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4. Neuprogrammierung des Gehirns

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War da nicht diese lästige Drogenkontrolle, wo wir zur falschen Zeit am falschen Ort waren? Von Amsterdam kommend befahren Arnfinn und Alexander die deutsch-holländische Landesgrenze und werden prompt heraus gewunken. Der Zollbeamte schaut sie grimmig an und zwingt sie, aus ihrem Käfer zu steigen. Er stutzt, geht einen Schritt zurück und betrachtet eingehend das Kennzeichen.

„Ich habe in all den Dienstjahren vieles erlebt …aber das hier schlägt dem Fass den Boden aus.“ Auch seine schicke Uniform, das Schengener Abkommen tritt erst Jahre später in Kraft, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass er es ernst meint. Arnfinn gibt Alexander per Handzeichen zu verstehen, unbedingt den diplomatischen Weg zu wählen.

„Was zum Teufel ist das für ein Kennzeichen?“

Der Zollbeamte stutzt und glaubt an einen üblen Scherz.

„Bitte entschuldigen sie. Ursprünglich kommt der Wagen aus dem Regierungsbezirk Arnsberg …Kennzeichen „AL“ für Altena. Nach der Fusion mit dem Kreis Lüdenscheid „LÜD“ wird daraus „LS“.“

„Und da dachten sie …ärgern wir mal den Drogenzoll und machen daraus kurzerhand LS-D.“

„So ungefähr …nur kam uns der Zufall dabei zur Hilfe.“

„Soso, ich rate ihnen, den Bogen nicht zu überspannen.“

Beide kommen in eine Einzelzelle. Die Fenster sind vergittert und es gibt eine Pritsche mit abwaschbarer Plastikbespannung.

„Sie rühren sich nicht vom Fleck!“ beharrt der Zollbeamte.

Das heutige „MK“ für Märkischer Kreis lässt nicht ansatzweise erahnen, in welch trostloser Lage sich Arnfinn und Alexander damals befinden. Durch dies Metallfässchen an Alexanders Gürtel, gefüllt mit Haschisch, sitzen sie endgültig in der Falle. Ein weiterer Zollbeamter erscheint. Alexander und Arnfinn werden gründlich gefilzt, dem eine gezielte Leibesvisitation folgt, vor der beide richtig Manschetten haben. Jeder von ihnen muss die Hosen runter lassen. Ihnen wird ins „Astloch“ geleuchtet, eine durch und durch entwürdigende Prozedur. Arnfinn gelingt es, den Zöllner in ein persönliches Gespräch zu verwickeln.

„Tut mir leid, wenn wir Scherereien machen.“

„Schon gut“, entgegnet ihm der ältere Zollbeamte.

Er schaut weniger grimmig drein als sein jüngerer Kollege.

„Das sind wir gewohnt …es gehört zu unserem Beruf.“

„Ich will sie nicht um ihren verdienten Feierabend bringen.“

„Ich bin Witwer …niemand wartet auf mich.“

„Sicher erleben sie sehr viel aufregendere Dinge als hier mit uns“, will Arnfinn von ihm wissen. „Damit könnten sie recht haben. Dort …wo sie jetzt sitzen …saß vor nicht langer Zeit ein Mitglied der Baader-Meinhof-Bande …höchste Sicherheitsstufe. Aber warum erzähle ich ihnen das?“

Arnfinn schlotterten die Knie, wegen einer nicht unerheblichen Haschischmenge in seinen Socken. Es naht die Stunde der Wahrheit. Mittlerweile hat sich Arnfinn aller Kleidungsstücke entledigt und steht nur noch in Socken da.

„Soll ich die Socken ausziehen?“

„Nein, nein …sie können sich ruhig wieder anziehen!“

Arnfinn fällt ein Stein vom Herzen. Wegen der geringen Haschischmenge ist auch Alexander aus dem Schneider.

Wieder daheim ziehen Alexander, Arnfinn, Manni und Klausemann einen Joint durch. Einzig Klausemann, dessen legendäre Plattensammlung nur aus lauter Stones Scheiben besteht und daher wenig musikalische Abwechslung bietet, bleibt aussen vor.

„Scheisse, ich merke nichts …nicht ein bisschen …alles nur Einbildung“, schimpft Klausemann.

„Euch verdammten Kiffern werde ich das Handwerk legen …mein Wort drauf!“ Frust beladen sucht Klausemann später seine berufliche Zukunft bei der Polizei.

Arnfinn schenkt sich einen Schluck Tee ein. Gerüchten zufolge soll Bertram eine Zeit lang bei den revolutionären Zellen in Südamerika abgetaucht sein. Wollte er etwa in die Fussstapfen eines Che Guevara treten? Dass schon bald der grosse Zampano wieder auftaucht, nachdem er jahrelang von der Bildfläche verschwunden war, kann kein Zufall sein. Bertram hat wieder zu alter Form zurück gefunden und sich das Talent für den ganz grossen Auftritt bewahrt. In Alexanders Ente geht es zum Koblenzer Free Concert ans Deutsche Eck, wo Doldingers Passport auftreten. Das Deutsche Eck ist die künstlich aufgeschüttete Landzunge an der Mündung von der Mosel in den Rhein. Dort steht das 1897 errichtete monumentale Reiterstandbild des deutschen Kaisers Wilhelm I. Imposanter als an diesem Ort könnte die Kulisse für ein deutsches Rockspektakel kaum sein.

Plötzlich steht Bertram vor ihnen, aufgetaucht wie aus dem Nichts. Alexander kennt Bertram nur vom Hörensagen. Schon einmal hatte Arnfinn versucht, Bertrams Maskerade zu enttarnen. In magischen Bildern tat sich der Höllenschlund vor ihm auf und spie diese kleinen, aufsässigen Teufel aus. Es waren groteske halbtierische Wesen, die versuchten, seiner habhaft zu werden. Die nächtliche Szenerie ist erfüllt von Donnerrollen, Feuersbrünsten, Kerkertürmen und Galgen. Ein kalter Schauer läuft Arnfinn über den Rücken. Diese unheilvollen Schreckensvisionen müssen ohne Gaukler und Zauberkünstler auskommen. Jede Art von Humor ist diesen mittelalterlichen Welten fremd. Es tobt ein Kampf zwischen weltlichem und kirchlichem Regiment. Schweissgebadet erwacht Arnfinn aus seinem Alptraum.

Arnfinn hatte sich geschworen, Drogen gleich welcher Art nie wieder anzurühren. Dazu zählte das ihm bis dato unbekannte LSD, eine durch und durch synthetische Droge. Auf Schritt und Tritt werden ihm Mini-Trips auf Löschpapier von Dealerhand angeboten, was er stets dankend ablehnt. Sie stammen aus illegalen Drogenlabors. Deren Produktion ist umstritten ist, weil sie sich jeglicher Kontrolle entzieht. Ein Mikrogramm zu viel und du hängst für immer auf Wolke Nummer Sieben ab. Aber wer möchte das schon? Timothy Leary betrachtete LSD als Mittel zur „Neu-Programmierung“ des Gehirns, hat aber nie dessen unkontrollierten Konsum gut geheißen.

Bertram selbst hat zwei Mädels im Schlepptau, die ihn anhimmeln. Natürlich will Arnfinn nicht abseits stehen und sich gegenüber Alexander keine Blöße geben. Er macht gute Miene zum bösen Spiel.

„Hey Alter, was geht ab?

Findet ihr nicht auch, der guckt wie ein Auto?“ versucht ihn Bertram zu provozieren. Widerwillig stösst Arnfinn mit Bertram auf ihr Wiedersehen an. Zu Anfang fühlt sich für alles normal an. Plötzlich stellen sich Farbhalluzinationen bei ihm ein. Die Musik dringt durch Mark und Bein und die Bürgersteige beginnen sich zu verselbständigen.

„Was zum Teufel hast du mir in den Drink getan?“ empört sich Arnfinn.

„Nur einen hübschen, kleinen LSD-Trip.“

„Waren wir nicht mal Freunde?“

„Vielleicht in einem früheren Leben.“

„Aber für dein schulisches Versagen kannst du mich nicht verantwortlich machen.“

„Wen sonst?“

„Jetzt mach aber mal halb lang“, ärgert sich Arnfinn.

„Genießt eure Drinks und bleibt ganz entspannt. Moni kümmert sich um euch“, verkündet Bertram.

„Wie das?“

Natürlich wusste Arnfinn von der Gefahr, von einem LSD-Trip nicht mehr herunter zu kommen. Zuerst hängst du komplett in den Seilen, ehe du vollkommen die Kontrolle über dich verliert. Einzig Alexander kommt bei Bertrams LSD-Party mächtig „gut drauf“. Will Bertram eine offene Rechnung mit ihm begleichen?

„Du verdammter Wichser“, fährt Moni Bertram an.

„Sieh nur, was du angerichtet hast.“

„Ja und?“ faucht Bertram zurück.

„Auf wessen Seite stehst du eigentlich? Du musst dich entscheiden.“

Sie geraten in einen heftigen Streit. Bertram ohrfeigt sie und spontan wechselt Moni die Fronten.

„Los schnell …lass uns verschwinden“, bedrängt sie Alexander. Die vielen Festivalbesucher wirken auf Arnfinn ungeheuer beängstigend. Er droht auf einen Horror-Trip zu kommen.

„Was wollen all die Leute hier? Los schickt sie weg!“ fordert Arnfinn beide auf.

Geistesgegenwärtig ziehen ihn Moni und Alexander aus dem Verkehr. Gemeinsam suchen sie das Weite. Bertram folgt ihnen, verliert sie aber im Gedränge aus den Augen.

„Du elender Vollpfosten, musst du alles vermasseln? Ich hasse dich!“ brüllt ihn die zweite Braut an und spuckt Bertram ins Gesicht.

„Blöde Ziege …du kapierst gar nichts. Dies ist meine Show …wann geht das endlich in deinen Schädel?“

Beim Fahren tauchen vor Alexanders knallgelber Ente urplötzlich Knoten auf. Alexander hat grosse Mühe nicht im Strassengraben zu landen. Doch er ist halbwegs fahrtüchtig. Mit Hilfe von Moni gelingt es ihm, seine Ente an die nahe gelegene Kleisttalsperre zu steuern. Die dortigen Felsformationen erinnern an einen Steinbruch. Haushoch überragen diese den Wasserspiegel. Der Himmel ist wolkenlos, die Nacht sternenklar und der Mond wirft unwirkliche Schatten. Auf den ins Wasser hinein ragenden Felsen wachsen einzelne Baumgipfel trotzig in die Höhe. Allmählich kommt Arnfinn wieder zur Besinnung.

„Wo zum Teufel sind wir?“

„Keine Panik“, antwortet Moni, „wir haben alles im Griff.“

Zuerst gehen beide los und sammeln Brennholz. Wenig später sitzen sie zu dritt am Lagerfeuer an der halb leeren Kleisttalsperre. Moni überredet Alexander zu einem Spaziergang. Dieser besteht darauf, Arnfinn nicht allein zu lassen. Die frische Luft erweckt in Arnfinn neue Lebensgeister. In einem goldgelben Kornfeld, das Van Gogh zur Ehre gereicht hätte, lassen sie sich häuslich nieder. Moni entschlüpft zuerst ihrer Jeanshose. Wenig später steht sie splitternackt vor ihnen und fordert sie auf, es ihr gleich zu tun. Alexander und Arnfinn schauen sich irritiert an, ziehen Jeans und Pulli aus. Wie auf Kommando stürzen sie sich auf sie. Mal liegt der eine oben, mal der andere. Der LSD-Trip verstärkt die in ihnen aufkommende Geilheit. Ungeniert vollziehen sie ihr Liebesspiel. Das Kornfeld schützt sie vor neugierigen Blicken. Der aufkommende Wind wiegt die reifen Ähren sanft gegen ihre, sich aufbäumenden Körper. Danach kehren sie zurück zum Lagerfeuer.

Eine ganze Weile starren Alexander und Arnfinn stumm vor sich hin. Ihre Augen reflektieren den Lichtschein des Feuers. Wie ein aufgescheuchtes Huhn läuft Arnfinn plötzlich los und Alexander hinter ihm her. Trotz drohender Gefahr, die von der meterhohen Uferböschung ausgeht, laufen sie an deren Oberkante entlang. Gegenseitig fassen sie sich an die Hand. Sie haben das Gefühl, als könnten sie sich wie Adler frei in die Lüfte erheben. Erst ein aufgescheuchter Vogelschwarm schreckt sie aus ihren Träumen. Instinktiv weichen sie zur Seite und haben wieder Bodenberührung. Die Welt erschien plötzlich wie verändert und für die drohende Gefahr fehlte ihnen jedes Gefühl und die Fähigkeit, angemessen darauf zu reagieren. Noch an der Kleisttalsperre beschliesst Arnfinn, die Schule zu verlassen. Nur hat er es Alexander in diesem Moment nicht erzählt. Vielleicht ist er auch nicht dazu in der Lage. Erst als dieser Trip nachlässt und Arnfinn wieder klar denken kann, nimmt das Leben wieder seinen gewohnten Gang. Was bleibt, sind nur die unbewussten Erinnerungen an diesen schrecklichen Moment in seinem Leben. Arnfinn gönnt sich einen Schluck aus der Teekanne und stellt sie wieder aufs Teestövchen. Sein Blick geht ins Leere.

Mit Hut und in Stöckelschuhen

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