sie dürfen mir einen Drink spendieren; ich könnte einen – nein, zehn vertragen.«
»Ach, was soll's?«, stöhnte Darren und folgte Gunnar in den Bus. Die Chauffeurin schloss die Türflügel und kehrte nach vorn zurück. Die Art, wie sie die Fahrerseite öffnete und sich niederließ, war eine fließende Bewegung, die Darren unweigerlich als sehr vertraut auffiel.
»Wo haben Sie gedient?«, fragte er.
»Darby ist Fremden gegenüber recht wortkarg«, antwortete Ballantine und drehte sich auf dem Beifahrersitz um, damit er seine Gäste ansehen konnte. »Aber sie arbeitete eine Zeitlang beim INSS.«
»In Israel?« Gunnar rückte nach vorn, um Darby näher zu beäugen. Als sie den Kopf langsam zur Seite drehte, wich er wieder zurück.
»Kurz auch für den Mossad«, ergänzte Ballantine, »bis ich mir die Gunst ihrer Dienste sicherte.«
»Der Mossad ist ein Geheimdienst«, warf Darren ein, während Darby, die wieder geradeaus sah, den Gang einlegte und losfuhr. »Ihre Ausbildung ging eindeutig darüber hinaus.«
»Stimmt«, bestätigte der Unbekannte und drehte sich gleichfalls wieder um.
Alle schwiegen und fragten sich insgeheim, worauf sie sich gerade eingelassen hatten.
***
»Ich kenne einen Schuppen gleich da …«, begann Cougher, doch Ballantine nahm ihm die Worte aus dem Mund: »… vorn an der Straße links. Richtig, ich habe Sie alle häufig dort einkehren sehen, wenn Sie an Land kamen.«
»Und wie wir hier gerade in den Arsch gefickt werden«, raunte Gunnar.
Ballantine lachte, recht herzlich allerdings, und schlug mit beiden Händen aufs Armaturenbrett.
»Bitte, Mr. Peterson«, sprach er, »ich rühre Ihren Hintern nicht an und möchte mich vielmehr mit Ihnen allen unterhalten. Was ich zu bieten habe, wird Ihnen sicherlich zusagen.«
»Kein Arschfick?«, murrte Popeye.
»Enttäuscht?« Jennings knuffte ihn mit dem Ellbogen.
»Schnauze, Sackgesicht.«
Der Bus wurde langsamer und fuhr schließlich auf den kleinen Parkplatz einer Bar, die eher an eine heruntergekommene Scheune als ein Gasthaus erinnerte. Die Leuchtreklame im Fenster flackerte unregelmäßig.
»The Plank«, las Ballantine. »Ganz reizend.«
Die Fahrerin hielt an, stieg aus und öffnete die Türen.
»Bitte warten Sie hier, Darby«, sprach Ballantine, »aber halten Sie sich bereit.«
Sie nickte und setzte sich wieder hinters Lenkrad, nachdem alle ausgestiegen waren.
»Freie Getränkewahl, und Sie zahlen?«, versicherte sich Bach. »Keine Tricks?«
»Warum sollte ich Sie hereinlegen?«, erwiderte Ballantine. »Alles auf mich, meine Herren. Viel Spaß!«
Die Crew johlte und stieß Pfiffe aus, als sie sich durch den Eingang drängte. Lake hielt sich zurück, doch als ihm sein Kapitän zunickte, folgte er den anderen. Darren, Gunnar und ihr edler Spender blieben auf dem Parkplatz stehen, während Darby den Bus an anderer Stelle parkte und wartete.
»Bevor wir hineingehen, will ich Ihre Story hören«, verlangte Darren. »Kein Rätselraten, keine Geheimnistuerei mehr. Seien Sie offen zu mir oder man wird sie von diesem Platz tragen müssen.«
»Sie gehen immer gleich in die Vollen, habe ich recht, Mr. Chambers?«, fragte Ballantine. »Kommt mir durchaus gelegen, denn ich halte den direkten Weg stets für den besten. Warum sollte man Zeit vergeuden?«
»Sie vergeuden gerade meine«, entgegnete Darren.
»Also gut, ich erkläre Ihnen alles«, versicherte Ballantine.
»Soll ich zu den anderen gehen?«, fragte Gunnar.
»Nein, nein, Mr. Peterson«, antwortete der Amerikaner. »Die Sache betrifft Sie nicht weniger als ihn.«
Ballantine schaute zum Nachthimmel empor. Darren und Gunnar warteten. Dann sah er die beiden wieder an.
»Ich arbeite für ein Unternehmen, das sich auf die Lösung von Problemen spezialisiert hat«, führte er aus. »Diese beschränkten sich bislang auf technische, intellektuelle und logistische Fragen, doch wie es aussieht, werden wir uns jetzt auch etwas … gewichtigeren Schwierigkeiten annehmen.«
»Schön und gut«, sagte Darren, »aber was hat das mit uns zu tun?«
»Nun, Mr. Chambers, Sie verfügen über gewisse Fertigkeiten und Charakterzüge, die dem Profil des Mannes entsprechen, den ich suche. Ihre Ausbildung zum SEAL macht Sie zum perfekten Kandidaten für einen Posten, den ich zu vergeben habe.«
»Und der sieht wie aus?«, fragte Darren und verschränkte die Arme.
»Sie sollen Geiseln befreien und Piraten beseitigen«, antwortete Ballantine mit einem Lächeln. »Hooyah.«
»Ja, klingt ganz nach Hooyah«, höhnte Darren.
Ballantine legte die Stirn in Falten. »Verzeihung, aber ich dachte, Hooyah bedeute so etwas wie super oder großartig. Irre ich mich?«
»Es bedeutet auch scheiße, leck mich und dergleichen«, zählte Darren auf. »Passt alles ganz gut.«
Das Lächeln des Mannes gefror. Er schaute seitwärts zum Bus und dann wieder auf seinen Gesprächspartner. »Wie dem auch sei, aus diesem Grund brauche ich Sie. Falls ich irgendetwas falsch verstanden habe, korrigieren Sie mich bitte.«
»Hören Sie, ich weiß den Aufwand zu schätzen, den Sie betreiben, um meine Jungs für sich einzunehmen«, gab Darren zu. »Sie haben sich etwas Entspannung verdient nach all dem Mist, den sie meinetwegen durchmachen mussten, aber sie selbst wurden nicht zu SEALs ausgebildet. Selbst wenn ich verrückt genug wäre, um mir den Rest Ihres Gelabers anzuhören, steht kein Kampfverband hinter mir, der ausführen könnte, was Sie verlangen, zumal ich das auch überhaupt nicht will. Krieg spielen und all das – Ich bin längst raus aus diesem Geschäft.«
»Abgesehen von der Walther an Ihrem Bein«, munkelte Ballantine.
»Um mich verteidigen zu können«, rechtfertigte sich Darren. »Scharfe Augen übrigens.«
»Im Grunde genommen geht es nicht nur um Piraten und Geiseln«, erklärte der Mann, »sondern auch um Ihre Forschung.« Er suchte Gunnars Blick. »Und Ihre. Eine Hand wäscht die andere, wenn Sie mich fragen: Sie schließen sich mir an und erhalten Ihre Ausrüstung zurück, nicht zu vergessen nahezu unbegrenzte Geldmittel, um weiter nach Livyatan Melville zu suchen. Wollen Sie noch mehr erfahren?«
Gunnar und Darren waren verblüfft. Ballantines Lächeln kehrte wieder zurück, noch strahlender als zuvor.
»Wie wäre es, wenn wir uns zu Ihrer Mannschaft gesellen?«, bot Ballantine an. »Einfach mal hinsetzen, etwas trinken und einander persönlicher kennenlernen. Danach können Sie immer noch überlegen, ob es Sie reizt oder nicht. Ich erwarte nicht, dass Sie sich noch heute Nacht entscheiden, jedenfalls nicht jetzt gleich, denn nachher werden wir noch anderswo haltmachen.«
Darren schüttelte den Kopf, sah seinen Freund an und dann wieder zu Mr. Ballantine. Zuletzt brach er in Gelächter aus.
»Das ist so ein himmelschreiender Quark«, rief er, »aber scheißegal, oder? Hooyah.«
»Hooyah«, wiederholte der ältere Mann grinsend und zeigte zum Eingang. »Nach Ihnen.«
The Plank war dem Namen und der Klientel entsprechend eine rechte Spelunke. Der Ausschank erstreckte sich vollständig über eine Seite, die andere nahm eine lange Theke mit Barhockern ein. Dort saß die Crew zwischen zwei anderen Gästen, die sich bereits gebührlich zugeschüttet und anscheinend das Bewusstsein verloren hatten. Ein gelangweilter Wirt mit der dicken Glühbirnennase eines Trinkers knallte mehrere Gläser auf die Platte und schickte sich an, Whiskey einzuschenken, was die Männer zum Grölen bewog, sodass einer der Schlafenden kurz aufwachte.
»Fresse halten, Mann«, lallte er, bevor er den Kopf wieder auf die Theke legte.
»Was hat er gesagt?«, fragte Cougher.
»Er meinte, du sollst deine Fotze zuhalten«, behauptete Jennings, »weil sie immer sperrangelweit aufsteht.«
»Na ja, das muss so sein, sonst fängt sie an zu miefen«, erwiderte Cougher.
»Wie umsichtig von dir«, warf Popeye ein. »Jetzt gib mir schon mein Glas.«
»Warum nimmst du es dir nicht selbst, fauler Hund?«
»Vielleicht sollten wir dort drüben Platz nehmen«, schlug Ballantine vor und zeigte auf drei freie Hocker in einer Ecke, in die man eine augenfällig defekte Jukebox geschoben hatte. Nachdem er dem Wirt ein Glas und die Whiskeyflasche abgenommen hatte, ging er vor.
»He!«, maulte der Mann.
»Er zahlt«, sagte Darren und schnappte sich zwei Gläser, für sich selbst und für Gunnar. »Wir brauchen noch eine Flasche.«
Gunnar grinste den Wirt an, bevor er seinem Freund nach hinten folgte, wo Ballantine bereits wartete.
»Was wissen Sie über Livyatan Melville?«, fragte Gunnar, als sie sich gesetzt hatten. Er trank seinen Whiskey in einem Zug leer und unterdrückte ein Husten. »Heiliger Strohsack, das Zeug ist richtig übel.«
»Aber es erfüllt seinen Zweck«, erwiderte Ballantine und stürzte sein Glas hinunter, bevor er Gunnar und sich nachschenkte. »Um Ihre Frage zu beantworten, Mr. Peterson: Ich weiß eine ganze Menge über diesen sagenhaften Wal, sogar, wie sich seine Haut anfühlt.« Er hob eine Hand und wedelte langsam damit. »Vom Maul bis zur Schwanzspitze.«
»Sie haben ihn gesehen?« Darren staunte. Er hatte seinen Drink noch nicht angerührt. »Aus der Nähe?«
»Das habe ich«, bestätigte Ballantine und leerte sein Glas zum zweiten Mal. Gunnar zog gleich, wohingegen Darren sein eigenes weiterhin stehenließ. »Nach der Begegnung musste ich meinen Tauchanzug wegwerfen, weil das Neopren den ekelhaften Gestank nicht loswurde. Dabei habe ich alles versucht, und das ist umso bedauerlicher, weil mir mein Vater das Teil zum fünfzehnten Geburtstag schenkte.«
»Sie waren noch ein Kind, als sie ihn sahen?«, drängte Darren weiter. »Wann war das – vor dreißig Jahren?«
»Mehr oder weniger. Dabei wurden die Weichen für meine berufliche Laufbahn gestellt.« Ballantine lächelte wieder einmal. Erneut hatten Gunnar und er ausgetrunken, also wurde aufgefüllt. »Nicht in Trinkstimmung heute, Mr. Chambers?«
»Noch nicht«, entgegnete Darren. »Jemand muss aufpassen, dass Gunnar nicht in den Arsch gefickt wird.«
»Danke«, bemerkte der Angesprochene. »Da bin ich aber beruhigt.«
»Allmählich vermute ich, nur Sie beide verstehen diesen Witz«, sann Ballantine. »Eine Anspielung auf Ihre gemeinsame Kindheit als Nachbarn?«
»Verfolgt uns wohl bis ins Grab«, sagte Darren. »Beschreiben Sie mir, was Sie sahen.«
»Werde ich.«
Seine Ausführungen deckten sich weitgehend mit dem, was Darren Jahre zuvor erlebt hatte. Er las Ballantines Mienenspiel, um verräterische Zeichen dafür auszumachen, dass er ein falsches Spiel mit ihnen trieb. Ein Teil der Tätigkeit eines Navy-SEAL, ein ziemlich großer sogar, fußte auf Beobachtungsgabe. Darren nahm die Augen des Mannes, seine Mundwinkel und die pochende Schlagader an seinem Hals zur Kenntnis, achtete auf etwaiges Stocken und Stottern beim Sprechen oder den hohlen Tonfall einer auswendig aufgesagten Räuberpistole.
Nichts da. Entweder war Ballantine ein Lügenbaron oder seine Schilderungen entsprachen der Wahrheit.
»Sie haben ihn also wirklich gesehen«, schlussfolgerte Darren.
»Hooyah«, schob Gunnar ein und hob sein Glas.
»Bist du mal still?«, bat Darren. »Sie haben mein Interesse geweckt, Mr. Ballantine, jedenfalls was den Wal angeht. Aber alles weitere? Nicht mein Bier, geschweige denn das meiner Crew. Wir sind ein wissenschaftliches Team, keine Kampfeinheit, und dass ich allein losziehe, steht außer Frage.« Er kippte seinen ersten Whiskey hinunter und lehnte sich auf dem Hocker zurück gegen die Theke. »Selbst wenn ich zur Hilfe bereit wäre, bekämen Sie nicht, was Sie sich wünschen, nämlich ein vollständiges Team, ausgebildet und kampferprobt.«
»Dann stellen Sie eines zusammen«, verlangte Ballantine und goss sich abermals ein.
Als Darren daraufhin loslachte, drehten sich einige seiner Männer nach ihm um. So klang er immer, wenn jemand etwas Dämliches von sich gab, und geschah es in einer Kneipe, zog es üblicherweise eine Schlägerei nach sich. Darren bemerkte ihre Blicke, also streckte er beide Daumen aus, um anzuzeigen, dass alles in Ordnung wäre und sie beruhigt weitersaufen könnten.
»Eines zusammenstellen? Wie um alles in der Welt soll ich das machen?«, fragte Darren. »Ich bin in der Armee nicht unbedingt gern gesehen und kann schon froh sein, wenn jemand ans Telefon geht, nachdem er bemerkt hat, dass ich anrufe. Aber mit mir arbeiten? Ich bin der Irre mit dem Moby-Dick-Fetisch, klar?«
»Es gibt aber jemanden, der sofort abheben würde, sobald Sie ihn anriefen«, glaubte Ballantine zu wissen. Die Gläser wurden gleich zweimal hintereinander leer und wieder vollgemacht.
»Schön langsam«, lenkte Darren ein und nahm ihm die Flasche ab, um sich selbst einzuschenken. »Sie werden keinen Eindruck schinden, wenn Sie sich vor mir die Seele aus dem Leib kotzen … oder aus dem Arsch bluten.«
»Kann bei dem Fusel durchaus passieren«, bemerkte Gunnar nuschelnd. »Hab ich schon erlebt, ernsthaft.«
»Stimmt«, beteuerte Darren. »Wer ist denn dieser geheimnisvolle Jemand? Auf Anhieb fiele mir keiner ein.«
»Commander Vincent Thorne«, antwortete Ballantine mit einem arglistigen Grinsen. Nachdem er das nächste Glas vernichtet hatte, knallte er es auf die Theke. »Er würde Sie anhören.«
»Scheiße, Mann«, lallte Gunnar, während er versuchte, seinem Freund die Flasche wegzunehmen. Darren hielt sie fest, schenkte ihm aber ein. »Er will, dass du deinen Schwiegervater anrufst.«
»Ex«, berichtigte Darren. »Ex-Schwiegervater.« Er stellte die Flasche wieder hin. »Keine Chance, Mann. Zwischen uns herrscht praktisch Funkstille.«
»Unsinn«, blaffte Peterson. »Ihr sprecht regelmäßig miteinander. Du erkundigst dich ständig nach Kinsey.«
»Arschloch«, schnauzte Darren zurück. »Du hältst jetzt dein Maul.«
»Du kannst mir nicht einfach das Wort abschneiden«, beschwerte sich Gunnar. »Ich laufe gerade erst …«
Darren trat seinem Freund den Hocker unterm Hintern weg. Gunnar knallte auf den schmutzigen Boden. Als er aufstehen wollte, sackte er wieder zusammen. Seine Augen blieben geschlossen, der Kopf ruhte auf den Unterarmen.
»Er war schon immer ein Fliegengewicht«, sagte Darren. »Einer von vielen Gründen dafür, dass er nichts als Marinesoldat getaugt hätte.«
»Kommen wir zur Sache«, bat Ballantine. Trotz der Menge an Alkohol, der er bereits intus hatte, fasste er einen klaren Blick. »Sie rufen Commander Thorne an und bitten ihn beim Rekrutieren eines Teams um Hilfe. Dann bekommen Sie alle Mittel von mir, um Ihren Wal zu fangen … nachdem Sie den Piratenring zerschlagen haben. Das ist meine Bedingung; falls es Ihnen nicht gelingt, ist unsere gemeinsame Zeit zu Ende, und ich kann Sie nicht weiter unterstützen.«
Der Wirt brüllte erbost, als sich Beau vor die Theke stellte und seine Hose öffnete. Dann entleerte er seine Blase, wobei er seine Kameraden einnässte.
»Um Gottes willen«, stöhnte Darren und sah auf seine Uhr. »Eine halbe Stunde? Wirklich?«
»Nettes Stück, eine Rolex?«, fragte Ballantine. »Ich dachte, die SEALS hätten mit dieser Tradition gebrochen.«
»War ein Geschenk«, erklärte Darren, »von Vinny, um genau zu sein.« Der Wirt brüllte immer noch, der Rest der Mannschaft jetzt ebenfalls. »Ich schaffe sie besser alle hier raus.«
»Ich lasse Darby mit dem Bus vorfahren«, meinte Ballantine.
Darren wartete, bis er sie angerufen hatte, bevor er sagte: »Bei alledem haben Sie einen wichtigen Punkt übersehen.«
»Ach, und der wäre?«, fragte Ballantine und gab mit seiner Miene zu verstehen, dass er sehr wohl an alles gedacht hatte.
»Ich habe kein Schiff mehr«, bemerkte Darren.
»Kein Problem«, entgegnete Ballantine und half ihm, Gunnar hochzuheben.
»Wie wollen Sie etwas daran ändern?«
Sie führten den Angeschlagenen zur Tür. Der Rest folgte ihnen, wenngleich nicht ohne Gemecker.
»Das zeige ich Ihnen gern«, versetzte Ballantine. »Falls es Ihnen nichts ausmacht, dass wir einen kleinen Umweg nehmen, bevor wir Sie und Ihre Männer zurückbringen.«
»Halt!«, rief der Wirt, als Cougher und Popeye über den Ausschank langten und sich jeweils zwei Flaschen Whiskey schnappten.
»Rechnen Sie die dazu«, rief Ballantine. Und zu Darren: »Ich regle das hier, wenn Sie allein mit Mr. Peterson klarkommen?«
»Das mache ich schon mein ganzes Leben lang«, erwiderte Darren.
Als sie hinausgingen, wartete Darby bereits mit dem Kleinbus. Sie stieg aus, um Gunnar hineinzuhelfen. Auch die anderen versuchten, ebenfalls betrunken und torkelnd, auf die Sitzbänke zu rutschen, ohne einander ins Gehege zu kommen.
»Danke«, sagte Darren. Darby nickte.
Ballantine verließ die Bar mit seiner Brieftasche in der Hand und nahm wieder auf dem Beifahrersitz Platz. Die Brieftasche verstaute er im Handschuhfach. Wie Darren auffiel, legte er sie auf eine Sig Sauer P226.
»Nette Knarre«, bemerkte er, »aber ich bevorzuge die P220. Kaliber .45 eignet sich einfach besser, um Gegner unschädlich zu machen.«
»Solange jeder Schuss ins Schwarze trifft, ist das doch egal«, entgegnete Ballantine, »doch im Prinzip haben Sie recht. Ein Freund schenkte mir die Waffe.« Er schloss das Fach und nickte Darby zu. »Klipshen Marina.«
Sie erwiderte die Geste und verließ den Parkplatz.
***
Darby bremste den Kleinbus an einer langen Betonmauer und lenkte in eine Auffahrt ein, nachdem sich deren automatisches Sicherheitstor aus Eisen geöffnet hatte. Nachdem sie um ein kleines Gebäude gefahren war, blieb sie etwa zwanzig Meter vor einem Bootssteg stehen.
Darren brannten haufenweise Fragen auf den Lippen, doch äußern konnte er nur eine halbe: »Was zum …?«
»Diese Reaktion habe ich erwartet«, sagte Ballantine und quittierte es mit einem Lächeln, das gleichwohl nicht lange anhielt, denn Darren ging ihm an die Gurgel und stieß seinen Hinterkopf gegen die Türscheibe.
»Motherfucker!«, brüllte er und drückte ihm den Hals zu.
Der Mann brauchte sich nicht selbst zur Wehr setzen, denn Darby riss Darren von ihm los, indem sie ihrerseits einen Würgegriff anwendete.
»Okay … Ihre Reaktion war nicht abwegig«, krächzte Ballantine, während er sich an seine malträtierte Kehle fasste.
Darrens Augen traten hervor, da ihn die Fahrerin regelrecht langsam ausquetschte.
»Das genügt, Darby«, sagte Ballantine. »Ich glaube, Mr. Chambers wird sich jetzt zu benehmen wissen.«
Sie warf ihrem Boss einen fragenden Blick zu, ließ aber dennoch los. Darren stürzte gleich wieder auf ihn zu, doch Ballantine hatte eine Hand nach hinten geschoben, um die Tür zu öffnen, woraufhin sie beide nach draußen purzelten.
Die Mannschaft war erstarrt, als Darren dem Mann an die Gurgel ging, fasste sich aber prompt wieder, als ihr Kapitän aus dem Bus fiel. Sie stießen die Tür auf und sprangen hinaus, um ihm zu helfen. Mit Darby hatten sie allerdings nicht gerechnet. Sie schlug zuerst Popeye, dann Lake und Cougher nieder. Beau und Bach lagen ebenfalls kurz darauf flach, jeweils mit dicker Lippe und blutiger Nase. Jennings schaute ihr kurz in die Augen, bevor er lächelte und die Arme hob.
»Sie haben gewonnen«, räumte er ein. »Ich weiß, wann es an der Zeit ist, die Waffen zu strecken.« Darby hielt inne. »Andererseits kann man sich dessen immer erst sicher sein, nachdem man es doch einmal versucht hat …« Damit schnellte Jennings vor und holte zum rechten Haken gegen den Kopf der Frau aus.
Sie duckte sich und rollte zur Seite, bevor sie sich hinter ihm wieder aufrichtete und ihm ganze sechsmal in die Nieren boxte, ohne dass er sich hätte umdrehen können. Er ging auf einem Knie nieder und musste sich mit einer Hand auf dem Pflaster abstützen, damit er nicht zusammenbrach. Die andere hob er, um sich zu verteidigen.
»Ganz ruhig, ho!«, brachte er hustend hervor. »Versuch gescheitert, ich hab's kapiert: Mit Ihnen ist nicht zu spaßen.«
Darby betrachtete ihn misstrauisch, streckte dann jedoch eine Hand aus. »Exakt.«
Jennings nahm sie und keuchte, als sie ihm aufhalf. Noch ein Nicken, dann ging sie hinüber und trennte ihren Boss von Darren. Letzterer hatte – Ausbildung hin oder her – ein paar Schläge von Ballantine abbekommen und blutete fast genauso stark wie er.
»Sie haben die Hooyah gekauft!«, schrie der Kapitän. Er zeigte zum Steg, wo sein ehemaliges Boot vertäut lag. »Sie verdammtes Arschloch!«
Hinter der Hooyah ragte ein deutlich größeres Schiff auf, an dessen Heck der Name RV Beowulf II stand.
»Das ist meine Ausrüstung«, rief Gunnar, als er vom Bus aus zu ihnen wankte. Mehrere Männer verluden Kisten und Holzsteigen auf das andere Schiff. »Die haben meine Sachen!«
»Und sie bringen es auf Ihr neues Schiff, Mr. Peterson«, fügte Ballantine hinzu und wischte sich Blut vom Mund. »Falls Ihr Captain auf mein Angebot eingeht.«
»Aus welchem Grund haben Sie mein Boot gekauft?«, knurrte Darren.
»Frag ich mich auch«, meinte Cougher. »Verdammte Scheiße.«
»Dadurch erledigte sich einiges von selbst«, erklärte Ballantine. »Der Kauf kann weder mit mir noch dem Unternehmen in Verbindung gebracht werden, für das ich arbeite. Im Auge der Öffentlichkeit sind Sie aus dem Wissenschaftsbetrieb ausgeschieden: in der Schwebe wie so viele, wenn ihnen die Fördergelder ausgehen. Nur ein gescheitertes Projekt von vielen im Bereich der Meeresforschung.«
»Aber wieso?«, beharrte Chambers. »Wieso ließen Sie uns die Hooyah nicht?«
»Weil Sie«, hob Ballantine wieder einmal lächelnd an, »ein wesentlich größeres Schiff brauchen.«