Читать книгу Direkt vor deiner Tür - Janina Nikoleiski - Страница 4

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Wir wurden wach, weil aus der Küche klappernde Geräusche kamen und es nach Kaffee duftete. Chrissi und ich schleppten uns aus dem Bett, beide neugierig, was da in der Küche vor sich ging.

„Guten Morgen Ladies! Na, wie war die Nacht?“, erklang eine sehr bekannte Stimme aus der Küche, als wir die Nasen aus der Tür streckten.

„Daniel!“, riefen wir wie aus einem Mund.

Und tatsächlich, in der Küche war ein tolles Frühstück aufgebaut, frischer Kaffee, Brötchen und frisches Obst standen auf dem Tisch und Robert und Daniel im Partnerlook daneben und strahlten uns an.

„Du hast uns eingeladen, und bevor es wieder ein Jahr dauert, bis es was wird, haben wir uns gedacht, wir kommen einfach gleich heute Morgen vorbei. Wir hoffen, dass du nicht böse bist, weil wir den Ersatzschlüssel benutzt haben“, erklärte Robert und grinste noch breiter.

„Wie könnte ich da denn sauer sein, ich meine, das ist ja ein traumhaftes Frühstück!“‚ rief ich, während ich Robert und Daniel mit einem Küsschen begrüßte.

„Tja Liebes, das war auch das Einzige, was wir machen konnten. Hast du schon rausgeschaut? Wir haben erst überlegt, ob wir dir noch ‘nen Schneemann bauen sollen“, sagte Daniel und zeigte aus dem Fenster.

„Du machst Witze!“‚ stammelte ich und folgte seinem Blick. Und tatsächlich, es lagen da draußen sicherlich 15 Zentimeter Schnee auf dem Dach des Schuppens hinter dem Haus. Chrissi stöhnte auf, drehte mich um und schob mich auf einen Stuhl, reichte mir den Brötchenkorb und wuschelte mir durch die ohnehin schon ungekämmten Haare.

Vergessen war der Schnee und wir frühstückten in Ruhe und erzählten von den Geschehnissen der Nacht.

„... und ob ihr es glaubt, oder nicht, aber wir mussten die Beiden dann in ein Taxi setzen, so besoffen waren die. Also manche Rentner sind noch ganz schon rüstig, das sag ich euch!“‚ beendete Robert gerade seine Erzählung über ein Rentnerpaar, dass in der Kneipe zu tief ins Glas geschaut hatte.

„Sie hatten sogar vorher vorsorglich ihre Adresse aufgeschrieben, damit sie der Taxifahrer sicher nach Hause bringen konnte. Wirklich unglaublich!“, fügte Daniel noch hinzu und bestrich sich sein Brötchen.

Chrissi erzählte gerade von einem der Typen, der ihr heute Nacht immer an die Wäsche gewollt hatte. Irgendwann hatte sie es dann geschafft, ihm klar zu machen, dass er keine Chance hatte. Zwar hatte sie ihm dafür ein halbes Bier über den Kopf kippen müssen, aber danach war sie ihn endlich losgeworden.

Daniel musste so sehr lachen, dass er sich verschluckte. Als er sich wieder beruhigt hatte, hörten wir, wie im Flur eine Tür aufging und Tom steckte den Kopf in die Küche.

„Uh, man siehst du beschissen aus. War 'ne heftige Nacht, was?!“, kicherte Robert und streichelte Daniel ein wenig den Rücken. Wir mussten alle ein über diesen Kommentar lächeln. Tom schien das gar nicht zu verstehen. Oder es war ihm einfach egal. Er ging in einer ziemlich löchrigen Boxershorts an unserem Tisch vorbei und beugte sich über die Spüle, um direkt aus dem Wasserhahn zu trinken.

„Alter, ihr habt sicherlich noch Gläser im Schrank. Und wie wäre es, wenn du dir mal was überziehen würdest. Denn ich fürchte, dass ich gerade deinen haarigen Sack gesehen habe, und mir ist jetzt der Hunger vergangen“, motzte Chrissi meinen Mitbewohner an. Der drehte sich um, schaute sie aus geröteten Augen an und grinste blöd.

„Wenn du keinen Hunger mehr hast, ist das ja über, oder?“, antwortete er und griff nach dem halben Croissant auf ihrem Teller. Er war einfach unverschämt und abartig.

„Oh mein Gott, macht er das öfter? Mich wundert es, dass du noch hetero bist, bei solchen Aussichten“, murmelte Robert, und tat so, als würde er würgen.

„Es gibt auch Tage, da hat er nicht so einen heißen Fummel an. Da bleibt er lieber ganz natürlich“, sagte ich und Daniel schob seinen Teller von sich weg.

„Wie schön, dass wir schon so gut wie fertig waren“, gab er zurück und lächelte dann plötzlich. „Also, wie sieht es aus, doch noch einen Schneemann bauen?“, fragte er und bekam ein glitzern in den Augen, dass mich Schlimmes ahnen ließ. Zum Glück half Chrissi mir aber aus der Patsche.

„Ehrlich gesagt, möchte ich lieber mit den Traummännern, die uns so ein tolles Frühstück gezaubert haben, auf die Couch und schnulzige Tanzfilme ansehen. Was haltet ihr von Step Up 1-4?“, fragte sie und zwinkerte mich an. Fast hatte ich sie fest gedrückt, denn ich hatte absolut keine Lust, jetzt mit den Jungs draußen im Schnee herum zu toben. Aber Daniel kam mir zuvor.

„Oh ja, das machen mir, und später bestellen wir ’ne Pizza! Fauler Sonntag für alle!“‚ rief er und sprang auf. Wir stellten schnell das Geschirr in die Spülmaschine und gingen dann alle in mein Zimmer. Die Couch wurde ausgezogen, alle Kissen und Decken darauf ausgebreitet und wir kuschelten uns gemütlich zusammen auf die Couch. Es war angenehm, mit meinen Freunden einfach so dazusitzen, zu kuscheln und an nichts weiter zu denken, als an das, was wir in den Filmen sahen.

Obwohl wir die Filme alle bereits kannten, war es uns nicht langweilig und wir fieberten an den richtigen Stellen mit und konnten sogar manche Texte mitsingen und mitsprechen.

Daniel schoss mal wieder den Vogel ab, als er anfing zu weinen, weil er den Schlusstanz im letzten Teil der Reihe so schön fand. Lachend reichte ich ihm ein paar Taschentücher.

Mitten in unserem Filmmarathon fiel mir die Bierkiste ein, die ich letzte Nacht auf der Terrasse vergessen hatte. Die Flaschen hatten die Minusgrade nicht überlebt und waren alle geplatzt. Schade um das Bier. Schnell zog ich mir etwas über und brachte die gefrorene Kiste hinunter in den Müll. Danach gesellte ich mich mit eiskalten Füßen wieder zu den Anderen unter die Decke, und wir schauten noch den letzten Teil zu Ende.

Danach mussten Robert und Daniel schon wieder aufbrechen, da es sehr spät geworden war.

Am nächsten Tag würde ich wieder früh raus müssen. Bei dem Wetter konnte ich wahrscheinlich noch eine halbe Stunde mehr als sonst einplanen, da es durch den Schnee schnell zu Verspätungen bei den Bahnen geben konnte. Chrissi wollte noch über Nacht bei mir bleiben, da wir ihrer Meinung nach gestern nicht ausreichend dazu gekommen waren, über Berlin und ihre Pläne zu sprechen. Als wenn sie jemals einen Grund gebraucht hatte, um bei mir zu übernachten.

Schnell machten wir uns noch eine Kleinigkeit zu Essen und verzogen uns wieder auf die ausgezogene Couch.

Der Typ mit dem sich Chrissi in Berlin getroffen hatte, hatte ein paar tolle Ideen vorgestellt, was die Zusammenarbeit zwischen den Firmen anging. Aber auch so schien er sie sehr zu interessieren. Meine beste Freundin kam aus dem Schwärmen kaum noch heraus. Allerdings erklärte sie auch, dass nur eines in Frage kam. Entweder eine Beziehung oder die professionelle, geschäftliche Zusammenarbeit. Sie wollte Konflikte zwischen beidem vermeiden.

„Aber du müsstest Sebastian mal sehen! Allein seine grünen Augen haben mich schon gefesselt! Vielleicht kannst du ihn ja bald kennen lernen. Er möchte sich auch meine Firma mal ansehen. Wir wissen nur noch nicht genau wann“, erklärte sie und nahm noch einen Schluck Wein. „Wenn er mir sagt, dass er mit mir zusammenarbeiten will, schlag ich ihn mir aus dem Kopf.“

„Ja, das ist wahrscheinlich besser. Aber es freut mich, dass es trotzdem so schön in Berlin war. Ich wünschte, ich hätte eine ähnliche Alternative. In meiner Firma ist schon wieder was los“, sagte ich und erzählte ihr von dem alltäglichen Wahnsinn mit dem Chef und den Kollegen.

„Das schaffst du schon. Und wenn nicht, nehme ich dich einfach mit nach Berlin!“, antwortete Chrissi und ich verschluckte mich fast an meinem Reis.

„Wie bitte?!“ Ich hatte mich doch wohl gerade verhört, oder? Chrissi wurde rot.

„Das wollte ich dir eigentlich anders beibringen. Wenn wir die Firmen zusammenlegen, werde ich meine Firma nach Berlin verlegen müssen“, gestand sie mir, ohne mich richtig anzusehen.

„Und wenn nicht, und du mit Sebastian zusammen bist, wirst du wohl den gleichen Weg gehen, oder?“ Mir wurde ganz mulmig zumute. Meine vorherige Freude über die große Chance für meine Freundin war verflogen. Das musste ich erst mal verdauen. Sie würde also mit großer Wahrscheinlichkeit nach Berlin gehen.

„Aber Süße, schau doch mal, soweit sind wir dann auch nicht auseinander. Wir können jeden Tag skypen und telefonieren. An den Wochenenden besuchen wir uns einfach gegenseitig“, versuchte Chrissi die Situation zu retten. Das war ein schwacher Trost. Normalerweise sahen wir uns so gut wie jeden Tag und das schon seit ich zurück denken konnte. Die kurze Zeit, die sie in Berlin verbracht hatte, war schon hart gewesen. Wie solle es denn erst werden, wenn sie ganz wegzog? Bloß gar nicht erst dran denken.

„Ja, da hast du wohl recht. Aber es wird nicht das Gleiche sein“, entgegnete ich und mehr wollte ich auch nicht mehr sagen. Meine Stimme zitterte und ich wusste nicht, ob ich sonst losgeheult hätte.

„Lass uns erst mal das Thema wechseln. Es ist ja noch nichts entschieden“, schlug Chrissi vor und streichelte mir über meinen Arm. Sie schien sich mit dem Thema auch nicht sehr wohlzufühlen. „Soll ich dir nicht mal wieder die Haare schneiden? Das letzte Mal ist schon eine Weile her“, sagte sie und schaute prüfend auf meine Haare. Sie waren wirklich schon etwas lang und langweilig. Aber heute hatte ich darauf keine Lust mehr.

„Ich glaube, wir gehen jetzt lieber schlafen. Ich bin hundemüde und muss morgen wieder so früh raus.“ Ich schaute auf die Uhr und gähnte demonstrativ.

„Wenn du meinst. Aber ich kriege dich und deine Haare schon noch in die Finger“, drohte Chrissi und wir lachten beide los.

Sie schnitt mir schon seit langer Zeit die Haare. Sie war zwar keine ausgebildete Friseurin, aber sie konnte mit meinen glatten, langen Haaren gut umgehen.

Wir legten uns ins Bett und machten noch einen von den schnulzigen Filmen an, die wir uns als Teenager immer angesehen hatten. Viel bekam ich allerdings nicht mehr davon mit, da ich schnell einschlief.

Der Wecker klingelte, doch ich war schon wach. Wieder eine Nacht von vielen, in denen ich unruhig geschlafen hatte.

Ständig hatte ich die gleiche Art von Traum, aber immer wieder anders. Am Bahnhof, beim Einkaufen oder bei der Arbeit. Immer beobachtete mich jemand. Aber man sah nie mehr als einen undeutlichen Schatten, der mir folgte. Und wenn ich dann genauer nachsah, löste sich der Schatten einfach auf. Diese Träume hielten mich hin und wieder sogar ganze Nächte wach. Ständig so schlecht zu schlafen war kräfteraubend und nervtötend.

Aber viel schlimmer war es dann, morgens vor die Tür ins Dunkle zu gehen und genau die gleichen Gefühle zu haben wie zuvor im Traum. Angst und Unbehagen. Und immer nur, wenn ich alleine war.

Jetzt brauchte ich erst einmal einen Kaffee. Ich fühlte mich wie gerädert. Nach einem Blick nach draußen wurde mir klar, dass das nicht genug sein wurde. Heute Nacht war neuer Schnee gefallen und es lagen jetzt gut und gerne zwanzig Zentimeter unberührten Schnees in dem Hinterhof. Und das in Hamburg. Meine Laune sank endgültig in den Keller.

Nach dem Kaffee ging ich ins Bad um mich für die Arbeit fertig zu machen.

Chrissi schlief noch, als ich fertig war. Also legte ich ihr einen Zettel auf den Tisch, auf dem ich ihr schrieb, dass sie gern so lang bleiben könne, wie sie wollte und ich sie lieb hätte. Ich ging die Treppe runter und bekam schon feuchte Hände.

Mist.

Die Glühbirne im Eingang war ja noch nicht ausgetauscht worden. Daran hatte ich gestern nicht gedacht. Und es war draußen stockfinster.

Blöder Winter.

Ich musste wohl oder übel hinaus in die Dunkelheit. Mein Herz klopfte immer schneller. Ich zog mein Handy aus der Tasche und machte mir damit Licht. Zum Glück musste ich nicht abschließen, da Tom und Chrissi ja oben waren.

Bloß nicht so lange in der Dunkelheit stehen.

Mich nicht hektisch umdrehen und umsehen.

Ich atmete noch einmal tief ein und ging dann raus.

Der Wind der um die Ecke fegte, war eisig und sofort tränten mir die Augen, was mir die Sicht erschwerte. Ich knallte die Tür zu und ging durch den Schnee schnell zum Gartenzaun, wo auch der Fußweg anfing und das Licht der Straßenlaterne alles in kaltes Licht warf.

Beim Öffnen des Zaunes griff ich in den Schnee und bedauerte, meine Handschuhe nicht eingepackt zu haben. Aber unter keinen Umständen würde ich noch mal zurückgehen.

Lieber kalte Hände haben, als zurück durch die Dunkelheit.

Mein Atem ging immer noch flach, als ich mich beeilte, meine Lampe am Handy wieder auszuschalten, bevor die Finger zu eisig wurden.

Um diese Uhrzeit war noch nicht viel los auf den Straßen, deshalb ging ich schnell zur Bushaltestelle. So schnell es der knirschende Schnee unter meinen Schuhen es eben zuließ.

Einmal meinte ich hinter mir etwas zu hören, und schaute mich schnell um, was das Geräusch verursacht haben könnte. Mein Nachbar aus dem Haus gegenüber begrüßte mich mit einem Kopfnicken und blickte dann wieder zu seinen Hund, den er an einer Leine spazieren führte.

Als ich mich erleichtert umdrehte sah ich schon meinen Bus kommen und war froh, wenn auch nur für wenige Minuten aus der Kälte herauszukommen.

Im Bus angekommen holte ich meine Kopfhörer aus der Tasche und suchte in meinem Handy die Liste mit Ill Niño und schloss mit der Musik die Geräuschkulisse um mich herum aus.

Nach einmal Umsteigen hatte ich dann eine längere Zeit zu fahren und konnte ungestört meinen Gedanken nachhängen.

Diese Ängste gingen mir gewaltig auf die Nerven. Aber um mich herum war ständig etwas Merkwürdiges los.

Es hatte damit angefangen, dass an unserer Haustür von außen immer Spuren waren, als hätte jemand sein Gesicht an die Scheibe gedrückt, um besser in den Flur sehen zu können. Als ich Tom mal darauf angesprochen hatte, ob die Spuren von ihm stammten, hatte er nur dazu gesagt, dass er viel Mist machen würde, wenn er gekifft hatte, aber das wäre selbst für ihn zu schräg. Diese Abdrücke waren nicht nur einmal dort gewesen. Wann immer ich einen Abdruck sah, wischte ich ihn von der Scheibe. Eigens zu diesem Zweck standen bereits eine Rolle Küchenpapier und Glasreiniger neben der Tür.

Manchmal kam es mir schon so vor, als wäre unsere Haustür ein Schaufenster, an dem sich neugierige Passanten die Nase platt drückten. Nicht, dass es in unserem Flur viel zu sehen gab. Noch dazu war die Tür ja nicht mal direkt von der Straße aus zugänglich. Jemand musste also immer erst durch das Gartentor und den kleinen Weg hinauf, um in unsere Haustür zu schauen.

Anfänglich versuchte ich mich damit zu beruhigen, dass es nur verirrte Kunden von dem Laden unter unserer Wohnung waren, die nach einem Eingang suchten. Aber nachdem der Laden dort pleitegegangen war, und kein Nachmieter gefunden werden konnte, wollte das nicht mehr so recht passen.

Als nächstes hatte ich unsere Vermieter im Verdacht gehabt, aber das hätte ja bedeutet, dass sie sich für etwas anders als ihre eigenen Dinge interessierten. Sie hatten jedoch mehrfach bewiesen, dass ihnen alles andere völlig egal war.

Dann hatte vor einer Weile diese Sache auf dem Parkplatz gegenüber angefangen. Mit dem Raucher in den unterschiedlichen Autos. Wie viele unterschiedliche Menschen setzten sich wohl im Schutz der Dunkelheit in ihr Auto um eine zu rauchen? Noch dazu immer in Richtung unseres Hauses geparkt?

Die meisten Anwohner der Gegend parkten nämlich oft dicht am Haus, sprich am anderen Ende des Parkplatzes und nicht an der Straße.

Aber ich traute mich auch nicht, rüber zu gehen und nachzuschauen, wer da immer saß.

Einmal hatte ich Tom um Hilfe gebeten. Er hatte mich nur ausgelacht und gemeint, dass dort sicherlich irgendwelche krummen Geschäfte gemacht würden. Nur war ich mir sehr sicher, dass dafür dort mehr passieren musste, als dass jemand dort allein im Auto saß. Aber so wie ich das beobachtet hatte, war da niemand, der zu dem Raucher im Auto ging.

Also blieb mir nichts anderes übrig, als abends die Vorhänge zu schließen und zu versuchen, nicht ständig daran zu denken, dass dort draußen jemand saß. Um auf der Terrasse zu sitzen war es im Moment eh viel zu kalt. Ein winziger Trost.

Ich konnte nur hoffen, dass ich mir da nur irgendetwas einbildete und dass alles bald vorbei war.

Bei der Arbeit erwartete mich schon wieder ein riesiger Berg mit Papieren und Unterlagen. Ein ganz normaler Montag also.

In der Kaffeeküche war bereits viel los und es ging der neueste Klatsch der Firma um. Eine Kollegin hatte ein Baby bekommen und man munkelte, es sei mit einem anderen Kollegen aus der Firma gezeugt worden und nicht von deren Ehemann. Und ihr Mann wisse nichts von der Affäre. Die Leute hatten Probleme.

Ich beeilte mich, mir nur schnell einen Kaffee zu holen und nicht in die Lästerei mit hineingezogen zu werden. Hier hatte es schon richtigen Stress gegeben, weil jemand Lügen verbreitet hatte. Der betroffene Kollege hatte damals sogar gekündigt, obwohl er nicht mal eine neue Stelle in Aussicht gehabt hatte.

Ich war immer ein wenig froh darüber, dass ich mein eigenes Büro für mich alleine hatte, denn so bekamen die Kollegen nicht mit, was bei mir manchmal schief lief. Nicht die Arbeit direkt lief schief. Es waren Anrufe, die mich verwirrten. Ich wusste nicht, ob mich Kollegen auf den Arm nehmen wollten, oder wer sich sonst einen Spaß machen wollte.

Hin und wieder rief mich jemand mit einer unterdrückten Rufnummer an und sagte einfach nichts. Klar, so etwas passiert hin und wieder; jemand verwählt sich und will sich dann nicht melden, weil es ihm peinlich ist. Das kam vor. Aber bei mir klingelte an manchen Tagen das Telefon fünf bis sechs Mal, ohne dass sich dann jemand meldete. Und immer mit unterdrückter Rufnummer. Firmeninterne Anrufe wurden immer angezeigt. Selbst aus anderen Niederlassungen. Und die wichtigsten Kontakte waren im Telefon gespeichert und wurden sogar mit Namen angezeigt.

Da ich in der Buchhaltung saß, und keinen direkten Kundenkontakt hatte, hatten auch nicht viele unserer Kunden meine direkte Durchwahl, da diese sich dann immer mit den Sachbearbeitern auseinander setzen mussten, die deren Aufträge bearbeiteten.

So wurden die Anrufe mit unterdrückter Rufnummer zu einem weiteren Punkt der mich beunruhigte. Und wann immer ein Anruf mit unterdrückter Nummer kam, wurden mir wieder die Hände feucht und mein Herz schlug mir bis zum Hals.

Manchmal, wenn ich zu viel auf dem Tisch hatte und es mir nicht leisten konnte, die Fassung zu verlieren, ließ ich solche Anrufe auch mal unbeantwortet. Ging ich nicht ran, wurde der Anruf in die Zentrale geleitet und die Kollegin am Empfang nahm ihn an. Aber ein Dauerzustand durfte das nicht werden, das war mir klar.

An diesem Montag gab es jedoch keine dieser Anrufe, was mir sehr zu Pass kam, da ich wirklich viel zu tun hatte. So konnte ich mich voll auf meine Arbeit konzentrieren und ein paar Stunden meine Sorgen vergessen.

Einmal rief mich Chrissi an und fragte, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn sie eine weitere Nacht bei mir übernachten würde. Sie wollte mir unbedingt noch die Haare schneiden und gerne für uns beide kochen, sodass ich das nicht nach Feierabend machen musste. Ich stimmte zu. Ansonsten hätte ich eh wieder nur was in der Firma gegessen und zuhause würde mich nur eines meiner vielen Bücher erwarten.

Mein Chef kam kurz in mein Büro und warnte mich vor, dass er mir für den nächsten Tag einen Praktikanten zugeteilt habe, damit ich ihm ein paar Dinge über meinen Job erzählte. Selbstverständlich durfte darunter die eigentliche Arbeit nicht leiden, aber das hatte ich auch nicht anderes erwartet. So war es in dieser Firma. Wenigstens wurde mein Job sehr gut bezahlt.

Als es endlich Zeit wurde Feierabend zu machen, schrieb ich Chrissi, dass ich mich jetzt auf den Weg machte. Da ich nur einen Smiley zurückbekam, ging ich davon aus, dass sie schon in der Küche beschäftigt war.

Draußen vor der Firma überraschte sie mich jedoch auf dem Parkplatz. Sie hatte sich Roberts Wagen geliehen, um mich von der Arbeit abzuholen, damit ich nicht mit der Bahn fahren musste. Das hat sie schon häufiger gemacht, aber heute freute es mich besonders. So umging ich das Bahnchaos bei diesem Wetter.

„Das ist ja eine tolle Überraschung!“‚ rief ich und umarmte sie. Sie stand am Auto und hielt mir die Beifahrertür auf.

„Beeil' dich, die Sitzheizung lauft schon“, gab sie zurück und gab mir ein Küsschen auf die Wange. Drinnen war es angenehm warm und es roch nach dem Parfum, das Robert immer trug. „Ich dachte mir, da ich eh was besorgen musste und du bei diesem Wetter sicherlich viel länger für den Heimweg brauchst, hole ich dich mal ab. Wie war dein Tag, Süße?“‚ frage sie und fuhr los.

Ich berichtete ihr vom neuesten Klatsch in der Firma und über den Praktikanten für den nächsten Tag. Daraufhin erzählte sie mir von einem Praktikanten, den sie mal in ihrer Firma gehabt hatte. Der hatte sich als die totale Katastrophe erwiesen. Das machte mir natürlich Mut für den nächsten Tag und ich wechselte schnell das Thema, bevor ich mir zu viele Gedanken dazu machen konnte. Ich würde mich morgen überraschen lassen.

„Und, hast du schon wieder was von Sebastian gehört?“‚ wollte ich wissen. Sebastian war der Mann aus Berlin. Sie grinste und schaute mich kurz an, wobei ich sah, wie sehr ihre Augen leuchteten.

„Ja, er hat mich heute angerufen. Übernächste Woche will er vorbei kommen. Er bringt einen Freund mit, der unbedingt was von Hamburg sehen will. Vielleicht können wir ja was zusammen machen?“

„Sag mal, Christiane, das soll jetzt aber kein Verkupplungsversuch werden, oder? Vielleicht, damit ich mich mit der Idee von Berlin besser anfreunden kann?“, fragte ich und blickte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

„Nenn mich nicht so, du weißt ich mag den Namen nicht! Und ja, vielleicht ist es so etwas Ähnliches. Nur dass Kay überlegt nach Hamburg zu ziehen. Also hat es nicht nur mit Berlin zu tun, versprochen!“, sagte sie schnell und schaute mich so ernst an, dass ich loslachen musste. Den restlichen Weg unterhielten wir uns über Sebastian und Kay, den Chrissi bereits kennen gelernt hatte.

Zuhause wartete dann eine weitere Überraschung auf mich.

„Das Licht geht ja!“, rief ich begeistert.

„Ja, ich habe die Glühbirne mit dem Zettel drauf gesehen und dachte mir, bis Tom das erledigt, ist wieder Sommer. Und damit du das nicht im Dunkeln erledigen musst, hab ich es erledigt. Ich weiß doch, du fühlst dich ohne nicht wohl und ...“ Ich ließ sie gar nicht ausreden, so dankbar war ich. Ich umarmte sie so heftig, dass wir fast in die Regentonne gestürzt wären.

Als wir endlich heil oben ankamen, machte sie sich erst mal im Badezimmer über meine Haare her.

„Wie wäre es denn mal mit einem Pony?“, fragte sie und schaute mir prüfend ins Gesicht. Anscheinend war sie ansonsten zufrieden mit dem, was sie sah.

„Ich weiß ja nicht, meinst du, das würde mir stehen?“, wollte ich wissen und zog zweifelnd eine Braue hoch.

„Vielleicht versuchen wir das ein Andermal. Ansonsten wäre ich fertig. Wenn du also nachsehen willst, darfst du jetzt aufstehen“, sagte Chrissi und half mir mit dem Umhang. Während ich vor dem Spiegel stand, hielt sie einen kleineren so, dass ich genau sehen konnte, was sie da wieder gezaubert hatte.

„Das hätte mir wahrscheinlich auch kein Friseur besser machen können. Das sieht wirklich toll aus! Danke! Und was essen wir heute Abend? Ich sterbe vor Hunger!“, wollte ich wissen und schaute sie aus den Augenwinkeln an.

„Penne mit Thunfisch und ein bisschen Gemüse. Und du bleibst die ganze Zeit sitzen und lässt dich bedienen!“ Das war eine eindeutige Ansage.

Nachdem wir alles aufgeräumt und das Badezimmer gefegt hatten, gingen wir in die Küche, wo ich mich brav auf meinen Stuhl setzte und sie machen ließ. Sie kannte sich bestens in meiner Küche aus, da wir hier oft zusammen kochten.

„Und wie lief es in deiner Firma, während du nicht da warst?“, fragte ich, während sie sich gerade um die Soße kümmerte.

„Das lief gut. Ich habe mich ja um große Sachen per Videokonferenz gekümmert und der Rest lief auch glatt. Benni ist wirklich eine große Hilfe. Und das, obwohl seine Freundin gerade mit ihm Schluss gemacht hat. Heute erzählte er mir, dass er sogar überlegt, mit nach Berlin zu kommen, wenn es soweit kommt und ich ihn haben will“, erwiderte sie, und goss die Nudeln ab. Ich wunderte mich, dass Tom sich noch gar nicht blicken ließ, wo es doch so herrlich duftete. Chrissi meinte nur, er sei für seine Verhältnisse früh aus dem Haus gegangen und bisher noch nicht wieder gekommen. Aber im Grunde war es uns auch egal. So hatten wir unsere Ruhe.

Während des Essens planten wir schon ein wenig, was wir mit den Berlinern hier in Hamburg machen wollten. Nach einer Weile hatten wir eine schöne Liste zusammen, für jeden Geschmack und für jedes Wetter etwas dabei. Danach ging es auf die Couch.

„Es ist einfach angenehm, wieder mit dir abends zusammenzusitzen. Als du in Berlin warst, habe ich unzählige Bücher verschlungen! Und hin und wieder mit Daniel telefoniert. Robert und er haben sich Gedanken gemacht, wie es wäre, wenn sie heiraten würden“, berichtete ich in einer Werbepause.

„Das wusste ich ja noch gar nicht! Wie konnte Robert mir das nur verschweigen. Das freut mich für die Zwei“, nuschelte Chrissi mit Schokolade im Mund. Und während der Fernseher lief, sammelten wir schon unzählige Ideen, für Hochzeitsgeschenke und Überraschungen für die Beiden. Leider war es allzu bald wieder Zeit fürs Bett.

An diesem Abend hatte ich nicht dran gedacht, die Vorhänge zu schließen. Als ich das jetzt nachholen wollte, fiel mein Blick wieder auf die Autos, die da gegenüber parkten. Einen Moment blieb ich stehen und wartete wieder auf das Glimmen einer Zigarette; aber es passierte nichts. Ich verharrte noch einen Augenblick. Nichts war zu sehen und ich zog erleichtert die Vorhänge zu.

Diese Nacht war ein wenig ruhiger gewesen, als die meisten zuvor, aber wieder war ich vor dem Wecker wach. Ein vorsichtiger Blick nach draußen hellte meine Miene ein wenig auf; es hatte zu tauen begonnen und viel war vom Schnee nicht mehr übrig geblieben. Sehr gut!

Chrissi wurde diesmal wach und sie schlug vor, dass sie mich wieder fahren würde, da sie ohnehin in ihre Firma musste.

Weil wir dadurch nun viel Zeit übrig hatten, beschlossen wir noch zu frühstücken. Die Brötchen waren im Ofen und wir nutzen die Zeit um uns im Badezimmer fertig zu machen. Wie immer brauchten wir nicht lang.

Als wir fertig waren, waren der Kaffee, wie auch die Brötchen ebenfalls fertig. Im Kopf ging ich schon durch, was ich unserem Praktikanten heute alles zeigen konnte. Die Fahrt war recht still, denn Chrissi war heute nicht richtig ausgeschlafen und nicht so gesprächig wie sonst. Sie wünschte mir viel Spaß mit meinem Praktikanten und machte sich dann auf den Weg in ihre Firma.

Wie immer lief ich erst in die Kaffeeküche, damit ich mir einen der ersten Kaffees holen konnte, um dem morgendlichen Ansturm zu entgehen.

Gewöhnlich war ich eine der ersten in der Firma. So auch heute. Nur meine Kollegin Melanie stand da und schien zu überlegen und blickte erst auf, als ich den Raum betrat.

„Gut, dass ich dich treffe! Ich hab gehört, dass du heut den Praktikanten am Hals hast“, sagte sie, ohne eine Begrüßung. Mit solchen Floskeln hielt sie sich selten auf.

Ich nickte nur.

„Da hat der Chef wieder eine Lusche ins Haus geholt. Viel erzählen musst du dem nicht. Der sitzt nur die ganze Zeit mit seinem Handy auf einem Stuhl und hört weder zu, noch stellt er Fragen. Am Ende des Tages wird er dir einen Zettel vorlegen, den du dann unterschreiben musst. So hat er es bei allen Kollegen bisher gemacht. Gestern war er bei mir. Aber beschwer' dich nicht beim Chef und unterschreib’ bloß den Zettel! Das ist ein Neffe vom Chef und der hält wohl ziemlich viel von dem Jungen.“ Na, das war doch schon mal gut zu wissen. Nicht, dass ich mich hier jemals über jemanden beschweren wurde, aber Verwandtschaft vom Chef musste natürlich mit Samthandschuhen angefasst werden.

Ich bedankte mich schnell, bevor Melanie mit den neuesten Themen beginnen konnte und ging ohne Umwege in mein Büro.

An der Tür hing ein Klebezettel, der mich nochmal an den Praktikanten erinnerte. Eindeutig die Handschrift vom Chef.

Na super.

Ich seufzte und machte mich an die Arbeit. Es durfte ja nichts liegen bleiben, und ich hatte keine Lust wieder bis in die Puppen zu arbeiten. Eigentlicher Arbeitsbeginn wäre um 8:00 Uhr gewesen, und da hätte auch der Praktikant erscheinen sollen. Gegen elf kam er dann endlich mal, mit dem Chef im Schlepptau.

Der klopfte seinem Neffen auf den Rücken und erklärte ihm gerade: „Und heute bist du bei der netten Frau Bundel. Sie ist für die Buchhaltung zuständig. Also lass dir heute mal ordentlich etwas erklären.“

Dann wand er sich an mich: „Guten Morgen Frau Bundel, verzeihen Sie unsere Verspätung, aber wir waren heute Frühstücken. Ich hoffe Max wird Ihnen keine Probleme bereiten. Seien Sie doch so nett und unterschreiben Sie später die Unterlagen für die Schule." Damit war die Sache für ihn erledigt und er ließ seinen schlaksigen Neffen bei mir im Büro zurück. Ich reichte ihm die Hand um mich vorzustellen.

„Hey, ich bin Louisa. Hol dir doch den Stuhl hier rüber und dann sehen wir mal, womit wir uns heute beschäftigen können“, sagte ich und zeigte auf den Stuhl mir gegenüber.

„Ja, geht klar. Sie sind die Erste, die normal mit mir redet und nicht total ekelhaft ist, weil Sie wissen, dass der Chef mein Onkel ist. Also, was genau machen Sie hier?“ Diese Antwort erstaunte mich ein wenig. Was noch erstaunlicher war, dass er sein Handy beiseite legte und Block und Kuli bereitlegte. Ich hatte mir einen nicht so komplizierten Fall bereit gelegt, damit ich mit ihm die einzelnen Schritte durchgehen konnte, die meine Arbeit so ausmachten. Er schrieb fleißig mit und wir kamen langsam ins Gespräch.

Allem Anschein nach sollte Max nach seinem Schulabschluss mal in dieser Firma anfangen. Nur hatte er überhaupt keine Lust darauf. Einmal stand er sogar auf und holte uns beiden einen Kaffee. Er verstand recht gut, was ich ihm erklärte und fragte, ob er über diesen Tag einen Bericht schreiben dürfe, und ob ich ihm dabei helfen konnte. Wir gingen die einzelnen Punkte noch einmal durch und am Ende hatte ich einen leeren Schreibtisch und er einen recht anständigen Bericht geschrieben.

„Jetzt brauche ich nur noch Ihre Unterschrift und eine kleine Einschätzung für diesen Tag. Die Schule besteht drauf“, erklärte er, während wir die Unterlagen durchgingen. Ich sah, dass die Kollegen alle sehr gut bewertet hatten. Max rollte die Augen. „Bei der von gestern habe ich gar nichts gemacht. Die ist mir so in den Arsch gekrochen. Hat extra Schokolade auf den Tisch gepackt und meinte, ich könne machen was ich will. Voll schräge Kollegen haben Sie!“, sagte er und fing an zu lachen. Auch ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, denn er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

„Also ich muss sagen, dass du bei mir deine Wertung verdient hast. Wenn du noch Fragen zu etwas hast, weißt du ja, wo ich sitze. Dank dir habe ich jetzt auch alles abgearbeitet und kann Feierabend machen“, antwortete ich und fing an, meine Sachen zu packen. Es war gerade mal l6 Uhr und ich kam seit Wochen das erste Mal bei Tageslicht aus der Firma.

Max lieferte ich noch bei Herrn Kroll ab. Der machte große Augen, als Max ihm den fertigen Bericht zeigte und lächelnd meinte, dass er ja nach der Schule Buchhalter werden könnte.

Mit einem Grinsen auf den Lippen verließ ich die Firma. Um noch ein wenig Tageslicht ausnutzen zu können, fuhr ich zwei Stationen mit der Bahn und spazierte noch ein kleines Stück um die Binnenalster. Die Luft war angenehm und klar, und der Schnee im Laufe des Tages vollends weggetaut.

Bis ich endlich zu Hause ankam, war es natürlich schon wieder dunkel. Aber dank Chrissi, die ja die Glühbirne ausgetauscht hatte, war die verhasste Ecke hell erleuchtet.

Der Briefkasten war heute leer. Auch gut. Während ich aufschloss checkte ich kurz die Scheiben in der Tür; keine neuen Flecken. Ich wurde ein wenig ruhiger. Heute war es nicht so schwer, die kalten Schauer blieben klein, dennoch konnte ich es nicht erwarten, ins Haus zu kommen. Tom war wieder zu Hause. Man konnte gedämpfte Musik hören. Er hatte Besuch, was sehr selten war, doch die Tür zu seinem Zimmer war nicht verschlossen.

In meinem Zimmer war es schön warm, und ich zog erst mal in aller Ruhe die Jacke aus und holte mir aus der Küche einen Schokopudding. Richtigen Hunger hatte ich noch nicht, aber ich war ja auch unerwartet früh aus der Firma gekommen. Nach dem ich die Kanäle im Fernseher alle durch gezappt hatte, nur um den Fernseher wieder auszumachen, machte ich mir ein wenig Musik an und versuchte zu entspannen.

Mit geschlossenen Augen nahm ich wahr, dass es plötzlich in meinem Zimmer heller wurde. Ging Toms Besuch etwa schon wieder? Ich öffnete die Augen, aber nein, der Flur war dunkel geblieben. Das grelle Licht kam von draußen. Bestimmt war es nur wieder ein Wagen mit schlecht eingestellten Scheinwerfern, der aus der kleinen Einbahnstraße gegenüber fahren wollte, und an der Ampel warten musste.

Seufzend stand ich auf, um etwas genervt die Vorhänge zu schließen, als ich sah, dass gar kein Auto an der Ampel stand.

Nein, was mich da blendete war einer der Wagen auf dem Parkplatz.

Mir stockte der Atem, mein Puls fing an zu rasen und ich bekam sofort feuchte Hände. Eine Sekunde später gingen die Scheinwerfer wieder aus.

Bestimmt hatte da nur jemand gerade geparkt und stieg gleich aus. Zumindest versuchte ich mich mit diesem Gedanken wieder zu beruhigen. Sicher war es keine Absicht gewesen, mein gesamtes Zimmer auszublenden. Ich konnte mich doch nicht von den kleinsten und banalsten Dingen aus der Bahn werfen lassen!

Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich, dass keiner ausgestiegen war.

Schnell machte ich die Vorhänge zu. Mit zitternden Händen versuchte ich mein Handy aus der Tasche zu fummeln. Sobald ich es endlich draußen hatte, fiel es auch prompt runter.

„Mist!“, fluchte ich vor mich hin. Mein Herz fühlte sich an, als wollte es mir aus der Brust springen. Ich versuchte tief durch zu atmen und mich etwas zu beruhigen, während ich Daniels Nummer wählte. Doch kein Klingeln am anderen Ende der Leitung. Nur die Mailbox ging ran.

„Ach Scheiße!“‚ fluchte ich wieder. An meiner Tür klopfte es und erneut ließ ich das Handy fallen; vor Schreck diesmal.

„Ja?“‚ fragte ich und meine Stimme zitterte.

„Hey Lou, ich hab's bei dir poltern hören, ist alles klar bei dir?“ Tom stand in der Tür und kratzte sich am Kopf als er mich zitternd im Zimmer stehen sah.

„Ja, mir ist nur was runter gefallen“, murmelte ich, und hob mein Handy hoch. Das schien ihm als Antwort zu reichen.

„Hey hör´ mal, wir wollen gleich Pizza bestellen, willst du auch was mitessen? Clemens ist da und wird wohl heut hier pennen“, sagte er, als wäre vorher nichts gewesen.

„Klar, ich komme gleich rüber, um mir etwas auszusuchen“, antwortete ich, jetzt mit etwas ruhigerer Stimme.

„Das ist cool. Hast du zufällig Geld hier? Ich müsste nämlich erst rüber zur Bank und Geld holen", brummelte er.

Ich seufzte. „Ja, aber das bekomme ich morgen wieder. Ich habe keine Lust, wieder ewig meinem Geld hinterher zu rennen!“‚ warnte ich ihn und er nickte und grinste mich an. Wir gingen rüber und ich entschied mich für Knoblauchbrot und meine Lieblingspizza, mit Hähnchen und Mais. Clemens war heute gut aufgelegt und lud uns ein. Auch gut, so musste ich Tom kein Geld leihen.

Clemens war einer der wenigen von Toms Freunden, die keine Drogen nahmen. Er verkaufte sie nur. Deswegen war er meistens hier. Auch heute brachte er Nachschub für Tom.

Wir machten ein wenig Smalltalk und aßen, während im Fernseher irgendwelche Sitcoms liefen. Clemens erzählte dann, dass er bald mit dem Verkauf von Drogen aufhören würde, da seine Freundin schwanger sei und die beiden sich dann gemeinsam eine Zukunft aufbauen wollten. Vorher wollte er noch ein kleines finanzielles Polster für die kleine Familie schaffen. Ich fand die Idee richtig gut und gratulierte zum Baby und dem Entschluss.

Tom schaute ein wenig betreten. Für ihn würde das nur bedeuten, dass er sich eine neue Quelle für sein Gras suchen musste. Pech gehabt. Mein Mitleid hielt sich in Grenzen.

Nachdem wir gegessen hatten ging ich wieder in mein Zimmer und versuchte noch mal Daniel zu erreichen.

Wieder nur die Mailbox.

Ich sprach ihm drauf, dass er sich bitte mal melden solle, wenn er wieder erreichbar ist. Im Hintergrund lief noch die Musik von vorhin, doch ich bekam kaum noch was davon mit.

Die nächsten Tage waren alle irgendwie gleich. Der Schreibtisch voll, gelegentliche Mails von Chrissi, die mich wenigstens ein bisschen ablenkten, und abends nur etwas Schnelles zu essen. Unruhige Nächte und zu wenig Schlaf.

Am Wochenende war Chrissi bei mir gewesen und wir hatten einmal in der Kneipe bei den Jungs vorbei geschaut. Leider war dort sehr viel los gewesen, so dass wir uns nicht viel mit Robert und Daniel unterhalten konnten. Aber sie versprachen, in den nächsten Tagen mal vorbei zu schauen. Sie hatten einige Neuigkeiten und wollten mit uns ein paar Dinge besprechen.

Chrissi und ich planten noch ein paar gemeinsame Unternehmungen für die kommende Woche. Sebastian und sein Freund Kay wollten schon früher nach Hamburg kommen.

Ich hoffte, dass ich nicht so viel arbeiten musste, und ein wenig Zeit für den Besuch haben würde. Was Chrissi so über die Beiden erzählen konnte, klang sehr interessant. Ich wurde richtig neugierig, wie ich mir eingestehen musste. Auch wenn ich wegen Chrissis vagen Plänen für Berlin immer noch ein wenig angefressen war. Aber wir ließen das Thema auch bewusst außen vor.

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