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… als hätte ich alle Lust am Leben verloren.


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Depression – eine echte Krankheit oder ein verwundetes Herz?

Ich war von Natur aus ein ziemlich glücklicher Mensch. Ich lachte viel und liebte meinen Mann. Und ich meinte, dass auch er mich liebe. Nach der Geburt unseres zweiten Kindes fühlte ich mich zunehmend erschöpft. Inzwischen fällt es mir sehr schwer, daheim zu arbeiten. Es kommt mir vor, als stehe alles wie ein Berg vor mir. Meinem Mann und meinen Kindern gegenüber bin ich immer reizbarer. Ich mache mir sogar Sorgen darüber, ob mein Mann mich überhaupt noch liebt. Es fühlt sich an, als hätte ich alle Lust am Leben verloren.

Vorher schien mir bei der Arbeit alles gut von der Hand zu gehen. Man schätzte mich sehr. Dann bekam ich einen neuen Chef. Er war mir gegenüber sehr streng, ja unfreundlich. Ich konnte ihm nichts recht machen, und tatsächlich verrichtete ich meine Arbeit immer schlechter. Schließlich wurde ich entlassen. Jetzt weine ich die ganze Zeit. Morgens fällt es mir schwer, aus dem Bett zu kommen. Ich habe das Gefühl, als könnte ich überhaupt nichts Lohnenswertes mehr tun. Ich habe mein ganzes Selbstvertrauen verloren. Beim Blick in den Spiegel komme ich mir hässlich vor. Ich bin mir sicher, dass ich nie mehr fähig sein werde, aus dieser Hölle herauszukommen.

Das Herz des Menschen ist zerbrechlich und verletzlich. Solange wir uns als einmaliger Mensch geliebt fühlen; solange wir spüren, dass die Menschen die Nähe zu uns suchen und uns anziehend, lustig und intelligent finden; solange wir Arbeit haben oder Tätigkeiten, die uns interessieren und ausfüllen, ist das Leben für uns im Fluss. Wir sind voller Energie und Freude und haben das Gefühl, durch und durch lebendig zu sein.

Aber wenn es uns so vorkommt, als seien wir für andere nicht mehr attraktiv oder als interessiere sich niemand für uns, haben wir den Eindruck, total nutzlos und beiseite geschoben zu sein. Unser Herz ist verwundet. Es ist, als habe uns irgendeine Krankheit befallen; das Herz ist uns schwer und wir haben Angst. Wir haben keinen Frieden und keine Freude mehr, nur ein Gefühl der Leere, eines großen inneren Leerseins. Womöglich versuchen wir, das mit Alkohol, Fernsehen oder übermäßiger Geschäftigkeit auszufüllen. Wir fühlen uns schrecklich allein und sinken in eine Art von Apathie; Traurigkeit überkommt uns.

Ein neugeborenes Kind zieht für einige Zeit die Aufmerksamkeit seiner Eltern auf sich. Sie spielen gerne mit dem Kleinen. Aber wenn das Kind größer wird und sich körperlich entwickelt, kann es sein, dass es weniger attraktiv wird; und als Heranwachsendes macht es eine schwierige Zeit durch und wird schusselig. Seine Eltern haben nicht mehr so viel Zeit für ihr Kind und sind vorwiegend von ihrer Arbeit in Beschlag genommen; vielleicht ist es zu Konflikten gekommen, und es hat sich allmählich ein Riss zwischen ihnen aufgetan.

Dann fühlt sich das Kind weniger geliebt, weniger gewollt. Sein zartes, verletzliches Herz wird verwundet. Es kommt sich nicht mehr wichtig, kostbar, einmalig vor. Vielleicht versucht es sogar, die Aufmerksamkeit seiner Eltern dadurch auf sich zu ziehen, dass es dumme oder schlimme Dinge anstellt, die seine Eltern wütend machen. Dann fühlt sich das Kind noch stärker abgelehnt.

Ein junger Mann fühlte sich zu einem Mädchen hingezogen. Sie reagierte positiv auf seine Blicke und Gesten. So gingen sie miteinander aus und schienen einander gut zu verstehen. Sie hatten den gleichen Geschmack, die gleichen Interessen und sie unternahmen gern das Gleiche miteinander. Sie verliebten sich ineinander.

Aber dann fing sie irgendwann an, auf Distanz zu ihm zu gehen, aus Gründen, die ihm unbegreiflich waren. Sie fand Ausreden, um nicht mit ihm ausgehen zu müssen. Eines Tages sah er sie mit einem anderen Mann auf der Straße, lachend, glücklich und sprühend vor Leben. Ihm ging auf, dass sie ihn nicht mehr liebte, sondern sich in einen anderen verliebt hatte.

Das Herz des jungen Mannes war gebrochen. Es war das erste Mal gewesen, dass er einer Frau sein Herz geöffnet hatte; das erste Mal, dass er die Liebe gewagt hatte. Er war tief verletzt und wollte nicht mehr länger leben. So stürzte er sich in seine Arbeit, ging oft ins Kino und trank mehr als bisher – tat alles, um seinen inneren Schmerz zu vergessen.

Eine junge Frau empfand sich während ihrer Verlobung und der Anfangszeit ihrer Ehe von ihrem Mann tief geliebt. Er kam früher von der Arbeit heim, nur um länger mit ihr zusammen sein zu können. Sie gingen gemeinsam aus und hatten viel Spaß miteinander. Er schien in ihrer Gegenwart so glücklich zu sein! Die Folge war, dass auch sie aufblühte.

Im Lauf der Zeit nahm ihn seine Arbeit stärker in Anspruch. Er begann immer später heimzukommen, war dann müde und hatte nicht mehr die Zeit und die Kraft, um sich mit ihr und den Kindern zu unterhalten. Er kam einfach heim und ließ sich in den Sessel vor dem Fernseher fallen. Ihr begann aufzugehen, dass ihm seine Arbeit wichtiger wurde als sie. Auch wurde ihr klar, dass sie etwas von ihrer jugendlichen Schönheit verloren hatte und nicht mehr so attraktiv wie früher war. Sie versuchte, sich stärker auf eine Reihe von Aktivitäten einzulassen, aber keine interessierte sie wirklich.

Wenn unser Herz verwundet ist, verlieren wir an allem das Interesse; nichts scheint uns helfen zu können.

Ein Mann mit bislang erfolgreicher Karriere wurde plötzlich arbeitslos. Er sah sich nach einer neuen Stelle um. Aber die Wochen gingen ins Land und er fand nichts. Stück für Stück verlor er das Vertrauen in sich selbst und in seine Fähigkeiten. Daheim blieb er geschäftig, aber er fühlte sich als Verlierer. Er wurde das Gefühl nicht los, dass niemand ihn haben wolle und er für nichts tauge. So versank er in Entmutigung und Traurigkeit. Er hatte das Gefühl, alles Leben sei aus ihm gewichen.

Ist das die gleiche Leere, nur tiefer, die eine Frau empfindet, deren Mann bei einem Unfall ums Leben gekommen ist? Beide waren in der Liebe und im Leben eins gewesen. Und plötzlich ist er verschwunden und das Herz der Frau ist gebrochen. Sie hat allen Grund zum Weiterleben verloren. Sie empfindet nicht nur den Tod ihres Mannes, sondern auch ihr eigenes inneres Totsein. Sie ist in einem Zustand der Trauer.

Wenn eine Tätigkeit oder ein Mensch unser Leben ausfüllt, uns inspiriert oder uns Freude am Leben schenkt, diese Tätigkeit oder dieser Mensch dann aber plötzlich wegfällt, kann uns das in ein Gefühl totaler Leere stürzen. Wir durchleben dann eine Art von innerem Sterben. In uns fließt kein Leben mehr. Wir sind vom Gefühl des Verlusts und der Trauer erfüllt; etwas Schweres lastet auf unserem ganzen Wesen, das der Depression gleicht. Dieser Schmerz und dieses Schwere sind keine Krankheit, sondern eine normale, natürliche Reaktion auf einen Verlust, der an den innersten Sinn unseres Lebens rührt.

Wer diese Art von Trauer durchmacht, braucht Zeit, um nach und nach wieder andere Gründe entdecken zu können, die das Leben lebenswert machen. Im Lauf der Zeit und vielleicht mit Hilfe anderer findet der Mann, der seine Stelle verloren hat, womöglich eine andere interessante Tätigkeit. Der junge Mann lernt hoffentlich eine andere junge Frau kennen. Der Frau, die unter der mangelnden Liebe ihres Mannes leidet, erschließt sich vielleicht ein tieferes spirituelles Leben oder sie findet Freunde und neue Aktivitäten, die ihr helfen, aus ihrer lähmenden Traurigkeit herauszukommen.

Die Gefahr für Menschen in diesem Zustand liegt darin, dass sie sich weigern, sich nach Hilfe umzusehen. Dann ziehen sie sich in ihre Traurigkeit zurück, sehen sich als Opfer und behaupten ständig, nichts und niemand könne ihnen helfen.

Damit solche Menschen aus diesem Zustand des Verlusts und der Trauer herauskommen und ein neues Leben anfangen können, brauchen sie nicht in erster Linie einen Therapeuten, sondern vor allem Freunde, die bereit sind, ein Stück ihres Weges mit ihnen zu gehen. Diese Freunde können und sollten nicht versuchen, ihnen ihre Traurigkeit zu nehmen; sie sollten sie einfach gemeinsam mit ihnen annehmen. Der Trauerprozess nimmt in jedem Menschen seinen ganz eigenen Verlauf. Man muss ihm Zeit lassen. Folglich sollten wir nicht versuchen, ihn mit künstlichen Mitteln und Zerstreuungen rasch verschwinden zu lassen. Manche Menschen brauchen es, dass sie weinen, schreien und ihren Schmerz, ihre Wut und Frustration laut von sich geben. Dann können sie nach und nach von ihrem Schmerz loskommen und neues Leben finden.

Aber es gibt auch eine tiefere Traurigkeit. Sie äußert sich so, dass ein Mensch sich frustriert oder verletzt fühlt; oder er oder sie erfährt in unerträglichem Maß einen Rückschlag, eine emotionale Krise, große Spannung, einen Konflikt oder etwas sehr Trauriges. Dieser Mensch fühlt sich dann von Traurigkeit überwältigt; aus den Tiefen seines Seins steigt ein innerer Tod auf. In ihm und um ihn fließt kein Leben mehr. Alle seine Energie ist ausgelaugt, seine ganze Freude am Leben ist ihm verloren gegangen. Dieser Energieverlust gleicht anfangs dem oben beschriebenen Trauerprozess. Aber allem Anschein nach stehen dieser Schmerz und dieses Traurigsein in keinem Verhältnis zu dem Ereignis, wovon sie ausgelöst wurden. Im Unterschied zu üblichen Zeiten der Trauer lässt hier die Traurigkeit im Lauf der Zeit oder dank neuer Aktivitäten nicht nach; im Gegenteil, die innere Lähmung scheint zuzunehmen. Der betreffende Mensch hat dann das Gefühl, in einer Welt der Finsternis gefangen zu sitzen und von allen anderen Menschen völlig abgeschnitten zu sein.

Depression ist eine Krankheit, die wir nicht selbst behandeln können. Um davon zu genesen, brauchen wir Hilfe.

Von den Wunden des Herzens

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