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Kapitel 2
ОглавлениеStuartholme
Zwei Jahre, nachdem mein Vater aus dem Krieg zurückgekommen war, trennten sich meine Eltern und mein Vater zog nach Brisbane. Als ich sieben Jahre alt war, folgte meine Mutter ihm nach Brisbane. Ich wurde in die Sacré Coeur-Schule in Brisbane transferiert. Die Schule hieß Stuartholme. Sie sah auf dem Mt Cootha wie ein schönes Schloss aus. Das Gelände war wunderschön und in Spielfelder aufgeteilt. In Stuartholme entdeckte ich meine Liebe für Obst − schönes, üppiges, saftiges, süßes, reifes Obst!
An heiligen Feiertagen hatten wir frei. Ich erinnere mich an einen besonderen Tag, an dem wir ein Picknick weiter unten am Mt Cootha unternahmen. Die Schotterstraße ging steil hinunter und die meisten Mädchen rannten oder hüpften. Ich ging am Ende mit einer der Nonnen, aber entschied mich plötzlich die anderen Mädchen vorne einzuholen. Da ich viel zu schnell den steilen Hang hinunterrannte, verlor ich die Kontrolle und, um einen Zusammenstoß mit einer Mädchengruppe und einer Nonne zu vermeiden und nicht Hang abwärts hinzufallen, schwang ich meine Arme um einen Telefonmasten, der plötzlich vor mir aus dem Nichts auftauchte. Die Wucht meiner Geschwindigkeit ließ mich hart um den Mast schwingen. Endlich im Stillstand, merkte ich, dass meine Hände, Arme und Beine voll mit Splittern versehen waren. Ich starrte auf meine Hände. Es waren so viele Splitter, dass ich sie nicht zählen konnte. Aua! Aua! Ich sah die Nonne mit ihrem wehenden Schleier auf mich zu rennen, sie kniete sich neben mich und ihr besorgtes Gesicht hielt mich sofort vom Weinen zurück.
„Oh Jan, du arme Jan, wie konnte das passieren? Sieh dir deine Knie an!“
Meine Knie? Eine Nonne, die sich um meine Knie sorgte? Ich sah hinunter auf meine mit Splittern übersäten Knie. Die anderen Mädchen drängelten sich um mich herum. Ich hoffte innig, dass mein schrecklicher Anblick der Erste und Letzte für sie sein würde, den sie an diesem Tag erleben mussten und dass mein Zustand jede davon stoppen würde, diesen Hang herunterrennen zu wollen. Als wir zurück waren, brachte man mich direkt auf die Krankenstation, wo die Schwester Stunden damit verbrachte, die vielen Splitter mit einer Pinzette herauszuziehen. Es dauerte noch weitere Tage, um die letzten tiefen Splitter herauszuziehen. Mit den Verbänden an beiden Händen und Knien war ich sehr unbeholfen, aber wie in einer Zauberwelt wurde mein Bett gemacht und eine Schwester war immer bereit, mir mein langes Haar zu kämmen und zu flechten und mir beim Essen zu helfen. Ich verbrachte die Tage mit Danksagungen für die vielen Gefallen, die mir getan wurden. Alle waren sehr freundlich und sagten, dass sie es gerne täten. Lieb und hilfsbereit waren sie gerne und außerdem war es für sie eine Chance, aus der Küche herauszukommen.
Kurz nach meinem Sturz war die Zeit für unsere Erste Kommunion gekommen, auf die wir zwei Jahre gewartet hatten. Die meisten freuten sich auf diese Zeremonie. Erstens war es eine willkommene Abwechslung von der täglichen Routine und zweitens durften wir ein besonderes weißes Kleid dafür tragen. Wie dem auch sei, ich sah bei meiner Ersten Kommunion mit meinen verbundenen Verletzungen nicht gut aus, aber ich tröstete mich damit, dass ich nicht auf dieser Holzplanke knien musste. Ich versuchte alles, um nicht wehleidig auszusehen oder um aus der Menge herauszustechen. Meine missliche Lage fiel aber trotzdem sehr auf als wir unser Abendmahl nahmen. Alle knieten, außer mir. Ich stand! Die Eltern fast aller Mädchen waren zu diesem Anlass gekommen und schauten zu, aber meine Eltern waren aus für mich unverständlichen Gründen abwesend.
Irgendwie schaffte es meine Mutter während der Schulferien ein paar Wochen bei mir zu sein. Wir verbrachten die Zeit bei Bekannten in Charleville, ein paar hundert staubige Meilen westlich von Brisbane. Das Haus war ein typisches Landhaus. Ich war nie da, weil ich mich sehr für die Tiere interessierte. Die meiste Zeit verbrachte ich in den Pferdeställen und auf den Weiden, wo gerade ein Lehrling versuchte, ein Pferd zu trainieren. Ich konnte mir seine Methode nicht lange mit ansehen. In meinem jungen Alter wusste ich, dass es bessere Möglichkeiten gab ein Pferd zu zähmen. Dieser junge Mann brüllte, fluchte, trat und schlug das arme Pferd mit seinem Lasso. Als das Pferd nicht tat, was er wollte, stampfte er wütend und kopfschüttelnd davon. Das arme Pferd zitterte und schnaufte und war mit Schweiß bedeckt. Leider konnte ich es nicht streicheln, weil es auf dem eingezäunten Trainingsplatz war, aber ich sprach ihm ruhig zu.
„Es tut mir so leid für dich, du armes Ding, du schönes armes Ding. Ich werde melden, wie du behandelt wirst.“
Als ich an der Scheune vorbeiging, saß der Lehrling dort und rauchte lässig vor sich hin. Ich ging zu ihm und sagte vorwurfsvoll:
„Du solltest dich schämen, du altes Arschloch!“
Er sah mich mit einem vernichtenden Blick an, sagte aber nichts.
„Das arme Pferd ist am Boden zerstört“, fuhr ich wütend fort.
„So wird das hier auf dem Land gemacht“, sagte er. Es klang besserwisserisch und altklug. Er wusste, dass ich ein Stadtkind war.
Ich fragte ihn herausfordernd: „Hast du jemals daran gedacht, es auf eine liebevolle Art und Weise zu versuchen?“
Oh ja, ich konnte schon als Kind ganz schön wütend werden und hatte keine Angst, es mit anderen aufzunehmen.
Er drehte sich um und zog provozierend langsam an seiner Zigarette.
„Ich werde das melden“, sagte ich und machte eine Kopfbewegung zum Haus hin. „Du hast das Pferd misshandelt!“
Ich ging direkt ins Haus, um ihm zu zeigen, dass ich meine Drohung in die Tat umsetzen würde. Ja, ich werde es melden – aber wo sind sie nur? Es war angenehm kühl im Haus. Der Kontrast zu der erbarmungslosen Hitze draußen ließ mich fast ohnmächtig werden.
„Mummy, Mummy!“ Keine Antwort.
Okay, dann suche ich eben jemanden anders, dem ich es melden kann.
„Herr Nagle, Herr Nagle!“ Wieder keine Antwort.
Ich ging leise von einem Zimmer ins andere. Ach, da sind sie ja. Sie halten einen Mittagsschlaf – zusammen! Eine tolle Idee, denn wir hatten auch immer Mittagsruhe in der Schule. Jetzt musste ich aber jemanden finden, dem ich die Pferdemisshandlung melden konnte. Endlich fand ich die Köchin, der ich erzählte, was ich gesehen hatte. Sie musste mir versprechen, dass sie es Herrn Nagle weitersagen würde.
„Natürlich werde ich das“, sagte sie, „jetzt geh schön wieder spielen!“
Ich lief hinaus auf die wunderschöne Veranda, von der ich die Schafweide sehen konnte, die sich in die weite Ferne erstreckte. Jetzt werde ich nach den Schafen sehen, dachte ich, und schon war ich unterwegs. Als ich ankam, guckten mich die Schafe nur an und fraßen weiter. Sie fühlten sich von einem sieben Jahre alten Mädchen nicht bedroht. Dann sah ich einen großen bulligen Rammbock mit zwei Hörnern – meine Güte, diese Hörner waren beeindruckend. Ich stand ganz still. Während der Rammbock lässig weiter graste, kam er langsam auf mich zu. Ich redete leise auf ihn ein, er hob seinen Kopf, sah mich kurz an und fing an, mit seinem Bein zu stampfen.
„Komm nicht auf die blöde Idee, mit deinem Fuß zu stampfen, um mir Angst zu machen, du dummes großes Wollknäuel“, erwiderte ich, „ich werde gleich auf dir reiten, dann wirst du sehen, wie dir das gefällt!“
Während sich einige der anderen Mutterschafe davonmachten, blieb er stehen. Wir starrten uns gegenseitig an, er senkte wieder seinen Kopf und graste genüsslich weiter. Ich ging etwas auf ihn zu, langsam, stopp, noch ein bisschen, und stopp.
„Gleich reite ich dich, du alter Bock“, sagte ich leise zu ihm.
Es war ihm vollkommen egal, was ich sagte, er hob noch nicht mal seinen Kopf. Jetzt konnte ich endlich seine zwei prächtigen Hörner genau betrachten. Ich bleibe besser hinter diesen Hörnern, dachte ich und wartete, bis er so nah war, dass er mich mit seinem Hinterteil berührte. Er war so vertieft in sein Fressen, dass es ihm nichts ausmachte, als ich mit einer Hand sein linkes Horn umfasste. Ich schwang mein rechtes Bein über seinen Rücken und stand mit dem Bock zwischen meinen Beinen da. Jetzt schießt er wahrscheinlich los, dachte ich. Aber das tat er nicht; er hob nur langsam seinen Kopf. Also erfasste ich beide Hörner. Auch das machte ihm nichts aus. Ich setzte mich mit meinem vollen Gewicht auf ihn. In diesem Moment schoss sein Kopf hoch – was war das?
Ich fragte ihn leise: „Das hast du noch nie gefühlt, stimmt’s Rammbock?“
Während er immer noch ruhig vor sich hin kaute, drehte er sich zu mir um.
„Was hast du für eine schöne weiche Nase, Rammbock. Gehst du jetzt endlich mit mir los?“
Ich kuschelte mich tiefer in seinen wolligen Rücken.
Er versuchte ein paar unsichere Schritte – ja, ich war immer noch da!
„OKAY – Heia hopp, auf geht’s!” schrie ich.
Dann ging es endlich los. Er rannte wie von einer Tarantel gestochen los. Die anderen Schafe sprangen in allen Richtungen auseinander. Das machte Spaß – „hier hin, da hin“, kommandierte ich und riss rechts und links an seinen Hörnern; Vroooommm − wir rasten mit grenzenloser Geschwindigkeit hin und her, während sich die anderen Schafe auf der Weide verstreuten.
Als wir beide total außer Atem waren, stieg ich von ihm ab, aber hielt ihn weiterhin an seinen Hörnern fest. Ich streichelte sein Gesicht und sagte:
„Das war der schönste Ritt, den ich jemals hatte. Morgen werde ich dich wieder reiten!“
Die folgenden Morgen verbrachte ich galoppierend auf Silver, wie ich ihn benannt hatte. Wir ritten auf den Weiden hin und her, kreuz und quer, hoch und runter, bis wir uns ausgetobt hatten. Dann führte ich den Bock zu der Hausweide, wo er angebunden das frische grüne Gras genoss und ich ein kühles Getränk. Nach meiner Erfrischung stürmte ich wie Gary Cooper auf die Veranda, stieß meinen Hut zurück und brüllte:
„Na, was ist los mein Freund? Wie wär’s mit noch einem kleinen Ritt? Da oben, in den Hügeln sind Indianer, die müssen wir kriegen!“
„Hoppla hopp Silver!“
Ich schwang mich aufs Neue auf seinen wolligen Rücken und wir schossen los. Nach ein paar Tagen brauchte ich ihn nicht mehr anzubinden. Er stand ganz einfach da und wartete auf mich. Ich war unendlich traurig, als ich mich am Ende unseres Besuchs von ihm verabschieden musste. Er würde sich wieder in einen alten langweiligen Rammbock zurückverwandeln. Der arme Kerl! Ich weinte bitterlich.
Im folgenden Jahr zogen meine Mutter und ich wieder zurück nach Sydney und ich ging glücklich wieder ins Kerever-Park-Klosterinternat. Die meisten Mädchen im Kerever-Park waren nach irgendeinem Sankt benannt und hatten somit katholische Namen. Leider gab es keinen Sankt Jan, aber als herauskam, dass meine Mutter mich auf den Namen Jeanne getauft hatte – inklusiv dem französischen Akzent – änderte sich meine Namenslage. In der römisch-katholischen Geschichte gab es eine Jeanne d’Arc, nach der ich also benannt war. Dieser Kompromiss wurde von den Nonnen akzeptiert.
Viel später erzählte mir meine Mutter, dass das Kloster Kerever-Park mich erst nicht aufnehmen wollte, weil wir eine Theater-Familie waren. Als ihnen aber bewusst wurde, dass meine Familie nicht arm war, änderte sich die Absage zu einer Zusage. Zusätzlich arrangierte mein Vater aus Brisbane die kostenlose Lieferung eines kostenlosen Filmprojektors und einen Vorrat von angemessenen Filmen, die das Kloster gerne annahm.
Es kam selten vor, dass Mädchen im Klosterinternat Besuch bekamen, aber eines Tages stand meine Mutter völlig unerwartet vor der Tür. Sie und Mutter McGee warteten in der Eingangshalle auf mich. Ich fühlte mich völlig unbeobachtet und hinkte hinter der humpelnden Nonne hinterher, die mich begleitete. Meine Mutter erzählte mir später, dass es ihr sehr peinlich gewesen war, als sie mich hinter der Nonne im Humpel-Schritt kommen sah. Ich lief genau wie die Nonne – nämlich humpelnd und war auch noch sehr gut dabei. Schritt, hoch, Schritt, hoch, Schritt, ... Als sich meine Mutter bei Mutter McGee entschuldigen wollte, lachte diese nur und zuckte mit den Schultern.
„So ist das im Theater, nicht wahr?“
Meine Mutter nickte ihr zustimmend und etwas gedemütigt zu.
Als ich sie sah, rannte ich in ihre offenen Arme. „Mummy!“
Danach kam meine Mutter noch einige Male unangemeldet zu Besuch, was mir mit der Zeit peinlich wurde, aber ich verstand nicht, warum es mir peinlich war.
Die Schulferien verbrachte ich oft bei Onkel Danny und Tante Muriel. Sie hatten eine tolle Wohnung in Elizabeth Bay und ein wunderschönes Haus in Palm Beach. Das Haus war direkt am Meer und hatte einen großen Swimmingpool, den ich unter allen Umständen mied. Die Wohnung in Elizabeth Bay hatte ein exotisches Badezimmer, wie ich es noch nie gesehen hatte. Die Badewanne, das Waschbecken und die getrennte Toilette waren schwarz. Es gab sogar einen Schminktisch mit Spiegel, den ich regelmäßig benutzte, um so zu tun, als würde ich mich schminken. Tante Muriel hatte das große Schlafzimmer mit einem Balkon, der eine Aussicht über den Swimmingpool, den Hafen und bis zu den Heads bot. Onkel Danny hatte das gegenüberliegende Schlafzimmer, von dem die Sicht sehr zu wünschen übrig ließ. Dann gab es noch ein großes Wohnzimmer ausgestattet mit einem Flügel und verlängert durch einen Balkon. Im Esszimmer saßen wir drei an dem Ende eines überlangen Tisches. Das Essen wurde vom Koch auf einem Teewagen hereingerollt, der dann sofort wieder verschwand. Dann stand Onkel Danny auf, um den Braten zu schneiden.
Jeden Freitag holte uns der Chauffeur im Auto ab und brachte uns nach Palm Beach. Ich war der vollen Überzeugung, dass alle Leute freitags nach Palm Beach fuhren! Damals fand ich die Auffahrt zu dem Haus sehr tückisch. Wenn ich sie aber heute betrachte und mit den heutigen steilen Auffahrten vergleiche, die einen Vierradantrieb oder einen Trupp Bergziegen brauchen, um sie zu bezwingen, finde ich die Auffahrt zu dem Haus in Palm Beach kurz und einfach.
Ich liebte es, nach Palm Beach zu fahren, denn das Leben dort war viel legerer. Als wir ankamen, stürmte ich in die Küche, um der Köchin Sybil eine schnelles Hallo zuzurufen. Dann rannte ich durchs Wohnzimmer auf den Balkon, um die spektakuläre Sicht zu genießen, die bis zum Barrenjoey Lighthouse reichte und noch weiter bis Lion Island, eine kleine Insel, die im Eingang zu Pittwater lag. Ich hätte den ganzen Tag die Aussicht genießen können. Das Rauschen der heranrollenden Wellen direkt vor mir faszinierte mich. Ich beobachtete den Schaum, der sich langsam in den Sand einsog.
Anschließend ging ich in mein entzückendes, gelb-gestrichenes Zimmer, das in der unteren Etage am Ende eines langen Flurs war. Die grelle Farbe lenkte etwas von dem feuchten Geruch ab, der in der ganzen unteren Etage verbreitet war. Ich öffnete sofort alle Fenster und der Geruch verschwand nach draußen − zumindest bis zu meinem nächsten Besuch. In der Palm-Beach-Residenz von Onkel und Tante war die Schlafzimmeraufteilung andersrum. Onkel Danny hatte das Schlafzimmer mit Balkon und einer atemberaubenden Sicht, während Tante Muriel das Schlafzimmer zur anderen Seite des Hauses ohne Sicht hatte. Damals wusste ich es noch nicht, dass verheiratete Paare normalerweise zusammen in einem Bett schliefen. All die Paare, die ich als Kind kannte, schliefen getrennt. Wie dem auch sein, ich hörte nie Streitereien. Untereinander waren die Eheleute immer sehr zuvorkommend und höflich.
Als wir uns zum Abendessen umgezogen hatten, versammelten wir uns im Wohnzimmer. Raymond vom Küchenpersonal servierte uns auf einem großen silbernen Tablett Getränke und Knabbereien. Tante Muriel wurden die Vorspeisen zuerst angeboten und Onkel Danny kam nach mir als Letzter an die Reihe. Ich fühlte mich zu dieser Zeit sehr erwachsen und mein Benehmen war vorschriftsgemäß. Ich bediente mich mit einem köstlichen Leberwurst-Cracker und einem eleganten Glas Coca-Cola und bedankte mich bei Raymond mit einem vornehmen Kopfnicken.
„Vielen Dank, Raymond.“
Er verbeugte sich kurz und erwiderte, bevor er wieder in die Küche verschwand:
„Vielen Dank, Fräulein Carroll.“
Später wurde mir bewusst, dass Raymond und Sybil verheiratet gewesen sein mussten, aber wo sie schliefen, war mir ein Rätsel. Irgendwann viel später fiel mir ein kleines Zimmer neben der Küche auf. Das muss das Schlafzimmer der beiden sein, dachte ich, und da wohnen sie wahrscheinlich auch drin!
Die Tage in Palm Beach begannen, nachdem ich ausgeschlafen hatte. Es war himmlisch, denn keiner weckte mich. Ich streckte mich ausgiebig in meinem großen Bett und schaute aus dem Fenster, um das Wetter zu checken. Hurra, ein Sonnentag! Nachdem ich mich schnell geduscht und angezogen hatte,
ging ich hoch in den sonnen überfluteten Frühstücksraum. Ich gab meinem Onkel und dann meiner Tante einen Gutenmorgenkuss und wartete ungeduldig auf meine Waffeln mit Ahornsirup. Meine Tante war sehr darauf bedacht, gesund zu essen. Deshalb bedienten wir uns zuerst am Obst und danach durfte ich die ungesunden Waffeln essen. Mit dieser Aussicht stopfte ich das Obst so schnell wie möglich in mich hinein. Wenn die Waffeln nicht ausreichten, ging ich einfach in die Küche, um mehr zu bestellen. Als ich mich bis oben satt gegessen hatte, klingelte Tante Muriel die Glocke, woraufhin Sybil hereinkam, um den Tisch zu räumen.
„Oh Sybil, das war köstlich“, erklärte ich.
„Vielen Dank, Miss Carroll“, lächelte sie. „Morgen werde ich mehr Waffeln für dich backen.“
„Oh wie schön“, strahlte ich. „Viel besser als diese Steinkuchen in der Klosterschule!“
Nach dem ausgiebigen Frühstück fütterten wir die Kookaburras und danach nahm Tante Muriel ihre obligatorische Melasse zu sich. Jedes Mal bat sie mir an, auch einen Löffel zu probieren.
„Es ist gut für dich“, sagte sie, aber ich war überzeugt, dass das, was nicht gut roch, auch nicht gut für mich war. Das gleiche galt für Hefe. Igitt! Irgendwann einmal versuchte meine Mutter, mir ein Hefegetränk aufzubrummen, weil sie meinte, es sei ein wichtiger Nahrungsbestandteil. Sie rührte Trockenhefe in Puderform in ein Glas Wasser und hielt es mir vor die Nase.
„Trinken bitte“, sagte sie lächelnd zu mir.
Als ich das Glas in der Hand hielt, zuckte meine Nase und mein Magen drohte sich herumzudrehen. Ich schloss meine Augen und betete, dass ein Heiliger auftauchte und dieses Getränk verschwinden ließ, was aber nie passierte.
„Kneif deine Nase zu“, riet sie mir.
Mit verdrehten Augen und zugekniffener Nase stürzte ich das fürchterliche Getränk in mich hinein. Ich war jedes Mal kurz davor, mich zu übergeben, aber meine Mutter lachte.
„Es ist gut für dich“, wiederholte sie.
„Dann trink du es doch“, erwiderte ich wütend, als ich meine Stimme wiederfand.
„Oh, ich habe meins schon getrunken“, sagte sie fröhlich.
Mit ihrer schönen weichen Elfenbeinhaut und ihrem wunderschönen lachenden Gesicht mit den leuchtenden blauen Augen sah sie wirklich sehr gesund aus. Wenn ich so aussehen will wie Mummy, dann muss ich es wohl trinken, dachte ich, und so trank ich es täglich. Das Problem war, dass ich nicht ihre Haut hatte, sondern die meines Vaters. Wenn Muriel und ich stundenlang am Strand verbrachten, war ich zum Sonnenuntergang total verbrannt. Damals gab es noch keine Sonnenblockmittel und ganz offensichtlich kannte sich Muriel mit meiner irischen Haut nicht aus. Der Sonnenbrand war sehr schmerzvoll und wurde unerträglich, besonders wenn meine Verwandten ungeeignete Produkte an mir ausprobierten, um es besser zu machen. Ich wäre fast am Geruch des Spiritus’s erstickt und wenn jemand ein brennendes Streichholz an mich gehalten hätte, dann wäre ich wahrscheinlich wie Jeanne d’Arc in Flammen aufgegangen! Der Spiritus sollte den Schmerz des Sonnenbrandes lindern, verursachte aber hauptsächlich, dass ich meine Haut nach ein paar Tagen in großen Fladen abziehen konnte. Als ich wieder ins Internat kam, gab ich damit sogar an.
„Da, seht ihr, dieser große Hautfetzen reicht für eine Handtasche – wofür brauchen wir noch Krokodile?!“
Dann gab es noch die Milchbehandlung, die ich lieber hatte, weil es den Schmerz besser linderte. Hierbei wurde mein Rücken vorsichtig mit in Milch getränkten Wattebäuschen abgetupft, aber sogar das Tupfen tat schrecklich weh. Ich versuchte nicht zu weinen, weil meine Verwandten alles taten, um mir zu helfen. Außerdem, wie konnte meine liebe Tante, die immer schön gebräunt aussah und niemals verbrannte, wissen, dass meine Haut total anders war als die ihre? Die Theorie, dass Verhindern mehr Sinn als Heilen machte, war damals noch nicht in die Gehirne der Bevölkerung eingetrichtert worden. Also litt ich jedes Mal, wenn ich in Palm Beach war, an Sonnenbrand, was mich aber keinesfalls davon abhielt, an diesen herrlichen Ort immer wieder hinzurückzukehren.
Auch wenn meine Mutter meistens während der Schulferien nicht da war, war ich immer mit einer neuen Schuluniform, Schuhen und sonstiger Kleidung ausgestattet, als es wieder zurück ins Internat ging. Wer dafür sorgte, wusste ich nicht, aber ich fand es vollkommen normal, dass immer alles für mich bereitgelegt wurde. Manche Schulferien verbrachte ich in Melbourne bei anderen Verwandten, und zwar in einem der langweiligsten Vororte auf der Welt – Carnegie! Das empfand ich als Kind, aber als ich vor kurzem noch mal in Carnegie war, war ich überwältigt von einem Gefühl der Vertrautheit und Geborgenheit, das dieser Ort mir gab.
Onkel Arthur arbeitete als Chemiker in einer Firma, die Farben herstellte. Er war derjenige, der früher in seinem Leben den Nagellack erfand und angeblich war meine Mutter die erste Frau in Sydney, die ihre Nägel lackierte. Onkel Arthur hatte sich in die Dunkelheit von Carnegie versetzen lassen, um dem Ausmaß der Folgen seiner Erfindung zu entfliehen. Wie dem auch sei, in Carnegie verbrachte ich oft glückliche Ferien. In dieser Zeit vergnügten sich Kinder noch mit den einfachsten Mitteln. Ich beschäftigte mich stundenlang damit, einen Tennisball gegen eine Steinwand zu werfen, oder ich spielte Geschäft. In meiner Fantasie bediente ich Kunden, indem ich Ware in braune Papiertüten packte und dann das Wechselgeld ausrechnete und an die Kunden ausgab.
„Bitteschön, Frau Winterarsch, das wäre dann drei Pfund und sieben und sechs.“
Ich schaute hoch in das unsichtbare Gesicht der nicht vorhandenen Frau Winterarsch, die mit einem scheinbaren Fünf-Pfund-Schein bezahlte, den ich in die imaginäre Kasse legte.
„Klirr, klirr“, mimte ich, während ich so tat, als würde ich nach Wechselgeld suchen.
„Bitteschön, Frau Frostpopo, das wäre dann ein Pfund, zwei und sechs“, sagte ich zu der nächsten unsichtbaren Kundin, Frau Frostpopo, während ich ihr das unsichtbare Wechselgeld über meine aufgestapelten Pappkartons reichte.
Tante Dorothy, Onkel Arthurs Frau, war eine gute Pianistin und wollte, dass ich mindestens einmal am Tag Klavier übte. Ich spielte aber nur Musik, die ich mochte, war also für Tonleiter oder zusätzliche Fingerübungen nicht zu haben. Nachdem ich ‘Für Elise’ entdeckt hatte, wiederholte ich es immer und immer wieder. Ich genoss das Stück beim Selbstspielen genau so, wie ich es beim ersten Mal gehört hatte. Wer war es, der solch göttliche Musik schreiben konnte? Wer immer es gewesen war, musste in Elise total verliebt gewesen sein. Für mich war die Musik äußerst liebevoll und jedes Mal, wenn ich ‘Für Elise’ spielte, drückte ich meine tiefen Gefühle darin aus. Allerdings hasste ich ‚Für Elise’ in einer anderen Ausführung, zum Beispiel als Straßenmusik.
Das gleiche empfand ich, als ich das erste Mal Paganinis Konzert in D-Major hörte. Die Musik war das Soundtrack einer Dokumentation über sein Leben, die im Internat gezeigt wurde. Ich konnte die Liebe in jedem seiner Geigenstriche fühlen – und auch in meinem mir unbewussten wogenden Busen, der sich schön und voll entwickelt hatte und der von Onkel Arthur nicht unbemerkt blieb. Er hatte es neuerdings gerne, wenn ich auf seinen Knien saß und hopste, was sich etwas seltsam anfühlte, denn ich war mittlerweile so groß, dass ich mit meinen Füßen auf den Boden kam. Wie dem auch sei, ganz unerwartet ließ er mich dann zwischen seine Beine plumpsen und zog mich dann von hinten hoch, indem er mit beiden Händen meine Brüste umfasste. Ich versuchte, mein Gleichgewicht wiederherzustellen, indem ich mit meinen Beinen strampelte. Aber wie sollte ich das hinkriegen, wenn er mich jedes Mal an meinen Brüsten wieder hochzog?
Mein Gleichgewicht endlich wieder hergestellt, stand ich sofort auf.
„Oh, danke, Onkel Arthur.“
Er hatte mir doch nur helfen wollen, oder?
Ich begleitete Tante Dorothy oft beim Einkaufen. Es überraschte mich, wie sie mit dem Lebensmittelhändler und dem Metzger sprach. Sie dachte sicherlich, dass ihr vorgetäuschter Akzent edel sei. Ich hatte solch einen Akzent jedoch noch nie gehört, obwohl wir in der Klosterschule Sprechtechnik und Redekunst lernten. Sie hörte sich sehr beeindruckend an, zum Beispiel, wenn sie ein Pfund Kartoffeln bestellte. Tatsächlich rannte der Verkäufer los, kam mit einer Papiertüte Kartoffeln wieder und überreichte diese meiner Tante mit einer Verbeugung, als wenn er die Königin persönlich vor sich stehen hätte. Sie nahm die Tüte gnädig, aber ohne Lächeln, an und bestellte ihre weiteren Lebensmittel − mit Nonchalance, schrecklich abgerundeten Selbstlauten und übertrieben deutlicher Aussprache. Einmal war mir ihr Benehmen so peinlich, dass ich mir vornahm, das nächste Mal draußen zu warten. Beim Metzger bestellte sie mit ihrem überaus künstlichen Akzent eine fettlose Lammkeule. Der Metzger rannte in den Kühlraum, kam zurück mit der Lammkeule und hielt sie meiner Tante unter die Nase, damit sie sie untersuchen konnte. Sie lehnte grundsätzlich die erste Keule, die ihr vorgelegt wurde, ab, und beauftragte den Metzer, eine andere zu holen. Er kam eilig zurück, vielleicht sogar mit derselben Keule. Meine Tante nickte hochnäsig, was ‘akzeptiert’ heißen sollte. Der Metzger zwinkerte mir erleichtert zu und wir lächelten uns kopfschüttelnd und in Einverständnis über so viel Arroganz an.
Am Ende meiner Ferien brachten mich Tante Dorothy und Onkel Arthur zum Flugplatz und sorgten dafür, dass ich in das richtige Flugzeug einstieg. Während des ersten Fluges wurde mir übel und ich hielt die braune Papiertüte so fest in meinen Händen, als wenn ich ohne sie ertrinken würde. Beim nächsten Flug hatte ich gelernt, vorher nichts zu essen. Ich genoss die Sicht von meinem Fensterplatz, die offenen Ebenen, die langsam hügelig wurden und dann sah ich endlich wieder meinen geliebten Sydney Harbour.
Von oben konnte ich mich besser orientieren und genau die Orte ausmachen, die ich kannte.
Im Kerever Park-Klosterinternat begann die alte Routine von vorne. Einmal machte ich während des Unterrichts eine Bemerkung, die die Mädchen vor mir zum Lachen brachte. Mutter Benjamin unterbrach sofort den Unterricht.
„Kann mir jemand erzählen, was Jans Problem ist?“, fragte sie die Klasse in ernstem Ton. Meine Klassenkameradinnen drehten sich mit lachenden Gesichtern zu mir um. Ein paar Mädchen zeigten auf, um die Frage zu beantworten. Meine beste Freundin und ich warteten mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Ja bitte, Marie.“ Die Nonne nahm eine sonst sehr ernste Schülerin dran.
Marie konnte es nicht abwarten, ihre Gedanken zu offenbaren.
„Jan macht sich ganz einfach gerne lustig“, sagte sie ernsthaft.
Die ganze Klasse lachte laut los, denn wir hatten mit einer anderen Antwort gerechnet.
Einmal wöchentlich gab es eine Versammlung, Exemptions genannt. Die Nonnen stellten sich an einem Ende des Klassenzimmers auf und die Mädchen, aufgeteilt in Reihen und Klassen, saßen vor ihnen. Jedes Mädchen wurde mit Namen aufgerufen, um gesagt zu bekommen, ob es sich sehr gut, gut, ausreichend oder unbefriedigend benommen hatte. Für vorbildliches Benehmen gab es etwas Besonderes: ein rosa Zierband für die Großen und eine rosa Schleife für die Kleinen. Anfänglich fand ich diese Zeremonie gut, aber mit der Zeit wurde mir klar, dass dieselben Mädchen immer die gleichen Bewertungen bekamen. Nicht, dass ich erwartet hätte, für mein Benehmen belohnt zu werden. Trotzdem strengte ich mich einmal für eine Woche an, „sehr gut“ zu sein, um dafür zumindest eine Gut-Bewertung zu bekommen. So sehr ich mich auch anstrengte, ich bekam nie eine rosa Schleife oder ein rosa Zierband. Es gab Mädchen, die waren immer “gut“ oder „sehr gut“, aber das hieß doch nicht, dass die anderen schlecht waren! Diejenigen, die regelmäßig mit „ausreichend“ oder „unbefriedigend“ bewertet wurden, waren vielleicht in anderen Bereichen „gut“ oder „sehr gut“! Es war klar, dass wir uns wie Heilige benehmen mussten, um mit „sehr gut“ bewertet zu werden. Von den Heiligen hörten und sahen wir massenweise. Diese Menschen mussten schrecklich depressive Leben geführt haben, denn sie starrten auf den Bildern immer nur in den Himmel. Eine Heilige, von der wir immer und immer wieder zu hören bekamen, war ein junges italienisches Mädchen namens Maria Goretti. Ich erinnere mich gut an ihren Namen, denn es reimt mit Spagetti. Sie war bekannt als ein sehr gutes Mädchen. Sie lebte mit ihren Eltern auf einem Bauernhof in Italien und musste harte Arbeiten verrichten, ohne dafür einen Dank zu erhalten. Deswegen war sie wahrscheinlich „sehr gut“. Dann war die Rede von einem Gehilfen, der ... der was? Wir hatten keinen blassen Schimmer, was der von ihr wollte, außer, dass er regelmäßig Maria um ein Glas Wasser bat. Sie, heilig wie sie war, ging jedes Mal, um ihm das Wasser zu holen und wartete, bis er seinen Durst gelöscht hatte. Aber eines Tages – wir warteten in großer Spannung – passierte etwas. Etwas, das wir nicht verstanden. Alles, was wir wussten, war, dass dieser Gehilfe etwas anderes von Maria Goretti wollte als nur ein Glas Wasser. Aber was? Ein Butterbrot vielleicht? Offensichtlich nicht, denn was immer er wollte, bekam er nicht, denn Maria Goretti, heilig wie sie war, weigerte sich, es ihm zu geben. Also stach er sie siebzehnmal mit einem Messer! Siebzehnmal! Diese grauenhafte Tat wurde uns immer wieder erzählt.
„Siebzehn Mal!“ Ich betonte es immer wieder. „Meine Güte, wenn ich Maria gewesen wäre, hätte ich ihm eine Lektion fürs Leben erteilt! Der hätte sein blaues Wunder erlebt!“ Seitdem war es klar, dass ich niemals eine Heilige werden könnte.
Es war wieder Ferienzeit. Zurück ging es nach Central Railway, dem Zugbahnhof, um bei alten Freunden oder Bekannten meine Ferien zu verbringen. Nach den Ferien freute ich mich jedes Mal wieder darauf, zurück ins Klosterinternat zu kommen. Während der langen Zugfahrt nach Bowral plapperten wir ununterbrochen. Im Klosterinternat angekommen, trafen wir die Mädchen vom Land wieder. Wir kreischten vor Aufregung und konnten es nicht abwarten, von unseren Ferienerlebnissen zu erzählen. In diesem Schuljahr wurde mir ein anderer Schlafsaal zugeordnet, den ich mit nur einem anderen Mädchen teilte – was für ein Luxus! Sie war jünger als ich, hatte ein freches Gesicht mit frechen braunen Augen - Brodie. Wir lächelten uns schüchtern zu. Mit der würde ich viel Spaß haben!
Brodie und ich wurden ein Herz und eine Seele. Sie wurde auch nie als „sehr gut“ bewertet, somit hatten wir das gemeinsam und verstanden uns deswegen sehr gut. Wir hatten es gelernt, uns so vor anderen auszuziehen, dass keine etwas sah. Ein umgehängter großer Bademantel versteckte alles, was darunter passierte. Langsam zogen wir unsere Kleidung Stück für Stück unter dem Mantel aus, bis wir nackt waren. Dann wurde vorsichtig ein Arm durch einen Ärmel gesteckt, aber aufgepasst, dass der Mantel nicht von der anderen Schulter rutschte. Danach wurde vorsichtig der zweite Arm in den anderen Ärmel gesteckt und, siehe da, wir waren nackt unter unseren Bademänteln! Normalerweise schaffte ich dieses Manöver immer ohne Schwierigkeiten, aber einmal war ich gerade dabei, meinen ersten Arm in den Ärmel zu stecken, als meine Armbanduhr drohte, von meinem Bett vor mir herunterzurutschen. Was war wichtiger? Meine Armbanduhr oder meine Bescheidenheit? Meine Armbanduhr gewann und als ich mit einer plötzlichen Bewegung nach ihr griff, fiel mein Bademantel auf den Boden. Ich war splitternackt, als ich mich zu Brodie umdrehte, die auf ihrem Bett saß und mich anguckte.
„Macht mir gar nichts, Jan. Meine Schwestern und ich ziehen uns immer voreinander aus. Bei uns zu Hause gibt es keine Bademäntel.“
„Oh, ehrlich?“, fragte ich, während ich meinen Bademantel am Zipfel hochhielt und ihn drehte und wendete, um das richtige Ende zu finden.
„Ich finde sowieso, da wir zu zweit hier sind, ist es egal. Ich meine, du bist doch auch ein Mädchen, oder?“ Wir lachten beide.
Ja, das war sie. Also hörten wir mit dem Unsinn auf und zogen uns ganz normal voreinander aus. Ich hatte noch nie ein anderes Mädchen nackt gesehen und war fasziniert.
„Wie fühlt es sich an, Schwestern zu haben?“, fragte ich eines Abends.
„Es ist ganz gut, nur streiten wir viel. Ich bin die Jüngste und meine älteren Schwestern sind sehr rechthaberisch.“
„Wie, ehrlich? An so was hätte ich nie gedacht.“
„Du hast Glück, ein Einzelkind zu sein.“
„Das kann schon sein. Aber du vermisst deine Geschwister doch sicherlich?“
„Weiß nicht Janny. Ich mag es mehr, mit dir zusammen zu sein“, antwortete sie, bevor sie einschlief. Und ich? Ich lag da und hatte etwas zum Nachdenken.
Während des Schuljahres freute ich mich immer darauf, abends mit Brodie alleine zu sein. Ich hatte noch nie eine feste Freundin gehabt, mit der ich über alles reden konnte. Am Abend kicherten und flüsterten wir bis in die Nacht hinein. Es war ein Sommerschuljahr und die Nächte waren heiß und kurz. Wir warfen unsere Bettdecken von uns, um abzukühlen. Einmal war es besonders drückend und wir lagen auf unseren Matratzen. Ich setzte mich auf und sah hinüber zu Brodie.
„Du siehst aus wie ein Patient auf dem Operationstisch – kurz vor dem Einstich mit dem Skalpell.“
„Ja, ich weiß“, sagte sie schüchtern. „Möchtest du Arzt und Krankenschwester spielen?“
„Aber ja!“, sagte ich sofort und sprang aus meinem Bett.
„Ich bin der Doktor“, proklamierte ich.
„Okay, Frau Ding, bitte zieh deine Hose aus!“, befahl ich.
Brodie gehorchte demütig und lag da. Sie beobachte mich, wie ich sie ansah. Ich hatte noch nie vorher eine Vagina gesehen. Es war das schönste Ding in der ganzen Welt. Ich war total fasziniert und konnte nicht aufhören zu starren. Mein Herz pochte wild. Sah meine auch so aus? Ich hatte meine Vagina noch nie angesehen und wenn ich es versucht hätte, dann wäre es sowieso vom falschen Winkel gewesen. Es war aufregend, ihre Scheide zu betrachten. Abend für Abend verbrachten wir damit, begeistert unsere glorreichen Schlitze anzusehen. Wir fassten uns nicht an – aber, ich war immer der Doktor! Heute bin ich dankbar, dass wir nicht von den Nonnen entdeckt wurden, die unser Spiel sicherlich anders interpretiert hätten.
Das Schuljahr endete und da wir einen anderen Schlafsaal zugeordnet bekamen, endete damit auch unser Spiel. Im nächsten Schuljahr hatte ich Glück, denn ich wurde in einem größeren Schlafsaal mit fünf anderen Mädchen untergebracht. Eine von ihnen war eine meiner besten Freundinnen, Brownie. Sie war ein entzückendes kleines Wesen, lieb und unheimlich nett. Trotzdem schaffte sie es nie zu einer rosa Schleife – genau wie ich. Ihre Eltern lebten in Papua-Neuguinea und sie fuhr nur in den Weihnachtsferien nach Hause. Insofern hatten wir viel gemeinsam, außer dass sie eine schöne braune Haut hatte, braune Augen und gelocktes braunes Haar – Brownie eben! In Mathematik waren wir beide gleich gut. Unsere Lieblingsbeschäftigung bestand darin, am Ende des Mathebuches die schwierigsten Textaufgaben zu lösen. Wir erreichten die richtigen Antworten zur gleichen Zeit, was uns große Freude bereitete und Spaß machte.
Während des Schuljahres vor Weihnachten, kurz vor dem Elternsprechtag, breitete sich eine Krankheit im ganzen Klosterinternat aus. Diesmal waren es die Windpocken, die vermutlich von einem der Kinder noch aus den vorherigen Ferien mitgebracht worden waren.
Als die meisten Kinder schon auf der Krankenstation waren, waren Brownie und ich immer noch gesund. An diesem Abend fühlte Brownie sich allerdings ein bisschen krank.
„Janny“, flüsterte sie von ihrem Bett.
„Ja Brownie?“
„Mir geht’s nicht gut.“
„Oh, ehrlich?“, sagte ich und ging zu ihr.
Ich fühlte ihre Stirn.
„Meine Güte, Brownie, du bist glühend heiß. Zieh dieses blöde Ding aus!“
Ich zog ihre Daunendecke herunter.
„Wo ist dein Waschlappen?“
„Der hängt doch über dem −−“, versuchte sie zu erklären, während sich ihre Augen in Richtung ihres Schrankes drehten.
Ich fand ihn.
„Ich bin sofort wieder da“, rief ich ihr zu während ich ins Badezimmer eilte und den Waschlappen unter kaltes Wasser hielt, um ihn dann auf ihre Stirn zu legen.
„Fühlt sich das gut an, Brownie?“
Sie nickte.
„Mein Gott, Brownie, man könnte ein Spiegelei auf deinem Kopf braten.“
Ich ging wieder ins Badezimmer, um den Lappen erneut unter kaltem Wasser abzukühlen. Nachdem ich das ein paar Mal gemacht hatte, kühlte Brownie etwas ab. Ich saß auf ihrer Bettkante und wehte ihr Wind mit einer Feder zu, die ich aus der Daunendecke herausgezogen hatte. Es war zwar keine Straußenfeder, aber immerhin besser als gar keine.
„Ist das gut so, Brownie?“, fragte ich besorgt.
„Sehr schön, Janny.“
„Wenn du durstig bist, kannst du an dem Waschlappen saugen, oder soll ich dir lieber ein Glas Wasser bringen?“
„Der Lappen“, antwortete sie schwächlich und schlief kurz darauf ein.
Am nächsten Morgen waren die Pocken sichtbar und Brownie musste auf die Krankenstation. Vorher wollte ich aber unbedingt noch, dass sie mich von oben bis unten anhauchte, damit ich ihr so bald wie möglich im Krankensaal Gesellschaft leisten konnte. Die Tage vergingen, aber ich bekam keine Windpocken. Sicherlich hatte ich Fieber. Ich fühlte meine Stirn, aber sie war kalt wie eine Gurke aus dem Kühlschrank. Weitere Tage vergingen – immer noch nichts. Es passierte nicht, wie ich es geplant hatte. Während der Mittagsruhe lag ich auf meinem Bett und untersuchte mich. Aha, da war doch ein roter Fleck auf meinem Bauch! Ich konnte es kaum abwarten, den Fleck Mutter Scott zu zeigen und zu proklamieren, dass ich die Windpocken hatte. Es war nicht das erste Mal, dass ich zu ihr aus diesem Grund kam. Sie lächelte, als sie ihre Hand an meine Stirn hielt.
„Innen im Kopf ist es so komisch heiß“, sagte ich hoffnungsvoll.
„Und hier ist der erste Pocken!“, fügte ich aufgeregt hinzu.
„Wo?“, fragte Mutter Scott.
„Auf meinem Bauch“, antwortete ich, während ich auf den Punkt zeigte.
„Ich glaube nicht, dass du die Windpocken hast“, sagte sie ruhig zu mir.
Mein Gesicht fiel zusammen.
„Aber wir sollten trotzdem mal gucken.“
Bevor sie ihre Meinung ändern konnte, war mein Rock hochgezogen und mein nackter Bauch kam zum Vorschein. Wir suchten. Verflixt noch mal, wo war denn noch mal der Fleck?
„Hier ist er!“, rief ich triumphierend und zeigte auf den Fleck, der eigentlich ein Schönheitsfleck auf meiner Hüfte war, den ich gerade das erste Mal sah.
„Hmmm“, sagte Scotty und schaute etwas genauer hin. Dann sah sie in mein erwartungsvolles Gesicht.
„Ja, das reicht für einen Besuch auf der Krankenstation“, stellte sie bemitleidenswert fest.
Als ich in den Krankensaal kam, jubelten meine Schulkameraden mir zu. Ich war begeistert, dass mir das Bett direkt neben Brownie zugeordnet wurde.
Brownie sah wirklich ekelhaft aus. Ihre Pocken hatten sich über ihren ganzen Körper ausgebreitet und der Schorf war sogar in ihren Haaren.
„Oh Gott, Brownie, wie ekelerregend!“
„Ja“, sagte sie heiter. „Wo sind denn deine Pocken?“
„Hm, die sind noch nicht voll herausgekommen, aber hier ist die Erste, siehst du?“ Ich hob meinen Rock hoch.
Alle lachten laut los, als ich auf meinen Schönheitsfleck zeigte. Die diensthabende Nonne kam sofort herein.
„Bitte Kinder, Ruhe im Krankensaal!“
Sie entdeckte mich.
„Oh Jan, du bist es.“
Sie sah hoch zum Himmel. Offensichtlich war sie eine von den Heiligen, deren Heiligtum in diesem Moment auf die Probe gestellt wurde.
„Alle bitte zurück in die Betten. In einer Minute werde ich Fieber messen.“
Das war okay, denn sie konnte mich jetzt nicht mehr herauswerfen, auch wenn ich kein Fieber hatte. Sie schaute lange auf das Thermometer, nachdem sie es aus meinem Mund herausgezogen hatte, sah mich an und schüttelte es stark. Ich sah sie mit den liebsten Augen an, die sehr überzeugend auf sie gewirkt haben mussten. Sie schrieb etwas in ihr Buch und ging dann zur nächsten Patientin. Ich lächelte hinüber zu Brownie. Ich hatte es geschafft.
Somit verging der nächste Tag und der Folgende, während wir auf meine Windpocken warteten... aber nichts – nicht eine Einzige kam zum Vorschein. Am dritten Tag war klar, dass ich keine Windpocken hatte und auch keine bekommen würde. Ich wurde aus der Krankenstation entlassen, aber gottseidank wurden zwei meiner besten Freundinnen auch entlassen, denen es jetzt besser ging. Allerdings ging ich vorher noch mal zu Brownie und berührte jede ihrer Pocken und strich durch ihr Haar, fasste mich dann selbst überall an. Ich forderte sie auf, noch einmal stark in meinen Mund zu pusten. Sie hatte sogar auf ihrer Zunge Windpocken! Auch das war umsonst. Ich bekam die Windpocken nicht.
Obwohl ich später in meinem Leben oft der Krankheit ausgesetzt war, wurde ich nie angesteckt. Im nächsten Jahr war fast die ganze Schule an Mumps erkrankt. Wir hatten gelernt, wie wir akute Krankheiten unter uns ausbreiten konnten. Dazu benutzen wir unsere Tücher, die wir in der Kunstklasse benutzten. Erst wuschen wir sie aus und als sie getrocknet waren, wurden sie auf die Brust eines erkrankten Mädchens gelegt, die es wiederholt anhauchte und es dann an die Besitzerin zurückgab, die es sich ebenfalls auf die Brust legte und fieberhaft betete. Natürlich versuchte auch ich diese Methode, Mumps zu bekommen und stellte mich anschließend in die Reihe der kranken Mädchen, um wie alle anderen meine Medizin nach dem Abendessen entgegenzunehmen. Als ich näher an Mutter Scott kam, versuchte ich, meinen Hals dick aussehen zu lassen. Ich drückte meinen Kopf in meinen Nacken hinein und setzte einen ernsthaft kranken Blick auf. Als ich endlich vor ihr stand, schaute sie mich nicht länger als drei Sekunden an und schüttelte mit dem Kopf. Das gleiche Theater machte ich unbeirrt drei Abende hintereinander. Aber so stark ich mich auch anstrengte, mein Hals wurde nicht dicker und ich schaffte es nicht noch mal, auf die Krankenstation zu kommen. In meinem ganzen Leben habe ich keinen Mumps bekommen. Forschungsbedürftig!
Es geschah während eines Schuljahres, als meine Mutter wieder weg war – ich hatte keine Ahnung, wo sie war. Die ruhige Unterrichtsstunde wurde von Mutter McGee unterbrochen. Sie verkündete, dass ein großes Paket aus Amerika angekommen sei – ohhh aus Amerika! Und dass das Paket für Jan Carroll sei. Alle drehten sich zu mir um und starrten mich an, was mir sehr peinlich war. Meine Mutter war also in Amerika! Warum musste sie mich von so weit her vor meinen Klassenkameradinnen in Verlegenheit bringen? Ich erinnerte mich, dass sie ein paar professionelle Fotos von mir mit nach Hollywood nehmen wollte. Ich verstand nicht, warum sie das tun wollte, aber Jahre später fand ich heraus, dass sie die Fotos sowieso vergessen hatte.
„Möchtest du das Paket aufmachen, Jan?“
Ich war total verlegen, als ich anfing, das Paket aufzumachen, das fast so groß war wie ich. Was immer da drin war, es war extrem gut verpackt. Meine Freundinnen mussten mir helfen, das Papier wegzuschneiden, das fest um die Überraschung gewickelt war. Endlich kamen blonde Locken zum Vorschein - blonde Locken um ein cherubinisches Babygesicht – eine Puppe! Danach wurden Arme und Beine sichtbar, der Bauch ... und endlich die ganze Puppe. Es war keine einfache Puppe, denn sie sah fast lebendig aus. Es war eine Puppe, die noch keine von uns vorher gesehen hatte. Arme und Beine bestanden aus einer biegsamen, gummiartigen Substanz, nicht aus hartem Plastik wie die gewöhnlichen Puppen. Eigentlich hatte ich noch nie mit Puppen gespielt, aber diese Puppe wurde mein Baby.
Während der nächsten Schulferien war mein Baby immer bei mir. Tatsächlich wurde meine Mutter einmal von einer Frau getadelt, dass sie es mir erlaubte, in so jungem Alter ein Baby herumzutragen. Wir starrten die Frau nur an. Sah sie denn nicht, dass es eine Puppe war und kein echtes Baby? So offensichtlich war es anscheinend wirklich nicht, denn wenn ich die Arme meiner Puppe um meinen Hals, ihren Kopf in meinen Nacken und ihre Beine um meine Hüften legte, könnte man sie tatsächlich mit einem echten Baby verwechseln. Wenn meine Mutter zum Friseur in Mark Foy’s ging, saß ich auf dem Stuhl und wartete, bis mein Baby auch ihr Haar gemacht bekam. Was hatte ich Glück, so eine schöne Puppe zu besitzen!
Zum Ende der Schuljahre überkam mich regelmäßig die Unruhe, weil ich nie wusste, wo ich die Ferien verbringen würde. Immer öfters wurde ich während der Ferienzeit bei Tante Dorothy und Onkel Arthur in Melbourne untergebracht. Im Sommer bespritzten wir uns auf dem Rasen mit Wasser oder wir gingen zum Brighton Beach, um uns etwas abzukühlen. Sie nahmen mich auch mit nach Sorrento, einem Vorort von Melbourne, wo sie regelmäßig ein Ferienhaus mieteten. Im Winter stellte ich fest, dass es dort genauso kalt war wie in Burradoo. Zum Glück kleidete Tante Dorothy mich immer in warme Sachen.
Tante Dorothy war eine leidenschaftliche Gärtnerin. Neben einer Vielfalt von Blumen hatte sie auch einen Gemüsegarten, in den sich keine einzige Motte traute. Alles war da. Weißkohl und Blumenkohl – eine Selbstverständlichkeit.
Sellerie, Möhren, Rote Beete – was hättest du gerne? Rhabarber – hier hinten! An den Wochenenden fuhren Onkel Arthur und ich aufs Land – oder dahin, was wir damals das Land nannten – und kauften Brombeeren, die es abends zum Nachtisch als Brombeerpastete gab, serviert mit reiner Sahne. Köstlich!
Manchmal gingen wir Samstagabends ins Kino. Nachher gab es Tee und Toastbrot. Die Butter und selbstgemachte Brombeermarmelade tropfte von meiner Scheibe Brot hinunter, das morgens von dem Bäcker geliefert wurde. Der kam regelmäßig mit seiner alten Kutsche, gezogen von einem treuen alten Pferd, das seinen Weg besser kannte als der Bäcker selbst. Das Pferd wusste, dass es bei Nummer 316 einen Apfel gab, der von einem kleinen Mädchen gebracht wurde, das es jedes Mal liebevoll streichelte. Dann ging das Pferd mit zuckenden Ohren langsam, zufrieden und kauend weiter, um beim nächsten Kunden zu liefern – mit dem Bäcker im Schlepptau.
Nach dem Brombeerbrot ging ich glücklich und zufrieden ins Bett. Es war eine Zeit in meiner Kindheit, an die ich mich gerne erinnere.
Wenn ich ab und zu die Ferien bei meiner Mutter in Sydney verbrachte und sie sich betrank, flüchtete ich mit der Straßenbahn ins Prince Edward Kino. Das Theater war das Goldstück meines Opas. Zumindest sah ich dort freundliche Gesichter und konnte im Büro bei Fräulein Salter, Onkel Danny oder Mel Lawton meine Zeit vertreiben. Oder ich rannte die lange Schlange der wartenden Kinobesucher entlang, während ich eine Schachtel mit in Goldpapier eingepackten Schokoladenstückchen verspeiste. Die Platzanweiserinnen kannten mich gut und grüßten mich freundlich. Sie brachten mich zu meinem Lieblingsplatz in der ersten Reihe eines hinteren Standes. Und dann, wenn endlich die Lichter ausgingen, wurde ich in eine andere Welt verzaubert. Damals gab es viele Cowboy- und Indianerfilme, die ich besonders gerne sah. Nicht nur der Pferde wegen, sondern auch wegen der hinreißenden Indianer, die mir leid taten. Ich war immer auf ihrer Seite und wünschte, dass sie in den Kämpfen gewinnen würden. Während der Intervalle gab es kurze Bühnenauftritte, oder Noreen Hennessey spielte die Orgel und sang dazu. Noreen sah immer wunderschön aus und wenn sie sich zu mir hin drehte, lächelte sie mir zu. Dann gingen die Lichter wieder aus und der Hauptfilm ging weiter. Manchmal sah ich den gleichen Film zweimal am Tag und dann noch ein paar Mal in derselben Woche. Auf dem Nachhauseweg tanzte ich und sang die Filmmusik nach.
Ja, in meiner Kindheit wurde ich von den Nonnen der Gesellschaft vom Heiligen Herzen Jesu (Sacré Cœur), von Metro-Goldwyn-Mayer und Paramount Pictures stark geprägt. So weit weg von der Realität des Lebens wie möglich.
In den nächsten Ferien nahm mich meine Mutter mit ins Theater. Das Musical hieß South Pacific. Wie in einen warmen See tauchte ich in die wunderschöne Musik ein. Bali Ha’i, Some Enchanted Evening.
Dann sprachen die Schauspieler über etwas, das ich nicht verstand.
„Mummy“, flüsterte ich in die Dunkelheit neben mir.
„Ja?“, flüsterte sie zurück
„Was heißt saxy?“
„Sexy”, verbesserte sie mich.
„Also, was heißt sexy?“
Sie schaute mich von der Seite an.
„Das weißt du doch!“
Hm, wenn sie das sagte, dann musste das wohl so sein.