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Ich erwachte im Bett mit Maja. Ihre Füße lagen neben meinem Kopf, sie hatte sich also in der Nacht umgedreht, was vermutlich bedeutete, ich hatte geschnarcht.

Jemand klopfte an die Tür. Ich band mir meine Bettdecke um die Mitte, wankte durch das verdunkelte Zimmer und öffnete.

Karin stand draußen und fragte, ob sie mich auch nicht geweckt hätte. Ich sagte, ich sei schon munter gewesen, aber meiner Hose noch nicht begegnet. Warum sah sie so frisch aus? Sie war eigentlich hübsch, hätte sie nicht den schrecklichen unsymmetrischen Kurzhaarschnitt mit der roten Tönung gehabt. Landfriseure waren Verbrecher.

»Was gibt es denn?«, fragte ich.

»Möchtest du das Haus deiner Großeltern sehen?«

Seit gestern gegen ein Uhr dreißig sagten wir Du zueinander.

»Jetzt gleich?«

»Der Vermieter hätte gerade Zeit, er muss später nach Wien. Es ist ja jetzt ein Ferienhaus und es ist frei. Ich glaube, er will es dir umsonst geben.«

Ich sah ins Zimmer hinein, wie es um Maja stand: Sie schlief immer noch, auf dem Bauch liegend, das Kissen über ihrem Kopf.

»Ich bin in zehn Minuten unten«, sagte ich.

Ich nahm ein Kopfwehmittel, trank einen halben Liter Wasser aus der Flasche, putzte mir die Zähne und schlüpfte in mein Tennisdress. Ich hatte es gekauft, weil Maja und ich beschlossen hatten, sportlich zu werden, wozu es während unserer Reise aber noch nicht gekommen war. Als ich unten in meinen kurzen weißen Shorts und dem weißen Poloshirt erschien, sah mich Karin an, hob interessiert eine Augenbraue und sagte: »Hübsche Wadeln …«

Bevor ich erklären konnte, dass ich nur eine beschränkte Sommergarderobe dabeihatte, ging sie schon los und erzählte mir von dem Haus:

»Als es deine Großeltern verkauft haben, wurde es nur noch für ein paar Wochen im Sommer genutzt. Der jetzige Besitzer hat es dann renoviert und als Ferienhaus adaptiert. Es steht ziemlich gut da!«

Wir kamen am Gasthaus vorbei. Der Schanigarten war offen, Gäste frühstückten in der Sonne. Ich erkannte ein paar Gesichter vom Abend davor und grüßte.

»Die freuen sich, dich zu sehen«, sagte Karin, »du bist gut angekommen gestern.«

»Na ja, sie rechnen mit einem Sonderling, weil ihnen Schreiben als Beruf sonderlich vorkommt, und dann kriegen sie einen ganz normalen Kerl.«

»Es ist ja auch ein ungewöhnlicher Beruf, wie viele können denn vom Schreiben leben …«

»Die meisten Schriftsteller leben dafür, nicht davon

Karin lächelte und sagte: »Das hast du bestimmt schon oft gesagt.«

Ich zwinkerte ihr zu, dann sah ich das Haus am Ende der Straße, bevor der Wald begann.

»Da ist es. Da ist es wirklich!«

»Ich sage ja, eine zu früh abgebogen.«

Wir folgten der Straße – jene, die tatsächlich Richtung Grenze führte – bis zum Haus meiner Großeltern. Es sah von außen nahezu unverändert aus, nur schöner, neu hellgrün gestrichen, der Garten gepflegt. Ich öffnete die kleine Tür im Holzzaun und betrat den Vorgarten. Über der aufgearbeiteten Holztür war ein kleines, weiß gestrichenes Kupferdach, neben der Tür zwei Säulen mit Blumentöpfen – genau wie vor dreißig Jahren. Auf einem Kiesbett im Vorgarten standen ein alter Holztisch und zwei Stühle, auf dem Boden Töpfe mit Basilikum und Thymian. Die Sonne schien auf die Hausfront, die runden Fenster und das nach der Renovierung bereits wieder Moos ansetzende Dach, und ich stand ganz still und lauschte, ob die Geräuschkulisse noch dieselbe war wie früher. »Der Bach«, sagte ich, »man hört sogar noch den Bach!«

Karin winkte einem Mann zu, der gerade aus seinem Geländewagen stieg, den er an der Straße gegenüber geparkt hatte.

Er kam zu uns herüber und schüttelte mir die Hand. Er war etwa so alt wie ich und kam mir bekannt vor. Er war drahtig, seine Schläfen begannen grau zu werden, seine Nase war scharf geschnitten.

»Wolf, weißt noch? Meine Eltern haben den Laden im Ort geführt.«

Jetzt fiel es mir ein, er war der Ladenbursche, der vormittags immer beim Einschlichten der Lebensmittel geholfen hatte und manchmal, da waren wir schon älter, ein paar Bier und eine Neue Revue oder ein anderes Schmuddelheftchen aus dem Geschäft abzweigte.

»Oh Gott, natürlich erinnere ich mich an dich«, sagte ich, und fast hätte ich ihn für die Freigiebigkeit seiner Jugend umarmt.

»Ihr bleibt eine Weile?«, fragte er.

»Ein paar Tage, dachten wir.«

»So lange könnt ihr gern hier wohnen, war ja mal dein Haus. Übernimmst dann nur die Reinigung.«

Ich sagte: »Nein, das geht nicht, das ist verrückt. Ich erklär dir, wie das geht, du musst mich wie einen alten Freund behandeln, auf einen Kaffee einladen, aber nach dem Urlaub eine gesalzene Rechnung schicken, auch über den Kaffee. Das macht man so im Gastgewerbe, ich kenn mich da aus.«

»Siehst, ich weiß so was gar nicht, ich mach das ja nur als Hobby. Komm, ich zeig dir das Haus, wie’s jetzt ist.«

Wir bückten uns und betraten das Vorzimmer durch die niedrige Tür. Er führte mich durch die Räume: die Stube, das kleine Schlafzimmer, das Bad, dann kletterten wir über die schmale Stiege in den zweiten Stock. Die meisten alten Holzmöbel hatte er behalten und aufgearbeitet, Küche und Bad, Böden und Fenster waren neu. Er wies mich auf Materialien hin, sprach über die Dämmung, die Heizung, Herausforderungen bei der Renovierung.

Ich erzählte, wie einfach alles gewesen war, wie es gerochen hatte. Wolf nickte bloß und verschränkte die Arme, und da begriff ich, dass er das alles ja gekannt hatte und wusste, wie es früher gewesen war, aber einfach völlig ohne Nostalgie auf die Zustände von früher zurücksah.

Wieder im Erdgeschoß deutete er auf den großen Holztisch in der Stube, auf den die Sonne den Halbkreis des Fensters nachzeichnete, und sagte: »Ich glaub, das ist ein guter Platz zum Schreiben, vielleicht fällt dir ja was ein.«

Karin fragte ganz unbekümmert: »Trinken wir einen Schnaps?«

Wolf nickte, als wäre diese Anregung längst überfällig gewesen, öffnete die Tür einer Anrichte und nahm eine Flasche Obstler und Gläser heraus. Ich sagte, dass ich noch gar kein Frühstück gehabt hatte, er goss ungerührt ein, wir prosteten an und tranken ohne abzusetzen.

»Gut ist der«, sagte ich, und alles wurde unscharf.

Wolf gab mir den Schlüssel, dann schlug er vor: »Ich bin ab morgen wieder in Heidenholz, wir können ja mal die Burschen zusammenrufen und ein paar Bier trinken.«

»Unbedingt!«, rief ich. Dann fiel mir noch etwas ein: »Was ist denn eigentlich aus Marianne geworden?«

»Marianne? Sie lebt schon lange nicht mehr hier. Sie ist jetzt in Reintal, das ist fünf Kilometer von hier.«

»Das wäre zur Not ja noch zu erreichen.«

Als Wolf abgefahren war, setzten Karin und ich uns auf die Stühle im Vorgarten, streckten die Beine aus und lauschten auf die Geräusche dieses Sonntags, das Summen der Insekten, das Rauschen des Bachs, das Knistern der Speichen der Fahrradtouristen.

»Dass er mir das Haus einfach so gibt …«, sinnierte ich, während langsam meine Sehkraft zurückkehrte.

»Ihm gehören noch ein paar Häuser in der Gegend, und angeblich hat er viel Geld mit Bitcoins gemacht«, sagte Karin.

»Mit Bitcoins?«, fragte ich.

»Hab ich gehört …«

»Ich hab 2011 das Honorar für eine Lesung in Bitcoins bekommen.«

»Die wären jetzt aber viel wert.«

»Ich hab keine Ahnung, wo ich sie hab!« Eine Weile schwiegen wir, dann sagte ich: »Ich hätte Lust, in den Bach zu pinkeln, wie früher.«

Karin zuckte die Schultern. »Schau halt, ob die Nachbarskinder nicht grad drin spielen.«

Später spazierten wir zurück ins Stadtzentrum. Karin erzählte mir von der Lesung, die eine Woche davor stattgefunden hatte, und dass weniger los gewesen sei. Ich freute mich ein wenig, weil genau dieser Autor bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit der Buchhändlerin nach Hause gegangen war, auf die ich selbst ein Auge geworfen hatte (das war noch vor Maja gewesen). Die Sache dürfte aber nicht gut für ihn ausgegangen sein, eine Woche später waren seine Bücher aus ihrer Auslage verschwunden.

Als uns der kleine Grenzforscher Janisch von gestern Abend entgegenkam, vertieft in eine Unterhaltung mit einem anderen Mann, griff ich nach Karins Arm, zog sie in eine Seitengasse und sagte, ich wolle einmal einen anderen Weg probieren.

Als ich wieder das Hotelzimmer betrat, war es kurz nach zehn. Ich setzte mich zu Maja ans Bett. »Wir haben das Frühstück verpasst«, sagte ich.

»Wir haben auf dieser Reise jedes Frühstück verpasst.«

»Nicht das in Reichenau.«

»Aber da gab es keine Brötchen mehr!«, rief sie, immer noch verbittert deswegen.

Sie rieb sich die Augen, zerrte an ihren Haaren, streckte sich, zog die Knie an die Brust und schloss wieder die Augen.

»Holst du mir einen Himbeersaft mit Bläschen?«, sagte sie mit träumerischem Lächeln.

Ich seufzte. »Und wenn sie kein Kracherl haben?«

»Einen Almdudler. Aber bitte mach, dass sie ein Kracherl haben.«

Am Morgen nach unserer ersten gemeinsamen Nacht wollte sie auch ein Kracherl haben. Ich lief im Regen durch den südburgenländischen Ort, in dem ich mein Schreibseminar abhielt, und klapperte die zwei Gasthäuser und die Tankstelle auf der Suche nach Himbeersoda ab.

Meine erste Begegnung mit Maja: Ich stand an der Bushaltestelle von Hasendorf, es war Ende Oktober vor eineinhalb Jahren, und ich erwartete die ersten drei von insgesamt sechs Seminarteilnehmern. Ich hatte alle, die sich mit einer Arbeitsprobe beworben hatten, angenommen, denn ich war abgebrannt und brauchte ihre Seminargebühren, um zwei Kronen im Mund und ein paar Termine beim Osteopathen bezahlen zu können. Aber die Texte von Maja, die gefielen mir, sie waren böse und ungezwungen, und ich war neugierig auf die Frau.

Sie stieg aus dem Bus, groß und dünn, enge grün-schwarz gestreifte Röhrenhosen, ein Wollschal, den sie zehnmal um ihren Hals geschlungen hatte, die blonden Haare verwuschelt, überladen mit Rucksack, Reisetasche und Laptopbeutel. Sie knallte die Tasche auf den Boden, ließ sich darauf nieder und zündete sich eine Zigarette an, während sie mit ihren hellblauen Augen wenig begeistert die Atmosphäre von Hasendorf einsog. Damals wusste ich noch nicht, dass die Provinz unser Schicksal war, dass wir am Dorf am glücklichsten waren und in der Stadt einfach nicht miteinander klarkamen.

Ich stellte mich vor ihr auf, fragte: »Maja?«

Sie sah zu mir hoch, blinzelte, reichte mir die Hand.

Ich sagte: »Herzlich willkommen in der Literaturgemeinde Hasendorf!«

Sie sah mich an, als sei das ein Witz, und das war es ja auch.

»Bin ich die Einzige hier, und es kommt auch niemand mehr, und du brauchst bloß jemanden für deinen Bauernhof?«

»Ich rechne mit fünf weiteren Literaturnarren, und wir werden an diesem Wochenende viel über das Schreiben, uns selbst, und ein Leben ohne Pizzalieferanten lernen.«

»Na, mal sehen«, sagte sie und hievte sich hoch.

»Bist du aus Bayern?«, fragte ich.

»Saarland«, sagte sie.

»Aha«, sagte ich, denn dazu fiel mir nichts ein.

»Wieso findet das eigentlich hier statt und nicht in Wien, wo du ja auch wohnst, wenn das Internet da nicht lügt …?«, fragte sie.

Die Antwort auf Majas Frage war: Mein Freund Manfred, der auch mein Agent war, stellte mir den Seminarraum seines Hofs zur Verfügung, und so günstig und komfortabel war so etwas in Wien natürlich nicht zu bekommen. Plus wir bekamen eine nette Förderung vom Land Burgenland.

Stattdessen sagte ich: »Der Hasendorf-Spirit. Wegen dem. Komm, ich zeig dir das Rückhaltebecken. Ist jetzt aber leer.«

»Sollten wir nicht noch auf die anderen warten?«

Jetzt fiel mir auf, dass noch zwei weitere Menschen unentschlossen auf der Verkehrsinsel standen, ein junger Mann in Lederjacke und eine Frau Mitte fünfzig, die einen Poncho trug. Ich fragte sie, ob sie zu mir gehörten, und schließlich stiegen wir zu viert in meinen Volvo und fuhren die achthundert Meter zum Hof meines Freundes.

Am ersten Abend unseres Seminars saßen wir zusammen in Manfreds riesiger Bauernstube, und er kochte für alle. Nach dem Essen tranken wir Rotwein und plauderten, und erst gegen Mitternacht verabschiedeten sich die Leute, um zur Pension zu marschieren, die zehn Minuten entfernt war und in der außer meinen Schülern nur ungarische Motorradtouristen übernachteten. Alle gingen, bis auf Maja. Sie blieb bei uns sitzen, die Füße auf der Bank, eine von Manfreds Katzen auf dem Schoß. Sie erzählte uns von ihrem Leben in Wien: Sie kellnerte, spielte ein bisschen Theater und dachte daran, ein YouTube-Star zu werden. Das Schreiben war für sie nur ein weiterer Versuch, ihr schwer fassbares Talent in einer konventionellen Form zu kanalisieren.

Als Manfred ins Bett ging, holte sie den Wodka aus dem Regal und begann zu mir aufzurücken. Ich erklärte ihr, dass ich an und für sich schon der Richtige für so eine Situation sei, wir aber den ganzen nächsten Tag schreiben würden, und ich das gerne einigermaßen ausgeschlafen und ohne Kopfweh machen würde. Außerdem ließe ich mich auch nicht mit einer Seminarteilnehmerin ein, jedenfalls nicht während des Kurses. Sie trank ihren Wodka in einem Schluck aus, dann sagte sie: »Weißt du, das finde ich jetzt richtig gut von dir.«

Trotzdem gelang es mir nicht, ihr zu verbieten, die Nacht bei mir im Kingsize-Bett in Manfreds Gästezimmer zu verbringen. Sie trug einen Schlumpf-Pyjama, eine Zahnspange und zwei Paar Socken und schlief ein, während ich mir noch die Zähne putzte. Als ich um halb sieben in der Früh aufwachte, war sie verschwunden.

Die nächsten zwei Abende verliefen ganz ähnlich. Als die Seminarteilnehmer am Montag wieder abreisten, hatte ich mich schon an Majas Röcheln neben mir gewöhnt und fand sie auch sonst recht bemerkenswert. Trotzdem hatte sie beschlossen, nach Wien zurückzufahren, und ich brachte sie als Letzte zur Bushaltestelle in den Ort.

»Du bleibst also noch?«, fragte sie mich, die Zigarette zwischen den Mundwinkeln, während sie sich die Haare zusammenband.

»Ich arbeite noch an dem Text. Außerdem sind jetzt Wildwochen. Manfred kriegt eine Rehhälfte, wäre dumm, jetzt zu fahren.«

»Verstehe.«

Sie warf die Zigarette weg, nahm einen Schluck von ihrem Apfelsaft, dann küsste sie mich. Als der Bus kam, knutschten wir immer noch, und er fuhr ohne Maja weiter.

»Hast du Kondome im Haus?«, fragte sie mich.

»Ich hab sicher eines.«

»Eines?«, sagte sie verwundert, und dann gingen wir zum Auto und fuhren in den Nachbarort zum Drogeriemarkt.

Bei uns im Hotel Heide hatten sie kein Kracherl, also spazierte ich zu dem Gasthaus, in dem wir gestern gegessen hatten, und wo auch Franziska und ihr Anhang wohnten. Dort verkaufte man mir ein Keli Himbeer, unter der Voraussetzung, ich brächte die Flasche später zurück. »Vergessen Sie es nicht«, sagte die Wirtin eisig. Ich sah vor mir, wie die Kleinstadtbewohner mit Taschenlampen den Wald durchkämmten, auf der Suche nach der Flasche Keli, die nie zurückgebracht worden war.

Zurück nahm ich meiner Erinnerung an Jugendtage folgend einen anderen Weg. Ich ging einen Pfad entlang, der zwischen Obstgärten und einem waldigen Hang außen um das Zentrum des Städtchens herum verlief. Er führte mich nach ein paar Minuten, in denen meine hübschen Wadeln vom Unkraut zerkratzt wurden, zum Teich von Heidenholz, einer der Natur überlassenen, von Weiden und Pappeln gesäumten Wasserflohlacke, von deren Existenz die Urlauber nichts zu wissen schienen. Die Holzbude am Ufer, wo man in meiner Jugendzeit Eis und Bier kaufen konnte, sah aus, als fiele sie bald in sich zusammen, der Steg war morsch, die Wiese in diesem Jahr noch nicht gemäht worden. Ich sah, dass dennoch eine Frau im See schwamm, und erkannte – an ihrem Nacken, ihrer Kopfhaltung – meine Ex-Frau Franziska.

»Franzi!«, rief ich, aber der Wind rauschte durch die Blätter, und sie hörte mich nicht.

Ich stand da und beobachtete die gleichmäßigen, mir so vertrauten Schwimmbewegungen, während das Himbeerwasser, auf das Maja in unserem Zimmer sehnsüchtig wartete, in meiner Hand warm wurde. Erinnerungen an unzählige Wochenenden an Schotterteichen wie diesem schossen mir durch den Kopf – an Eisholen mit meinem Sohn an der Hand, Kartenspielen in der Wiese, mein Kopf mit nassen Haaren in Franzis Schoß liegend, eine Rätselzeitung, an deren Rand ich eine Buchidee kritzle, ein Bier aus der Kühlbox, und Franzi, die sagt: »Ich will nur einen Schluck …«

Die ersten Jahre unserer Ehe waren wir Studenten und arm. Als es dann Geld gab, vor allem nach dem Erscheinen meines ersten Romans, der groß einschlug (und in dessen Krater später nur schwer wieder etwas wuchs), legten wir es für ein Haus zur Seite, das wir allerdings nie kaufen sollten, weil wir viel zu sehr an unserer alten Wohnung hingen. Unser Lebensstandard änderte sich in den Jahren darauf kaum. Vielleicht gab es einfach nicht viel zu verbessern.

Während ich so dastand und an alte Zeiten dachte, sah ich den braunen Schlapphut von Janisch über das hohe Gras schweben, und ich schaute, dass ich wegkam. Am Zimmer traf ich auf Maja, die mit feuchten Haaren und dem Laptop auf dem Schoß im Bett saß. Ich reichte ihr die Flasche.

»Warm«, sagte sie.

Ich nickte. »Es ist warm draußen.«

Sie nahm einen Schluck, und wahrscheinlich wollte sie grimmig schauen, doch die Himbeerbrause war stärker, und ein Lächeln kaperte ihre Lippen.

Ich setzte mich an den Bettrand. »Vielleicht sollten wir abfahren«, sagte ich.

Sie sah mich an, als würde sie mein Meinungsumschwung nicht besonders überraschen.

»Und das Haus?«

»Ich sage Wolf, dass uns was dazwischengekommen ist, irgendein Autoren-Notfall …«

»Was könnte das sein?«

»Bundeshymne braucht neue Strophe, keine Ahnung …«

»Du kannst das nicht ablehnen.«

»Was sollen wir denn hier?«

»Soll ich dir die zehn Aktivitäten aufzählen, auf die du dich gestern Abend gefreut hast?«

»Dieser kleine Grenzforscher will mit mir in die Heide, das ist doch grotesk!«

»Das ist eine Chance!«

»Die wollen mich doch nur, weil ich zufällig da war. Und einen tschechischen Namen habe.«

»Jeden Job, den ich hatte, hab ich bekommen, weil ich eine junge, blonde Frau mit großer Klappe bin. Mit irgendwas muss man halt punkten.«

»Du bist mehr als das.«

»Aber ich erwarte nicht, dass das jeder sieht. Wieso glaubst du, das Privileg zu haben, nur für deine Arbeit beurteilt zu werden? So ist die Welt nicht.«

»Warum bist du so dahinter? Als du deinen Roman fertig schreiben solltest, hab ich auch nichts gesagt, dass du dein Prokrastinieren auf olympisches Niveau gehoben hast!«

»Du bekommst eine Gelegenheit, einen wichtigen Text zu verfassen, und sagst, ach, ich will nicht mit diesem Mann in die Heide.«

»Es gibt dort nicht mal ein Gasthaus, Maja!«

»Wenn du ernst genommen werden willst, musst du dir auch mal ein paar ernste Gedanken machen.«

»Ich trage meine Ernsthaftigkeit bloß nicht vor mir her, sie steckt zwischen den Zeilen.«

»Niemand hat mehr die Zeit, etwas zwischen den Zeilen zu suchen!«

»Vielleicht ist das das Problem.«

»Ich sag dir was: Wir ziehen jetzt in das Haus deiner Großeltern um, dessen vermeintlicher Verlust dir gestern noch fast die Tränen in die Augen getrieben hat, dann verbringen wir einen schönen Tag mit deiner Ex-Frau und deinem Sohn, und morgen spazierst du ein bisschen in der Heide herum und betreibst kluge Konversation. Und dann können wir ja fahren.«

»Du bist ausschließlich dann vernünftig, wenn es um mein Leben geht.«

»Weil ich dort ganz klar sehe, was das Richtige ist!«

Mein Handy läutete. Ich zog das Telefon aus meiner Tennishosentasche, sah auf das Display und nahm den Anruf entgegen.

»Manfred!«

»Jakob! Seid ihr noch in Heidenholz?«

»Sieht so aus

»Großartig, ich komme

»Na dann, zisch her

»Fast schon am Weg!«

Ich beendete das Telefonat und sah Maja an.

»Manfred kommt.«

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