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Drei wahre Helden
Diese Geschichte beginnt ganz am Anfang, das ist die Geburt von mir – Zitro-Jasmin.
April war es, als unsere Mutter ihre Eier an den Blättern eines Faulbaumes ablegte. Nein, nein, das ist kein fauler Baum, er heißt nur Faulbaum. Unsere Art legt ihre Eier gerne auf einem Kreuzdorn oder Faulbaum ab, denn das sind immergrüne Pflanzen und somit der perfekte Schutz für kleine Tiere wie uns. Aus den Eiern werden Raupen, welche bis zu sechs Zentimeter lang werden können. Die Raupen der Zitronenfalter haben eine grüne Farbe, dadurch sind sie auf den Blättern der Bäume sehr gut getarnt. Natürlich gibt es noch sehr viele andere Schmetterlingsarten, sodass es auch Raupen verschiedenster Farben geben muss.
Aber nun zurück zu meiner Geschichte – dem Anfang. Wir Raupen verwandelten uns Anfang Juli jeweils in eine Puppe, um zwei Wochen später als erwachsener, wunderschöner Schmetterling auszubrechen. Ja, und genau in diesen zwei Wochen erlebte ich diese Geschichte, die ich dir nun endlich erzählen möchte.
Es war nicht gerade die beste Lage und der schönste Ort, um auf das Erwachsenwerden zu warten, denn stell dir vor, wir hingen an einem Faulbaum direkt an einer dreispurigen Straße in einer großen, grauen Stadt. Das war kein schöner Anblick für uns. Weit und breit waren da nur Beton, Abgase und jede Menge Lärm von den vorbeirasenden Autos. Ich schaute durch meine Puppe hindurch und war wirklich sehr, sehr enttäuscht. Auf der anderen Straßenseite standen graue Häuser mit einem Fußgängerweg davor. Die Menschen, die dort entlanggingen, eher hektisch rannten, machten mir Angst. Selbst die so warmen Sonnenstrahlen konnten diesen Anblick nicht schöner machen. So hingen wir also noch gefangen in unseren Puppen und konnten es kaum erwarten, von diesem traurigen Ort fortzufliegen.
Wieder einmal ging die Sonne auf und ein neuer Tag erwachte zum Leben. Ich hatte ganz gut geschlafen und schaute hinüber zu den Häusern. Da entdeckte ich zum allerersten Mal etwas Wunderschönes. Mitten auf dem Fußgängerweg stand ein großer und kräftiger Löwenzahn. Er musste sich mit großer Kraft den Weg durch den harten Beton gebahnt haben. Seine Blätter waren dick, saftig und grün und seine großen, gelben Blüten strahlten wie die Sonne.
Mir wurde plötzlich so warm ums Herz und ich fühlte mich zum ersten Mal richtig wohl. Schon jetzt freute ich mich darauf, diese Pflanze bei meinem allerersten Flug zu besuchen. Ich ließ diese Schönheit nicht mehr aus den Augen und konnte so beobachten, dass kleine Tiere wie Ameisen, Käfer und sogar Mäuschen diesen Löwenzahn immer wieder als ihre rettende Insel sahen und unter oder auf ihm Schutz suchten.
Wenn der Löwenzahn Gäste hatte, breitete er sich aus und streckte seine Blätter, damit sie auch alle Platz bei ihm hatten und ihnen nichts Böses geschah. Er gab sein Bestes und beschützte all die Tiere, so gut er es konnte, doch die Menschen beachteten die Tiere nicht. Nicht einmal den großen Löwenzahn nahmen sie wahr, sondern traten ständig auf ihn. Keiner nahm Rücksicht, dabei machte es ihm sehr große Mühe, sich immer wieder aufzurichten, denn die kleinen Tiere brauchten schließlich seine Hilfe, um sich ausruhen zu können, nachdem sie die große, breite Straße überquert hatten, trotz der unendlich, vielen Autos, dem Lärm und der furchtbar, schlechten Luft. Unter dem Löwenzahn konnten sie ausruhen und er gab ihnen wieder den nötigen Sauerstoff, um sich erholen zu können. Jede Nacht, wenn es kühler wurde und sich kleine Tau-Tröpfchen bildeten, konnte auch der Löwenzahn aufatmen und sich erholen.
Unsere Zeit als Puppen verging mehr und mehr. Bald würde unser erster Flug anstehen, aber für uns Weibchen dauerte es noch etwas länger, denn die männlichen Tiere, also auch meine Brüder, sind die ersten Schmetterlinge, die im Frühling erscheinen. Wir Weibchen folgen etwas später. Nun aber zurück zu meiner Geschichte.
Es verging leider kein Tag, an dem mein lieber Freund der Löwenzahn nicht von den vielen Menschen zertrampelt wurde, die es immer nur eilig zu haben schienen. Keiner von ihnen nahm sich mal die Zeit, diese Pflanze zu bestaunen und zu bewundern für den Kampf und ihre Kraft, die sie gebraucht hatte, um durch den harten Beton zu brechen. Keiner schien sich darüber Gedanken zu machen, doch irgendwann wurde ich von zwei kleinen Kindern eines Besseren belehrt. Diese zwei kleinen Kinder nahmen sich die Zeit für meinen grünen Freund. Ich war so gerührt von dem Mädchen und dem Jungen, denn sie streichelten die Pflanze, nahmen die winzigen Tierchen auf ihre Finger und brachten sie hinter einem nahe gelegenen Zaun in Sicherheit. Dann kamen sie zurück, luden sich die nächsten kleinen Passagiere auf ihre kleinen Fingerchen und brachten auch diese von der Straße weg. Sie taten das so lange, bis alle Tiere in Sicherheit waren. Mir standen Tränen in den Augen, so gerührt und glücklich war ich über das heldenhafte Verhalten dieser kleinen Menschen-Kinder.
Jeden Tag kamen sie nun zum Löwenzahn, gaben ihm Wasser, beschützten ihn und retteten kleine Tiere. Außerdem zogen sie mit Kreide einen Kreis um ihn und schrieben große Worte auf jede Seite. Leider konnte ich die Worte nicht lesen aus der Entfernung, denn ich hing ja auf der anderen Straßenseite in meiner Puppe fest, aber nun freute ich mich auf jeden neuen Tag, um die Kinder und den Löwenzahn wiederzusehen.
Es erwachte wieder ein neuer Tag. Die Sonnenstrahlen kitzelten mich an der Nase und der lauwarme Wind berührte meine Flügel. Meine Flügel? Ich hatte meine Flügel, ich war jetzt erwachsen! Ich war endlich ein richtiger Schmetterling – ein Zitronenfalter. Das konnte ich kaum glauben, einfach so über Nacht war es geschehen. Ich sah immer wieder meine wunderschönen, zitronengelben Flügel an in den Tautropfen, die an den Blättern des Faulbaumes hingen. Endlich war es geschafft, ich war jetzt frei und konnte fliegen, wohin ich wollte und so hoch ich wollte.
So bin ich also entstanden, deine Zitro-Jasmin, und werde dir nun alles erzählen, was ich auf meinen Reisen erlebt habe. Versprochen.
Doch bevor ich meine erste Reise antrat, flog ich geradewegs zu meinem tapferen Löwenzahn, setzte mich vorsichtig auf eine seiner weichen, gelben Blüten und wollte ihn endlich persönlich kennenlernen. Ich stellte mich ihm vor und erfuhr endlich seinen Namen. Er erzählte mir, dass ihm seine kleinen Gäste, die er bis dahin beherbergt hat, den Namen Big Hope gegeben hatten. Big Hope heißt so viel wie große Hoffnung und die Tiere fanden den Namen sehr passend für ihn. Ich auch. Dann erzählte er mir seine Geschichte, wie sehr er sich anstrengen musste, um an die Erdoberfläche zu kommen, dass es ihn viel Zeit gekostet hatte, den harten Beton zu durchbrechen und die vielen schönen Erlebnisse, die er mit seinen kleinen Gästen hat, wenn sie sich unter ihm ausruhen und so weiter. Aber vor allem sagte er mir, wer seine großen Helden waren, nämlich die zwei kleinen Menschenkinder Eva und Jörg. Sie besuchten ihn täglich, gaben ihm zu trinken und retteten kleine Tiere. Sie erneuerten mit Kreide ständig den Kreis und auch die großen Worte, die links und rechts von Big Hope auf dem Gehweg standen. Und endlich konnte auch ich die Worte lesen. Da stand in großen Druckbuchstaben: STOP! Big Hope sagte mir, dass diese Worte sehr viel Gutes bewirkt hätten, denn die Menschen blieben jetzt kurz stehen, lächelten und machten einen großen Schritt über ihn. Manchmal brachten auch sie Wasser für Big Hope mit und wirklich kein Einziger trampelte ihn mehr nieder.
Schon wieder war ich so sehr gerührt von dem Verständnis, dass zwei kleine Kinder für Big Hope aufbrachten, seine Lage so gut verstanden und die Wichtigkeit ihm zu helfen. Dann flog ich kurz hinüber zu dem Zaun und sah plötzlich die Schönheit, die hinter ihm lag mit den vielen, bunten Blumen. Es war ein wunderschöner Anblick für mich und mein Herz füllte sich nun noch einmal mit Hochachtung für Eva und Jörg, jene zwei kleinen Menschenkinder, die mit ihrer kindlichen Leichtigkeit so viel Gutes vollbrachten. Sie hatten es geschafft, erwachsene Menschen dazu zu bewegen, mal anzuhalten und zu schauen, um verstehen zu können.
Meine ersten Helden in meinem noch so jungen Leben fand ich also in dieser dunklen Stadt, meiner Geburtsstadt. Mir war klar geworden, dass ich auf meinen zukünftigen Reisen stets meine Augen offen halten würde nach Helden wie Big Hope, Eva und Jörg. Dann würde ich dir und vielen anderen Kindern meine Geschichten und Erlebnisse erzählen können.
Bitte nimm auch du dir die Zeit, um in deinem Dorf oder in deiner Stadt die ganz kleinen Dinge anzusehen, und schenke ihnen Beachtung. Zertrete nicht Helden wie Big Hope. Schlage nicht mit Stöcken oder Steinen an Bäume, reiße nicht ihre Blätter und Zweige ab. Zerstöre keine Pilze, die im Wald oder am Wegrand wachsen, und bitte reiße nicht Blumen in Stücke. Denke immer daran, dass unsere Natur sehr, sehr wichtig für uns alle ist und dass alle Lebewesen – ob Menschen oder Tiere – von ihr abhängig sind. Beschütze die Natur mit ihren wunderschönen Farben und allem Leben, das in ihr wächst. Sei auch du ein Held, denn jeder kann ein Held sein. Größe spielt dabei keine Rolle. Unsere schöne Natur ist irgendwann kaputt, wenn wir uns nicht besinnen und jeder, ob groß oder klein seinen Beitrag leistet, um unsere Welt zu erhalten und immer ein bisschen besser zu machen.
Als auch ich Big Hope meine Geschichte erzählt hatte, wünschten wir uns Glück und verabschiedeten uns voneinander. Ich flog über die breite und nach Abgasen stinkende Straße zurück zu meinen Schwestern, die schon sehr ungeduldig auf mich warteten. Unsere Brüder hatten unseren Geburtsbaum ja schon etwas früher verlassen und so breiteten wir weiblichen Falter unsere wunderschönen gelben Flügel aus und erhoben uns in die Lüfte, um in die große, weite Welt hinaus zu fliegen. Es muss ein zauberhafter Anblick sein, wenn sich Dutzende gelbe, hellgrüne und bunte Schmetterlinge fast gleichzeitig in den Himmel erheben.
Mir fiel schon damals übrigens auf, dass nur meine und die Flügel meiner Schwestern in einer zitronengelben Farbe erstrahlten und die Flügel der anderen weiblichen Zitronenfalter eher eine hellgrüne Farbe hatten, was eigentlich auch normal ist bei unserer Art. Nur die männlichen Zitronenfalter hatten das leuchtende Zitronengelb in ihren Flügeln. Aber warum das bei uns so war, blieb erst einmal ein Geheimnis.
Das ist eine andere Geschichte und die werde ich dir ein andermal erzählen.
Bis dahin grüßt dich ganz lieb deine Zitro-Jasmin