Читать книгу Verhängnis in der Dorotheenstadt - Jan Eik - Страница 7
Drei
ОглавлениеAn jenem Abend war Heidenreich seinem Freund Gontard munterer und besser aufgelegt erschienen als in den Monaten zuvor. Die lärmende Meute, dicht um den Doktor gedrängt, musste selbst einem Tauben auffallen, betrat er den verräucherten Keller in der mittleren Friedrichstraße nahe Unter den Linden, der sich prahlerisch als Kasperskis Weinstube ausgab und dabei eher einer billigen Tabagie glich.
Gontard, mit dreißig Jahren im besten Mannesalter, war weder hörgeschädigt, wie es bei Artilleristen nicht eben selten vorkam, noch ein Kostverächter. Manchen Abend hatte er hier in Heidenreichs Gesellschaft gezecht. Im Augenblick allerdings verspürte er keine Neigung, sich dem ausgelassenen Kreis um den Kollegen anzuschließen. Er war müde. Lärm und überflüssige Reden hatte er tagsüber wahrhaftig genügend ertragen müssen. Er war nur durstig und nicht bereit, an diesem besonderen Tag auf den gewohnten Schlummertrunk zu verzichten.
Gab es nicht allen Grund zum Feiern? Der König ist tot, es lebe der König - das galt für den inzwischen 45-jährigen ewigen Kronprinzen allemal, der lange auf diesen Tag hatte warten müssen. Seine Untertanen fühlten mit ihm und hofften auf ihn. Es konnte ja nur besser werden. Zumindest anders. In den vergangenen zehn Jahren hatte sich in Preußen nicht viel bewegt, sah man von den ausufernden Aktivitäten der Polizei und ihrer ungezählten Zuträger einmal ab und davon, dass seit zwei Jahren eine Eisenbahn zwischen Berlin und Potsdam verkehrte. Auf dem Gelände der alten Scharfrichterei entstand gerade der Stettiner Bahnhof.
»Bleierne Jahre« nannte Heidenreich das Jahrzehnt stets, um im nächsten Atemzug einen Vortrag über die vorzüglichen elektrischen Eigenschaften ebendieses unedlen Metalls anzustimmen. Hingewiesen auf den in seinen Worten schlummernden Widerspruch bei der Bewertung des grauen Elements, wusste Heidenreich seinen Exkurs sogleich auf die positive wie negative Wirkungsweise und Richtung des elektrischen Stroms auszudehnen, was endlich auch den letzten Zuhörer die Ohren verschließen ließ. Es sei denn, es handelte sich um einen jener übereifrigen Schüler, die jede Äußerung aus Heidenreichs Mund für Manna nahmen, während andere sie heimlich mitschrieben, um sie höheren Ortes anzubringen, wo man sie ebenfalls nicht recht zu deuten wusste. Heidenreichs ergänzende Behauptung zur bleiernen Zeit, es könne bekanntlich noch so dumm kommen, man lerne immer etwas dazu, forderte einen Vorwitzigen immerhin zu der Frage heraus, wie er das wohl meine. Worauf Heidenreich empört seine wilde Mähne schüttelte und den Fragenden durch seinen Kneifer fixierte. »Doch wohl so, wie Sie es verstehen, werter Herr!«
Das war Gebhardt Heidenreich, wie er leibte und lebte, und an diesem Abend schien er ganz in seinem Element, bemerkte jedoch in einem wachen Moment den eben eingetretenen Freund und erhob sich zu dessen übertrieben unterwürfiger Begrüßung. Dass er damit nur die vormitägliche Huldigung von Friedrich Wilhelm IV. durch die untertänigen Berliner Bürger karikierte, fiel vermutlich nicht alleine von Gontard auf. Auch ihn hatte das Stunde um Stunde währende Zeremoniell zunehmend angewidert, all diese Lobhudeleien und Ergebenheitsadressen an einen Monarchen, der sich im Gegensatz zu seinem einsilbigen Vater und Vorgänger, auf den er sich ausdrücklich berief, als erstaunlich redselig erwies und im Laufe der Feierlichkeiten mehrfach das Wort ergriff, ohne dabei allerdings Wesentliches verlautbaren zu lassen. Verstanden hatten ihn ohnehin nur diejenigen, die der eigens errichteten hölzernen Empore nahe genug standen, einem mit einer geschmückten Balustrade und weiten Treppenaufgängen versehenen Vorbau vor der Lustgartenfassade des Schlosses, unter deren höchster Überdachung Friedrich Wilhelm in seinem Thronsessel die Zeremonie genoss.
Gontards Geschmack traf derlei Pomp und Aufwand nicht, doch hatte er als Militär gelernt, seine persönlichen Anschauungen für sich zu behalten. Eigene Meinungen waren in Preußen nicht gefragt. Das würde sich kaum ändern. Anscheinend fiel es den wenigsten Staatsbürgern auf, dass vom neuen König öffentlich nicht nur vom Herrscher, sondern auch vom »Beherrscher« die Rede war.
Dabei hatte dessen Herrschaft im Sommer durchaus hoffnungsvoll begonnen. Der huldvolle Monarch hatte die vor Jahren zum Tode verurteilten Burschenschafter endgültig freigegeben und im Laufe seiner ersten Regierungsmonate noch mancherlei getan, was die Erwartungsvollen wie die Unzufriedenen beruhigte. In fröhlicher Runde konnten Heidenreich und Gontard die Gläser auf die neuernannten Leuchten der Wissenschaft an der Universität erheben, die wegen ihrer Unbotmäßigkeit in Göttingen abberufenen Gebrüder Grimm, die nunmehr das Berliner Geistesleben beflügeln würden. Was von dem erzkonservativen Stahl kaum zu erwarten war, wie Heidenreich sofort eingewandt hatte. Dass man zahnlose Greise wie den alten Turnvater Jahn nicht länger unter Polizeiaufsicht zu halten gedachte und betagte Alt-Politiker wie Herrn von Boyen wieder zu Generälen berief, hielt er kaum für ein Anzeichen künftiger Liberalität. Die Verfassungsfrage, so dozierte er, sei der entscheidende Faktor, an dem sich jede Progression der Monarchie messen lasse.
Die im Mai 1815 im Überschwang des Sieges über die Franzosen von Friedrich Wilhelm III. versprochene Verfassung war im Laufe der Jahre zumindest beim König selbst gänzlich in Vergessenheit geraten - nicht jedoch bei seinen Landeskindern. Bald hatten die drakonischen Demagogenverfolgungen das ihre dazu beigetragen, die Erfüllung jenes Versprechens besser nicht anzumahnen. So blieb es 25 Jahre lang.
Im September 1840 hatte der neue Monarch die Erbhuldigung der Stände des Königreichs Preußen und des Großherzogtums Posen hinter sich gebracht und bei dieser Gelegenheit sechs neue Grafen und einen Freiherrn ernannt, zehn Rittergutsbesitzer in den Adelsstand erhoben und 53 Orden verliehen. In Berlin hatte Ähnliches in weitaus größerem Maße stattgefunden. Alles nur billiger Protz, wie Heidenreich schon vorher gegenüber von Gontard anzumerken wusste, der ihm nicht widersprach.
Immerhin hatte sich bereits in Königsberg erwiesen, wie der neue Friedrich Wilhelm auf das eigentliche Problem Brandenburg-Preußens reagierte. Dort hatte sich der Landtag des alten Rechts besonnen, anlässlich der Huldigung Bitten und Beschwerden vorzubringen. Mit großer Mehrheit wurde der Antrag auf reichsständische Verfassung gemäß dem königlichen Versprechen vom 22. Mai 1815 vorgetragen, was der König höchst ungnädig aufgenommen und im Landtagsabschied glatt abgelehnt hatte. Der vorige König, so ließ Friedrich Wilhelm IV. den in allen Landen ernüchtert aufhorchenden Untertanen verkünden, sei nach reiflicher Überlegung von der allgemeinen Volksvertretung zurückgekommen und habe sich zu der provinzial- und kreisstädtischen Verfassung als dem der deutschen Volkstümlichkeit entsprechenden Weg entschlossen. Diesen Weg werde auch er selbst unabänderlich verfolgen.
Damit war alles gesagt. Von Gontard, seitens der Familie von durchaus königstreuer Herkunft und an Unabänderliches gewöhnt, missbilligte Heidenreichs Erregung dennoch nicht, fürchtete jedoch, dass den Freund noch mancherlei Schwierigkeiten erwarteten.
Zum Ritterstande gehörig, durfte von Gontard zusammen mit den Standesherren und dem hohen Klerus an der Huldigung im Weißen Saal des Schlosses teilnehmen, während sich bürgerliche Naturen wie Heidenreich nach dem Défilé im verregneten Lustgarten eilig in die trügerische Geborgenheit des Kasperski’schen Weinkellers zurückzogen. Wie lange sie hier schon beieinanderhockten, war der Lebhaftigkeit und Lautstärke ihrer Gespräche anzumerken, wobei sie sich bezüglich der Themen keineswegs die übliche Zurückhaltung auferlegten. Es schien, als fürchte an diesem Abend niemand die tausend Ohren der Geheimen Polizei, die in Kasperskis Etablissement so sicher lauschten wie an jedem öffentlichen Ort. Unweit der dichtgedrängten Heidenreich’schen Schar, die Kasperski persönlich bediente, hockte auch hier einer ganz allein an einem Tischchen, schlecht getarnt durch ein Journal, in dem er vorgab zu lesen, und ließ die Kugelaugen hin und her blitzen.
Auch dieses Spähers wegen hielt es von Gontard für geraten, sich mit einer abwehrenden Handbewegung bei Heidenreich zu entschuldigen und ihn mit einer weiteren Geste vor allzu großer Kühnheit zu warnen, bevor er sich einen ruhigeren Platz suchte. Zu seiner Überraschung fand er den im Nebenraum, wo eine weitere muntere Runde bei einem guten Schoppen am Tisch saß, darunter der Schriftsteller Julius Eduard Hitzig. Was mochte den an einem solchen Abend ausgerechnet in Kasperskis schlecht beleumdetes Etablissement getrieben haben?
»Nun? Wie sieht es mit unserem Freund Bathurst aus?«, rief der lebhafte kleine Mann von Gontard fröhlich entgegen. »Dürfen wir die Reste seines Leichnams demnächst in Augenschein nehmen, oder haben Sie ihn lebend in Frankreich aufgespürt?«
Hitzigs gealtertem Kindergesicht hinter der Brille sah man den ehemaligen Criminalrath und Kammergerichtsdirector nicht ohne weiteres an. In Preußens Leidensjahren aus dem Staatsdienst entlassen, hatte der Jurist sich erfolgreich als Übersetzer, Verleger und Buchhändler versucht und erste eigene Werke veröffentlicht. In jenen Jahren genoss sein Lesezimmer nicht nur unter den Studenten anhaltenden Ruhm. Er war ein vielseitiger Mann, wie er acht Jahre lang als Herausgeber der Zeitschrift für die Criminal-Rechts-Pflege in den Preußischen Staaten oder als Begründer und Mitglied der literarischen Mittwochsgesellschaft bewiesen hatte.
Seine engsten Freunde, die Dichter E. T. A. Hoffmann und der mit Hitzigs Pflegetochter Antonie verheiratete Adelbert von Chamisso, waren inzwischen dahingegangen. Hitzig, seit einigen Jahren nur noch schriftstellernd, dachte daran, deren Lebensbeschreibungen zu verfassen. Das Haus in der südlichen Friedrichstraße teilte Hitzig mit der Tochter Clara, ihren Kindern und ihrem Mann, dem angesehenen Kunsthistoriker und Professor Franz Kugler. Eine zweite Tochter war die Frau des berühmten Geodäten Baeyerlein.
Der Familie gehörte auch das prächtige Palais Itzig in der Burgstraße, denn Hitzig war der Enkel des Oberhofbanquiers Friedrichs des Großen, Daniel Itzig. Seine Schwester Lea war mit einem Sohn des großen Moses Mendelssohn verheiratet, und sein Sohn Georg galt als hoffnungsvoller und vielversprechender Architekt.
Gontard schätzte Hitzig als einen amüsanten und sachkundigen Gesprächspartner, der gerne mit interessanten Fällen aus seiner reichen Berufserfahrung aufwartete. Umso weniger schätzte er es allerdings, gänzlich unerwartet in den Mittelpunkt allgemeiner Aufmerksamkeit zu geraten. Also versuchte er, die angesprochene Suche nach dem verschwundenen Bathurst herunterzuspielen, indem er die Rolle des beschämten Verlierers übernahm. »Sie haben leider recht behalten, lieber Herr Criminalrath. Ich habe nicht das Geringste herausgefunden.«
Voller Enttäuschung war er erst wenige Tage zuvor in die preußische Residenz zurückgekehrt. Trotz aller Mühe war es ihm nicht gelungen, das mysteriöse Verschwinden des Lord Bathurst aufzuklären. Glücklicherweise hatte er sich diesbezüglich auf keine Wette mit den beiden Schriftstellern und Rechtsgelehrten Hitzig und Alexis eingelassen, die seit längerer Zeit ein Buch in der Art des Franzosen Pitaval über bemerkenswerte Criminalfälle planten. Seit sie in seiner Anwesenheit im Café Stehely das geheimnisvolle Verbrechen an dem jungen englischen Diplomaten in all seinen Facetten erörtert hatten, war ihm der Fall nicht aus dem Sinn gegangen. Da er nun einmal die trübe Oktoberwoche nach Michaelis auf seinem Gut in der wenig aufregenden Prignitz zu verbringen gedachte, ließ sich diese Gelegenheit günstig nutzen, nicht nur den eigenen Pferdebestand gründlich zu prüfen, sondern auch seinem heimlichen Steckenpferd einmal richtig die Sporen zu geben. Insgeheim hoffte er, dass ihm seine vorzüglichen englischen Sprachkenntnisse dabei von Nutzen sein würden. Christian Philipp von Gontard lechzte nämlich geradezu danach, grausame Mordtaten oder andere Verbrechen aufzuklären und den oder die Täter der irdischen Gerechtigkeit zuzuführen.
Statt sich also um sein Gut, seine Frau Henriette und seine beiden Kinder zu kümmern, hatte er beinahe eine ganze Woche damit verbracht, in Perleberg und Umgebung auf den Spuren des vermutlich ermordeten oder zumindest entführten englischen Gesandten zu wandeln und nach dessen Verbleib zu forschen. Ohne nennenswertes Ergebnis, wie er sich eingestehen musste.
Immerhin hatte er eine gewichtige Zeugin der rätselhaften Geschehnisse ausfindig gemacht und befragt. Die Widersprüche zwischen ihren Erinnerungen und den in den Amtsstuben der Stadt vorhandenen spärlichen Protokollen und Papieren lagen auf der Hand und waren mit seinem begrenzten Wissen nicht zu klären.
Musste er sich wirklich mit der Erkenntnis zufriedengeben, dass hier entweder ein kaltblütiger Raubmord fahrlässig oder vorsätzlich auf völlig unzureichende Weise untersucht worden war? Oder steckte doch ein verborgenes Spiel weit höherer Mächte hinter alldem, das aufzuklären er nicht imstande war? Jedenfalls nicht mehr nach gut dreißig Jahren, denn der junge Lord - oder wer auch immer der fremde Reisende wirklich gewesen sein mochte - war am Abend des 25. November 1809 letztmalig lebendig gesehen worden, vor fast 31 Jahren also.
Im Nachhinein belächelte von Gontard sein Vorhaben, das historische Rätsel lösen zu wollen. Es um ein Weniges aufzuhellen, bedurfte es mindestens einiger Auskünfte aus England und eines tiefen Blicks in die Archive der napoleonischen Geheimpolizei. Er kannte ja nicht einmal alle preußischen Unterlagen, und Zugang zum Geheimen Staatsarchiv würde man ihm kaum gewähren. Vielleicht konnte ja Hitzig behilflich sein.
Das Schankmädchen hatte indes auf dessen fordernde Geste hin einen weiteren Stuhl herbeigeschleppt, und Gontard blieb nichts anderes übrig, als sich niederzulassen. »Was ich tatsächlich herausgefunden habe, schildere ich Ihnen besser ein andermal«, raunte er seinem Nachbarn zu. Der nickte beifällig, und nur einer der Herren fragte mit schwerer Zunge nach, um was für einen Leichnam es sich denn handle.
Hitzig winkte ab. »Ein alter und beinahe vergessener Criminalfall«, sagte er. »Der Herr Major betreibt gelegentlich das Gewerbe eines detective, wie man derlei Leute in England tituliert.«
»Und Sie und Ihr Freund Häring bringen seine Abenteuer zu Papier!«, vermutete der Fragende und sah sich um Zustimmung heischend im Kreise um. Die anderen am Tisch waren an ihrem vorherigen Gesprächsgegenstand hängengeblieben und stritten weiter über Wert oder Unwert der zahlreichen vom König ausgesprochenen Standeserhöhungen und Gnadenbeweise.
»An altem Adel mangelt es uns wahrhaftig nicht«, meinte Hitzigs linker Nachbar und blickte von Gontard entschuldigend an, bevor er fortfuhr. »Und an verarmtem wohl ebenso wenig. Wozu benötigen wir da einen neuen Verdienstadel, der nicht einmal mehr an den rittermäßigen Grundbesitz gebunden sein soll? Das schafft nur einen neuen armen Adel, der sich verstärkt in die Staatsämter drängen wird!«
Ein glattrasiertes Habichtgesicht widersprach lebhaft:
»Meinicke, in Ihnen steckt immer noch der verkappte Demagoge! Kaum hat der König die ersten wohlbedachten Maßnahmen ergriffen, streuen Sie Ihre unbedarfte Kritik darüber aus! Der neue Adel ist in zweiter und dritter Deszendenz, will sagen, in absteigender Erblinie, sehr wohl an den Landbesitz gebunden.«
»Immer mehr große Güter befinden sich in bürgerlicher Hand«, entgegnete ein Kahlkopf undeutlich und ohne dabei das Mundstück seiner überlangen Pfeife zwischen den gelben Zähnen loszulassen, indessen ein anderer gehässig ergänzte: »Wenn nicht gar in jüdischer!«
Worauf sich für einen Augenblick verlegenes Schweigen ausbreitete, wusste doch jeder hier am Tisch, dass Julius Eduard Hitzig vor seiner Taufe Isaak Ephraim Itzig geheißen hatte. Seine jüdische Familie war die erste in Preußen gewesen, der ein königliches Dekret die vollen Bürgerrechte gewährt hatte.
Hitzig, in sechzig Lebensjahren an stärkere Attacken gewöhnt, lachte nur gutmütig und sagte: »Das ist allemal der wirkliche Kummer, dass nun sogar reiche Juden geadelt werden könnten! Nur bei den Staatsämtern sieht es bisher weniger günstig aus.«
»Eben!«, meldete sich wieder der Adelskritiker. »Sagt doch der Paragraph 35 des Allgemeinen Preußischen Landrechts eindeutig: Der Adel ist zu den Ehrenstellen im Staate vorzüglich berechtigt!«
Von Gontard war dieser Art von Debatten überdrüssig, vermochten sie doch nicht das Geringste an den Entscheidungen des Monarchen und seiner Ratgeber zu ändern. Preußen war nicht England oder Frankreich.
Wie um ihn zu erlösen, vernahm er plötzlich eine vertraute Stimme an seinem Ohr: »Du wirst begeistert sein von dieser Aufgabe!«
Mit triumphierender Miene stand Heidenreich hinter ihm, den Zeigefinger erhoben und ein wenig schwankend, als wehe ein kräftiger Wind durch das Kellergewölbe und zause seine wirre Haarpracht.
Gontard, einerseits zufrieden über die Ablenkung, von der niemand außer ihm am Tisch Notiz nahm, andererseits in Erwartung eines der üblichen Heidenreich’schen Geistesblitze, sagte: »Dein Telegraph funktioniert endlich!«
Heidenreich schüttelte seine Löwenmähne. »Leider nicht. Sonst wäre ich schon klüger.«
Er rückte mit seinem Mund so nahe, dass Gontard den heißen Atem, ja ein feines Sprühen an seinem Ohr spürte. »Es ist eine exorbitante Entdeckung«, flüsterte er mit trunkener Zunge, »die ich da mit hochgradiger Wahrscheinlichkeit gemacht habe!«
Gontard war nicht erpicht darauf, zu dieser Zeit und in dieser Umgebung Teilhaber eines Geheimnisses zu werden, das sich im Licht des Tages unter Umständen als eine der voreiligen Schwärmereien des Freundes entpuppen mochte. »Du wirst es mir morgen gewiss genau erklären«, äußerte er in normaler Lautstärke, worauf Heidenreich erschrocken den Finger über die Lippen legte und sich scheu im Kreis umblickte, als fürchte er einen heimlichen Lauscher. In der Tischrunde war der kaum zu befürchten, doch als von Gontard sich umwandte, nahm er den falschen Zeitungsleser aus dem anderen Raum wahr, der sich wie suchend nach einem Platz umsah und dabei dicht an Heidenreich vorbeistrich.
»Die Angelegenheit ist nicht ohne Gefahr!«, zischelte der in Gontards Ohr. »Ich verspreche dir, sie wird dein höchstes Interesse wecken und erfordern!«
»Das hoffe ich sehr, mein Lieber«, sagte Gontard. »Du weißt, wie schwer Langeweile für mich zu ertragen ist.«