Читать книгу Eisblumen im Blaubeerwald - J.C. Caissen - Страница 12

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„Du, was hältst du davon, wenn wir nächstes Wochenende nach Finnland fahren. Ich würde dir gern mein Elternhaus zeigen.“ „Das ist eine prima Idee. Dann lerne ich ja auch gleich deine Mutter kennen. Wie unterhalte ich mich denn mit ihr. Ich kann doch kein Finnisch?“ „Na, sie spricht doch Schwedisch. Sie kann überhaupt kein Finnisch. Du weißt ja, wir Finnland-Schweden sind eine Minderheit in Finnland, etwa dreihunderttausend von den fünf Millionen Einwohnern in Finnland. Die wohnen an der Küste zum Bottnischen Meerbusen. Das fängt um Vaasa herum an, da bin ich geboren. Dann geht es weiter um Turku herum und auch um Helsinki herum. Dort wird Schwedisch als Muttersprache gesprochen. Einige sprechen zusätzlich noch Finnisch. Es wird zwar in der Schule gelehrt, aber viele wollen es ja gar nicht sprechen. Ich spreche deshalb Finnisch, weil ich finnische Freunde hatte und auch, weil ich in Helsinki gearbeitet habe. Da kommt man nicht ohne Finnisch aus. Aber meine Mutter ist auf dem Land groß geworden, die Eltern waren einfache Bauern. Und sie hat nie Finnisch gelernt. Mein Vater dagegen, der ein Fuhrunternehmen und überwiegend Aufträge von Shell hatte, wäre nicht ohne Finnisch ausgekommen. Der mußte einfach auch Finnisch sprechen.“ „Das ist ja alles interessant. Davon habe ich noch nie etwas gehört.“ „Das rührt von der Zeit her, als Finnland ein Teil von Schweden war. Das war bis 1809. Damals verlor Schweden den Krieg gegen Russland, woraufhin Finnland eine russische Provinz wurde. 1918 dann wurde Finnland selbständig.“ „Danke für die Geschichtsstunde. Na, jedenfalls ist es mir wesentlich lieber, deine Mutter zu treffen, als die alten Russen.“

André, Corinna und Dennis verbringen das kommende, verlängerte Wochenende in Vaasa bei Andrés Mutter. André ist als Dolmetscher unverzichtbar. Corinnas Schwedisch reicht einfach noch nicht aus, um eine Unterhaltung anzufangen, aber sie und Dennis plappern munter drauf los, André übersetzt und Andrés Mutter ist eine so liebe Frau. Der Besuch ist in keiner Weise beschwerlich. Corinna bietet an, an einem Tag zu kochen, denn die alte Dame ist schon recht wacklig auf den Beinen. Es schmeckt ihr ausgezeichnet, das kann Corinna auch ohne Andrés freundliche Übersetzung verstehen. Und Dennis kichert immer wieder mal über das “Tack, tack“, das Danke, Danke von Andrés Mutter.

„Ich würde gern an das Grab meines Vaters gehen.“ „Ja klar, können wir machen.“ Sie gehen an der Friedhofsgärtnerei vorbei und wählen eine ganze Tüte mit kleinen Pflanzen aus, die sie einsetzen wollen. Als sie vor dem Grab stehen, kommt Corinna irgendetwas komisch vor, aber sie weiß nicht was. Dennis zieht Corinna am Ärmel. „Guck mal, Mama, das Todesdatum von Andrés Vater.“ Jetzt fällt es ihr auch auf. Es ist das Geburtsdatum von Dennis, derselbe Tag, derselbe Monat, dasselbe Jahr. „Seltsam,André, als ich glücklich meinen neugeborenen Sohn in den Armen hielt, standst du trauernd am Totenbett deines Vaters.“ Sie nimmt André in den Arm und so stehen sie eine Weile.

Am nächsten Tag nach dem Frühstück wollen sie sich langsam wieder auf den Heimweg machen. Die Fähre von Turku nach Stockholm geht in sieben Stunden und sie wollen sich nicht beeilen müssen. Denn André will noch an dem Landhaus seiner Eltern vorbeifahren. Corinna soll sehen, wo er all die herrlichen Sommer seiner Jugendjahre verbracht hat. Sie packen ihre Tasche zusammen, ziehen die Betten in Andrés früherem Kinderzimmer ab und gehen langsam in die Diele. Dort sitzt Andrés Mutter und zieht sich die Schuhe an. „Hast du noch etwas vor heute?“ André legt seine Hand auf die Schulter seiner Mutter. „Ja, fahren wir denn nicht gleich? Oder willst du erst später fahren?“ Die alte, liebe Frau schaut ihren Sohn fragend an. André schaut hinüber zu Corinna. „Sie meint, wir nehmen sie mit. Sie ist eben schon recht verwirrt.“ Er ist jetzt etwas ratlos. Er möchte ungern seiner Mutter wehtun, aber mit nach Schweden kann und will sie sicher auch gar nicht. Sie ist einfach dement, die Arme. „André, lass sie sich anziehen, geht zum Auto und dann fährst du einfach ein paar Mal mit ihr um den Block. Nimm dir Zeit, so daß sie zufrieden ist. Wir warten hier so lange.“ Nur gut, daß sie Deutsch miteinander reden können. André hilft seiner Mutter in den Mantel, dann gehen sie gemeinsam zum Auto. Dennis und Corinna bleiben zurück. Es dauert keine halbe Stunde, da kommen Mutter und Sohn schon wieder zur Haustür herein. Andrés Mutter setzt sich auf den Stuhl in der Diele und zieht sich ihre Schuhe wieder aus. Es hat funktioniert. Sie lächelt und macht einen zufriedenen Eindruck. „Ach, das war schön. Ich glaube, jetzt lege ich mich erst einmal eine Weile auf die Couch.“ „Ja, tu das, Mama. Wir müssen jetzt auch wieder fahren.“ André nimmt seine Mutter in den Arm und verabschiedet sich. Corinna und Dennis tun dasselbe. „Das war schön, daß ihr da wart.“ „Wir kommen dich wieder besuchen, Mama.“

Als sie im Auto sitzen, wird André doch etwas wehmutig. „Sie ist alt geworden und etwas verwirrt. Gut, daß ich ihr den Gefallen tun konnte, mit ihr nochmal Auto zu fahren. Auch, wenn es ein kleiner Betrug war.“ „Ja, aber es war eine gute Notlüge, keine böse.“ Corinna lehnt sich in den Sitz. „Ich fand es nett und unproblematisch bei deiner Mutter. Und jetzt bin ich auf Euer Landhaus gespannt.“

Sie kommen in das kleine, fast ärmliche Dörfchen an der langen Landstraße, der man mehrere hundert Kilometer nur geradeaus folgen kann, immer geradeaus. André biegt von der Straße in eine Einfahrt ein. „Da sind wir.“ Corinna und Dennis steigen aus dem Auto. Vor ihnen liegen zwei ältere Wohnhäuser aus Holz, Stallungen, Scheunen, große, eingezäunte Wiesen, auf denen Kühe ihr Gras wiederkäuen, ein kleiner Bach fließt leise plätschernd am Rande der Wiese und dahinter beginnt dichter Tannenwald. Die Häuser sind unbewohnt. „Wessen Kühe sind denn das?“ „Mein Freund Folke hat hier nebenan seinen Bauernhof. Es ist gut, wenn seine Kühe bei uns das Gras kurz halten.“ „Das ist ja richtig schön hier. Hier könnte ich es mir auch gemütlich machen.“ Corinna geht langsam über die runde Hofeinfahrt. „Sieh mal, Mama. Hier gibt es einen richtigen Brunnen.“ Dennis beugt sich fast ein wenig zu weit über den Brunnenrand, aber der Deckel gibt nur einen Spalt frei. „Du kannst gleich mit dem Zieheimer unser Kaffeewasser hochziehen. Aber fall bloß nicht hinein, der Brunnen ist tief.“ André zeigt Dennis, wo der Eimer hängt, und der macht sich gleich daran, den Eimer herunterzulassen. Corinna öffnet das große Schiebetor einer Halle. Darin stehen landwirtschaftliche Geräte, auch ein alter Oldtimer steht dort abgedeckt. „Der gehört meinem Bruder. Er bastelt ab und zu daran herum, wenn er mal hier ist.“ Corinna geht durch eine niedrige Tür und steht in einem Stall. „Was waren denn hier für Tiere drin?“ „Ich glaube, es waren mal sechs Kühe und dann noch einige Schafe. Außerdem hatten wir Hühner. Meine Tante, der hier das andere Haus gehörte, hat hier den Hof unterhalten. Jetzt ist sie seit Jahren schon tot.“ Corinna schaut sich alles genau an. Hinter dem Stall gibt es ein Plumpsklo, daneben steht ein Eimer mit Kalk, darin eine Schöpfkelle. Sie betritt einen anderen Teil des Gebäudes. „Das hier ist die Waschküche. Hier haben meine Oma, meine Mutter und meine Tante Wäsche gewaschen, hier in diesem großen Kochkessel.“ „Hier gibt es ja sogar eine Sauna“. Corinna hat wohl nicht richtig nachgedacht. Sie befinden sich schließlich in Finnland, dem Land der Sauna. Hier hat wohl jeder eine Sauna. „Hier wurde samstags immer die Sauna angestellt, vorher wusch man sich hier erst einmal mit dem aufgewärmten Wasser.“ Jetzt möchte sich Corinna das Wohnhaus ansehen. Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer und oben ein nicht ausgebauter Dachboden. Corinna kriecht dort oben überall herum. „Was ist das denn? Komm mal schnell nach oben, André“. „Ach, der kleine Puppenwagen, der ist schon sehr alt. Den habe ich in der Schule getischlert, als ich 10 Jahre alt war. Schau mal, die Holzräder sind etwas eirig, die habe ich nicht ganz rund bekommen.“ „Mensch, der ist etwas ganz Besonderes. Den möchte ich unbedingt mitnehmen“. Auch die Möbel im Haus gefallen Corinna. Irgendwie ist das ganze Haus aus einer vergangenen Zeit und deshalb gefällt es Corinna. Nur leider verfällt alles nach und nach. „Kümmert sich denn niemand mehr um das Haus hier?“ „Meine Mutter kann allein nicht mehr hierher fahren. Mein Bruder kommt auch nur noch selten hierher. Er wohnt ja in Helsinki, und ich bin ja noch weiter weg.“ „Aus diesem Haus würde ich eine Puppenstube machen. Das kann man doch alles erhalten und wieder schön machen.“ Corinna beginnt aufzuzählen, was man an Material bräuchte, um aus diesem Anwesen wieder ein Zuhause zu machen. „Nein, nein, Corinna. Also, für das Geld könnten wir uns ein kleines fertiges Haus hier oben auf das Grundstück stellen. Davon hätten wir mehr. Aber willst du jedes Jahr mehrmals die vielen Kilometer fahren, um hier im Nirgendwo Urlaub zu machen? Das glaube ich nicht. Hör auf zu träumen. Wir konzentrieren uns lieber auf Schweden.“ „Ja, du hast wohl recht. Hier müßte man sehr viel machen. Aber, jetzt decke ich erst einmal draußen auf der Wiese den Kaffeetisch, Dennis hat das Kaffeewasser schon in die Küche gestellt.“ Irgendwie tut es Corinna aber doch leid. Dies war mal ein so schönes Anwesen. Mit ein bißchen gutem Willen könnte wieder etwas daraus werden. Schade. Aber, André hatte recht, mehr als einmal im Jahr und dann auch nur für zwei bis drei Tage würden sie sowieso nicht hierher kommen. Na ja, wohnen kann man ja hier auch so und für ein paar Tage kann man es sich auch nett machen. Corinna holt die hellblauen Küchenstühle raus in den Hof, André hilft ihr mit dem Tisch, der ebenfalls hellblau ist. Irgendwo findet Corinna noch eine alte Tischdecke mit gestickten Blumen. Die hat sicher Andrés Mutter gestickt. Hier gibt es so viele Wiesenblumen, wie man nur pflücken mag. Eine schöne Kanne aus der Küche nimmt Corinna als Vase und stellt sie mit den Blumen auf den Tisch. Die Sonne blinzelt durch das Blätterwerk der großen Linde, die in der Mitte der Hofeinfahrt steht und Schatten spendet. Aus dem Kaffeegeschirr mit hellblauen Blümchen und zartem Goldrand hat ganz sicher schon Andrés Oma ihren Kaffee geschlürft. Corinna liebt dieses ländliche Idyll.

Und da Corinna und André eher Land- als Stadtmenschen sind, wohnen sie künftig hier auf dem Hof, wenn sie wieder mal in Finnland sind.

Eisblumen im Blaubeerwald

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