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VII
Aus dem Tagebuch Vidl Falks

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10. November.

Weshalb ich eigentlich ein Tagebuch führe, darüber habe ich mir schon oft den Kopf zerbrochen. Liest man später die Konterfeis von Stimmungen und Hoffnungen, diese scheinbar so zwanglosen, mit müder Eleganz hingeworfenen Aperçus, so liegt darin etwas so Lächerliches, wenigstens für mich. Eitelkeit, Eitelkeit spöttelt jede Zeile, eitle Selbstbespiegelung. Aber ich bin ja ein nutzloser Mensch. Alle sagen es, die mich kennen. So muß es doch wahr sein. Ich möchte doch wissen, welchen Eindruck ich auf andere mache, ob ich ihnen komisch erscheine, oder unbedeutend, oder dämonisch. Wer weiß, vielleicht gerade dämonisch. Das ist ein hübsches Wort. Man empfindet ordentlich Sehnsucht, es zu sein. Aber wie, wie wird man dämonisch, wie macht man das? – Ich muß doch eigentlich ein ganz hübscher Mensch sein. Der Spiegel beweist ja nichts, aber mein Schnurrbart gleicht vielen Schnurrbärten, welche für hübsch gelten. Meine Augen sind sehr geschmackvoll; ich bin zufrieden mit ihnen.

Ein Schwärmer bin ich schon. Ich habe zu nichts Lust, als zum Nichtsthun. Und wie anstrengend ist das bisweilen. Oft kommt mir der Gedanke, warum bin ich so allein? Es ist ja kindlich, darüber zu klagen, aber andere haben ein Vaterhaus, elterliche Sorge umgibt sie, sie wissen, daß jemand da ist, der sich um sie kümmert. Nichts dergleichen ward mir. Ich würde ja ganz gern allein bleiben, aber alles fängt an, mir so nüchtern zu werden. Ich habe häufig das Bedürfnis zu schlafen, tagelang, wochenlang, und ich begreife kaum, warum ich so eifrig mit aller Kraft dem Studium zugedrängt habe. Das Studium ist leer, und es ist die Wissenschaft von der Unwissenheit, besonders was die Medizin anbelangt. Auch beirrt mich das Fachmäßige, Doktrinäre, das Buchstabenrecht in der Wissenschaft. Ich möchte etwas, das mich aufregt, das mich zittern macht, das mich in Bangnis versetzt, kurz etwas, das ich nicht weiß und das ich nicht definiren kann.

15. November.

Ich lese die letzte Eintragung und sage mir, daß dies für einen dreiundzwanzigjährigen Menschen sehr naiv ist. Zum wenigsten ist es ein Zeichen großer Schwachheit.

Wenn nur dieses Wirtshausleben nicht wäre! Das zerstört alles Gesunde und alle Befriedigung über die Arbeit. Aber den ganzen langen Tag und den langen Abend dazu allein im stillen Zimmer und die Gedanken und der Kopfschmerz und das ewige Regengeplätscher, und die Aussicht, daß es jahre-, jahre-, jahrelang so bleiben soll, das ist auch zerstörend. Freilich, ich bin jung und wir Jungen sollten darauf bedacht sein, weniger zu lamentiren und mehr zu arbeiten. Statt Freude darüber zu empfinden, daß wir allein sind, vergießen wir Thränen. Wie absurd und sündhaft, daß ich bisweilen wünsche, krank zu sein, nur damit Jemand um mich sei, der sich bemüht um mich, dem man mehr ist, als eine Figur, um: ‚Ergebener Diener!‘ oder: ‚Wünschen zu speisen?‘ zu sagen. Wenn ich einmal reich sein werde – Traum der Träume – will ich mir ein Schloß im Schwarzwald bauen und mit einem Freund oder einer Freundin dort leben. Aber kann es Jemand geben, der sich mit mir befreundet? Ich muß zu dumm sein, zu unbedeutend, zu häßlich – oder bin ich am Ende das verborgene Veilchen? Der Gedanke ist so poetisch!

17. November.

Es ist spät in der Nacht. Heut hab ich es über mich gebracht, daheim zu bleiben. Und ich bin glücklich im Bewußtsein der Einsamkeit. Die glühenden Kohlen starren zum Ofenloch heraus. Bisweilen zucken kleine, blaue Flämmchen hindurch. Dann werden die Ränder schwarz, und alles versinkt zu Asche. Ich denke mir: Wieviel Schmerz ist in der Welt und wieviel Glück, und alles versinkt zu Asche. Ein oftgedachter Gedanke. Ich sehe hinein in die glühenden Brocken und erblicke mein Schwarzwaldschloß, wie es sein wird, wenn die Abendröte drüber hinfliegt und der Wind um die Parktannen streicht.

Jetzt denke ich mir: wie muß wohl das Weib beschaffen sein, das ich lieben würde. Vor allem müßte es klein sein, zart und heiter. Es müßte blond sein und blaue Augen haben mit dunklen Rändern um den Augapfel und schwarzen Wimpern. (Das soll pikant sein.) Die Haare dürften schließlich auch kastanienbraun sein, ja sogar jene bronzefarbnen, oder jene, die aussehen wie ein schwer mit Kupfer legirtes Goldstück gefielen mir. Gescheiter als ich dürfte sie nicht sein, wohl aber müßte sie besser als ich sein. Sanft, nachgiebig und beständig müßte sie sein. – Es ist nicht sehr weise, sich ein Rezept zu schreiben, bevor man weiß, woran man erkranken wird, – als stud. med. sehe ich das ein.

Diese Frau Bender quält mich so sehr, ich solle Pension nehmen. Aber wozu soll ich so viele Menschen kennen lernen?

19. November.

Frau Bender stellte mir den Doktor Brosam im Korridor vor, und wir gingen zusammen nach der Stadt. Welch ein Ideal von Männlichkeit: kraftvoll, graziös, selbstbewußt. In solche Persönlichkeiten verlegt man unwillkürlich jene Eigenschaften, die zu besitzen man ersehnt. Er muß wegen eines Zwischenfalls ausziehn, wie ich höre: das ist schade. Wir haben verabredet, uns im Café zu treffen. Die ganze Zeit über wohnten wir Thür an Thür, und ich wußte nichts von ihm, als daß er den Geruch der Weihrauchkerzen liebe und beim Studiren Bonbons kaue. Das nennt man durchs Schlüsselloch des Nächsten Thun betrachten, und das ist verächtlich.

20. November.

Ich habe Frau Bender nachgegeben. Heute Abend war ich zum ersten Mal in der Familie. Ich habe mich gut unterhalten. Die kleine Helene scheint ein wenig verliebt in mich zu sein. Das thut mir morschem Jüngling wohl. Komisch, sie ist klein, zart und heiter, blauäugig und blond. Sollte die es sein? Nur hat sie gar keine Augenbrauen. Das Fräulein Mirbeth gefällt mir übrigens. Sie besitzt eine große Natürlichkeit und ihre Augen (nie im Leben sah ich so schwarze, leuchtende Augen: schwärmerisch und leidend) verraten viel mehr als ihr Mund (welch ein weicher, wohlgeformter Mund) verraten könnte. Ihr Lachen verletzt mich, sie schleppt es so eigentümlich nach.

24. November.

Ich bin sehr fortgeschritten auf dem Pfad der Kultur: seit einigen Tagen besuche ich kein Wirtshaus mehr. Allabendlich sitze ich bis elf Uhr bei Benders, und ich gewöhne mich völlig hinein in diesen Kreis. Auch Fräulein Mirbeth ist da, und ich spiele Karten oder Halma mit ihr. Ich weiß nicht, woher es rührt, aber eine neue Lebensfreude ist über mich gekommen.

Wir führen oft träumerische Gespräche da vorn, zu dreien, während Frau Bender auf dem Divan schläft. Und dabei sieht mich Fräulein Mirbeth oft so starr, fast erschrocken an, und ihre Augen glänzen dabei so sehr, daß ich die meinen zu Boden schlagen muß. Aber dieser Blick hat etwas, das einen verfolgt. Er sitzt mir bisweilen gleichsam im Nacken.

Heute Nachmittag war ich beim Kaffee. Frau Bender erzählte aus ihrer Jugendzeit. Sie hat eine bezaubernde Art zu erzählen; kaum sah ich je ähnliches. Selbst ganz hingerissen von ihrem Gegenstand, lächelt sie beständig und zeigt ihre großen, dichten, blitzenden Zähne. Ihre Augen werden größer und leuchtender und ihr Gesicht wird förmlich jung. Sie hat viel erlebt und ist viel in der Welt herumgezogen.

Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich im Verlauf des Nachmittags auf Fräulein Mirbeth zu sprechen kam. Aber es berührte mich peinlich, wenn sie von ihr redeten. Sie gebrauchten geheimnisvolle Wendungen, sie redeten Gedankenstriche. „Der Herr Oberst meint es eben doch sehr gut mit ihr –“ oder: „Der Herr Oberst ist ein sehr edler Mensch, ein idealer Charakter“ – – Doch was geht das mich an. Ich machte ein ziemlich verblüfftes Gesicht, und Frau Bender stand mit einem konventionellen Seufzer auf. Ich beobachtete ihren Gang, der unsicher, voll Hast und Nervosität ist. Es ist der Gang unterleibskranker Frauen.

26. November.

Zwei Uhr hat es geschlagen, und die Nacht ist sehr still. Der Schnee liegt überall. Ich öffne das Fenster und die frische, klare Luft durchdringt mich völlig. Ich sehe das große, runde Kuppeldach des römischen Panoramas und die neue Pinakothek, die so sehr einer großen Zigarrenschachtel gleicht. Einen schlanken Kirchturm seh ich in der Ferne, der wie ein zugeklappter Regenschirm aussieht.

Melusine: Ein Liebesroman

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