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Das Fenster im Treppenhaus

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Es gab eine kleine Stadt irgendwo im Westen des Landes. Dort gab es eine kleine Nachbarschaft mit Mehrfamilienhäusern im üppigen Grün. Und wie es so ist, mögen sich die Mieter oder eben nicht. Diese Geschichte handelt von einem Hausbewohner, der bei seinen Mitmenschen nicht beliebt war. Ihr fragt euch jetzt sicherlich, warum, stimmt’s? Ich erzähle es euch. Aber aufgepasst: Das könnte auch in eurer Ecke passieren!

Ich nenne die Person Herr Krüger. Ein so häufiger Name, dass sich keiner, lebend oder tot, beleidigt fühlen dürfte.

Besagter Herr Krüger, Bewohner eines Hauses mit sechs Parteien, sah so aus, wie man sich einen Fabrikarbeiter vorstellt. Abgerundet wurde sein dürftiges Aussehen durch eine schlichte Umhängetasche, deren Farbe so kläglich aussah wie die wenigen Haare auf seinem Kopf. Die Arbeitsstiefel stellte der Mann jeden Tag in den Hausflur auf die Fußmatte vor seiner Wohnung, wenn er von der Arbeit kam.

Dass sein penetranter Fußgeruch in dichten Wolken durch das gesamte Treppenhaus zog, war ihm dabei völlig egal. Verließen seine Mitbewohner ihre Wohnungen, sprinteten sie zum Ausgang.

Glaubt ihr nicht? Stimmt aber.

Jeder halbwegs normale Mensch bringt seine vollen Müllbeutel direkt aus dem Haus in die dafür vorgesehenen Behälter namens Mülltonnen. Eine tolle Erfindung. Wirklich. Herr Krüger stellte den stinkenden Abfall direkt neben seine Schuhe vor der Wohnungstür ab. Oft vergingen Stunden, bis er auf dem Weg zum nächsten Kiosk, wo er seinen Vorrat an Tabak und Bier auffüllte, die überquellende Tüte nach draußen verfrachtete. In der Zwischenzeit wurden seine Nachbarn durch die Abfallgerüche belästigt, kaum dass sie das Treppenhaus betraten. Manchmal zog es sogar durch die Türschlitze in ihre Wohnungen. Sie ekelten sich so sehr, dass sie versuchten, dieser täglichen Belästigung mit diversen Raumsprays den Garaus zu machen. Nichts half.

Der Hochsommer legte sich über das Land. Die Menschen schwitzten bei mehr als 35 Grad. Herr Krüger schloss das Fenster im Treppenhaus tagsüber, somit vermischte sich die drückende Luft mit dem Gestank. Die anderen Bewohner hatten Angst, es zu öffnen, denn wenn sie es taten, gab es einen riesigen Krach. Das Ergebnis: warme wunderbare Gerüche für alle. Und das jeden Tag. Es roch nicht nur nach Schweißfüßen und Müllhalde, sondern auch nach ungelüfteter Wohnung, Bahnhofstoilette, süßem Parfüm und Zigarettenqualm.

Im Haus lebte eine junge Familie: Mutter, Vater und Kleinkind. Diese eigentlich netten Menschen mochten es nicht mehr hinnehmen, dass es hinter ihrer eigenen Haustüre stank. Sie ärgerten sich so dermaßen darüber, dass sie dadurch fast wahnsinnig wurden. Schimpfend liefen sie die Treppen rauf und runter. Keine Frischluft!

»Unerträglich«, rief der Vater.

»Widerlich«, sagte die Mutter.

»Stink, stink«, brabbelte das Kleinkind und brummelte. »Stink, stink.«

Ja, verehrte Leserinnen und Leser, die armen Menschen litten Qualen, mit Herrn Krüger traute sich jedoch niemand zu reden. Dieser hatte sich in der Vergangenheit nämlich so sehr über die Klagen seiner Mitmenschen aufgeregt, dass die komplette Nachbarschaft hatte mithören können. Laut und grimmig hatte er die armen Menschen angeschrien, sodass sie schließlich aufgegeben hatten.

Aber das stille Leiden sollte ein Ende haben. Alle Bewohner des Hauses, außer Herrn Krüger, trafen sich heimlich in einer Gaststätte und tauschten sich aus. An jenem Abend stand für sie fest: Herr Krüger muss weg! So schmiedeten sie einen Plan und freuten sich schon auf die frische klare Luft, welche in Zukunft durch ihr Treppenhaus wehen würde. Das Ende des Stinkers rückte näher.

Sie warteten auf den geeigneten Zeitpunkt, um sich endgültig von ihrem Nachbarn zu verabschieden. Zwei Wochen später war es endlich so weit. Herr Krüger biss ins Gras. Wörtlich. Lehnt euch zurück und genießt seinen Abgang.

Wie so oft putzte die junge Mutter das große, bodentiefe Fenster des besagten Treppenhauses. Jedes Mal ärgerte sie sich darüber, dass es so schwer zu säubern war. Sie reckte und streckte sich, bis es in der heißen Mittagssonne glänzte.

Nun, liebe Leute, an diesem Tag kümmerte sie das alles nicht, denn innerlich brannte sie darauf, dass Herr Krüger von der Nachtschicht nach Hause kam. Sie hatte dafür gesorgt, dass ihr geliebtes Kleinkind zu ihren Füßen mit Glasmurmeln spielte. Sehr viele dieser bunten Kugeln kullerten über die kalten Fliesen unter dem Fenster.

Endlich war es so weit. Sie hörte die Haustür am Ende des Treppenhauses aufgehen. Herr Krüger schnaufte die Stufen hoch.

Keine Angst, liebe Leserinnen und Leser, dem Kind wird nichts passieren.

Die junge Frau griff ihren Sohn und nahm ihn liebevoll in die Arme. »Schau mal, Leon, wie schön die Mama geputzt hat! Schau mal, wie viel frische Luft durch das offene Fenster reinkommt.«

Leon brüllte und zappelte. Seine Mutter drückte ihn zärtlich an die mütterliche Brust. Herr Krüger quälte sich die letzten Stufen hoch, ärgerte sich über das Gebrüll und schimpfte vor sich hin. Er hasste Kinder. Er fühlte sich so müde, dass er nicht darauf achtete, was auf dem Fußboden so lag. Mit einem knappen Gruß drückte er sich an der Nachbarin vorbei.

Die sorgte genau in diesem Augenblick dafür, dass ihr Sohn Herrn Krüger am Blaumann zog.

»Schatz, wo ist die Jacke?«

Der Stinker wich aus, wobei seine Plattfüße Bekanntschaft mit den Murmeln machten. Er stolperte und verlor das Gleichgewicht. Entsetzt versuchte er, sich an der grinsenden Nachbarin festzuhalten, doch diese drehte sich geschickt zur Seite. Ehe Herr Krüger sich versah, trat er auf Glaskugeln, schwankte stark und flog aus dem offenen Fenster im dritten Stock direkt auf den frisch gemähten Rasen zu.

Er schrie.

Sekunden später prallte sein massiger Körper auf den Rasen, welcher durch die letzte Dürre zu Stein verwandelt worden war. Mit einem letzten schmerzvollen Ächzen biss Herr Krüger in das trockene Grün des Rasens. Die junge Mutter begab sich seelenruhig in ihre Wohnung, setzte Leon im Laufstall ab und rief einen Krankenwagen.

Da war Herrn Krügers Seele schon längst in einer anderen Dimension.

Die Hausgemeinschaft blieb geschlossen der Beerdigung fern und feierte die frische Luft im Treppenhaus. Von diesem Tag an war das Fenster immer geöffnet. Niemand musste mehr mit zugekniffener Nase die Stufen im Laufschritt hinauf oder hinunter hechten und schon bald vergaßen die Nachbarn, dass es Herrn Krüger je gegeben hatte.

Tote Nachbarn & Böse Tiere

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