Читать книгу Ein Escort zu Weihnachten - Jennifer Schreiner - Страница 9
ОглавлениеEin Albino-Engel
Missmutig stieg ich aus dem Flugzeug und meine Laune sank noch weiter – vermutlich um sich der Temperatur anzupassen.
Tom hatte sich tatsächlich nicht mehr blicken lassen, der fiese Drecksack! Und selbst die Tickets waren per Post gekommen – zusammen mit den restlichen Infos.
In einem Anfall ungewohnter, privater Weisheit hatte mein Kompagnon alle Spuren beseitigt, die Informationen zu dem Escortservice aufwiesen. Und sein guter Freund Ruben, dem der »Office Escort« gehörte, leugnete, etwas mit der Sache zu tun zu haben. Leider war Ruben nicht nur unser Klient, sondern ich mochte ihn – sofern man das nach telefonischen Kontakten beurteilen konnte – auch gut leiden, weswegen ich ihn nicht des Schwindelns bezichtigte. Aber durch sein beharrliches Leugnen und Toms Abtauchen konnte ich mich nicht aus der Verabredung stehlen. Nur zu gerne wäre ich nicht geflogen und auch das Aufreißen einer hübschen Silvesterbegleitung fand ich plötzlich extrem reizvoll.
Selbst auf dem Flug waren mir Frauen untergekommen, die ich jederzeit hätte haben können. Sogar eine Verheiratete und eine Verlobte mit zwei Kids. Ich seufzte und sah mich um.
Der Flughafen war genauso, wie es sich gehörte: Voller Boutiquen, die kein Mensch brauchte und zwei Fast Food … nennen wir sie mal »Restaurants«, in denen ich nur essen würde, wenn mir durch eine Zombie-Epidemie keine andere Wahl mehr bliebe.
Immerhin war es schön, die Ankommenden und ihre erwartungsvollen Abholer zu beobachten: die Freude und das Strahlen, das man mit keinem Geld der Welt kaufen konnte.
Auf mich wartete auch jemand: Eine unscheinbare, moppelige Frau mit einem überdimensionalen Schild auf dem mein Name stand: Jan Souso.
Immerhin hatte die Frau ein hübsches Gesicht und freundliche Augen, die mich fast vergessen ließen, dass ihre Nase so rot war, wie ihre Jacke. Wie sie es trotz dieser Farbe schaffte, beinahe mit dem Hintergrund zu verschmelzen, war mir ein Rätsel.
War das die Dame, für deren Begleitung ich immens viel Geld – und genauso kostbare Freizeit – opferte? Oder die Schwester, die eine Wette verloren hatte? Vielleicht aber auch nur ein Abholservice?
Innerlich strich ich all diese Fragen wieder, da ich keine von ihnen stellen würde. Falls meine Abholerin diejenige welche war, wäre sie beleidigt – keine Frau hörte gerne, dass sie nicht schön war.
Glück hatte ich trotzdem, denn sie beantwortete die Frage von sich aus.
»Hei, Sie sind mein Weihnachtsdate?«, erkundigte sie sich in einem schrecklichen Dialekt und lächelte mich an, als ich zögerte.
Ich nickte beklommen, weil ich widersinnigerweise enttäuscht war. Ich hatte nichts erwartet und mit nichts gerechnet … und leider hatte ich genau das bekommen!
Meine innere Stimme würgte ob der Lüge. Mit einem Model hatte ich gerechnet, einer heißen Begleiterin, nach der sich alle anderen Männer die Finger lecken würden. Charmant und witzig und sexy. Stattdessen stand ich vor einem Albino- Landei, das dieser seltsamen Kämpferin aus »Game of Thrones« Konkurrenz machen konnte. Naja, der Hälfte von ihr, denn sie war eher ein Albino-Zwerg, denn eine große Kriegerin.
»Mia«, stellte sie sich vor und schien nichts von meinen Gedanken und meinen Ressentiments mitbekommen zu haben. Dann drückte sie meine Hand, wie es sicher auch oben genanntes Mannweib getan hätte.
Das muss ein Irrtum sein, dachte ich und klammerte mich an meinem Koffer fest.
»Für dich habe ich auch eine Perücke mit«, erklärte sie wieder mit diesem schrecklichen Dialekt. Wenn ich den die ganzen Feiertage lang würde hören müssen, bestand eine gute Chance für einen Amoklauf meinerseits. Trotzdem war es etwas anderes, was mir gerade massiv aufstieß.
»Perücke?«, wiederholte ich irritiert.
»Tom hat die Infos wirklich nicht weitergegeben?« Sie musterte mich, als sei alles meine Schuld. Dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht und sie meinte – ganz ohne Dialekt: »Dein Freund kann dich nicht leiden, oder?«
»Den Verdacht habe ich auch!«, gab ich angesäuert zurück. Schön, dass jeder auf meine Kosten Spaß hatte. Seltsamerweise hatte ich nämlich das Gefühl, ich würde das schlimmste Weihnachtsfest aller Zeiten erleben.
»Fiona ist dieses Jahr mit dem Motto des Weihnachtsfotos dran … meine Schwester … und das Ergebnis ist … ach, du wirst schon sehen«, erklärte Mia ein wenig abgehackt und viel zu hastig, als dass ihre Fröhlichkeit echt rüberkam.
Statt weiter zu erklären, steuerte sie mich auf ein Auto zu, das eindeutig schon bessere Tage gesehen hatte: einen schlammigen Jeep bei dem man nicht wusste, wo der Rost aufhörte und der Dreck anfing.
»Leider hat es bisher noch nicht für weiße Weihnachten gereicht. Schnee ist aber für morgen angesagt«, small-talkte meine Weihnachtsfee und hielt mir die Beifahrertür auf, um sie direkt hinter mir zu schließen. Sehr galant – aber vielleicht hatte sie auch einfach nur Angst, ich könnte fliehen.
Nicht ganz so sanft erging es meinem Koffer, den sie in bester Albino-Mannweib-Tradition auf den Rücksitz beförderte und zu meiner Überraschung anschnallte.
Erst dann stieg sie ein und reichte mir die Tüte, die auf dem Fahrersitz gestanden hatte.
»Ich muss mich für Tom entschuldigen.« Mia schüttelte den Kopf, als könne sie gar nicht fassen, dass mir ein Freund so etwas antat. »Er hätte dich wirklich vorwarnen sollen.«
»Vorwarnen?«, hakte ich nach. Würde es etwa noch schlimmer werden?
»Jep!«, bestätigte Mia vermutlich meine Frage und nicht meinen Gedanken. Trotzdem wagte ich einen Blick in die Tüte, holte eine Perücke raus und beäugte sie ungläubig. Da Mia nichts sagte, wühlte ich mich weiter und fischte rote Hörner hervor.
»Warte, bis du meinen Heiligenschein siehst«, murmelte Mia und wirkte, als müsse sie jeden Moment loslachen. Immerhin war ihr schrecklicher Dialekt verschwunden.
»Heiligenschein?«, echote ich ungläubig und vergaß den Dialekt. Sollten Engel nicht … ich weiß nicht … schön sein?
Meine Fahrerin sah mich mit gerunzelter Stirn an und ich überlegte, ob ich den Gedanken laut ausgesprochen hatte. Hatte ich wohl nicht, denn meine seltsame Weihnachtsbegleitung meinte: »Das Motto ist: Weihnachten out of hell.«
Sie lachte leise: »Und nur weil die Kids dabei sind, konnten wir Fi davon überzeugen, Blut und Zombies wegzulassen.«
Wider Erwarten musste ich bei dem Gedanken an blutige Weihnachten ebenfalls lachen. Zum einen, weil es mich daran erinnerte, wovor Tom mich eigentlich hatte retten wollen und zum anderen weil ich plötzlich die Hoffnung hatte, dass zurzeit nichts an Mia echt war. Weder der Dialekt, noch die Haare, noch das Albinohafte.
»Was bist du?«, erkundigte ich mich deswegen halbwegs mutig.
Meine Begleiterin nutzte den Umstand, dass wir an einer Ampel standen und zog eine ihrer weißen Haarsträhnen nach vorne und beäugte sie skeptisch. »Geist der Weihnachten? Albino-Engel?«, riet sie und verzog ihre Lippen zu einem schlecht geschminkten Grinsen. »So sicher bin ich mir auch nicht und ich habe mich nicht getraut zu fragen.«
»Hattest du Angst vor der Antwort?«
»Genau das!«, bestätigte sie.
»Will ich wissen, was ich darstellen soll?«
»Nein«, sie schüttelte energisch den Kopf. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das nicht möchtest!«
»Ich sehe ein Nikolauskostüm?!«, fragte ich trotzdem.
»Deswegen hat dir Tom also nichts gesagt?«, riet Mia frech. »Weil du sowieso nicht gehört hättest?«
»Vermutlich!«, gestand ich und zog das Kostüm aus der Verpackung. »Also wenn du mich fragst, ist das ein Messer und muss dem Nikolaus quasi durch den Kopf gehen – oder zumindest so aussehen?!«
»Ich bring Fi um!«, murmelte Mia leise und bog von der Straße in die Pampas ab, was auch gleich die Erklärung für den Zustand des Wagens war, und fügte hinzu: »Auch für mein grottenschreckliches Kostüm!«