Читать книгу Böse alte Zeit 2 - Jan Wiechert - Страница 5
Eine Hochzeit und ein Todesfall
ОглавлениеDie altehrwürdige, dem heiligen Georg und der Mutter Gottes geweihte Friedhofskapelle von Waldenburg liegt im Südosten des Stadtkerns. Von außen wirkt der mittelalterliche Bau eher unscheinbar: ein schlichter, weiß verputzter Quader, darauf ein Satteldach und ein Glockengiebel, der ein gutes Stück zu klein geraten scheint. Dass es sich um ein bemerkenswertes Kleinod handelt, erschließt sich erst bei einem Blick ins Innere. Die um 1500 entstandenen und erst in jüngster Zeit freigelegten und aufwendig restaurierten Wandmalereien zeigen Szenen aus dem Leben Mariens. Angesichts der Pracht dieser Bilder, die den Chorraum zieren, droht ein anderes, jüngeres Kunstwerk übersehen zu werden. Das aus Sandstein gehauene Epitaph hängt, blickt man in Richtung des Altars, an der rechten Wand. Es wird von einem Volutengiebel bekrönt, der ein rundes Medaillon umschließt. Darin ist ein pummeliger, splitternackter Putto zu erkennen, der sich auf einem Tuch oder Umhang niedergelassen hat. Geradezu lässig lehnt er sich auf einen Totenschädel. In seiner linken, leicht angehobenen Hand hält er einen verwitterten Gegenstand, dessen ursprüngliche Form nur mehr zu erahnen ist. Ironischerweise hat der Zahn der Zeit just an diesem Symbol der Vergänglichkeit besonders intensiv genagt und die Sanduhr in Sand zerfallen lassen.
Unter dem Medaillon und umrahmt von vier Wappentafeln schließt sich ein rechteckiges Textfeld an:
ANNO DOMINI MDC
X DEN VI. NOVEMBRIS
STARB DER EDEL VND
VÖST LIEBMANN VON
MEVSBACH ZV BRAU-
NSDORF. OTTENDORF
VND TREBINZ
DESSEN SEEL GOTT
GENEDIG SEIE AMEN.
Die Familie dieses edlen und festen Liebmann von Meusebach, der 1610 in Waldenburg zu Grabe getragen wurde, ist dem thüringischen Kleinadel zuzuordnen. Dorthin verweisen auch die drei in der Inschrift erwähnten Ortschaften: Braunsdorf liegt heute im Landkreis Greiz, Tröbnitz und Ottendorf im benachbarten Saale-Holzland-Kreis. Wie aber verschlug es diesen thüringischen Edelmann ins hohenlohische Waldenburg? Und wie kam er dort, fern der Heimat, zu Tode? Hierzu schweigt das steinerne Zeugnis in der Friedhofskapelle. Papierene Hinweise auf die blutige Tragödie, die sich seinerzeit zugetragen hat, haben sich hingegen im Hohenlohe-Zentralarchiv in Schloss Neuenstein erhalten. Alles begann mit einem freudigen Ereignis.
Ein Epitaph in der Friedhofskapelle von Waldenburg wirft Fragen auf: Wer war Liebmann von Meusebach und wieso fand er in Hohenlohe, fern seiner Heimat, den Tod? Die Antwort fand sich im Hohenlohe-Zentralarchiv in Schloss Neuenstein.
Im Herbst des Jahres 1610 war im sonst eher verschlafenen Residenzstädtchen Waldenburg eifrige Betriebsamkeit ausgebrochen. Die hohenlohischen Bediensteten und Untertanen in Schloss, Stadt und Umland hatten alle Hände voll zu tun, die Hochzeit des Grafen Ludwig Eberhard von Hohenlohe-Waldenburg mit Gräfin Dorothea von Erbach vorzubereiten. Zu dem Großereignis wurden zahlreiche erlauchte und mächtige Gäste aus dem Süden des Reiches erwartet. Neben der näheren und entfernteren Verwandtschaft des Brautpaares und einigen regionalen Größen hatten sich drei echte Big Player ihrer Zeit angekündigt: Herzog Johann Friedrich von Württemberg, sein jüngerer Bruder Herzog Ludwig Friedrich von Württemberg-Mömpelgard und Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach. Außer diesen dreien weist die Gästeliste elf Grafen, zwei Schenken von Limpurg, etliche Vertreter des regionalen Niederadels und Vertreter der Städte Schwäbisch Hall, Öhringen und Rothenburg ob der Tauber auf. Dass auch der heilbronnische Komtur des Deutschen Ordens geladen wurde, zeigt, dass man 1610, am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, keine Bedenken hatte, überkonfessionell zu feiern, und dazu auch einen Katholiken im protestantischen Hohenlohe willkommen hieß.
Viele der adeligen Gäste wurden von ihren Ehefrauen und Kindern begleitet. Aber auch wer seine Familie zu Hause gelassen hatte, reiste keineswegs allein. Als typische und beispielhafte Reisegesellschaft kann der Tross herangezogen werden, mit dem Graf Ludwig Eberhard von Oettingen-Oettingen in Waldenburg erschien. Der Graf (ein Cousin des Bräutigams) wurde von seiner Gemahlin Margaretha (einer Halbschwester der Braut) begleitet. Der Gruppe hatten sich zudem zwei ledige Schwestern des Bräutigams angeschlossen, die sich zu dieser Zeit in Oettingen aufhielten. Die Dienerschaft der vier gräflichen Personen bestand aus einer Kammerjungfer, drei Kammermägden, einem Kammerdiener, einem Edelknaben, einem Lakaien, einem Schneider, einem Trompeter, einem Stallmeister, zwei Stallknechten, zwei Kutschern, zwei Stalljungen und einem Läufer. Im Ganzen kamen die Oettinger auf 21 Personen, die samt dem Gepäck von 28 Pferden getragen oder gezogen wurden.
Die Gefolgschaften der übrigen Gäste setzten sich ähnlich zusammen, wobei der eine lieber seinen Jägermeister oder einen Sekretär mitnahm und ein anderer auf Reisen nicht auf den eigenen Hufschmied verzichten wollte. Summa summarum weist das Gästeverzeichnis 172 Personen und 330 Pferde auf, die in Waldenburg und im nahen Westernach untergebracht werden mussten. Dieser Zahl sind noch die vor Ort lebenden Verwandten des Bräutigams, seine Diener und zugereistes Personal, etwa Musiker und Köche, hinzuzufügen. Kurzum: Waldenburg platzte für die Dauer des Festes aus allen Nähten. Unter diesen Umständen konnte nur den vornehmsten Gästen ein Logis im gräflichen Schloss angeboten werden. Der Rest musste mit einem Schlafplatz in einem Wirtshaus oder in einem bürgerlichen Wohnhaus vorliebnehmen. So schlief Liebmann von Meusebach im Haus des Forstknechts Conz Mayer. Auch die Witwe des Jörg Weber in Waldenburg stellte eine Stube mit zwei Betten zur Verfügung, die vier jungen Edelleuten aus der Entourage der Grafen von Erbach zugeteilt wurden. Unter ihnen war Friedrich von Lelliewah, den der hohenlohische Kanzleischreiber als »Frid. von Leliff« notierte und von dem noch die Rede sein wird. (Es sei bemerkt, dass sich nicht nur der hohenlohische Schreiber mit dem Namen des aus Polen stammenden Adelsgeschlechts schwertat. Sowohl in hohenlohischen als auch in anderen Quellen sind ein knappes Dutzend unterschiedlicher Schreibweisen zu finden. Die im Folgenden verwendete Form »Lelliewah« ist der Leichenpredigt des Friedrich von Lelliewah entlehnt.)
Tatort Waldenburg: Inmitten der Hochzeitsfeierlichkeiten von 1610 kam es zu einem Konflikt, der einen tödlichen Ausgang nehmen sollte
Die Hochzeitsfeierlichkeiten begannen am 28. Oktober 1610 mit dem exakt durchchoreografierten Empfang der Braut und der kirchlichen Eheschließung. Unter den erhaltenen Dokumenten findet sich das »Vngefehrliche Verzeichnus, wie es im Ausreuten und mitt Empfahung der grävlichen Hochzeitterin […] anzustellen sein möchte«. Falls sich alle Akteure halbwegs an die schriftlichen Anweisungen hielten, lief die Zeremonie etwa folgendermaßen ab: Die Spitze des Zuges bildeten zwölf berittene Knechte in drei Gliedern. Wenn man keine zwölf auftreiben könne, so die Planungsunterlagen, müsse man sich eben mit neun begnügen. Den Reitern folgten drei Trompeter, drei Marschälle, 15 Mitglieder des Niederadels, ein weiterer Marschall samt zwei Hofmeistern und nochmals fünf bis sechs Trompeter. Diesen schlossen sich drei Spießjungen, also mit Lanzen ausgestattete Reiter, an, bei welchen sich der frühneuzeitliche Wedding Planer allerdings nicht ganz sicher war, ob man sie vor oder nach dem Bräutigam platzieren solle. So oder so: Graf Ludwig Eberhard von Hohenlohe-Waldenburg, als Hauptperson des Spektakels, wurde bei seinem Einritt von zwei nahen Verwandten flankiert. Dem bereits erwähnten Graf Ludwig Eberhard von Oettingen-Oettingen kam die Aufgabe zu, den bereits im Jahr 1600 verstorbenen Vater des Bräutigams zu vertreten und auf der linken Seite seines Cousins zu reiten. (Die Namensgleichheit und die exponierte Stellung des Grafen von Oettingen lassen die Vermutung zu, dass er der Taufpate des Bräutigams war. Da dieser 1590 geboren wurde, die Kirchenbücher von Waldenburg aber erst 1593 einsetzen, lässt sich diese Annahme allerdings nicht bestätigen.) Zur Rechten des Bräutigams ritt Graf Georg Friedrich von Hohenlohe-Weikersheim als damaliger Senior des Gesamthauses Hohenlohe. Falls dieser »wegen der Leibsungelegenheit« unpässlich sei, sollte er durch seinen Bruder, Graf Kraft von Hohenlohe-Neuenstein, vertreten werden. Dem Bräutigam folgten die Hochzeitsgäste in absteigender Rangfolge. Unklarheit bestand darin, ob und wie die nächsten Verwandten der Braut in diesen Zug zu integrieren seien. Wie das Problem gelöst wurde, geht aus den erhaltenen Unterlagen nicht hervor.
Die 80- bis 100-köpfige Prozession ritt von Schloss Waldenburg aus auf eine nicht genauer bestimmte Wiese, auf der man einen grünen Baum aufgepflanzt hatte. Aus einer anderen Richtung fuhr der Wagen der Braut heran. Nach seiner Ankunft ritten der zukünftige Gatte und die ihn begleitenden Grafen hinzu, um Gräfin Dorothea förmlich »anzunehmen«, während die anderen Reiter die Szene umringten. Zugleich wurden auf Schloss Waldenburg mehrere Geschütze abgefeuert. Kurze Zeit später kehrte der gesamte Zug, einschließlich des Brautwagens, auf das Schloss zurück. Dort angekommen führten Diener Braut und Bräutigam auf ihre jeweiligen Gemächer, wobei Erstere von Spielleuten und Letzterer von Trompetern begleitet wurde. Den beiden wie auch den Hochzeitsgästen war nun eine kurze Pause vergönnt, in der ihnen Speisen und Getränke gereicht wurden. Gegen 16 oder 17 Uhr schritt man schließlich zur eigentlichen »Copulation«, also Eheschließung. Den Festsaal des Schlosses erleuchteten nicht allein Kerzen in silbernen Kandelabern, sondern auch die Fackeln der an den Saalwänden aufgereihten Diener. (Es sei am Rande bemerkt, dass der Großvater des Bräutigams rund 40 Jahre zuvor auf Schloss Waldenburg starb, nachdem sich sein Fastnachtskostüm an einer Kerze oder Fackel entzündet hatte.) Braut und Bräutigam traten einzeln ein und wurden durch den Hofprediger von Waldenburg getraut. Anschließend führte man die Frischvermählten zu einem eigens hierfür inmitten des Saales aufgestellten Bett, auf dem sie sich niederlassen und somit den Vollzug der Ehe symbolisch vorwegnehmen mussten. Damit war der zeremonielle Teil der Hochzeit geschafft. Unter dem Klang der Trompeten wurde erlesenes Konfekt, kurz danach das Festmahl aufgetragen. Später am Abend spielten die Musiker zum Tanz auf.
Irgendwo im Getümmel des rauschenden Festes, zwischen Tanz und Kanonendonner, Fackelschein und Konfekt, muss sich auch der thüringische Junker Liebmann von Meusebach herumgetrieben haben. Über seinen früheren Lebensweg ist kaum etwas bekannt. Seine Familie ist wohl dem voigtländischen Uradel zuzurechnen und trat irgendwann im 10. oder 11. Jahrhundert aus dem Dunkel der Geschichte. Die Herren von Meusebach waren den Herzögen von Sachsen als Lehensnehmer verbunden und bekleideten im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Posten der sächsischen Verwaltung. Liebmanns Vater kann mit einiger Wahrscheinlichkeit als Albrecht V. von Meusebach identifiziert werden. 1610, zum Zeitpunkt der Ereignisse in Waldenburg, war er bereits tot. Selbst das Alter Liebmanns lässt sich bestenfalls schätzen. Als Meusebach einige Tage nach Beginn der Hochzeitsfeierlichkeiten sein Leben beschloss, wurde sein Reisegepäck geöffnet und inventarisiert. Dabei kam unter anderem eine »Urkundt erlangter veniæ ætatis, auß der churfürstlichen Cantzley zu Dreßden« zum Vorschein. Unter einer Venia Aetatis ist eine Bescheinigung zu verstehen, mit der ein faktisch Minderjähriger formal zum Volljährigen erklärt und somit seine Geschäftsfähigkeit bestätigt wurde. Da die Volljährigkeit in der Frühen Neuzeit regelhaft mit Erreichen des 25. Lebensjahres eintrat, ist zu vermuten, dass Liebmann von Meusebach im Jahr 1610 noch keine 25 Jahre alt war.
Vollkommen unklar bleibt hingegen, wie es den jungen Thüringer auf die gräfliche Hochzeit in Waldenburg verschlug. Sieht man von Mitgliedern der lokalen Aristokratie ab, so reiste die Mehrzahl der Gäste aus niederadeligen Geschlechtern als Diener einer gräflichen oder herzoglichen Familie an. Die älteren unter ihnen bekleideten feste und unbefristete Stellungen, etwa als Hofmeister oder Rat, an diesem oder jenem Grafenhof. Bei den jüngeren handelte es sich hingegen oftmals um »Edelmänner in Ausbildung«, die für eine gewisse Zeit den Dienst eines Pagen oder Hofjunkers versahen, um die höfische Etikette zu erlernen und nützliche Netzwerke zu knüpfen. Zu diesen gehörte beispielsweise Friedrich von Lelliewah. Es läge nahe, auch den jungen Liebmann von Meusebach dieser Gruppe zuzuschlagen. Hinsichtlich seiner Herrschaft ist am ehesten an Heinrich Reuß zu denken, der mit Frau, Kindern und Dienerschaft in Waldenburg weilte und dessen Herrschaftsschwerpunkt im heutigen Thüringen lag. (Vermutlich handelte es sich um Heinrich II. Reuß-Gera. Mit Gewissheit lässt sich dies allerdings nicht sagen, da »Heinrich« der Stammname der Reuß war und fast jedes männliche Mitglied des Geschlechts diesen Vornamen trug. So hatte besagter Heinrich II. zehn Söhne, die samt und sonders Heinrich hießen.) Unglücklicherweise werden ausgerechnet die Diener der Familie Reuß in keiner der Quellen namentlich genannt, sodass die Zuordnung Meusebachs Spekulation bleiben muss.
Möglicherweise war Liebmann von Meusebach aber auch auf ganz anderem Wege auf die Hochzeit geraten. In den Akten findet sich ein Hinweis, dass er mit geschäftlichen Angelegenheiten seiner Familie betraut war, wozu auch die »Venia Aetatis« in seinem Gepäck passen würde. Eine andere Textstelle legt die Vermutung nahe, dass er zur weiteren Verwandtschaft des Hans Georg von Fers, seinerzeit Amtmann von Schillingsfürst und somit hoher Verwaltungsbeamte der Grafschaft Hohenlohe, gehörte. Hatte Meusebach auf seinen Reisen diesen Verwandten aufgesucht? Und war er durch ihn – mehr oder minder ungeladen – in die Festgesellschaft eingeführt worden?
Während vieles andere im Dunkeln bleiben muss, lässt zumindest ein Blick in das Gepäck Rückschlüsse auf das Erscheinungsbild des Edelmannes zu. In seinem Felleisen – einer Art Reittasche – fanden sich ein schwarzseidenes Wams, ein schwarzer Taftmantel und eine dazu passende Halsbinde. Dazu trug Meusebach einen »Gürtell und Gehenckh«, in dem sein Degen steckte. Der Hut wurde von einer »Huetschnur mit Berlin [Perlen] gestickt« und einem »Perlin Federlin« geschmückt. Außerdem zählt das Inventar einen Diamantring, einen Smaragdring, zwei Rubinringe, einen goldenen Siegelring und 32 Silberknöpfe auf. Derart ausstaffiert konnte sich der junge Thüringer durchaus auf einer gräflichen Hochzeit sehen lassen.
Das Wappen der Familie von Meusebach auf dem Epitaph in der Friedhofskapelle Waldenburg
Die Feierlichkeiten auf Schloss Waldenburg waren mit der formalen Eheschließung keinesfalls zu Ende gegangen. Zehn Tage lang wurde die Vermählung des Grafen Ludwig Eberhard von Hohenlohe mit Gräfin Dorothea von Erbach nach allen Regeln der Kunst zelebriert. Leider hat sich kein regelrechter Ablaufplan erhalten, sodass sich nicht nachweisen lässt, ob etwa Reiterspiele oder Jagdvergnügen zum Festprogramm gehörten. Immerhin belegen die erhaltenen Rechnungen, dass das Gros der Unkosten auf gutes und reichliches Essen entfielen. Bei anderen Hochzeiten des gräflichen Hauses Hohenlohe lässt sich eine Abfolge der Speisen nachweisen, die wohl auch im Jahr 1610 eingehalten wurde. Der Tag begann mit einer Morgensuppe, um die Mittagszeit folgte ein erstes, mehrgängiges Bankett, dann, am Nachmittag, der Untertrunk, ein abendliches Bankett und schließlich der Schlaftrunk. Die Begriffe »Suppe« und »Trunk« dürfen hier nicht allzu wörtlich genommen werden, da auch bei dieser Gelegenheit handfeste Speisen serviert wurden. Zum Schlaftrunk gehörten üblicherweise kandierte Früchte, Zuckerwerk, Lebkuchen und andere Süßigkeiten.
Das ganze Ausmaß des »großen Fressens« wird in den erhaltenen Rechnungen deutlich. Die Gäste in Waldenburg verzehrten knapp 60 Rinder, 50 Schweine, 127 Schafe und Hammel und große Mengen Wildbret. An Geflügel wurden unter anderem 410 Hühner und Kapaune, 127 Gänse, 30 Feldhühner, 22 Enten, vier Pfauen und etliche Kleinvögel aufgetragen. Der Bedarf an Eiern belief sich auf 3.500 Stück. Auch an Fisch wurde nicht gespart. Die Rechnungen weisen knapp 1.200 Karpfen, 602 Hechte, 230 Forellen, 124 Pfund Aal und verschiedene Kleinfische aus. Hinzu kamen gedörrter Bodenseefisch und beachtliche 4.200 Krebse. Als Beilage sind rund 3.400 Paar Wecken und etwa ebenso viele Laibe Brot aufgeführt. Weniger abwechslungsreich als die Fleisch- und Fischauswahl war das Gemüseangebot: Durch Quellen belegt sind lediglich Kraut und Rüben.
Die Mahlzeiten waren nicht nur reichlich, sondern auch exquisit – und somit kostspielig – gewürzt. Erwähnung finden Safran, Ingwer, Nelken, Pfeffer, Muskatnuss, Muskatblüten, Zimt, Koriander und Fenchelsamen. Auch andere Speisen und Zutaten auf der Hochzeitstafel hatten einen langen Exportweg hinter sich: Oliven, Kapern, Mandeln, Reis, Zucker, Zitrusfrüchte und »Parmaßon Keeß« zeugten vom guten Geschmack, der Weltgewandtheit und dem Wohlstand des Gastgebers. Unklar bleibt, wie viel Wein es brauchte, um all das herunterzuspülen. Da der größte Teil des Rebensafts nicht eingekauft wurde, sondern aus dem eigenen Keller stammte, liegt hierzu keine aussagekräftige Rechnung vor.
Neben dem Essen und Trinken gehörten Musik und Tanz zu den integralen Bestandteilen des Fests. Die 20 Trompeter aus Stuttgart, Öttingen, Fürstenau, Berlichingen und verschiedenen hohenlohischen Orten sowie ein Trommelschläger aus Wimpfen sorgten für die klangliche Umrahmung der zeremoniellen Programmpunkte. Lehrer und Schüler der Lateinschule in Öhringen trugen Vokalmusik vor und ein namentlich ungenannter Sänger erhielt 42 Kreuzer, weil er dem frisch vermählten Grafen Ludwig Eberhard ein (leider nicht überliefertes) Lied widmete. Zum Tanz spielten Gruppen oder einzelne Interpreten aus Erbach, Schwäbisch Hall, Öhringen, Weikersheim und Waldenburg, im Ganzen etwa 30 Musiker, auf. Besonders bemerkenswert ist, dass das siebenköpfige Ensemble aus Weikersheim unter Leitung des berühmten Komponisten und gräflich-hohenlohischen Kapellmeisters Erasmus Widmann stand. Die vier Öhringer Musiker werden an einer Textstelle als »Wölffle von Öringen mit seinen Consorten« bezeichnet – die vielleicht älteste namentlich bekannte Boy Group der hohenlohischen Geschichte.
Die ersten sechs Tage über scheint das Hochzeitsfest auf Schloss Waldenburg fröhlich und friedlich verlaufen zu sein. Erste Anzeichen eines aufziehenden Konflikts zeigten sich am Abend des siebten Tages, dem 3. Oktober 1610, der auf einen Samstag fiel. Später erinnerte sich der hohenlohe-waldenburgische Jägermeister Heinrich von Meerrettich, dass er sich an jenem Abend im Festsaal aufgehalten habe. Der allabendliche Tanz war schon beendet und die meisten Gäste zogen sich in ihre Unterkünfte in Schloss und Stadt zurück, als der Jägermeister auf zwei Streithähne aufmerksam wurde. Es handelte sich um Liebmann von Meusebach und den bereits erwähnten Friedrich von Lelliewah. Der 25-jährige Lelliewah stammte aus der Nähe von Kulm (heute: Chełmno). Trotz seines geringen Alters hatte er sich bereits eine gewisse Weltläufigkeit erworben. Einen Teil seiner Jugend hatte er in Königsberg und Berlin zugebracht. Später hatte er sich seine Sporen im Süden des Reiches verdient, erst bei den Grafen von Oettingen, dann bei den Grafen von Erbach, in deren Diensten er 1610 stand.
Durch das Wortgefecht der Kontrahenten erfuhr Heinrich von Meerrettich, dass sich der Unmut an einem geringen Geldbetrag entzündet hatte. Offenbar hatten sich Meusebach und Lelliewah während der Hochzeitsfeierlichkeiten zusammengesetzt und ein Würfel- oder Kartenspiel gewagt. Meusebach hatte verloren und war Lelliewah neun Batzen (= 36 Kreuzer) schuldig geblieben. Offenbar erkannte Meusebach die Rechtmäßigkeit dieser Forderung durchaus an. Zumindest enthalten die Quellen keinen Hinweis, dass sich der junge Edelmann durch seinen Spielkumpanen über den Tisch gezogen oder betrogen fühlte. Und dennoch weigerte er sich standhaft, die neun Batzen zu bezahlen. Heinrich von Meerrettich versuchte die Wogen zu glätten und ermahnte die jungen Männer, sie »sollten fridlich und eynig mit einander sein [und] nichts bey disem gravlichen Beylager anfachen, dann es bishero fridlich abgangen.« In der Hoffnung, die Gemüter beruhigt zu haben, nahm der Jägermeister seinen Abschied und suchte seinen Schlafplatz auf.
Die Hoffnung erwies sich schon tags darauf als vergeblich: »Volgenden Sontag nach dem Mittag-Imbiß hetten sy wider miteinander zue zanckhen angefachen, und Lelif zu Meyßbach gesagt: Er were ime 9 Bazen schuldig, soltte ime nur etwas khaufen oder das Geltt geben, welches aber Meyßbach verweigert, mit dem Reden: Er gebe ime also nit.«
Stattdessen bot Meusebach dem Kontrahenten sein altes Degengehenk an, das dieser aber als zu geringwertig zurückwies: »Das neme er nit.« Aber auch Friedrich von Lelliewah war bereit, seinem Schuldner entgegenzukommen. Er zeigte sich bereit, auf mehr als die Hälfte seiner Ansprüche zu verzichten, und forderte Meusebach auf, ihm einen Batzen zu geben und ein Paar Handschuhe zum Preis von drei Batzen zu kaufen, »so woltte er zufriden sein.« Diesen Kompromiss schlug wiederum Meusebach aus: »Er gebe ime also nit.«
Nachdem alle vorherigen Schlichtungsversuche gescheitert waren, schaltete sich mit Friedrich von Kirschky, dem hohenlohischen Amtmann in Sindringen, ein weiterer hoher Beamter der Grafschaft Hohenlohe ein. Dieser gab später zu Protokoll, wie sehr er sich gerade an jenem Sonntag gefreut habe, dass die Hochzeitsfeierlichkeiten bisher ohne größere Zwischenfälle vonstattengegangen seien. Er habe, so seine Aussage, in der Hofstube gestanden »und mit zusammen gelegten Henden Gott gedanckht, daß es bey diser großen Menge so fridlich und wol abgangen, auch sonst kheyn Feursgefahr entstanden« sei. Der bei ihm stehende Sebastian von Morstein brachte den frohlockenden Amtmann auf den Boden der Tatsachen zurück, indem er ihm erklärte, »es were nit alledings frid, dann dort zween, die sich wollen streiten und balgen.« Nach einigen Nachforschungen musste Kirschky feststellen, dass es sich bei einem der »zween« um Friedrich von Lelliewah, den Sohn seiner Schwester, handelte. Der Amtmann musste demnach ein besonderes Interesse daran haben, den entstandenen Zwist nicht eskalieren zu lassen. Sollte sich sein junger Neffe in einen Skandal verwickeln lassen, so würde das zweifelsohne auch auf ihn zurückfallen. Entsprechend suchte er Lelliewah auf und wies ihn zurecht: »Es weren so vil Fürsten, Graven, Herrn und vom Adel alhier gewesen und [haben] nichts angefangen. Was er thon wolle? Solle sich zur Rhue begeben.« Lelliewah beteuerte gegenüber seinem Onkel, dass er dem Kontrahenten nichts tun wolle, wenn man ihm nur zu seinem Recht, also zu seinem Geld, verhelfe. Er führte weiter aus, dass er die sechs Batzen weit dringender brauche als Meusebach: Dieser »hette 10 Thaler zu verzehren, wo er khaum 10 Batzen hette.« (Tatsächlich fand sich bei der Inventarisierung des Gepäcks des Liebmann von Meusebach eine erhebliche Geldsumme von mehr als 23 Gulden. Rechnet man mit einem Gulden zu 60 und einem Taler zu 90 Kreuzern, so führte Meusebach mehr als 15 Taler mit sich. Es ist allerdings gut möglich, dass diese erkleckliche Summe mit den Familiengeschäften zusammenhing, die ihm aufgetragen worden waren, sodass er über das Geld nicht frei verfügen konnte.)
Nachdem sich Kirschky die Klagen seines jüngeren Verwandten angehört hatte, unternahm er einen Versuch, das zerbrochene Porzellan durch ein Versöhnungsritual zu kitten. Gemeinsam mit Lelliewah suchte er dessen Kontrahenten Meusebach auf und redete auch diesem ins Gewissen. Anschließend ließ er den beiden je ein »Glaslin mit Wein« einschenken und forderte sie auf, »es soll ir einer dem andern umb Fridlebens willen einen [Trinkspruch] bringen.« Auch dieser Versuch der Konfliktlösung zeigte keinen Erfolg: »Es hette aber kheyner den Anfang machen wollen.« Vielmehr habe »jeder das Glaslin ausgedrunckhen, von sich gesezt und were alsbald Lelif [Friedrich von Lelliewah] zur Stuben hinaus gangen.« Meusebach sei noch bei ihm geblieben und habe ihm von verschiedenen Angelegenheiten seiner Verwandtschaft erzählt, ehe auch er die Runde verlassen habe.
Kurz nach dieser Szene wandte sich Lelliewah vertraulich an den Jägermeister von Meerrettich und weitere umstehende Gäste und erklärte, »weyl er«, also Meusebach, »ja ine nit bezahl, so wolle er ime eine Maultaschen geben.« (Den Anwesenden war sicherlich klar, dass er seinem Schuldner kein schwäbisches Traditionsgericht servieren wollte, sondern eine schallende Ohrfeige ankündigte.)
Die Gelegenheit zum Schlagabtausch bot sich kurze Zeit später. Der ahnungslose Liebmann von Meusebach hatte sich mittlerweile einer anderen Gruppe von Edelmännern zugesellt und ihnen gesagt, »die Zeit wer ihm lang«, ob denn niemand der Herren Lust habe, ein wenig mit ihm auszureiten. Da die anderen verneinten, verließ er das Schloss allein. Allerdings bemerkten die Zurückgelassenen, dass Friedrich von Lelliewah gleich darauf ebenfalls seinen Abschied nahm. Diejenigen unter ihnen, die um Lelliewahs Drohung mit der Maultasche wussten, befürchteten das Schlimmste und eilten den Streithähnen hinterher. Der Hofjunker Hans Reinhard Kröll erinnerte sich später, dass er von Weitem gesehen habe, »daß Lelif dem Maißbach starckh uf dem Fueß nachgevolgt und ehe er sie erreicht, ime bey dem Rahtthaus ein Maulschellen geben.« Der Schlag muss gesessen haben. Laut Jägermeister Heinrich von Meerrettich war die Ohrfeige so heftig, »daß das Bluett hernach gevolgt« sei. Meusebach sei bei alledem still geblieben, habe kein Wort gesagt, sondern sein Quartier im Haus des Forstknechts Conz Mayer aufgesucht, um seinen Degen zu holen. Jetzt ging es nicht mehr um neun Batzen. Jetzt ging es um die Ehre.
Duelle stellten in der Frühen Neuzeit eine adäquate Form der Konfliktlösung unter Adeligen aller Ränge dar. Es gehörte zum Selbstverständnis dieses gehobenen Gesellschaftsstandes, sich keinem fremden Richterspruch zu unterstellen, sondern sich nötigenfalls selbst Recht und Genugtuung zu verschaffen. Die Anlässe eines Duells wirken aus moderner Sicht oftmals unbedeutend und nichtig. Dabei muss aber dem Ehrbegriff der Zeit Rechnung getragen werden. Wenn Liebmann von Meusebach 1610 zum Degen griff, so ging es ihm nicht um seine geringe Spielschuld, sondern um die Demütigung, die er durch die Ohrfeige eines etwa gleichrangigen Kontrahenten erfahren hatte. Wer seine angegriffene Ehre nicht verteidigte, drohte, ihrer verlustig zu gehen. Eine Ehrverletzung, zumal wenn sie ungesühnt blieb, betraf nicht allein die jeweils betroffene Person, sondern konnte sich auf ihre gesamte Familie auswirken. Friedrich von Lelliewah hatte demnach nicht nur Liebmann von Meusebach, sondern die Gesamtheit der Herren von Meusebach geohrfeigt und gedemütigt. Welcher der beiden Männer im vorangegangenen Streit um die Spielschulden im Recht war, war dabei von untergeordneter Bedeutung.
Auch Mitglieder des gräflichen Hauses Hohenlohe waren gelegentlich an Duellen beteiligt. So geriet im Jahr 1541 Graf Philipp von Hohenlohe mit Graf Poppo von Henneberg, beide Domherren zu Würzburg, in einen Streit, bei dem es vordergründig lediglich um einen auf der Jagd erlegten Hasen, tatsächlich aber um Fragen des Vorrangs und der Ehre ging. Im Schwertkampf erlitt Graf Philipp eine Kopfwunde, an der er einige Tage später verstarb. Graf Poppo floh zunächst aus Würzburg und behauptete, sein Gegner sei nicht durch den Schwertstreich, sondern die Unfähigkeit der örtlichen Ärzte ums Leben gekommen. Später verglich er sich mit dem Haus Hohenlohe und entrichtete eine Summe von 2.100 Gulden zugunsten des Spitals in Öhringen.
Zu einem Beinahe-Duell zwischen zwei Grafen von Hohenlohe kam es 1642 in Ohrdruf, weil Graf Johann Friedrich von Hohenlohe auf eine stille Trauerzeit für seinen jüngst verstorbenen Vater bestand, wohingegen sein Vetter Graf Joachim Albrecht nicht auf seinen Musikgenuss in Schloss und Kirche verzichten wollte. Erst ein veritables Donnerwetter des Kurfürsten von Sachsen und ein Verweis auf die hohenlohische Erbeinigung, quasi die Verfassung des Grafenhauses, brachte Johann Friedrich zur Raison. Anders erging es seinem jüngeren Bruder Graf Philipp Maximilian Johann von Hohenlohe. Der Offizier starb 1658 im niederländischen Weert nach einem Pistolenduell.
Im Übrigen ist zu bemerken, dass sich in der Frühen Neuzeit nicht nur Mitglieder des Adels, sondern auch bürgerliche Personen duellierten, um ihre Ehre zu verteidigen. Während der Waffengang unter Blaublütigen als Methode der Konfliktlösung anerkannt oder zumindest toleriert war, mussten Bürgerliche mit empfindlichen Strafen rechnen. Von ihnen wurde erwartet, dass sie ihre Streitigkeiten vor Gericht vortrugen und sich dem Urteilsspruch ihrer Herrschaft beugten.
Der Showdown in Waldenburg fand am Nachmittag des 4. Oktobers 1610 statt. Liebmann von Meusebach forderte seinen Kontrahenten Friedrich von Lelliewah förmlich heraus, indem er ihm dreimalig erklärte, »wan er ein redlicher Gselle [sei], solle er ime erscheynen.« Lelliewah nahm die Herausforderung an. Die Duellanten gingen vor das Stadttor und zogen ihre Degen. Die ersten vier oder fünf Anläufe konnte der jeweilige Konterpart parieren. Als Liebmann seinen Degen erhob, um einen weiteren Streich zu führen, kam ihm Friedrich von Lelliewah zuvor. Blitzschnell stach er zu und traf den rechten Arm des Gegners so heftig, dass eine blutende Wunde zurückblieb. Damit war das kurze Gefecht entschieden. Liebmann von Meusebach wurde am Ort des Geschehens verarztet und in die nahe Torstube geführt. Alle Augenzeugen bestätigten, dass es ein fairer und redlicher Kampf gewesen sei.
Liebmann von Meusebach verbrachte die letzten Tage seines Lebens in seinem Quartier in Conz Mayers Haus, wo sich der örtliche Barbier nach Kräften um seinen Patienten bemühte. Das mehrtägige Krankenlager lässt vermuten, dass Meusebach weniger am akuten Blutverlust, sondern eher an einer Entzündung seiner offenen Wunde litt. Der Hausherr und ein Musiker, der in den Quellen als »Bastle der Baßgeiger« bezeichnet wird, halfen bei der Pflege des Sterbenden. Vielleicht ließ sich Meusebach aus einem der religiösen, gut-lutherischen Bücher vorlesen, die später in seinem Gepäck gefunden wurden. Außer einem Katechismus und einem Psalter besaß er einen »Habermann«. Gemeint ist vermutlich das 1565 erstmals erschienene »Christliche Gebett für alle Not und Stende der gantzen Christenheit« des Theologen Johann Habermann – seinerzeit ein Bestseller der geistlichen Literatur. Kein Wunder! Das Büchlein enthält Gebete für alle Lebenslagen: Ein Gebet »wider deß Teuffels Anfechtung«, eines »zur Zeitt deß Donners und Ungewitters«, eines »wider den Türcken«, das »Gebeth für ein Weib das nicht Kinder hat«, das »Gebet wenn die Eltern Kinder zur Schul thun«, »Armer Leut Gebet für ihr Viehlein« … Und natürlich enthält es auch Gebete, die den Sterbenden auf seiner letzten Reise begleiten sollen:
»[…] Ich bitt durchs bitter Leyden dein,
Du wöllst mir Sünder gnädig sein,
Wenn ich nun komm in Sterbens Noth
Und ringen werde mit dem Todt.
Wenn mir vergeht all mein Gesicht
Und meine Ohren hören nicht,
Wenn meine Zunge nicht mehr spricht
Und mir vor Angst mein Herz zerbricht.
Wenn mein Verstand sich nichts versinnt
Und mir all menschlich Hülff zerrint,
So komm O HERR Christ mit behend
Zu Hülff an meinem letzten End.
Und führ mich aus dem Jammerthal,
Verkürz mir auch des Todtes Qual,
Die bösen Geister von mir treib,
Mit Deinem Geist stets bey mir bleib. […]«
Liebmann von Meusebach starb zwei Tage nach seiner Verwundung und nachdem er das heilige Abendmahl empfangen hatte am 6. November 1610. Sein Leichnam wurde gewaschen und mit jenen Kleidern angekleidet, die er beim Duell getragen hatte. Sein Hut und sein Degen wurden mit in den Sarg gelegt. Unter dem Gesang von 130 Schülern wurde er von zwölf Sargträgern zur Friedhofskapelle in Waldenburg gebracht. Etliche Gäste, die zur Hochzeit gekommen waren, schlossen sich dem Trauerzug an, sodass auch gräfliche Personen den jungen Junker aus Thüringen auf seinem letzten Weg begleiteten. Nach einer Leichenpredigt wurde er im Inneren der Kapelle beigesetzt.
In der mittelalterlichen Friedhofskapelle von Waldenburg fand Liebmann von Meusebach sein Grab
Dem Duell in Waldenburg folgte ein kurzes Nachspiel. Ein Brief der gräflich-hohenlohischen Kanzlei erreichte die Brüder Conrad Heinrich, Albrecht und Christoph von Meusebach am 22. November 1610. Das Schreiben unterrichtete sie ausführlich und in wohlgesetzten Worten vom gewaltsamen Tod und der Beisetzung ihres Bruders Liebmann. Die Beamten versicherten den Hinterbliebenen, dass sie ob der Tragödie »ein hertzlich und christlich Mitleiden tragen, und hetten für unser Person, gedachtem eurem Bruder seligen in Ansehung seiner blühenden Jugend daß zeitliche Leben unnd guetten Zustand von Hertzen gern gönnen mögen. Dieweilen es dem lieben Gott allso gefalln, ist es seinem göttlichen Willen billich haimzusetzen unnd zu befelhen.« Im Übrigen baten die Beamten um Auskunft, ob man einen Grabstein in Auftrag geben solle. Dem Brief aus Waldenburg waren das Inventar über die Besitztümer des Verstorbenen und Abschriften der Zeugenaussagen beigelegt.
Die Brüder im fernen Thüringen waren zunächst nicht bereit, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen, sondern dachten über rechtliche Schritte gegen Friedrich von Lelliewah nach. In ihrem Antwortschreiben formulierten sie eine ganze Reihe von Fragen, die auf eine strafrechtliche Verfolgung abzielten: Hatte der »Mordthetter« im Duell möglicherweise eine vergiftete Waffe benutzt? Hatte er unter der Kleidung irgendeine Form von Rüstung getragen? War er immer noch bei den Grafen von Erbach anzutreffen?
Die Kanzleibeamten in Waldenburg wiesen alle Spekulationen über einen unfairen Kampf und einen mit Hinterlist errungenen Sieg des Friedrich von Lelliewah zurück, indem sie auf die Augenzeugen des Vorgangs verwiesen. Nach dieser Auskunft verzichteten die Brüder Meusebach wohl auf weitere Maßnahmen. Sie hielten, so ein weiterer Brief aus Thüringen, einen ordentlichen Kriminalprozess weiterhin für geboten, doch müssten sie »wegen Ferne des Weges unnd auß andern Umbstenden, so von hochverstendigen Freunden uns zu Gemuthe geffurett« von diesem Schritt zurücktreten. Man wolle es dem Gutdünken der Grafen von Hohenlohe überlassen, juristische Maßnahmen in die Wege zu leiten oder darauf zu verzichten. Da in Hohenlohe naturgemäß kein besonderes Interesse bestand, einen unsicheren und kostspieligen Prozess gegen den Diener einer nahe verwandten Familie zu führen, war die Affäre somit ausgestanden.
Die Brüder des Verstorbenen begnügten sich damit, dem Verschiedenen ein ehrendes und standesgemäßes Andenken zu bereiten. Sie gaben das Epitaph in Auftrag, das sich bis heute in der Friedhofskapelle befindet, ebenso die eigentliche Grabplatte, die ursprünglich im Boden der Kapelle eingelassen war. Sie hat sich ebenfalls erhalten und ist heute in die Friedhofsmauer integriert.
Und der Sieger des Duells? Friedrich von Lelliewah war noch ein langes, durchaus aufregendes Leben beschieden, dessen Verlauf sich seiner gedruckten Leichenpredigt entnehmen lässt. Kurze Zeit war er Fahnenjunker des Markgrafen von Baden, später diente er zwölf Jahre lang als Forst- und Jägermeister der Grafen von Waldeck. 1622 erlebte er in Innsbruck die Hochzeit des Kaisers Ferdinand II. mit Eleonore von Mantua und kurze Zeit später die Krönung der Braut zur Königin von Ungarn. Nach einem kurzen militärischen Engagement im Dreißigjährigen Krieg heiratete er 1626 die Jungfer Giesell Ilse von Saldern. Aus der Ehe gingen drei Söhne hervor, von denen nur einer das Erwachsenenalter erreichte. Im gesetzten Alter von rund 40 Jahren pachtete Lelliewah verschiedene Herrengüter, zuletzt jenes in Kemme (heute im Landkreis Hildesheim, Niedersachsen), auf dem er 1652 nach längerer Krankheit im Alter von 67 Jahren verstarb. Das über 40 Jahre zurückliegende Duell von Waldenburg und der unglückliche Liebmann von Meusebach finden in der Leichenpredigt keine Erwähnung. Über die Toten nur Gutes.