Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 685 - Jan J. Moreno - Страница 8

2.

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Auf den Decks der Schebecke herrschte Wuhling. Obwohl die Riesenwelle das Schiff nur gestreift hatte, stand das Wasser knapp zwei Fuß hoch. Es floß denkbar schlecht ab, da die Speigatten mit weggeschwemmten Tauen, zerfetzten Persennings und Unmengen von Seegras verstopft wurden.

Gefährlich weit hatte sich der Dreimaster vor der tobenden See übergelegt, und es grenzte an ein Wunder, daß sich die Ladung nicht verschoben hatte. Eine schwere Schlagseite oder gar ein Kentern wäre die Folge gewesen.

Die über das Schiff hinwegflutende Woge hatte sogar den Seewolf von den Beinen gerissen und bis an die Backbordverschanzung gespült. Vor Nässe triefend, hastete er nach vorn zur Querbalustrade.

„Schadensmeldung! Sorgt dafür, daß das Wasser schneller abläuft!“

Er mußte brüllen, um das Knattern der Segel zu übertönen. Die Schebecke drohte querzuschlagen, weil der Wind weiter aufbriste und ein landwärts gerichteter Wellengang das Schiff von der Seite traf.

Die Arwenacks hatten alle Hände voll zu tun. Sie mußten Fock und Großsegel herumholen und neu trimmen, das Besansegel ins Gei hängen sowie die Speigatten säubern.

Über die Niedergänge und die ungeschützte Kuhlgräting war viel Wasser in die unteren Räume gedrungen. Es galt, kräftig zu lenzen.

„Ausfälle?“

„Nicht der Rede wert, Sir!“ meldete Ben Brighton, der Erste Offizier. „Einige Männer haben Prellungen und Abschürfungen erlitten, aber keine ernsthaften Verletzungen.“

„Wir hatten unverschämtes Glück“, sagte der Profos. „Wenn uns das Seebeben voll erwischt hätte …“

Hasard blickte sich um. Bis zur Kimm lag das Meer fast wieder so ruhig wie zuvor. Keine zweite Riesenwelle baute sich auf.

Lediglich im Südosten verdunkelte sich der Himmel weiter. Dort zog tatsächlich ein heftiges Gewitter heran.

„Ist Clinton an Bord?“

Niemand hatte in der Hektik auf den Schiffsjungen geachtet. Big Old Shanes Frage wurde von Deck zu Deck weitergegeben. Wenig später stand fest, daß Wingfield verschwunden war. Auch der Bootsmannsstuhl war fort, lediglich die Stroppen hingen noch außenbords.

Der Seewolf ließ beidrehen.

Es stellte sich heraus, daß niemand wußte, wo der Junge abgeblieben war.

„Wahrscheinlich wurde er von dem Kaventsmann überrascht“, sagte Shane bedrückt. „In dem Fall hat ihn die See mitgerissen.“

„Er ist kein schlechter Schwimmer. Bestimmt hält er sich über Wasser.“

Das Meer war nicht kalt, und wenn Clinton Wingfield von der Riesenwelle wieder freigegeben worden war, bestand durchaus die Möglichkeit, daß ihn die Arwenacks sogar nach einem Tag noch leidlich wohlbehalten wieder aufnehmen konnten.

„Dan“, befahl der Seewolf, „du bleibst im Ausguck! Die Freiwache ist auch für alle anderen aufgehoben.“

Noch herrschte Zuversicht. Die meisten vertrauten darauf, daß sie Clinton Wingfield schnell aufspüren würden. Den Pessimisten in der Mannschaft wurde entgegengehalten, daß schließlich auch die Zwillinge und Old Donegal wieder aufgetaucht seien, obwohl nach Wochen vergeblicher Suche jeder überzeugt gewesen war, daß sie im Sturm den Tod gefunden hätten. Der vielleicht entscheidende Unterschied bestand nur darin, daß Clinton Wingfield kein Boot zur Verfügung stand, das ihn vor einer allmählichen Unterkühlung schützte.

In engen Schlägen kreuzte die Schebecke innerhalb eines Gebietes von knapp zwei Seemeilen nordwestlich ihrer anfänglichen Position. Dan O’Flynn stierte sich die Augen aus, bis er schließlich sogar unter geschlossenen Lidern nur mehr grelle Reflexe wahrzunehmen glaubte.

Die anfängliche Hoffnung, den Jungen schnell zu finden, wich zunehmender Enttäuschung. Mehr und mehr hielten die Männer auch nach Anzeichen Ausschau, ob in dem Gebiet Haie ihr Unwesen trieben.

Gegen elf Uhr bewölkte sich der Himmel. Die Schlagschatten überzogen das Meer mit einer matten, bleiernen Schwärze, in der ein blonder Haarschopf wohl ebenso schwer zu entdecken war wie zuvor im gleißenden Sonnenschein.

Eine halbe Stunde später spaltete der erste vielfach verzweigte Blitz das Firmament. Ein schmetternder Donnerschlag ließ die Arwenacks zusammenzucken.

Sturm zog auf und peitschte die Wellen höher, dann öffnete der Himmel seine Schleusen. Es schüttete wie aus Kübeln. Die Sicht verringerte sich auf ein Minimum. Unter diesen Umständen wurde es schwer, wenn nicht gar unmöglich, den Jungen zu entdecken.

Irgendwann spürte ich die Bewegung – ein stetes, unregelmäßiges Auf und Ab, verbunden mit schmatzenden, glucksenden Geräuschen, die ich mir noch nicht zu erklären wußte. Mein Rücken und die Schultern brannten, während der Rest meines Körpers offenbar von Wasser umspült wurde.

Ich nahm die Gegebenheiten hin, ohne mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Mein Zustand glich wohl einem sanften Dahindämmern zwischen Traum und Wachen, und zu dem Zeitpunkt wäre ich bestimmt nicht in der Lage gewesen, etwas zu meiner Rettung zu tun. Ich glaube, daß ich nicht mal die Muskeln unter Kontrolle hatte, denn als Wasser mein Gesicht überspülte, konnte ich kaum den Kopf heben.

Erst allmählich wurde ich mir meiner Existenz bewußt. Die unheimliche, gischtende Wasserwand, das Entsetzen, das ich verspürte. Noch einmal durchlebte ich jene schrecklichen Augenblicke, und abermals konnte ich nicht anders, als meiner Furcht freien Lauf zu lassen.

Mein gequältes Stöhnen brachte mich vollends in die Wirklichkeit zurück.

Ich lag auf dem Bauch, auf der Planke, die mir noch vor kurzem als Bootsmannsstuhl gedient hatte. Ein Stück meiner Erinnerung fehlte. Ich entsann mich nicht, daß ich inmitten der Riesenwelle Halt gefunden und mich festgekrallt, geschweige denn, daß ich es geschafft hatte – unter welchen Umständen auch immer –, mich auf das Brett zu ziehen.

Die Sonne hatte ihren höchsten Stand im Zenit noch nicht erreicht. Ich schätzte, daß es kurz vor oder nach vier Glasen war, also gegen zehn Uhr. Aber hatte ich wirklich eine Stunde lang ohne Besinnung im Wasser gelegen?

Weitaus wichtiger erschien mir die Frage, was aus der Schebecke der Seewölfe geworden war. Die Planke allein war gewiß noch kein Indiz für den Untergang des Schiffes.

Mühsam stemmte ich mich hoch, darauf bedacht, den Halt zu bewahren.

Das Meer war überraschend ruhig. Dennoch reichte meine Sicht kaum weiter als einige hundert Yards.

Der Wind wehte anhaltend aus Südosten und trieb mich langsam dem fernen Festland entgegen. Allerdings trug er auch die Schwärze des Unwetters heran. Ich begann zu ahnen, daß sich da einiges zusammenbraute.

Ich war allein. Kein Vogel begleitete mich, nur die Düsternis, die sich weiter zusammenzog.

Als die ersten Wolken die Sonne verdeckten, begann ich zu frösteln. Nur noch einzelne Sonnenstrahlen huschten über die See, aber einer von ihnen streifte kurz ein Segel und ließ es strahlend hell aufleuchten.

Ich sah nicht viel, nur die oberste Ecke eines Lateinersegels, doch das allein genügte, mein Herz schneller schlagen zu lassen. Keinen Augenblick lang zweifelte ich daran, daß ich die Schebecke vor mir hatte, zumal ich bei längerem Hinsehen drei winzige Mastspitzen erkannte.

„Hierher! Hier bin ich!“ Ich begann aus Leibeskräften zu schreien und – soweit es mir möglich war, ohne den Halt zu verlieren – zu winken.

Erst nach einer Weile sagte ich mir, daß es sinnlos war, gegen den Wind anzubrüllen, und ob mich die Arwenacks schon entdecken konnten, blieb dahingestellt. Immerhin betrug die Entfernung bestimmt zwei bis drei Meilen, da ich andernfalls mehr als nur die Toppen gesehen hätte.

Ich konnte nicht erkennen, in welche Richtung das Schiff segelte, aber wenn es eine Rettung geben sollte, mußte ich so nahe wie möglich heran. Also begann ich mit den Händen zu paddeln. Anfangs war mir das sogar gegen die Strömung möglich, aber dann ließen meine Kräfte nach. Ich schürfte mir an der Planke die Oberarme auf, und der stärker werdende Wind setzte meinen verzweifelten Bemühungen ein Ende.

Ungestüm brach das Gewitter los. Der Regen, der wenig später fiel, glich einer Sintflut.

Das Meer dampfte und brodelte, von der Schebecke war längst nichts mehr zu sehen, und die Strömung trieb mich schneller ab. Vielleicht würde ich an Land gespült werden, ich konnte es nur hoffen.

Ich klammerte mich an der Planke fest und überließ mich den Elementen. Und ich begann zu beten, stockend zuerst und nach den richtigen Worten suchend, aber dann immer flüssiger. Wenn der Herr gnädig war, schickte er mir die Rettung, wie er es schon einmal getan hatte.

Der anhaltende Donner und die flackernden Blitze erinnerten mich an Geschützfeuer.

War da nicht Gefechtslärm? Die Schreie Sterbender und Verwundeter gellten in meinen Ohren.

Unwillkürlich hob ich den Blick. Dunst hatte sich zusammengezogen und verschleierte wie Pulverqualm die Sicht. Dennoch mußten jeden Moment die Umrisse eines der Schiffe sichtbar werden.

Ein ohrenbetäubender Donnerschlag schreckte mich auf.

Was war los mit mir? Begann so das Ende? Ich hatte gehört, daß Menschen vor ihrem Tod noch einmal alle Höhen und Tiefen ihres Daseins erlebten.

Hilf mir, Gott, laß mich nicht sterben! Alles in mir bäumte sich auf. Verzweifelt versuchte ich, an angenehmere Dinge zu denken, an meine Begegnung mit den Arwenacks, an die Zeit auf der Schebecke – aber die Erinnerungen waren geweckt und ließen sich nicht verdrängen …

März 1598.

Seit zwei Tagen hatten wir wieder stürmische See, und ebensolange hatte ich keinen Bissen zu mir genommen, weil ich alles sofort erbrach. Mir war sterbenselend zumute. Unablässig wälzte ich mich in meiner Koje im stickigen Mief des Vorschiffs und fand weder Schlaf noch Erleichterung.

Tränen hatte ich längst nicht mehr. Ich dachte an Vater und flüchtete mich in Gedanken in sein Geschäft für Schiffsausrüstungen im Londoner Hafen. Ob er inzwischen erfahren hatte, warum ich an jenem verhängnisvollen Nachmittag Ende Februar nicht zurückgekehrt war?

Jetzt mußte er Botengänge und Besorgungen selbst erledigen, denn Mutter mit ihren krampfhaften Hustenanfällen war zu schwach dazu. Der Nebel und die naßkalten Wintermonate waren Gift für sie, das behauptete sie jedenfalls, doch Vater wollte um nichts in der Welt aus London fortziehen.

„Winter ist überall“, hörte ich ihn zornig sagen. „Nimm dich zusammen, Weib. Oder willst du, daß uns die Kundschaft davonläuft?“

Wie lange lag das alles zurück? Drei Wochen oder schon vier? Ich hatte die Tage nicht gezählt, weil mir jeder von ihnen wie eine Ewigkeit erschien. Ein Seemann würde ich nie werden, selbst wenn mich der Kapitän totschlagen ließ. Seine Preßgang hatte sich den falschen Jungen gegriffen.

Ich haßte die „Seawind“, diese verluderte Dreimastgaleone, haßte den versoffenen Profos, den schmierigen Kapitän und inzwischen auch die See, deren Widerwärtigkeiten ich bis vor wenigen Wochen nicht mal geahnt hatte. Das Themsewasser war mit dem Atlantik in keiner Weise zu vergleichen.

Ich wollte zurück nach London, sehnte mich nach der behaglichen Gemütlichkeit unserer Wohnstube, die im Winter zwar nie richtig warm wurde und an deren schmalen Fenstern dann dicke Eisblumen prangten, die aber wenigstens einen festen Boden unter den Füßen bot. Das Stampfen und Schlingern des Schiffes hingegen zermürbte mich.

Kaum jemand von der Mannschaft redete mit mir. Anfangs hatte ich noch geglaubt, ich könnte es ertragen, aber das Gefühl, weniger wert zu sein als die Ziegen in der Pißback, war niederschmetternd. Die Tiere gaben wenigstens Milch, und irgendwann würde ihr Fleisch auf dem Tisch stehen und hungrige Mägen füllen.

Ich hingegen war nicht mal für die einfachsten Arbeiten zu gebrauchen. In den Wanten klammerte ich mich eisern fest und wagte weder nach oben noch nach unten zu schauen, und außenbords kriegte mich vorerst niemand, weil ich lieber Prügel in Kauf nahm, als mich der Gefahr auszusetzen, von der See verschluckt zu werden. Der von den Winterstürmen aufgewühlte, tosende und schäumende Atlantik war mir unheimlich.

Vor zwei oder drei Tagen hatte mir der Profos aus ebendiesem Grund hart zugesetzt und angedroht, er würde mich grün und blau schlagen, wenn ich nicht bald zu mehr als zum Dreckschrubben und Wasserholen zu gebrauchen sei. Wenig später waren wir in schlechtes Wetter geraten, und seitdem wälzte ich mich unruhig in meiner Koje und wußte, daß ich das Ziel der „Seawind“ nie erreichen würde, das angeblich im Süden des schwarzen Kontinents lag. Ich hatte munkeln hören, daß der Kapitän Sklaven an Bord nehmen wollte.

Vor Hunger und Erschöpfung mußte ich doch eingeschlafen sein, denn als irgendwann erregte Stimmen ins Vorschiff drangen, war die See ruhiger geworden.

Verwirrt stemmte ich mich auf den Ellenbogen hoch. Die von der Decke herabhängende Ölfunzel schwang hin und her, der flackernde Schimmer des brennenden Dochtes reichte gerade aus, mich die Deckenbalken erkennen zu lassen. Dreck und verkrustetes Salz hingen an den Plankennähten, an vielen Stellen tropfte Wasser und offenbarte den schlechten Zustand der Galeone. Jetzt, nach dem Sturm und den Brechern, die über das Schiff hinweggegangen waren, war es schlimmer als je zuvor.

Ich lauschte und versuchte die Stimmen zu verstehen, die inzwischen wirr durcheinander schrien. Schritte polterten über die Decks und hasteten die Niedergänge hinauf.

Ein Donnerschlag in allernächster Nähe ließ mich zusammenzucken.

Unmittelbar darauf vernahm ich von achtern her ein Krachen und Splittern, wie ich es nie zuvor gehört hatte.

Die „Seawind“ wurde angegriffen, das war mir sofort klar. Aber was konnte ich, Clinton Wingfield, gerade zehn Jahre alt, dagegen tun? Das Grauen sprang mich an, ich zerrte mir die Decke über den Kopf und rollte mich zusammen, so gut ich eben konnte, ohne daß sofort wieder mein Magen rebellierte.

Das Dröhnen weiterer Kanonenschüsse klang nun zwar gedämpft, war aber immer noch deutlich zu hören. Ich versuchte gar nicht erst, meine Angst zu unterdrücken, denn ich fror erbärmlich, und meine Zähne klapperten haltlos wie das Rigg im Sturm.

Urplötzlich zerrte mir jemand die Decke weg.

„Steh auf, Bursche, oder ich prügele dich an Deck!“ Der Profos schlug sofort zu, sein Handrücken traf mich an der Schulter und drückte mich gegen die Wand.

Er ließ mir keine Zeit der Besinnung, sondern packte mich mit seinen schwieligen Händen und zerrte mich hoch. Ehe ich mich versah, spürte ich seine Pranke rechts und links im Gesicht, und jeder Schlag trieb mich einen Schritt zurück.

„Du bist krank, was? Absaufen wirst du, wenn du dich nicht bald bewegst. Hilf den Geschützmannschaften!“

„Wir werden – angegriffen?“ brachte ich stockend hervor, während ich, unbarmherzig angeschoben, die Stufen des Niedergangs hinaufstolperte. Meine Nase blutete von den beiden Ohrfeigen, aber das nahm ich nur am Rande wahr.

Eine kalte Brise schlug mir entgegen, kühlte meine brennenden Wangen und linderte meine Benommenheit. Leichter Nieselregen fiel, und Dunst hing über dem Wasser, aber nicht deshalb blieb ich jäh stehen, sondern weil ich das fremde Schiff entdeckte, das knapp zweihundert Yards achterlich segelte.

Die Dreimastgaleone mit den stark gelohten Segeln führte die Farben Galiciens auf Fock und im Topp. Sie war ein schlankes, schnelles Schiff und der „Seawind“ sicherlich in jeder Hinsicht überlegen.

Zweimal blitzte es drüben im Vorschiff auf. Bis ich den Geschützdonner vernahm, waren die Geschosse schon heran. Eins riß eine mächtige Fontäne aus der See, das andere fuhr krachend und splitternd durch unsere Achterdecksverschanzung. Trümmerstücke regneten nach allen Seiten. Die Schreie eines verwundeten Decksmanns gingen mir durch und durch.

Am liebsten hätte ich mich auf der Stelle herumgeworfen, mich unter Deck verkrochen und auf das unvermeidliche Ende gewartet. Aber der Profos war anderer Meinung. Er drosch mir die Hand zwischen die Schulterblätter, daß ich beinahe unter die nächste Lafette geschleudert wurde und mir das Wasser in die Augen schoß.

„Da hast du deinen neuen Pulveraffen, Masterson!“ rief er laut. „Nimm ihn ordentlich ran!“

Die bisherigen Helfer waren übel zugerichtet. Mir drehte sich der Magen um, ich würgte, aber nur noch der Geschmack von Galle stieg in mir hoch.

Eine Kugel hatte das Schanzkleid an der Stückpforte aufgerissen. Von scharfkantigen Splittern regelrecht aufgespießt, lag ein Toter neben der Lafette. Seine gebrochenen Augen schienen mich anzustarren.

Ein zweiter Mann lehnte in sich zusammengesunken an einem Stützpfosten. Er war verwundet, blutete aus Mund und Nase und nahm kaum noch wahr, was um ihn herum geschah.

Meine kindlichen Vorstellungen von einem Seegefecht stimmten in keiner Weise mit der Wirklichkeit überein. Wie konnten Menschen nur so grausam sein? Trotz allem fiel es mir unsagbar schwer, den Blick abzuwenden. Wahrscheinlich sah es nirgendwo an Deck besser aus. Wo die Kugeln der Spanier einschlugen, brachten sie Tod und Verderben.

Masterson glotzte mich tückisch an, als wolle er mich lieber gleich über Bord werfen, dann brüllte er mit sich überschlagender Stimme: „Faß mit an! Ausrennen!“

Er war ein übler Kerl, untersetzt, stiernackig, mit blutunterlaufenen, tief in den Höhlen liegenden Augen und abstehenden Ohren. Sein abstoßendes Äußeres versuchte er durch Brüllen zu überdecken.

Da ich nicht sofort das richtige Tauende erwischte, hagelte es wüste Beschimpfungen.

Das schwere Geschütz auszurennen – immerhin eine Basilisk mit 4000 englischen Pfund Rohrgewicht –, kostete unheimlich Kraft. Ohne die mehrscheibigen Blöcke hätten wir es zu dritt niemals geschafft.

„Her mit der Fackel!“

Über den Rand des Rohres hinweg peilte Masterson die Spanier an. Sein Gesicht verzerrte sich zur Grimasse, als ich ihm endlich die blakende Pechfackel reichte.

„Spanische Bastarde“, fauchte er, „fahrt zur Hölle!“

Ich schaffte es gerade noch, zur Seite zu springen. Das Dröhnen der Pulverexplosion zerriß mir schier die Trommelfelle. Die zurückgeschleuderte zweirädrige Lafette rollte hautnah an mir vorbei. Masterson grinste nur infam, dann hetzte er mich herum, daß mir im wahrsten Sinne des Wortes Hören und Sehen verging.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 685

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