Читать книгу Die Brüder Young - Alles über die Gründer von AC/DC - Jesse Fink - Страница 8

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Im Januar 2013 stand ich in einer kilometerlangen Schlange außerhalb des Museum of Modern Art in New York, weil ich mir Edvard Munchs Gemälde Der Schrei aus dem Jahr 1893 anschauen wollte. Die bemerkenswert geordnete Menschenansammlung erstreckte sich mehrere Blocks weit. An diesem beißend kalten Freitagabend mit Minustemperaturen war der Eintritt kostenlos. Auch wenn ich mich gut eingepackt hatte, musste ich mit den Füßen auf dem Boden stampfen, um mich warm zu halten. Doch die Unannehmlichkeiten sollten sich auszahlen. Ich würde endlich Der Schrei sehen. Ein ikonenhaftes Kunstwerk und kein Bild, das man jeden Tag zu Gesicht bekommt, und dann noch umsonst.

Ungefähr nach einer Stunde befand ich mich innerhalb des Museums und erklomm die Stufen zum fünften Stockwerk, wo man all die „Schwergewichte“ ausstellte: Dalis, Modiglianis, Cézannes, Picassos, Van Goghs, Matisses, Monets, Klees. Die Publikumsmagneten. Und dort – mit nur einer Größe von 91 cm mal 73,5 cm sah ich Der Schrei, einer der vier Versionen, die Munch angefertigt hat und die erst kürzlich bei Sotheby’s für 120 Millionen Dollar versteigert worden war. Ich hatte alle Mühe, auch nur in die Nähe des Gemäldes zu gelangen. Während einige der wohl bedeutendsten Kunstwerke der Geschichte in den angrenzenden Ausstellungsräumen vernachlässigt und ignoriert hingen, wurde Der Schrei von einer regelrechten Menschenhorde belagert.

Hunderte Bewohner der Stadt und Touristen drängten sich davor. Sie ließen es nicht auf sich wirken und versuchten die Botschaft zu verstehen, sondern fotografierten es mit ihren iPhones, um es auf Instagram hochzuladen, oder machten „hübsche“ Schnappschüsse von sich und dem Werk, um sie auf Facebook zu posten. Ich wartete geduldig, um es aus nächster Nähe zu betrachten, doch als ich die Chance hatte, war ich enttäuscht. Das einzige beeindruckende Element meiner oberflächlichen Betrachtung der eher primitiv wirkenden Pastellarbeit waren die berühmten entsetzten und zutiefst verängstigten Augen der dargestellten Figur. Es schien egal zu sein, dass in den anderen Räumen, nur wenige Meter entfernt, deutlich bessere Kunstwerke ausgestellt waren. Niemand stand vor diesen Gemälden und schoss Fotos. Das Bild hier hatte man jedoch für 120 Millionen Dollar verkauft. Es war „bedeutend“. Man erwartete vom Betrachter unreflektierte Ehrfurcht, bevor er sich wieder auf den Weg machte, denn das hier wurde als ernsthafte Kunst kategorisiert.

Ich wollte, dass es mich zutiefst berührt, dass ich von meinen Gefühlen davongetragen werde. Doch ich spürte rein gar nichts. Nachdem ich das Museum verlassen hatte, um in den geschäftigen Straßen von Midtown zu verschwinden, entwirrte ich die Kopfhörer des iPods und hörte mir Back In Black an, für nur 9.99 Dollar bei iTunes erhältlich. Obwohl ich das Album damals schon Tausende Male gehört hatte, reichte ein einziger AC/DC-Riff aus, um mich zu fesseln, ganz im Gegensatz zu einem der am meisten gefeierten Bilder der Kunstgeschichte.

Jerry Greenberg, der Präsident von Atlantic Records in den Jahren 1974 bis 1980, die Führungskraft, die sich rühmen kann, den steilen Kampf der Band bis an die Chart-Spitze der USA begleitet zu haben, teilte meine Emotionen, als wir uns einige Wochen später unterhielten: „Bu, bu da da, bu da da – das ist einfach unglaublich!“ Ich musste mich zwicken, denn der Mann aus Los Angeles, der ABBA, Chic, Foreigner, Genesis und Roxy Music unter Vertrag genommen hatte, summte mir AC/DC am Telefon vor!

Der beinahe schon religiöse Status von Kunst, das inhärente Elitedenken und der erstickende Snobismus sind alles Charakteristika, gegen die die Youngs – Angus, Malcolm und George – sich auflehnten und protestierten. Die verblüffenden schottisch-australischen Brüder leisteten jedoch viel mehr. Sie hatten nicht nur einfach Glück mit einer Formel oder Schablone. Was sie mit der Musik im Verlauf der letzten 40 Jahre erreichten – durch Engagement, ein unumstößliches Selbstvertrauen und ein nicht geringes Quäntchen musikalischen Genies, ist nicht mehr und nicht weniger als eigenständige Kunst. Doch diese Kunstform wird nicht in Museen präsentiert. Es ist keine Kunst, die kreiert wurde, um von steinreichen Familien und Hedgefond-Managern gekauft und wieder verkauft zu werden. Es ist eine Kunst, die sich gegen den Begriff an sich verwehrt. Sie „ist“ einfach da!

Die Kombination von Weltklasse-Talent und einer verblüffenden Bodenständigkeit machen die zurückhaltenden und stets auf ihre Privatsphäre bedachten Youngs schon seit langer Zeit so unwiderstehlich – drei „Hobbits“ des Hardrock aus einer großen Familie: sieben Jungen und ein Mädchen.

Die Brüder haben nicht nur einige der packendsten Songs der Rockmusik, wenn nicht sogar der Musikgeschichte komponiert, sondern auch ein Werk aufgetürmt, das kreativer und vielschichtiger ist, als man ihnen jemals zugetraut hätte. Ihr Einfluss auf die Rockmusik und besonders den Hardrock kann nur als immens beschrieben werden. Erwähnenswert ist noch der vierte Bruder Alex, der 1963 in Cranhill, Glasgow blieb, als Malcolm und Angus mit den Eltern William und Margaret nach Australien übersiedelten. Er wurde von Apple Publishing, dem Verlag der Beatles, als Songwriter unter Vertrag genommen, wo John Lennon und Paul McCartney ihn und seine Band Grapefruit unter ihre Fittiche nahmen.

Ich kann durchaus behaupten, dass es bislang keine Brüder gab, weder die Gibbs der Bee Gees noch die Wilsons der Beach Boys, die einen so profunden Einfluss auf die Musik und die Populärkultur rund um den Globus ausübten wie die Youngs. Ihre Songs wurden von Superstars von Shania Twain über Norah Jones bis hin zu Santana und den Dropkick Murphys gecovert. Die Musik hatte so einen durchschlagenden Einfluss, dass australische Paläontologen zwei Spezies prähistorischer Arthropoden nach ihnen benannten: „Maldybulakia angusi“ und „Maldybulakia malcolmi“. „Es sind beides verwandte Organelle“, erklärte Dr. Greg Edgecombe vom australischen Museum, „die sich ausbreiteten und die Küsten Australiens verließen, um die Welt zu erobern.“

Bis zum heutigen Tag gibt es noch viele unnachgiebige AC/DC-Kritiker, die zwar niemals locker ließen, sich aber in den letzten Jahren milder gestimmt zeigten. Mittlerweile ist ihnen eins klar geworden: Je heftiger sie die Band angreifen, desto deutlicher werden sie zu Narren, denn die Behauptung, all ihre Songs klängen gleich, stört AC/DC nicht. Einige ähneln sich, denn die Youngs wollen keinen Ansatz manipulieren, an dem sie Spaß haben und der sich für sie auszahlt. Besagte Kritiker haben einen wichtigen Punkt nicht verstanden: Gerade durch den Verzicht, Grenzen zu überschreiten, haben sie ganz klar eine Grenze überschritten: Sie stellen sich klar gegen das Dogma, dass Musik stets neue Elemente beinhalten muss!

Mark Gable von The Choirboys, einer australischen Band, zu Beginn von George Young betreut und bekannt für den Hit „Run To Paradise“, hat die wohl treffendste Beschreibung geliefert, was den Youngs mit ihrer Musik gelingt: „Bevor ich ‚Paradise‘ schrieb, entschied ich mich, nur drei Akkorde zu benutzen. Diese Art der Beschränkung oder Begrenzung kann – wenn man es beabsichtigt – die Kunst verbessern. Darf alles nur Erdenkliche umgesetzt werden, wird man früher oder später auf seine Schwachpunkte stoßen. Wenn man jedoch innerhalb eines bekannten Territoriums arbeitet, scheint man grenzenlos zu expandieren.“

Dass AC/DC sich keinen anderen Musikstilen zuwenden, ist eine Art von Faulheit – so könnte man zumindest argumentieren. Aber der Ansatz lässt sich als eine Art mutiger Kreativität deuten. Nicht viele Musiker können innerhalb solch enger Parameter arbeiten und Songs präsentieren, die bei jedem erneuten Hören frisch und unverbraucht klingen. Die Youngs vermögen das! In beständiger Regelmäßigkeit! AC/DC klingen niemals – niemals – schal oder abgestanden.

Derek Shulman, der ehemalige Geschäftsführer von Atco Records, ist vielleicht am bekanntesten dafür, dass er Bon Jovi unter Vertrag nahm und AC/DCs erlahmte Karriere Mitte der Achtziger wiederbelebte. Er kommentiert das so: „Ich stimme zu – zu 100 Prozent. Sie habe es nicht nötig, bestehende Grenzen auszuweiten. Sie haben ihr eigenes Terrain abgesteckt, an das keine andere Band auch nur annähernd herankommt. Sie waren und sind immer noch die Anführer und sind niemals Trends hinterhergelaufen. Das müssen 99,9 Prozent der anderen Rockbands erkennen und verstehen, wenn sie wirklich zu einer Legende werden wollen, ähnlich wie AC/DC als Band, die einen solchen Status sicherlich besitzt.“

Die Songs der Youngs – sie haben gemeinsam Hunderte von Titeln in über einem halben Jahrhundert geschrieben und aufgenommen – erzählen ihre eigenen Geschichten. Warum haben sie sich als so beständig erwiesen, einen Widerhall bei so vielen Millionen Fans gefunden und solch eine leidenschaftliche Loyalität und offenen Fanatismus angeregt? AC/DC-Konzerte sind nicht nur einfach Konzerte, sondern gigantische Zusammenkünfte unter einem Bandlogo, das so mächtig ist wie eine x-beliebige Flagge. Was hat „It’s A Long Way To The Top“ praktisch zu einer australischen Nationalhymne gemacht? Warum wird „Thunderstruck“ regelmäßig bei den Spielen der NFL in den USA und Fußballbegegnungen in Europa gespielt? Warum wurde 2006 ein Festival in Finnland veranstaltet, bei dem AC/DCs komplette Backlist (und nicht die einer anderen Gruppe) von 16 Acts, darunter sogar eine Militärkapelle, innerhalb von 15 Stunden aufgeführt wurde? Was veranlasst Städte wie Madrid und Melbourne, Gassen und Straßen nach ihnen zu benennen? Warum tummeln sich wahre Legionen von Angus-Young-Nachahmern bei Facebook? Warum wird „Back In Black“ regelmäßig von Hip-Hop-Künstlern und Mashup-DJs gesampelt (ohne Genehmigung), im Fernsehen eingesetzt, in Werbeclips und Hollywoodfilmen, von Spiel- und Sportverbänden lizenziert und in Helikoptern und Panzern auf Kriegsschauplätzen gespielt? Bei der Schlacht um Falludscha im Irak 2004 ließen amerikanische Marines „Hells Bells“ aus gigantischen Lautsprechern dröhnen, um damit den Ruf zu den Waffen von den Moscheen der Stadt zu übertönen.

Warum hat AC/DCs Musik solch eine regenerierende und sogar heilende Wirkung? Warum überträgt sich die Art von Energie, die unsere Gefühlswelt und unsere Perspektive verändert und uns die Kraft verleiht, auch die dunkelsten Momente im Leben zu überstehen, auf uns?

In Port Lincoln, Südaustralien, arbeitet ein Reiseveranstalter, der herausgefunden hat, dass AC/DC wie keine andere Musik Haie anlockt. Matt Waller erklärte dem Herald Sun aus Melbourne: „Wir haben bei Experimenten festgestellt, dass die Musik von AC/DC die größte Wirkung erzielt … Ich habe Haie beobachtet, die ihre Köpfe am Käfig rieben, aus dem der Sound kam, als würden sie ihn erfühlen wollen.“

Die Antworten auf die Fragen, egal welche es sind, sind an der Quelle zu finden, der Quelle, die die Musik der Youngs so außergewöhnlich werden lässt.

[Da der Autor zahlreiche Interviews mit oftmals weniger bekannten Personen aus dem Umfeld von AC/DC geführt hat, findet sich am Ende des Buches zur leichteren Zuordnung eine Liste mit der Überschrift „Dramatis Personae“, A.T.]

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Und alles begann mit dem Bruder, dessen Gesicht nur selten in der Öffentlichkeit erscheint.

George Young, der 2014 68 Jahre alt wurde, spielte bei Flash and the Pan, einem Projekt mit seinem langjährigen Co-Autoren und Produktionspartner Harry Vanda, seit 1992 nicht mehr auf seinen eigenen Platten. Dennoch hatte er die Finger bei der Einspielung von AC/DCs Stiff Upper Lip 2000 im Spiel. Zusammen mit Harry Vanda zeichnete er für die Platten zwischen 1974 und 1978 verantwortlich und danach wieder in den späten Achtzigern. Berühmt für seine Rolle als Rhythmusgitarrist der Easybeats produzierte er mit Vanda Rose Tattoo und The Angels (auch als Angel City bekannt). Die beiden komponierten Stücke wie „Friday On My Mind“ und „Good Times“ der Easybeats, Stevie Wrights „Evie“, John Paul Youngs „Love Is In The Air“ und Flash and the Pans „Hey St Peter“, „Down Among The Dead Men“, „Walking In The Rain“ (von Grace Jones gecovert) sowie „Ayla“, das später im erotischen Kontext für eine Tanzszene in dem Monica-Bellucci-Streifen Wie sehr liebst du mich? eingesetzt wurde. Der Anblick von Bellucci gehört zu den Erinnerungen, die man nicht allzu leicht vergessen kann.

„Ich bewahre viele Schallplatten bei mir zu Hause auf und experimentierte bei der Arbeit an meinen Filmen mit verschiedenen Songs, woraus sich manchmal eine Überraschung ergibt“, erzählt Bertrand Blier, der Regisseur des Films. „Ich mag besonders ‚Ayla‘.“

George ist das „sechste Mitglied“ von AC/DC, der Leiter, der Trainer, der gelegentliche Bassist, Drummer, Background-Sänger, Mime, Percussionist, Komponist, Business-Manager und Strippenzieher im Hintergrund. AC/DC sind genauso seine Band wie die von Angus und Malcolm.

Anthony O’Grady, Bon Scotts Freund und in den Siebzigern Gründungsmitglied der australischen Musikzeitschrift RAM, verbrachte während der Jahre 1975 und 1976 mehrere Tage mit der Band auf Tour. Als wir uns in Sydneys Stadtteil Darlinghurst trafen, trug er ein frisch gebügeltes (aus dem Jahr 1974 nachgedrucktes) AC/DC-T-Shirt, auf dem der Bandname so auftauchte, als hätte man ihn mit weißer Wandfarbe darauf gepinselt.

„George nutzte alles bei den Easybeats Gelernte und zog Konsequenzen aus den Fehlern“, sagte er. „Es war einer dieser alten Geschichten: ‚Man kann in einer Band sein, einen internationalen Hit haben und mit einem erdrückenden Schuldenberg enden.‘ Dieses Mal sollte es anders laufen. Und es lief auch anders! Er hätte es am liebsten selbst durchgezogen, da bin ich mir sicher. Doch, mein Gott, er programmierte Malcolm und Angus darauf, niemals Plattenfirmen, dem Management oder Agenturen die Kontrolle zu überlassen.“

„Weiche niemals von deinem Weg ab! Das trichterte er Malcolm ein. Angus symbolisierte die Elektrizität und George sowie Malcolm waren das Kraftwerk. Die beiden haben den Fluss in die richtige Bahn gelenkt. Und sie ließen sich nie vom Zurschaustellen musikalischen Könnens behindern. Mehrere Male berichtete mir Malcolm: ‚Angus kann verdammt cleveren Jazz spielen, aber wir wollen nicht, dass er verdammt cleveren Jazz spielt‘.“

Hinsichtlich der beiden jüngeren Brüder von George – Angus, Leadgitarrist, der 2014 59 Jahre alt wurde, und Malcolm, Rhythmusgitarrist, 61 –, muss man nicht viel sagen. Die beiden haben einige der besten Songs und prägnantesten Gitarren-Riffs der Rockgeschichte kreiert. Sie werden auf der ganzen Welt erkannt und verehrt, sodass sich eine Einführung erübrigt. Sie einzeln zu charakterisieren ist beinahe unmöglich. Die Brüder führen persönlich – wie auch musikalisch – eine beinahe symbiotische Beziehung, obwohl sie sich unterschiedlichen Rollen verschrieben haben. Das war nicht immer so. Zu Beginn versuchten sie sich gegenseitig zu übertrumpfen, sich auszustechen, wie AC/DCs ursprünglicher Sänger Dave Evans angibt.

„Auf der Bühne bestand zwischen ihnen eine gesunde Rivalität. Am Anfang spielten Angus und auch Malcolm Leadgitarre. Sie duellierten sich auf der Bühne, was großartig wirkte, denn die beiden rammten sich fast die Köpfe dabei ein, besser als der jeweils andere zu sein. Schließlich billigte man Angus die Rolle des Leadgitarristen zu, in der er voll und ganz aufging. Schon die frühen Songs hatten viel Power, und das ließ niemals nach.“

Angus ist der Star, und das würde niemand bestreiten: die „atomare Mikrobe“, wie Albert Production oder Alberts, AC/DCs australische Plattenfirma, ihn einmal in einer Anzeige in der amerikanischen Musikpresse bezeichnete. Er hat ein scharf umrissenes, abgedrehtes Talent und sein „angenehm verzerrter und von Humbuckern verstärkter Sound“ ist so unverkennbar, dass ihn das Magazin Australian Guitar zum besten Gitarristen erkor, den der Kontinent jemals hervorbrachte.

Als Showman gibt es keine ebenbürtigen Konkurrenten und man kann ihn zweifellos als die beständigste Live-Attraktion des Rock ’n’ Roll bezeichnen. David Lewis, Musikjournalist für das nicht mehr existente britische Musikmagazin Sounds, beschreibt Angus transparent und stimmungsvoll: „[Angus wirkt durch] den Wahnsinn eines wilden und ungestümen Schuljungen, während er über die Bühne fegt, schwitzt und Chuck Berrys Duckwalk imitiert, dass es so aussieht, als würde ein Behinderter humpeln. Wie bei einem grotesken menschlichen Schwamm dringen Schweiß, Rotz und Schleim aus seinen Poren, brutal ausgepresst durch die Intensität des Gitarrenspiels.“

Bernard McGovern schrieb 1976 in der Londoner Zeitung The Daily Express: „Angus ist kein Schuljunge, sondern ein verrückter schottischer Rocker. Sein Bühnengebaren … beinhaltet unberechenbare Tobsuchtsanfälle, das Zerstören von Schulnotizbüchern, Rauchen und das Zerreißen seiner Schuluniform, deren Fetzen er ins Publikum wirft. Er sticht Nadeln durch Voodoo-Puppen von Lehrern und spielt einen höchst effektiven Rock ’n’ Roll, wobei er schreiend und mit den Beinen strampelnd auf dem Boden liegt.“

Lisa Tanner, eine ehemalige Hausfotografin von Atlantic Records, die einige außergewöhnliche AC/DC-Bilder aus den Siebzigern und Achtzigern zu diesem Buch beisteuerte, erinnert sich an Angus, der sich so sehr in seine Performance hineinsteigerte, dass er sich übergeben musste.

„Nach oder während des ersten Songs des Sets kam er von der Bühne, hängte den Kopf in eine Mülltonne und kotzte, wobei er immer noch Gitarre spielte. Ich sah ihn erstmalig mit Perry Cooper [Leiter der Promotion-Abteilung von Atlantic] und fragte verdutzt: ‚Ist mit ihm alles okay?‘ Perry antwortete mir, dass er das bei jeder Show macht.“

Sogar noch heute – obwohl er durch das Alter und die knackenden Gelenke etwas ruhiger geworden ist – zeigt sich bei Angus eine fast kindliche Ader. O’Grady nach hat sein unbeugsamer Wille, Gitarre zu spielen und zu üben, die Dimension einer lebenslangen Besessenheit angenommen: „Er war ein frühreifes Kind, dass sich auf der Gitarre wesentlich besser ausdrücken konnte als durch die Schulaufgaben oder die Sprache, wobei man ihn auch unterstützte. Für gewöhnlich sagte man: ‚Kümmere dich nicht um Angus – lass ihn Gitarre spielen‘.“

David Mallet, der die AC/DC-Videos und -Konzerte seit 1986 produziert hat, meint: „Bei Pink Floyd dreht sich alles um den Pomp. Jeder Song, jede einzelne Nummer nimmt einen besonderen Platz im gesamten Spektakel ein. Bei AC/DC gibt es nur ein Spektakel, und das heißt Angus Young.“

Der mittlere Bruder ist in der Tat der „König“ von AC/DC, und er ist sicherlich kein gütiger Herrscher. Mark Evans, der Bassist der Band von 1975 bis 1977, beschrieb Malcolm in seiner Autobiografie Dirty Deeds – Meine wilde Zeit mit AC/DC wenig schmeichelhaft als „den Getriebenen … den Planer, den Strippenzieher, den ‚Typ hinter dem Vorhang‘, erbarmungslos und scharfsinnig.“

Es ist eine Beschreibung, die ähnlich klingt wie eine frühe, aber trotzdem wichtige Presseerklärung von Atlantic Records: „Nicht nur ist er ein großartiger Gitarrist und Songwriter, sondern auch ein Mann mit einer Vision – es ist der Planer von AC/DC, ein ruhiger, bedächtiger und höchst aufmerksamer Mensch. Diese Eigenschaften – und natürlich das gute Aussehen, machen ihn zu einem der beliebtesten Mitglieder von AC/DC.“

Merkwürdigerweise wurde das optische Erscheinungsbild keines der anderen Musiker positiv hervorgehoben.

Malcolm fällt alle wichtigen Entscheidungen, führt die Band und liefert einen treibenden Rhythmus. Obwohl er sich im September 2014 zum Ausstieg entschied, bleiben AC/DC seine Band.

„Malcolm und Angus wuchsen in einer familiären Situation auf, in der George ein überaus berühmter Pop- und Rockstar war“, erläutert Evans bei einem Kaffee in Annandale, einem Vorort von Sydney. Sein Haupthaar mag sich in seinem 58. Lebensjahr ein wenig gelichtet haben, aber er ist noch so fit und gut aussehend wie früher. Wenn jemand bei AC/DC wirklich attraktiv wirkte, dann war er es. „Es war kein großer Schritt für sie, eine Band zusammenzustellen und ihr Lager in Übersee aufzuschlagen, kein Traum, als wolle man für die Glasgow Rangers spielen oder Ähnliches. Der Traum befand sich schon in ihrem Haus – in nächster Nähe. Malcolm lernte viel von George. Die beiden gleichen sich in vielerlei Hinsicht, obwohl ich glaube, das Malcolm der umtriebigere von beiden ist.“

„In all den Jahren hat es mich immer wieder aufs Neue erstaunt, dass die beiden als nicht sonderlich klug dargestellt werden – vielleicht liegt es an ihrem öffentlichen Image. Aber, Mann oh Mann! Ich habe in meinem Leben nur wenige Typen kennengelernt, die so schlau sind wie Malcolm.“

Während sein jüngerer Bruder den Duckwalk bringt, dem Publikum den nackten Arsch zeigt, sich im Kreise dreht oder das macht, was zum Teufel er auch immer will, blieb Malcolm im Hintergrund der Bühne vor seinem Marshall-Turm stehen, steif und zuckend, festgewachsen wie ein Menhir. Man sieht, man konnte sich auf ihn verlassen.

„Live ziehen sie eine große Show ab, allerdings mit wenigen Effekten“, erzählt Mike Fraser, ihr langjähriger Mann am Mischpult. „Für mich ist sie immer wieder erstaunlich. Man sitzt auf seinem Platz und beobachtet Malcolm beim Spielen. Er steht neben den Drums, dirigiert aber tatsächlich die komplette Band. Jeder schaut bei den Breaks zu ihm. ‚Los, lasst uns noch eine Runde spielen.‘ Er gibt all die kleinen Zeichen, fast unmerkliche Handbewegungen. Die Augen der Musiker sind auf ihn gerichtet. Sogar Angus beobachtet ihn, während er durch die Gegend flitzt und sich im Kreise dreht. Er schaut bei allen Wechseln zu Mal hinüber. Das zu beobachten, ist schon verblüffend.“

Der auch aus Schottland stammende John Swan zählt zu den altehrwürdigen Protagonisten der Rockmusik und stimmt dieser Ansicht zu. Er hat in der Vergangenheit bei Bon Scotts alter Band Fraternity gesungen und ist ein enger Vertrauter der Familie Young: „Jeder blickt in Richtung Angus, als wäre er das Zentrum der Gruppe, doch für mich ist es Malcolm. Nimm zum Beispiel mal ‚Live Wire‘. Er spielt die Akkorde des Songs. Während der ganzen Zeit ist die Dynamik brillant. Dann verändert er ein winziges Pattern. Rhythmusgitarristen spielen den Song und übersehen diese winzige Passage. Er hingegen ändert den subtilen Part. Man muss schon ein Fan von Malcolms Spieltechnik sein, um überhaupt zu verstehen, was er da tatsächlich macht. Durch diesen kleinen abweichenden Abschnitt lässt er den Song ein wenig deutlicher rocken, wodurch die ihm zuhörenden Musiker die Nummer noch intensiver empfinden, noch mehr mögen. Er und Keith Richards sind die besten Rhythmusgitarristen der Welt.“

Terry Manning, der schon bei ZZ Top und Led Zeppelin hinter dem Mischpult saß und gemeinsam mit Chris Blackwell die Compass Point Studios auf den Bahamas besitzt, wo Back In Black aufgenommen wurde, geht sogar noch einen Schritt weiter. Für ihn sind Ritchie Blackmore von Deep Purple und die Blues-Legende Steve Cropper zweifellos die einzigen vergleichbaren Rhythmusgitarristen, „aber wenn man die Essenz des Rhythmusgitarrenspiels destilliert, glaube ich, dass es Malcolm besser drauf hat als die anderen“.

Zusammen muss man sie jedoch mit niemanden mehr vergleichen. Durch die dünnen Saiten von Angus dünnhalsiger Gibson SG und die dicken Saiten von Malcolms Gretsch Firebird gelingt das scheinbare Paradox des Klangs einer einzigen massiven Kraftquelle, bei der sich die Gitarren trotzdem noch deutlich unterscheiden. Kein anderes Team erreicht das in so einer Perfektion. Lange Zeit waren die beiden quasi „unentwirrbar“. Stevie Youngs Aufgabe besteht darin, diese Synergie aufrechtzuerhalten.

Das Phänomen ist so prägnant, dass Joe Matera, ein australischer Rockgitarrist und international bei Magazinen wie Classic Rock und Guitar & Bass publizierter Gitarrenjournalist, behauptet, es sei bei einer Trennung der beiden Gitarren-Sounds ineffektiv.

„Es ist eine Art Chemie, bei der der eine auf den anderen angewiesen ist, um einen so explosiven klanglichen Effekt zu erzeugen. Die Kombination der beiden ist so stark, dass bei einem Fehlen des Partners das Resultat kaum mehr den Effekt hätte.“

Georg Dolivo ist Sänger der kalifornischen Rockband Rhino Bucket, einer Gruppe, der es unter zahlreichen Imitatoren gelungen ist, dem Sound von AC/DC zur Powerage-Ära am nächsten zu kommen. Sogar der Ex-AC/DC-Drummer Simon Wright spielte eine Weile mit ihnen. Er erzählt: „Das Zusammenspiel der Gitarren, des Basses und der Drums lässt sich mit nichts vergleichen. Jede einzelne Note zählt. Angus und Malcolm spielen so perfekt abgestimmt, dass es wie eine undurchdringliche Energiewand klingt.“

Joel O’Keeffe, Frontmann und Leadgitarrist von Airbourne, die so nahe wie nur möglich an die Präsenz der Australier 1978 live im Glasgow Apollo kamen, erklärt den AC/DC-Sound als einen Prozess der Reduktion und Einfachheit: „Hier geht es eher darum, was die Youngs nicht machen, als um das, was sie machen. Es sind die präzise abgestimmten Pausen zwischen den Riffs, wie der kleine Freiraum nach der ersten drei A-Dur-Akkorden bei ‚Highway To Hell‘ oder die Leer-Passage bei ‚Whole Lotta Rosie‘, während der die Leute ‚ANGUS!‘ brüllen, bei denen man eine regelrechte Gänsehaut bekommt. Und wenn sie beide klampfen, sind es nicht nur zwei Gitarren, es sind wahre Energieprügel.“

„Die Young-Brüder sind zwei der besten Gitarristen, mit denen ich das Vergnügen hatte zusammenzuarbeiten“, erinnert sich Fraser. „Sie sind nicht nur talentiert, sondern arbeiten auch hart. Im Studio wissen sie genau, wie man so dynamisch spielt, dass der Song rockt. In so einer Umgebung kann das recht schwierig sein, denn die Atmosphäre ist manchmal klinisch und uninspirierend. Es ist hart, im Studio mit der Intensität eines Auftritts zu spielen, aber um eine klasse Platte zu produzieren, muss man das. Malcolm und Angus haben diese Fähigkeit verinnerlicht. Das zu beobachten, ist beeindruckend.“

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Zahlreiche Bands haben versucht, den Sound und das „keine Spielchen – jetzt kracht es“-Ethos zu reproduzieren, allerdings in unterschiedlichen Qualitätsabstufungen: Guns N’ Roses, The Cult, Airbourne, The Answer, Mötley Crüe, Krokus, Kix, The Four Horsemen, The Poor, Dynamite, Hardbone, Heaven, ’77, Starfighters, Accept, Rhino Bucket, Jet, die hart rockenden und sich wie französische Aristokraten kleidenden The Upper Crust und viele mehr. Dabei verlieren sich die meisten in Imitationen. Auch gibt es Bands, die kaltschnäuzig abkupfern. Man sollte „Dr Feelgood“ von Mötley Crüe mit AC/DCs „Night Of The Long Knives“ von For Those About To Rock (We Salute You) vergleichen. Oder David Lee Roths „Just Like Paradise“ mit „Breaking The Rules“ vom gleichen Album. Oder „Wild Flower“ von The Cult mit „Rock ’N’ Roll Singer“ von TNT [der australischen Veröffentlichung, A.T.].

Nicht, dass AC/DC sich zu Beginn der Karriere nicht bewusst oder unbewusst auch bei anderen bedient hätten, wenn es ihnen in den Kram passte. ZZ Tops „Jesus Just Left Chicago“ ist deutlich bei „Ride On“ zu erkennen und Thems „Gloria“ (von Bon Scotts erster Band The Spektors 1965 gecovert) bildet die Grundlage zu „Jailbreak“; beide Songs sind auf der australischen Ausgabe von Dirty Deeds Done Dirt Cheap zu finden. Der Hit „Never Been Any Reason“ der aus Illinois stammenden Band Head East, geschrieben von deren Gitarristen Mike Somerville, „inspirierte“ – um es mal höflich auszudrücken – „You Shook Me All Night Long“ von 1980. Interessanterweise spielten AC/DC im August 1977 als Vorgruppe für Head East im Riverside Theater in Milwaukee.

Allerdings machen sie alles auf ihre eigene Art, in ihrem Stil. Tony Platt mischte Highway To Hell ab, nahm Back In Black auf und co-produzierte Flick Of The Switch. Er erzählte mir bei einem Anruf in London: „Du wirst es kaum glauben, wie viele nach AC/DC klingende Bands nach dem Erfolg von Back In Black zu mir kamen und um eine Zusammenarbeit baten. Wenn mich jemand fragt: ‚Kannst du mir einen AC/DC-Sound einstellen?‘, kann ich ihm nur eine Antwort geben: ‚Natürlich, kein Problem, aber zuerst brauchen wir einen alten Marshall-Turm, ein altes Marshall-Topteil, eine Gibson SG und natürlich dürfen wir Angus nicht vergessen.‘“

„Im Genre Rock trifft man auf viele Bands, denen die Vorstellung, Rockmusiker zu sein, wichtiger ist, als tatsächlich einen guten Sound zu bringen. Doch sie waren anders drauf: ‚Wir wollen das richtig machen. Es muss auf jeden Fall so gut wie möglich klingen, und wenn wir danach Rockstars werden – umso besser.‘“

Auch für Fraser, der Aerosmith mischte, Metallica, Van Halen, The Cult und Airbourne, ist der Versuch sinnlos und unfruchtbar, es mit den Youngs aufzunehmen: „Es gibt durchaus Gruppen, die Elemente des Klangbilds von AC/DC in ihre Musik integrierten, doch die energiegeladene Simplizität von AC/DC zu reproduzieren, ist extrem schwierig. Viele Bands doppeln ihre Gitarren-Parts, um einen massiven und fetten Sound zu bekommen. Das Endresultat, wie gut es auch sein mag, wird allerdings nicht mit AC/DC zu vergleichen sein.“

Terry Manning, der den Sound von Rhino Bucket und The Angels in Form brachte, kennt nur allzu gut die Gefahren einer übermäßigen „Heldenverehrung“. Ihm wurde von den damaligen AC/DC-Managern Steve Barnett und Stewart Young das Angebot gemacht, die Sessions zu produzieren, bei denen Who Made Who entstand (aufgenommen im Compass Point). Aber aufgrund einer terminlichen Überschneidung – Manning musste Fastway in den Abbey Road Studios betreuen – konnte er der Offerte nicht nachkommen.

„Ich war gezwungen, abzulehnen, was ich auf immer und ewig bedauern werde. Niemand hat den AC/DC-Ansatz jemals detailliert kopiert. Das sollte man auch vermeiden. Ein guter Künstler kann sicherlich Elemente anderer in sein Klangbild integrieren oder sich stark beeinflussen lassen, aber im Laufe der Karriere muss er einen eigenen Weg gehen, seinen individuellen Stil finden und einen unverkennbaren Fingerabdruck hinterlassen. Bei Rhino Bucket und The Angels hatte ich diese Maxime immer im Hinterkopf: Niemals klonen, aber nicht zögern, Einflüsse zuzulassen. Man muss dem Künstler dabei helfen, in dem Moment das Beste aus sich herauszuholen, seine Individualität zu zeigen.“

Manning hat niemals mit AC/DC gearbeitet, aber sie haben sein Geschäft und die Ökonomie der Bahamas nach vorne gebracht. Die Compass Point Studios waren jahrelang von Rockbands ausgebucht, die hofften, dass ein Quäntchen Magie von Back In Black an ihnen haften bleiben würde.

„Es kann ja nicht weh tun, wenn unter dem eigenen Banner eine Platte aufgenommen wurde, die sich zum bestverkauften Album aller Zeiten entwickelte! Die Bands hat es wohl angelockt: Anthrax nahmen im Compass Point auf, Iron Maiden und Judas Priest.“

Es gibt wohl einen guten Grund, warum eine Band über 200 Millionen Exemplare verkaufte, nur ein oder zwei Mal in ihrer 40-jährigen Karriere etwas innehielt, aber zum größten Namen im Musikgeschäft aufstieg. Andere, die diesen Status für sich in Anspruch nehmen wollten, verschwanden in künstlerischer Bedeutungslosigkeit und permanenter Verbitterung. Dazu zählen auch Guns N’ Roses, die der verstorbene (und ehemalige Doors-Betreuer) Danny Sugerman in seiner exzentrischen Biografie Appetite For Destruction: The Days Of Guns N’ Roses übermäßig anpries für „ihre Hingabe zum exstatischen omnipotenten Status des Rocksounds“ und [für] das Beschwören „des wütenden und wilden Klangs eines Dionysos, der erneut zur Oberfläche aufsteigt“.

Die „Gunner“, allen voran Axl Rose, verfügten über ähnliche Qualitäten wie AC/DC: Authentizität, eine Vision, die Mentalität einer Gang, einen recht eigenständigen Sound, an den sich niemand herantraute, und eine beinahe schon ungezähmte Feindseligkeit gegenüber der Welt und den Leuten außerhalb der Band. In ihrer Glanzzeit coverten sie „Whole Lotta Rosie“ – und das erstaunlich gut. Bei einigen ihrer Shows ließen sie Back In Black über die PA laufen. Doch sie hatten nicht genügend hochoktanigen Sprit in ihrem Tank, um die letzten Meilen zu schaffen. AC/DC ließen es niemals zu, dass heftige Partys, Drogen, Sex oder Kohle ihre Musik beeinträchtigte.

Matt Sorum von Guns N’ Roses (und später The Cult sowie Velvet Revolver) glaubt, dass AC/DC das gewisse Etwas haben, „das mit den klassischen Riffs der Young-Brüder und Grooves beginnt, die auf die Körperregion unter der Gürtellinie abzielen … Sie wissen, wann man spielt und wann man die Pausen setzt.“

„Bei AC/DC ist weniger mehr“, argumentiert er. „Die Botschaft lautet, immer den Song zu unterstützen. Die Energie liegt in der Einfachheit und wirkt sich unterschwellig im Ton aus. Darüber hinaus sind die Gitarren nicht übermäßig verzerrt. Der tiefe Bass und der gesamte Groove bringen das Ganze zum Swingen. Jedes Mitglied hat einen klar umrissenen Job, wodurch es seinen Part perfektionieren kann. Ich denke hier an den alten Spruch: ‚Wenn es nicht vollkommen kaputt ist, dann reparier das Ding auch nicht.‘ Es ist Boogie-Rock ’n’ Roll aus der Arbeiterschaft. Bei den Kerlen kommt es an und die Mädchen tanzen gerne dazu. Tollen Bands dabei zuzuhören, wenn sie sich beim Spielen auf ihre Wurzeln beziehen, ist immer wieder erfrischend. Ich wünschte mir, dass mehr großartige Rockbands auf ihren Instinkt achten und sich nicht durch Trends verführen ließen.“

Und diese Aussage stammt von einem Mann, der all die sich wiederholenden Fills bei „November Rain“ spielte (laut Sorum eine der Ideen von Axl Rose). Er muss es wissen. Als Guns N’ Roses sich in Richtung pompösen Balladentums entwickelten, markierte das den Anfang vom Ende der aufregendsten Rockband seit AC/DC. Abgesehen von der krassen Fehlkalkulation von „Love Song“ 1975 haben AC/DC niemals eine am Reißbrett entworfene Ballade eingespielt. Sie bieten ihren Fans Rockssongs ohne jegliche Schnörkel, verankert im Feeling, der Melodie und dem Groove. Das ist eine perfekte Alchemie, ähnlich ihrer heiligen Trinität aus Gitarre, Bass und den Drums, die jeder verstehen kann und auf die wir alle durch rhythmische Körperbewegungen reagieren. Sugerman beschreibt das humorvoll und ironisch als einen „Impuls, bei dem ein Kind instinktiv die Finger in den sich drehenden Babyventilator stecken will“.

„Während meiner Zeit bei The Cult kam ich dem AC/DC-Stil wohl am nächsten“, fährt Sorum fort. „Bei Songs wie ‚Wild Flower‘ und ‚Lil’ Devil‘ dachte ich in meinem Ansatz ständig an Phil Rudd. Guns N’ Roses und Velvet Revolver orientierten sich hinsichtlich des Einflusses immer an den großen Bands, wobei AC/DC ganz oben auf der Liste stand. Doch gleichzeitig versuchten wir unser eigenes Ding durchzuziehen.“

Rob Riley, der Falstaff der australischen Rockmusik und ein Mann, der von Mark Evans als der bedeutendste lebende Gitarrist des Kontinents hochgejubelt wird (kein geringes Lob, bedenkt man, dass Evans sowohl live als auch im Studio mit Angus und Malcolm spielte) ist ein bekennender Fan der Youngs: „Die meisten verstehen AC/DC nicht. Das ist verdammt noch mal keine schwierige Musik. Sie ist hörerfreundlich. Man muss kein verdammt guter Musiker sein, um sich das in den Schädel zu hämmern. Es rockt einfach. Sie waren und sind immer noch die Verfechter der Rockmusik. Ich muss den Fuß zu ihrer Musik klopfen und headbangen.“

Stevie Young, der Neffe der Youngs, der Malcolm nach seinem krankheitsbedingten Ausstieg permanent ersetzen wird, meint dazu: „Bei dem, was sie machen, sind sie ehrlich. Und darum sind sie eine so großartige Band.“

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Doch einigen reicht das immer noch nicht.

Die Kritiker, speziell in den USA, hätten sich früher nichts sehnlicher gewünscht, als dass die abgerissen wirkenden, mit der Gitarre aus der Hüfte schießenden Homunculi so schnell wie möglich in den Trümmern der Gorbals [Elendsviertel in Glasgow, A.T.] verschwinden, unter denen sie auch hervorgekrochen sind.

Dazu gehört auch Robert Hilburn. Der Johnny-Cash-Biograf und Rockkritiker der Los Angeles Times von 1970 bis 2005 hat ihnen einmal einen kräftigen Fußtritt verpasst: „Irgendjemand sollte bei AC/DC den Strom abstellen.“ Bei der Kontaktaufnahme für das Buch zeigte er zumindest ein wenig Bedauern.

„Das Review bezog sich auf ein Konzert, das mich wahrscheinlich sehr enttäuschte“, entschuldigt er sich. „Ich hatte das Gefühl, dass die Gruppe ins Schlingern geriet, denn ich war sicherlich kein Anti-AC/DC-Kritiker. Schon zuvor schrieb ich anerkennend über sie, und in meiner gedanklichen Bandliste stehen sie auf der positiven Seite. Allerdings nehmen sie dort keine Spitzenstellung ein, denn die ist Bands mit textlichem Einfühlungsvermögen und positiven Botschaften vorbehalten: The Band, Creedence Clearwater Revival, The Beatles, The Rolling Stones, The Who, The Kinks, U2, Nirvana, The Replacements, Rage Against The Machine, Nine Inch Nails, R.E.M., The White Stripes und Arcade Fire. Jeder Künstler oder jede Band, die ich als wirklich phänomenal in der Rockgeschichte einordne, hat Grenzen überschritten, denn ein Künstler und/oder eine Band sollte(n) die Erfahrungen des Lebens widerspiegeln, die Veränderungen im Laufe der Zeit. Die Musik sollte diese Entwicklungen reflektieren. Zum Beispiel muss ihre Neugier als Musiker sie dazu führen, neue Türen zu öffnen – schau doch mal, was die Beatles und U2 in der Hinsicht leisteten: Die Beatles entwickelten sich von ‚I Want To Hold Your Hand‘ zu Sgt. Pepper’s und U2 von The Joshua Tree zu Achtung Baby. Gleichzeitig müssten die Texte und Themen die neue Ideen und Gefühle reflektieren. AC/DC haben sich ein Lob verdient, besonders dafür, dass sie ihre Musik nicht recycelten. Sie spielen weder die gleiche Platte noch den gleichen Song wieder und wieder, wie es viele der kommerziell großen Acts machen. Jedoch denke ich, dass es ihrer Bandgeschichte dienlicher gewesen wäre, hätten sie sich von ihrer ursprünglichen Energie und dem Spaß zu etwas Substanziellerem entwickelt … So wie sich die Lage darstellt, sind sie eine Band, an die man mit Wertschätzung denkt, aber die man nicht verehrt – sozusagen eine Band ihrer Zeit, und nicht eine zeitlose Band.“

Hier stimmt Dave Evans mit Hilburn überein. Er behauptet, dass er sich seit dem Verlassen der Gruppe niemals eine neue Platte von ihnen zugelegt hat. Möglicherweise hat er einen guten Grund, sich völlig von AC/DC gelöst zu haben, bedenkt man, wie sie ihn bei seinem Rausschmiss 1974 behandelten, und die verächtlichen Kommentare, die er sich von den Youngs seitdem anhören musste. Allerdings muss man auch in Erwägung ziehen, dass seine glückliche Karriere der Verbindung mit AC/DC zu schulden ist, womit er quasi entschädigt wurde.

„Sie haben sich an den originalen und unverkennbaren Sound gehalten, und es ist schon verblüffend, dass sie dafür so lange berühmt sind. Ich schätze Musik mit unterschiedlichen Emotionen und Botschaften, wobei eine Gruppe immer noch ihrem Stil treu bleiben kann. Es ist wie beim Rap, der sich auf die gleichen alten Elemente bezieht, aber sehr populär ist, und Hip Hop, der sich für mich ständig gleich anhört, jedoch sehr angesagt ist – ich verstehe das nicht. Ich bin ein begeisterter Beatles-Fan und liebe besonders die ständige Weiterentwicklung, die Erforschung der Musik und der Emotionen. Sie haben die gesamte Welt auf eine fantastische musikalische Entdeckungstour mitgenommen und so viele Bands mit neuen und aufregenden Klängen beeinflusst wie auch ihr Publikum. Dabei verloren sie nie den Beatles-Sound. Woran es auch liegen mag – AC/DC sind heute die populärste Rockband der Welt.“

1976 tauchte die neu zusammengestellte Compilation High Voltage mit dem „Killer-Stampfer“ „It’s A Long Way To The Top“ in den amerikanischen Plattenläden auf. Billy Altman verriss AC/DC als „australische Champions der Hässlichkeit“, die „musikalisch nichts auszusagen haben (zwei Gitarren, Bass und Drums, die alle in einer ideenlosen Drei-Akkord-Formation watscheln)“ und den Sänger Scott, der „seinen Gesang mit einer wirklich ärgerlichen Aggressivität herausrotzt. Ich vermute, dass man es nicht besser kann, wenn man nur darauf aus ist, ein Star zu sein, um jeden Abend was zum Vögeln zu haben. Und das, meine Freunde, ist die Summe der Themen, die auf der Platte angeschnitten werden. Dummheit nervt mich. Kalkulierte Dummheit ist eine absolute Beleidigung.“

Altman, immer noch Musikjournalist, aber zugleich auch Hochschullehrer im Fachbereich Geisteswissenschaften der School of Visual Art in New York, wich nicht zurück, als ich ihn fragte, ob er mit der australischen Band nicht zu hart umgesprungen sei.

„Ich glaube nicht, dass ich hart war. Ich machte nur meinen Job. Und im Kontext des Jahres 1976 fiel mir exakt das äußerst negativ auf. Ja, sicherlich stehe ich zu dem, was ich schrieb – als Meinung der damaligen Zeit.“ Dann wies er auf eine Besprechung von Stiff Upper Lip hin, die er 2000 für die Webseite von MTV/VH1 verfasste. Dadurch wurde offensichtlich, dass auch er jetzt versucht, bei der Party mitzumischen. „Es ist alles eine Frage der Perspektive, nicht wahr?“

Einst gehässig gegen AC/DC, muss die amerikanische Musikpresse mittlerweile zähneknirschend akzeptieren, dass die Band nicht von der Bildfläche verschwindet, und somit die Existenz der Australier tolerieren. Sie bejubeln sogar Alben, die eigentlich nur einen Hauch von dem wiedergeben, was die Gruppe in den Siebzigern und frühen Achtzigern gnadenlos rausgehauen hat. Verdamme die guten Scheiben. Bejubele den Mist: Stiff Upper Lip ist ein Beispiel. Black Ice ein anderes.

Altmans neues Review war kaum die Krönung der Karriere eines Musikjournalisten, obwohl ihm zumindest die Entdeckung gelang, dass Angus Gitarre spielen kann. Eine gewisse Geringschätzung taucht aber immer noch auf, doch die wird in Höhlenmenschen-Metaphern („spitze kleine Köpfe von Menschen, die sich mit Verzögerung entwickeln“) und gedanklichen Blödsinn („störrische Tölpel“) gekleidet.

Was einst „kalkulierte Dummheit“ war, versucht Altman nun als „organischen Rock“ zu bezeichnen, „mit dem Schema zwei Gitarren – Bass – Drums, Strophe–Refrain–Strophe–Refrain–Solo–Strophe–Refrain–Refrain, kreischender Todesfeen-Gesang, ein dummer Text und Musik, bei denen die Riffs aus Stonehenge kommen.“ AC/DC, so bemerkt er, „können nun wahrscheinlich den Preis für die am längsten sich durch einen Sprung wiederholende Platte der gesamten Rockgeschichte beanspruchen. Alle ihre Songs klingen gleich – ja! – und was war es damals für ein verdammt guter Song.“

„It’s A Long Way To The Top“, einer der größten Rocksongs aller Zeiten, wurde jedoch mit keinem ähnlich gezwungenen Lob abgefeiert, als es wichtig gewesen war. Die wohlwollende Kritik kam viel zu spät und fiel nicht überzeugend genug aus.

Wie die meisten Kritiker verstehen Altman und Hilburn – Letzterer vertritt keine so harsche Ansicht – die Cleverness von AC/DC nicht.

AC/DC sind nicht im Musikbusiness, weil sie das Überschreiten von Grenzen beabsichtigen – obwohl sie das durch die Weigerung, Trends und modischen Strömungen hinterherzulaufen, eigentlich recht gut machen. Es ist eher eine Art Urschrei. Packende Melodiebögen und Boogie-Rhythmen sind für ursprüngliche Musik essenziell. Doch diese Form der Ursprünglichkeit schmeckt den Kritikern nicht.

Clive Bennett von der Times benutzte das gleiche Wort in der Besprechung einer AC/DC-Show Ende 1976 im Hammersmith Odeon: „Meine Kritik bezieht sich auf ihre Musik, nicht auf die Texte, die simpel und hemmungslos das ausdrücken, worüber wir schon unzählige Male mit einer ähnlichen Offenheit im Privaten gesprochen haben. Musik jeglicher Form muss die Instrumentalisten anspornen und mehr fordern als die Fähigkeit, bis zur Besinnungslosigkeit auf die Instrumente einzudreschen. AC/DC existieren jedoch in diesem ursprünglichen Zustand.“

Na und? Ist doch scheißegal!

Tony Platt sagt: „Wenn man zu dieser Schicht oder auch Ebene vorgedrungen ist, wird man sich das wohl als letztes dadurch vermasseln, dass man es versteckt oder in einer anderen Art und Weise verhüllt. Die Kritiker verstehen nicht die Essenz von AC/DC – die Basis der Musik.“

Mike Fraser teilt die Auffassung.

„Solange ich die Band kenne, haben sie immer die Musik gespielt, die ihnen gefällt, und sich nie Gedanken über die Kritiker gemacht. Angus verriet mir mal: ‚Wir machen die Musik, die wir mögen und die wir spielen wollen. Wenn die Fans darauf stehen und die Platten kaufen, ist das nur ein Bonus für uns.‘ Für die Jungs ist es sehr wichtig, an einem Stil zu arbeiten, den sie lieben. Bei allen bislang aufgenommenen Alben haben sie nie einen Song produziert, um sich einer Ära oder Modeerscheinung anzubiedern: Keine Keyboards, keine Disco-Beats, keine Bläser-Sektionen. Wenn ein Fan sich eine AC/DC-Platte zulegt, weiß er, was er bekommt. Ich stimme dir zu: Das ist eine Art des Überschreitens einer Grenze. Nur AC/DC können sich so etwas erlauben, denn sie werden nie langweilig. Wen könnte so eine Leidenschaft beim Spielen langweilen?“

Millionen von Fans auf jeden Fall nicht, wie Angus einmal hervorhob.

„Wir haben das grundlegende Feeling, das die Kids mögen. Sie wollen rocken – und das war’s schon. Schlägt man einen Akkord an, machen das viele der Kids nach. Sie sind so eng mit der Band verbunden, dass sie bei allen Bewegungen mitgehen. Wenn man eine Menschenmasse dazu bringt, als Ganzes zu reagieren – ja, das ist ideal. Viele Bands haben das nicht drauf: Darum sind die Kritiker im Unrecht.“

John Swan meint: „Ich glaube nicht, dass AC/DC ihren Ansatz ändern können, denn sie wollen es einfach nicht. Es geht auch so voran. So lange mein Arsch sich noch über der Erde bewegt, werden AC/DC nichts anderes als AC/DC sein.“

***

Der Sounds-Journalist und spätere Band-Biograf Phil Sutcliffe ist einer der Männer, die die Gruppe verstehen. Er schrieb 1976: „Die Rhythmen treffen dein Herz wie ein Hammerwerk … die Musik der beiden Youngs wirkt wie eine Metallstanze in einer dunklen Nacht. Sie vereint glühende Hitze und Energie zu einem Klang, der so schön wie kräftig ist.“

In Mark Evans Dirty Deeds – Meine wilde Zeit mit AC/DC, bis zum heutigen Tag die einzige Autobiografie eines AC/DC-Mitglieds, findet sich eine interessante und treffende Passage, die perfekt die einzigartige Power der Band beschwört. Nachdem sie in Sydney in den Pubs bis zum Abwinken gespielt hatten, erreichten sie nach einer einmonatigen Pause London. Die fünf Mitglieder – Angus Young, Malcolm Young, Mark Evans, Bon Scott und Phil Rudd – platzen fast vor Spiellaune und arrangierten einen Gig im Red Cow in Hammersmith. Es war ein kostenloses Konzert in einem winzigen Pub vor vielleicht 30 Kneipengängern, die schon bald weggeblasen wurden.

Evans erinnert sich: „Wir eröffneten das Set mit ‚Live Wire‘. Meine Bassnoten schwebten quasi in die Luft, dann kamen Mals fette Akkorde dazu und Phils Hi-Hat-Becken lieferten einen straighten Rhythmus. Als Angus und Phil zusammen mit dem kompletten Drum-Set mit brachialer Gewalt einstiegen, explodierte der Song. Es war so energiegeladen, dass ich das Gefühl hatte abzuheben. Der Sound klang unverkennbar nach AC/DC. Das hört sich ein wenig lächerlich an, doch wir hatten so lange keinen Gig mehr gespielt und waren bereit, ein Statement abzugeben. Man spürte das wahnsinnige Gefühl der Energie – nicht die chaotische, extrem laute und unkontrollierte Energie, die man oft bei Bands antrifft – sondern Power der Marke AC/DC. Laut, sauber, tief, knurrend und voller Rhythmus. Wir waren wieder da, feuerten aus allen Rohren und Bon hatte noch nicht mal seine Kauleiste geöffnet.“

Evans hob ab! Das sollte die Musik auch bewirken, und er spielte sie.

Barry Diament, der einige ihrer Alben für das CD-Format gemastert hat, kommentiert das: „Exakt in der verhältnismäßigen Einfachheit der Musik generieren Malcolm und Angus ihre Energie. Ich würde den Begriff ‚primitiv‘ benutzen, doch nicht in einem negativen Sinn, sondern als positives Attribut, den rauen Sound der Musik beschreibend, den ich wahrnehme. Es ist eine ‚Direkt in die Magengrube‘-Erfahrung, die jeder Zuhörer sofort spürt.“

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An AC/DC oder ihrer Musik gibt es nichts zu mäkeln. Sie waren die Opfer fauler Journalisten und auf einer anderen Ebene von Klassenvorurteilen. Die Musik der Youngs und generell Rock ’n’ Roll im weitesten Sinn haben das Recht, im selben Atemzug mit großen Gemälden genannt zu werden, Büchern oder der Architektur, denn es sind alles Kunstformen. Ich würde Kunst als ein Handwerk bezeichnen, das einen außenstehenden Menschen aufgrund der Geschicklichkeit, der Kreativität, des Talents und der Vorstellungskraft auf eine andere Ebene erhebt, das ein Gefühl der Lebendigkeit transportiert. Dass man ihre Musik als anspruchslos, nicht einer Auseinandersetzung würdig beschreibt, weil angeblich so viele AC/DC-Fans in schwarzen T-Shirts herum laufen, billiges Bier kippen und ihre CDs im Wal-Mart kaufen, ist geringschätziger Schwachsinn. Keinem anderen Act ist es gelungen, so eine Menge guter Musik in die Stadien zu bringen, die Arenen, Bars, Autos, Truck-Stops, NachtClubs, Striptease-Läden, Wohnzimmer und Sportplätze.

Phil Jamieson von Grinspoon, der bei dem Vanda & Young-Remake des Songs „Evie“ mitmachte – produziert 2004 zugunsten der Opfer des Tsunamis am zweiten Weihnachtsfeiertag –, erklärt dazu: „Die Youngs sind verdammt hartnäckig. Die lassen sich nicht hängen. Neben den vielen Hits und all den großen Songs haben sie die Fähigkeit, ohne Verzierungen auszukommen – plastische Chirurgie, Stroboskop-Licht, Nebelmaschinen – die brauchen nichts davon. Sie benötigen lediglich vier Verstärker, eine Stimme und ein Schlagzeug, und darum verehre ich sie. Sie verlassen sich nicht auf ein Playback. Es ist eine wahre Rock ’n’ Roll-Band. Wenn man etwas so Energiegeladenes erlebt – das ist unvergleichlich. Und das macht es aus. Jeder Typ mit einem Gitarrenverstärker, ein Drummer und irgendein Kumpel glauben, dass sie das vielleicht auch könnten. Hier wird aber nichts von Leuten definiert, die eine Musikhochschule besuchen und Noten lesen können. Die Musik ist für alle.“

„Als Produzent von Rockmusik achtet man auf die Reaktionen beim Hörer“, erklärt Mark Opitz, der Tontechniker von Let There Be Rock und Powerage, „auf die emotionale Reaktion, die Verbindung zur Musik. Texte sind unglaublich wichtig, aber die Melodie und der Rhythmus – darin liegt das Geheimnis. Sie bringen einen zum Tanzen. Durch sie wird die Energie freigesetzt. Man will immer weiter machen. Das Tempo ist meistens perfekt auf den Herzschlag abgestimmt. Niemand wird hier so heftig angeschoben wie beim Thrash. Es hat diese Intensität, den verdammten ‚Herz-Rhythmus‘. Beim Begriff Tanzen meine ich natürlich nicht das herkömmliche Tanzen. Ich meine Bewegung. Mit den Füßen aufstampfen, ähnlich einem Afrikaner. Sich von der einen zu anderen Seite bewegen, den Kopf bewegen, headbangen. Das ist eine Art ‚Männertanz‘. Da wird Testosteron in die Blutbahn geschossen. Ja, rechnet man alles zusammen, passiert genau das. Wie beschreibt man den chemischen Prozess im Gehirn, der das auslöst? Ich bin mir da nicht sicher, aber ich kenne einen direkten Weg – Melodie und Rhythmus!“

Tony Platt stimmt Opitzs Hypothese zu, doch er macht zusätzlich eine interessante Beobachtung: Die Musik von AC/DC ist getränkt mit Humor, Spaß und Licht.

„Man kann viel zu den Theorien beitragen, die sich mit der Resonanz des menschlichen Körpers auf Musik beschäftigen. Durch Klänge werden Endorphine ausgeschüttet, ähnlich wie beim Trinken eines netten Glases Wein oder beim Sport. Musik dringt zum Innersten vor und hellt die Laune auf. AC/DCs Musik ist keinesfalls deprimierend. Sie macht Spaß und nimmt sich selbst nicht allzu ernst. Ich vergleiche das gerne mit Iron Maiden: Ich fand es schon von Anfang an eher bizarr, wie ernst sich die Musiker nehmen. Manchmal bringt mich das zum Lachen, und ich kann kaum aufhören. Auch die Fans sind wirklich todernst. Und da sind noch die Kids, die auf düsteren Heavy Metal stehen. Man muss nur beobachten, wie viele dieser Dark-Metal-Bands sich Anschuldigungen ausgesetzt sahen, dass sie als Katalysator wirkten, durch den ein armer junger Heranwachsender sich das Leben nahm. Es gibt Musik, die so eine Finsternis als Basis hat, ganz im Gegensatz zu AC/DC. Da wird alles eher auf die leichte Schulter genommen, was wohl auch bewirkt, dass der Hörer dazu tanzen will.“

Das Argument hat sicherlich eine gewisse Berechtigung, obwohl es nicht wasserdicht ist. Niemand würde jemals behaupten, dass AC/DC Gewalt propagieren, doch ihre eher unaufrichtige Erklärung nach den sogenannten „Night Stalker“-Morden von Richard Ramirez Mitte der Achtziger überzeugte nur wenige. Sie behaupteten, „Night Prowler“ von Highway To Hell handele von einem Kerl, der mitten in der Nacht nur einen kurzen Blick in das Schlafzimmer seiner Freundin wirft. Joe Bonomo schreibt in Highway To Hell, einem Essay zu dem Album im Buchformat: „Bon Scotts eher verwegene Bildhaftigkeit drängt den Song hin zu einer bedauernswerten Boshaftigkeit. Ich bin mir nicht sicher, ob die Band beide Bedeutungsinterpretationen rechtfertigen kann.“ Ramirez, ein Fan von AC/DC, dessen Name seither unglücklicherweise mit dem Stück assoziiert wird, starb im Juni 2013 eines natürlichen Todes, während er auf seine Hinrichtung wartete.

Was Terry Manning mir jedoch erzählt, dringt zum Geheimnis des Erfolgs von AC/DC vor und ist zugleich eine Bestätigung der Intelligenz und Raffinesse der Young-Brüder: Es ist das Vermögen, sich selbst zu beschränken.

„Ob es ihnen bewusst ist oder nicht – die beiden kennen von Natur aus den grundlegenden, einfachsten Rhythmus der Menschheit. Es zielt auf den Bauch ab, ist fast schon primitiv und richtet sich auf den Ursprung des Menschseins. Ähnlich einem ‚Kämpf-oder-Flieh‘-Gefühl. Sie zapfen diese Emotion an, und es wird niemals zu schnell. So viele Bands sind zu schnell, zu überladen und versuchen zu viel in einen Song zu packen. Ich habe niemals gehört, dass AC/DC zu viel spielen. Sie machen das Notwendige! Das ist ein beeindruckendes Talent, nicht häufig zu finden und oft übersehen.“

„Hör dir zum Beispiel mal einen Wirbel auf den Toms oder ein Gitarrensolo an. Spielt ein Drummer den ganzen Song über Wirbel, würde das die Wirkung aufheben. Hätte man ein Gitarrensolo vom Anfang bis zum Ende, bedeutet das nicht mehr. Es wird schlichtweg gesagt Müll – unhörbar. Steigen die Drums aber mit einem lauten, einfachen Wirbel an der richtigen Stelle ein, wird dadurch das Niveau gehoben. Es ist aufregend. Kommt ein Solo in der Mitte oder am Ende, wo man es tatsächlich braucht, hebt es den Song, katapultiert ihn auf eine andere Ebene. Also muss man die Fähigkeit erlernen, die Verzierungen an der richtigen Stelle zu platzieren. Und AC/DC sind die Meister dieser Kunst!“

Als die Band ihr erstes Bristol-Konzert 1976 in der Colston Hall spielte, zeigten sich sogar die Pächter des Ladens von der nicht zu bremsenden Wirkung schockiert, die AC/DCs Musik auf ihre Gäste ausübte.

„Das Management war etwas beunruhigt, ein normalerweise passives Publikum zu erleben, das vor Begeisterung von den Sitzen aufsprang“, lautete der schnippische Kommentar eines Lokalreporters.

***

Zu Lebzeiten kamen Bon Scott weder der Ruhm noch das Geld zugute, die ihm eigentlich zugestanden hätten. Die Youngs haben sowohl finanziell als auch bezüglich ihres Status als Celebrities mehr erreicht, als sie jemals zu träumen gewagt hätten – und möglicherweise wollten! Bezüglich ihres Erfolgs stellen sie im Grunde genommen das exakte Gegenteil der üblichen Rockstar-Geschichte dar. Sie sind nach herkömmlichen Gesichtspunkten unattraktiv, klein, exzentrisch und fahren schnell aus der Haut. Ein guter Geschmack zählt zu den Eigenschaften, von denen man weiß, dass sie die Young-Brüder regelmäßig verlassen: Aus irgendeinem unerfindlichen Grund haben sie einigen der schlechtesten Cover-Entwürfe der Musikgeschichte zugestimmt oder sie sogar initiiert (Fly On The Wall, Flick Of The Switch, die originale und billig wirkende Zeichnung [der australischen Ausgabe, A.T.] von Dirty Deeds Done Dirt Cheap). Es gibt viele Gründe, warum sie eigentlich nicht so bekannt sein dürften. Doch sie werden zunehmend populärer, sogar nachdem sie nur noch selten auftreten.

Ein weiterer Widerspruch findet sich zwischen ihrem zurückgezogenen Leben, das beinahe schon an Besessenheit grenzt, und der Ambition, es zu schaffen. Man könnte das Argument anführen, dass es sich hier um eine Form der Aggressivität handelt, verursacht durch einen Minderwertigkeitskomplex, der sich in ihrer Körpergröße begründet, der Herkunft aus eher bescheidenen Verhältnissen und dem Fehlen einer ordentlichen Schulausbildung. Die Youngs haben einen Großteil ihrer Jugend damit verbracht, sich untereinander und mit anderen zu streiten und jeden in Hörweite anzugiften, dass er sich verpissen soll. In der Öffentlichkeit existieren nur wenige Fotos der drei Brüder; eins davon stammt von den 78er Powerage-Sessions und wurde vom leitenden Angestellten ihrer australischen Plattenfirma John O’Rourke geschossen. Es entstand, als Ray Arnott, der Haus-Drummer bei Alberts, einen Journalisten in das private Reich der Youngs einlud. Einige von O’Rourkes Fotos werden in diesem Buch erstmalig publiziert. Das allgemein bekannteste Bild der drei Musiker wurde von Philip Morris bei den Dirty Deeds-Sessions 1976 geschossen.

„Damals erkannte ich die Bedeutung der Aufnahmen nicht“, berichtet Morris. „Ich habe noch niemals Fotos gesehen, die sie so nah beieinander zeigen. Es war nicht einfach.“

Auch nach vier Jahrzehnten hat sich daran nichts grundlegend geändert. Für jeden außerhalb des fast schon hermetisch abgeschlossenen Vertrautenkreises sind sie ärgerlicherweise so gut wie unerreichbar. Im Gegensatz zu den relativ zugänglichen Gibbs der Bee Gees (nur noch einer der Brüder lebt), haben die Youngs den Ruf, schroff zu reagieren. Ihr Geduldsfaden entspricht ungefähr ihrer Körpergröße! George, der von seinem musikalischen Partner Harry Vanda als „sehr instabil“ beschrieben wurde und von Mark Gable als „ein Genie mit einem extremen Charakter, der wohl dazu gehört“, ist ein Einsiedler, der nur selten mit den Medien spricht. Das ging sogar so weit, dass es einem Australier gelang, sich für ihn auszugeben und dabei leichtgläubige Konzertveranstalter und Investoren zu betrügen. Allerdings engagiert er sich bei allen erdenklichen Angelegenheiten rund um AC/DC. Ein anonymer Insider beschrieb mir seine Arbeit als „das Äquivalent eines Vorstandsvorsitzenden, der bei allen nur erdenklichen vernetzten Strukturen die Einnahmen für die Band und die Young-Familie maximiert … Er verfügt über einen ausgeprägten Geschäftssinn“.

„George ist ein Einsiedler – eindeutig. Das bezieht sich nicht auf alle Lebensaspekte, aber er hält sich mit Kommentaren bezüglich der Vergangenheit zurück“, erläutert Mark Opitz. „Er vermeidet Aufgaben, bei denen er nicht unbedingt gebraucht wird oder die ihn nicht interessieren. Bevor Pete Wells von Rose Tattoo 2006 verstarb, veranstaltete man für ihn ein Konzert im Enmore Theatre in Sydney. George befand sich in der dritten Reihe, allein und schweigsam. Er kam aus dem Nichts und verschwand genau so schnell wieder. Ich denke nicht, dass er sich von Themen fernhält, die ihn interessieren, denn er ist hoch intelligent und schätzt sein Leben viel zu sehr.“

Gables erste Begegnung mit George dauerte ungefähr so lange wie dessen Stippvisite im Enmore.

„Als ich George zum ersten Mal traf, verehrte ich ihn und hatte ihn schon jahrelang vergöttert. Obwohl er recht klein war, kann man ihn bezüglich der Kreativität als Giganten beschreiben. Während ich George näher kennenlernte, fiel mir eine Dichotomie auf: Auf der einen Seite war er unglaublich talentiert und hatte einen beeindruckend scharfen Geschäftssinn. Doch es gibt eine andere Seite, die man nicht sofort erkennt. Nun, da ich älter geworden bin, verstehe ich das erst. Ende 1978 oder Anfang 1979 ging ich in das Bondi Lifesaver, wo ein noch sehr junger Sam Horsburgh [Neffe der Youngs] auf mich zukam und sagte: ‚Mein Onkel George ist im Hinterzimmer, komm doch und begrüß ihn.‘ Ich trottete in den Raum und sah George an einem Tisch sitzend. Er hielt ein Glas in der Hand, vermutlich mit Scotch gefüllt. Damals war ich ein überzeugter Abstinenzler, und darum beeindruckte mich der Alk nicht. Eigentlich ist es nicht erwähnenswert, dass er ein Glas in der Hand hielt. Vielmehr hatte ich den Eindruck, er hätte sich schon 20 gekippt. Als ich näher an ihn herantrat, hob er zur Begrüßung seine rechte Hand mit dem Glas. Als George den Arm ungefähr halb gehoben hatte, kollabierte er mit dem Oberkörper auf den Tisch.“

Einsiedler oder ein Mann mit 20 Scotch intus – laut Opitz ist und bleibt er eine Schlüsselfigur bei AC/DC.

„Sie sind Brüder. Ein älterer Bruder wird immer seine Rolle spielen, besonders wenn es sich um eine fest zusammenhaltende Familie von Schotten handelt. Sie sind mit Italienern vergleichbar. Für sie ist die Familie alles. Wenn man in Glasgow ums Überleben kämpft und dein Vater in einer Mine malocht, hat man ’ne Menge Respekt. Die Frauen müssen zu Hause hart ran, putzen oder etwas anderes machen, und die Kids lernen alles auf die deftige Tour. Die lungern auf der Straße rum, werden zu Schlägern. Und dann machen diese Leute einen Neuanfang, kommen nach Australien, stehen im verdammten Sonnenschein und denken dabei vermutlich: ‚So ist das hier? Kannst du das glauben? Und all diese verfluchten fetten Aussies brauchen nichts dafür zu machen, denn sie sind es ja gewohnt. Verdammte Scheiße!‘ Bei den Italienern und den Griechen, die hier angekommen sind, war das auch nicht anders: ‚Fuck! Das kann ich nicht glauben. Lass es uns anpacken.‘ Seinen Traum zu verfolgen, ist mit einer schwierigen Lebensentscheidung verknüpft. Aber die zogen das durch, denn sie kamen aus dem Nichts. Und wenn man aus dem Nichts kommt, will man etwas erreichen, an einem Ort ankommen. Ich kann mich daran erinnern, wie ich die A&R-Büros von Atlantic Records in New York aufsuchte. Damals war das die größte Plattenfirma der Welt, mit den Stones und was weiß ich noch für Bands im Programm. Ich ging zum Leiter und fragte ihn: ‚Für wie populär würdest du AC/DC einschätzen?‘ Er antwortete: ‚Wer glaubst du wohl bezahlt die verdammt hohe Miete für die Rockefeller Plaza?‘“

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Die Abneigung von Georges Brüdern gegen jegliche Form öffentlicher Darstellung außerhalb ihres Einflussbereichs ist legendär.

Clinton Walker, der Autor von Highway To Hell: The Life And Death Of AC/DC Legend Bon Scott, musste auf jegliche Form der Kooperation der Youngs verzichten, was ihn zum Fluchen veranlasste: „Das ist ein geschlossener Laden, durch und durch misstrauisch, fast schon paranoid, gekennzeichnet von nahezu dem Gegenteil der Großzügigkeit Bons und zur Verdrießlichkeit neigend. Es ist so gut wie unmöglich, jemanden zu finden, der ein schlechtes Wort über Bon fallen lässt, wohingegen nur wenige, die jemals mit den Youngs in Kontakt kamen, ein gutes Wort über sie verlieren. … Angus und Malcolm haben diesen starren Tunnelblick, bei dem kein anderer zählt … Es ist eine Art Eremitentum, das an Paranoia grenzt. Die beiden sind nicht mit allzu vielen sozialen Fähigkeiten gesegnet.“

Evans ließ sich in Dirty Deeds – Meine wilde Zeit mit AC/DC kaum freundlicher über die Brüder aus: „Mal und Angus sind verdammt vorsichtige Typen, was schon an Misstrauen heranreicht … Bei ihnen erlebte ich eine zuvor nicht gekannte emotionale Kälte. Das brachte mich zum Grübeln, und tatsächlich denke ich auch heute noch oft darüber nach.“ Die meiste Zeit waren sie „mürrisch, schlecht gelaunt, verdrießlich, allgemein Typen, mit denen man nicht gerne zusammen ist.“

Und was erheiterte Evans in jenen Tagen? Es existiert kaum ein Foto der guten Jahre der Band, auf denen er nicht lächelt oder mit Angus oder Malcolm einen Witz reißt.

„Das war eine Seite von ihnen. Tatsächlich konnte man viel Spaß mit den beiden haben. In der Gruppe gab es einen besonderen Sinn für Humor, obwohl wir die Musik sehr ernst nahmen. Aber meine Güte: Man spielt in einer Truppe mit einem Arsch, der als Schuljunge verkleidet am Bühnenrand steht! Wir versuchten nicht Pink Floyd zu sein. Es gab eine bestimmte Grundhaltung – eine gewisse Leichtigkeit in der Band, als Bon noch dabei war. Das lag an seinen Texten. Bei AC/DC gab es schöne Zeiten, und dabei zu sein brachte viel Spaß. Doch gleichzeitig erlebte ich finstere Tage. Es war keine normale Beziehung. In einer Rock ’n’ Roll-Band zu sein und auf einer Tour mit dieser Intensität zu spielen, ist kein Zuckerschlecken. All die großen Bands müssen sich mit einer nicht zu unterschätzenden Angst innerhalb der Formation abplagen. Die Stones. The Who. Aerosmith. Metallica. In einer Gruppe gibt es Reibungen, die das Ausmaß des Vorstellbaren sprengen.“

Bei den geschäftlichen Beziehungen empfand sie Jerry Greenberg, der Präsident von Atlantic Records, nicht als schwierig, eher als „auf eine Art schüchtern“.

Jimmy Douglass, Tontechniker von Jay-Z und Justin Timberlake, begann seine Laufbahn als Festangestellter bei Atlantic und charakterisiert die beiden als „herzlich und entgegenkommend … fast schon beängstigend coole Menschen“.

Nur wenige haben das Privileg, die sanftere und weichere Seite ihres Charakters zu erleben.

Opitz erinnert sich an eine Geschichte, bei der Malcolm einem wesentlich größeren Konzertveranstalter während eines Streits in Detroit in den späten Siebzigern „vier oder fünf Gerade“ direkt an den Kopf verpasste.

„Die Youngs, das waren harte Kunden“, erzählt er. „Die wussten, was man erwarten durfte, und forderten das auch ein. Einen Malcolm verarscht man nicht! Toller Typ. Das steht außer Frage. Er hat diese Entschlossenheit – ich kann Berge versetzen, wenn ich will –, ohne dabei einen auf dicke Hose zu machen. Sie sind Jungs aus der Arbeiterschaft der Gorbals und haben diese Härte, mit der man als Glasgower quasi geboren wird.“

Davon mal abgesehen, beschreibt Opitz die Jungs als eine ganz normale Familie: „Ich erinnere mich an den Besuch einer Weihnachtsfeier in Burwood, wo die Familie lebt. Tischtennis spielen. Ein paar Bier in der Sonne kippen. Ein Barbecue. So normal, wie es nur geht. Einfach großartig. Ich weiß noch, was ich dachte: ‚Was hat diese Migrantenfamilie bloß alles erreicht! Sie sind hier aufgetaucht, haben zusammengehalten, es versucht und dabei einen so großen Erfolg gehabt, wie sie sich ihn niemals hätten vorstellen können.‘ Und das war noch in den Siebzigern.“

John Swan berichtet: „Margaret [die jüngere Schwester der Youngs] war für uns alle wie eine große Schwester. Sie kochte einen großen Topf Suppe und achtete darauf, dass jeder genug zu essen und ein Bett hatte. Die Youngs waren im Gegensatz zu vielen Musikern eher familienorientiert. Andere Musiker hätten sich nur bemüht, wenn man mit seiner Freundin aufgetaucht, aber nicht, wenn man alleine gekommen wäre. [Die Youngs] haben alle aufgenommen. Nicht nur bei AC/DC, sondern auch bei den Youngs herrschte eine Familienkommunikation, die noch in Glasgow wurzelte. Sie leben eng miteinander verknüpft. Wenn es dein Kumpel ist, ist es auch meiner. Die schleppten keinen Idioten an. Sie kamen mit einem ehemaligen Glasgower oder einen befreundeten Schotten oder jemandem, der ein Problem hatte, und Margaret half ihm sofort.“

Die Youngs prahlen nicht – zumindest nach außen hin – mit ihrem Reichtum, trotz eines unvorstellbaren Vermögens, von dem niemand geträumt hätte. Wenn sie sich auf der Straße blicken lassen, latschen sie immer noch in dem für Glasgow typischen „Griesgram-Gang“ – Kopf nach vorne gebeugt, Hände in den Hosentaschen, und geduckt, als müssten sie sich verteidigen. Es kommt nicht selten vor, dass sie irgendwo in der Welt in einem kleinen Laden auftauchen, sich Zigaretten kaufen und dabei billige Klamotten tragen, als wären sie durchschnittliche Typen von nebenan.

Anthony O’Grady und der Angels-Gitarrist John Brewster gehörten zu den Mitgliedern des privaten Concord Golf Club im Westen Sydneys. Mehrere Male trafen sie sich mit Malcolm und George zu einer freundschaftlichen Partie. Während eines der Spiele verriet George O’Grady, dass AC/DC „über 20 Millionen Alben“ von Back In Black abgesetzt hatten und nun die größte Band der Welt sind.

„Kurz nachdem mir George das gesteckt hatte, fragte mich Malcolm in aller Ernsthaftigkeit: ‚Das ist ein wirklich guter Golfclub, nicht wahr? Wie viel musst du für die jährliche Mitgliedschaft bezahlen?‘ Ich kann mich nicht mehr an den Beitrag erinnern und antwortete irgendwas um die 1.500 Dollar. Und er antwortete: ‚Hey, du musst aber reich sein! Ich bin bei Massey Park [einem nahe gelegenen, öffentlichen Golfplatz].‘ Ich gaffte ihn an: Ein Mann, der sich halb Florida inklusive aller Golfplätze kaufen konnte! Sie wussten ganz genau, dass man sie beobachtete, und wollten nicht als Angeber da stehen. Die wussten das ganz genau.“

Swan weiß von einer ähnlichen Story über Angus zu berichten, der damals in Kangaroo Point am südlichen Vorortrand von Sydney lebte. Er fuhr mit einem Mercedes mit hohem Kilometerstand durch die Gegend, während sich Swan, der im benachbarten Sylvania lebte, einen neuen Jaguar angeschafft hatte. Er fragte Angus, warum er so eine „beschissen alte“ Karre führe, wenn er sich doch jeden Autotraum erfüllen könne.

„Er antwortete: ‚Mit dem Wagen ist doch alles in Ordnung. Wovon redest du denn da? Es ist ein absolut gutes Auto.‘ Ich entgegnete: ‚Ja, aber du bist jetzt unglaublich reich.‘ Angus antwortete: ‚Das hat doch damit nichts zu tun. Es ist ein guter Wagen. Ich mag ihn.‘ In der Gegend herumzukurven und mit ihrem Wohlstand anzugeben – das haben sie nicht nötig. Das kann man auch über ihre Schuhe sagen. Die haben mich echt angemacht, weil ich schicke Sportschuhe trug und sie einfache Dunlops. Siebzehn Dollar das Paar! Und ich trug ein Paar, für das ich 200 blechen musste. Und die machten sich darüber lustig: ‚Aha! Schau mal! Da hat ja einer Kohle!‘“

„Es sind wirklich gute Menschen“, meint Opitz, „jedoch sehr auf ihre Privatsphäre bedacht.“

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Für Leser, die eine eher konventionelle Biografie suchen, in der die Lebensgeschichte der Youngs angemessen dokumentiert wird (oder zumindest der Versuch einer Dokumentation gemacht wird) eignen sich folgende Bücher: Clinton Walker Highway To Hell: The Life And Death Of AC/DC Legend Bon Scott, Mike Evans’ Autobiografie Dirty Deeds – Meine wilde Zeit mit AC/DC, Murray Engleheart – AC/DC – Maximum Rock ’n’ Roll, John Tait – Vanda & Young: Inside Australia’s Hit Factory, Phil Sutcliffe: AC/DC: High Voltage-Rock ’n’ Roll: Die ultimative Bildbiografie, Susan Masino – Die AC/DC Story: Let There Be Rock, und Mick Walls AC/DC: Die Bandgeschichte. Es gibt noch zahlreiche weitere Publikationen, in verschiedenen Sprachen und unterschiedlicher Qualität, von denen die meisten eher stark chronologisch-biografisch ausfallen oder zu den illustrierten Leitfäden zählen mit wenig oder keinen kritischen Bemerkungen (einige von ihnen grenzen an eine journalistische Fellatio). Meist wird wenig zur Musik und der Wirkung geschrieben, und viele enthalten einige krasse Fehler.

Zum Beispiel: In dem Band von Wall befindet sich ein Foto eines alten Mannes in einer Schuluniform, der 1976 mit AC/DC in London abhängt. Es gehört zu der bekannten Serie Dick Barnatts, in der auch Angus Young zu sehen ist, der direkt aus einer Milchflasche trinkt. Der Name des geheimnisvollen Mannes wird mit Phil Carson angegeben, einer der wichtigsten Protagonisten der AC/DC-Geschichte, da er sie unter Vertrag nahm. Es ist ein wichtiges Detail, besonders weil er auch für das Buch interviewt wurde. Tatsächlich ist es aber Ken Evans, ein Australier, der als Programmdirektor für Radio Luxemburg arbeitete und zuvor für die Piratensender Radio Caroline und Radio Atlanta tätig war. Für die Promotion von AC/DC nahm er ein Interview mit ihnen auf, woraufhin sie sich bedankten, indem sie ihn bei den Vorbereitungen zu seinem Geburtstag unterstützten. Als ich mit ihm zu Beginn des Jahres 2013 sprach, erinnerte er sich kaum noch an den Tag, bestätigte aber, dass er zu „einer der Begegnungen“ gehörte, die er mit der Band hatte. Evans verstarb im darauf folgenden Jahr.

In einem kurzen E-Mail-Wechsel mit Stevie Young, der während der US-Konzerte der Blow Up Your Video-Tour erstmalig Rhythmusgitarre spielte (als Malcolm sich ernsthaft mit seinem Alkoholproblem auseinandersetzen musste), merkte ich an, dass es zahlreiche Fehlinformationen in Büchern und auf Fan-Seiten gibt. Ich selbst fiel diesen Fehlinformationen zum Opfer und dachte aufgrund des Gelesenen, Stevies Vater wäre Alex Young. Er antwortete: „Ja, es gibt sie. Aber ich finde das witzig … mein Vater war Stevie Young, ihr ältester Bruder.“ Stevie Senior, geboren 1933, war das erste von acht Geschwistern in der Familie Young. Alex’ Sohn trägt den gleichen Namen wie der Vater und lebt in Hamburg.

Wie der Vater, so der Sohn. Ich hoffe, in dem Buch eigene Fehler vermieden zu haben. Details zur Familie müssen hier nicht aufgewärmt werden, und auch das Nacherzählen der hinlänglich bekannten Geschichte gehört nicht zu den hier angesprochenen Themen. Ich wollte nicht wie ein Besessener alte Musikmagazine nach Zitaten aus zweiter Hand durchforsten, um die Seiten zu füllen. Es lag nicht in meiner Absicht, alte Informationen von Leuten abzufragen, die schon bis zum Erbrechen interviewt worden waren oder die des Redens überdrüssig sind und sich nur unter großem Leidensdruck öffnen. Nichts ist so fade und langweilig. So viele Bücher über AC/DC beschränken sich darauf, auch ein Titel wie das gnädigerweise kürzere von Anthony Bozza – Warum AC/DC die Größten sind. Der amerikanische Autor meint zur Band, dass sie in Australien „erzogen und von den charakteristischen [durch viele Nationen geprägten, A.T.] kulturellen Zusammenflüssen beeinflusst wurden, die die Insel so einzigartig macht.“ Er geht sogar so weit, zu behaupten, „dass [sie] sich mit weit aufgerissenen Augen wie gesetzlose Jugendliche aus einem Land [verhalten], das ehemalige Sträflinge gründeten“, und merkt an, dass „AC/DC aus den Schützengräben“ emporstiegen und dass die Musiker „nicht das Rad neu erfunden haben – sondern es wie waschechte Motherfucker mit einer irren Geschwindigkeit ankurbeln“.

Die Ausrichtung des Buches ist leicht zu verstehen. Trotz des geringen Seitenumfangs [im Original 160 Seiten, A.T.] lässt sich dieser geballte Fan-Quatsch nur schwer lesen. Bozza, dem gute Intentionen unterstellt werden können, gab später zu, den Titel nur in der Hoffnung verfasst zu haben, von AC/DC als offizieller Band-Biograf ernannt zu werden. So liest sich der Text auch: Es grenzt an eine Heiligengeschichte. Wie dem auch sei – der Titel des Bandes provoziert eine Antwort. Man kann Bozza den Hinweis auf ein wichtiges Thema zuschreiben.

Allerdings muss man deutlich darauf hinweisen, dass nicht alle AC/DC-Veröffentlichungen gut sind. Tatsächlich lassen sich einige sogar als eindeutig mies beschreiben. (Das reicht von Einzeltiteln wie „Hail Caesar“, „Danger“, „The Furor“, „Mistress For Christmas“, „Caught With Your Pants Down“ und „Safe In New York City“ bis hin zu Alben, die man lieber schnell vergisst: Fly On The Wall, Blow Up Your Video und Ballbreaker. Einige Songs gehören [besonders aufgrund der Texte] in die Kategorie „derb und flach“: „Let Me Put My Love Into You“, „Cover You In Oil“, „Sink The Pink“. Auch wenn die Texte schlecht sind oder einen fragwürdigen Geschmack widerspiegeln, klingt die Musik immer gut. Die Riffs enttäuschen den Hörer nie. Es ist ironisch für eine Band – die Bon Scott einmal als „Album-Band“ bezeichnete –, dass von 16 Original-Studio-Alben (die Live-Scheiben werden nicht mitgezählt) nur vier in einem größeren Kontext wirklich essenziell sind: Let There Be Rock, Powerage, Highway To Hell und Back In Black. Ihr letztes überragendes Album wurde 1980 aufgenommen.

Der australische Musikkritiker Robert Forster schreibt in seinem Buch The 10 Rules Of Rock And Roll: „Die bei jedem AC/DC-Song zu findende Reduktion und die knappe Palette an Einflüssen, mit der die Band immer gearbeitet hat, gaben dem Frühwerk Präzision und Power, doch drei Dekaden später wirkt sich das weniger befreiend aus, sondern eher wie eine Fußfessel.“

Tony Platt stimmt zu, dass sie sich in einer musikalische Nische einigeln, aus der es kein Entrinnen mehr gibt: „Ihre größten Stärken, die Simplizität und Direktheit der Musik, ist zugleich die größte Schwäche, denn es besteht nur ein eingeschränkter Bewegungsrahmen. Wohin soll man sich entwickeln? Ist man ein David Bowie, kann man sich mit steter Regelmäßigkeit neu erfinden und niemand runzelt die Stirn. Würden sich AC/DC neu erfinden, verlören sie über Nacht die Fans. Man könnte den Empörungsschrei noch aus einer Entfernung von Millionen von Kilometern hören.“

Die Youngs mögen sich nicht mit jedem Album neu erfunden haben, doch darin lag auch nie die Absicht ihrer Musik. Es dreht sich vielmehr um das Beharren auf einer Basis, einer Palette bestimmter Zutaten.

Phil Carson, der sie 1975 bei Atlantic Records unter Vertrag nahm, erklärt: „Ich vermute mal, die Youngs waren sich bewusst, dass Rockmusik eine vorwärts treibende Kraft sein sollte, die man nicht durch Komplexität überfrachten darf. AC/DC haben einen einzigartigen Sound, wobei der Freiraum dessen, was möglich ist, von den Young-Brüdern als Musiker und Produzenten definiert wurde.“

Mike Fraser meint: „Jeder behauptet, sie würden sich nicht verändern. Aber das ist schwierig. [Sie spielen] H-Dur, G-Dur, C-Dur, drei, vielleicht auch vier Akkorde in einem Song. Die beiden Gitarristen spielen sie einfach, doch die Griffe packen den Hörer und klingen energiegeladen. Viele andere Bands – zum Beispiel Van Halen und Metallica – unterscheiden sich davon, weil sie Klanglandschaften kreieren. Es wird zu einem ansprechenden und komplexen Bild. Bei AC/DC gibt es die Farben rot, weiß und schwarz – nicht mehr. Möglicherweise kann das vom Gehirn besser wahrgenommen werden.“

Klar, das ist möglich. Allerdings gibt es auch die Auffassung, der Versuch, dem Geheimnis ihrer Musik auf die Schliche zu kommen, sei ganz und gar sinnlos.

„Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine so straff zusammen spielende Band gehört“, sagt David Mallet. „Niemals – nirgendwo. Sie spielen stramm und eng. Die Feinheiten der Rhythmen innerhalb der Riffs sowie die Art, wie man sie zusammenstellt, können von jetzt bis ans Ende aller Tage analysiert werden – letztendlich wüsste man immer noch nicht, wie sie funktionieren. Es liegt weit hinter dem Begriffshorizont von 99,9 Prozent der Menschen.“

Aber zum Teufel – ein Versuch lohnt sich.

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Was Der Schrei für die Geschichte der modernen Kunst bedeutete – das Gemälde erinnerte an die Vergangenheit, wirkte jedoch ein wenig schwergewichtiger – bedeuteten die zwischen 1977 und 1980 veröffentlichten AC/DC-Alben für den Hard Rock. Keine andere Band kam an das heran, was AC/DC in dieser vierjährigen Phase erreichten, und niemand war bislang in der Lage, die ungestüme Wildheit der Young-Gitarren zu replizieren. Wenn beide einsetzen – Woooosch – ähnelt es einem Funken, der ein Buschfeuer entfacht.

„Ich glaube nicht, dass es jemals ein besseres Gitarrenduo gab“, urteilt Mark Evans.

Möglicherweise kommen Guns N’ Roses oder Nirvana in die Nähe der Energie, mit der AC/DC in jenen Jahren die Gesetze der Rockmusik durcheinander wirbelten. Dennoch spielen AC/DC in ihrer eigenen Liga. Sie präsentierten vier absolute Hammeralben in einer Reihe, und auch in der darauf folgenden mageren Zeit konnten sie mit dem gelegentlichen Knaller aufwarten, wie zum Beispiel „Thunderstruck“ (1990), nicht zu vergessen die unterbewerteten Edelsteine der „weniger bedeutenden“ Alben: „Spellbound“, „Nervous Shakedown“, „Bedlam In Belgium“, „Who Made Who“, „Satellite Blues“ und „All Screwed Up“ neben anderen. Rob Riley hätte es eigentlich zugestanden, die USA mit Rose Tattoo zu erobern, doch stattdessen inspirierte er Guns N’ Roses dazu, das umzusetzen, was seiner Horde wilder Tattoo-Männer nicht gelang. Er empfindet „absoluten Respekt, eine verdammte Sympathie und Anerkennung gegenüber den Jungs von Acca Dacca“.

„Die meisten Leute, die ich kenne, denken: ‚Oh, aber das verdammte Album klingt wie das letzte Album, und überhaupt ähnelten sie sich immer.‘ Ich erkläre ihnen darauf meine gegenteilige Meinung. Sie sind fantastisch, da ihnen stets ein frischer Sound gelingt. Für mich sind sie ganz groß. Ich liebe ‚Riff Raff‘, ‚Thunderstruck‘, ‚Ride On‘, einfach ’ne Menge von dem Zeugs. Tolle Geschichten. Wie ‚It’s A Long Way To The Top‘.“

Sogar einer ihrer hartnäckigsten Kritiker, Deniz Tek, der Gitarrist von Radio Birdman, zollt ihnen Respekt: „AC/DCs Stärke lag in der Zielstrebigkeit und dem unerschütterlichen Beharren an einem klar erkennbaren Sound, den Millionen Fans liebten. Die meisten Bands kommen schon nach den ersten Platten vom Kurs ab und schlagen meist eine schlechtere Richtung ein. AC/DC ließen sich nie aus der Bahn werfen. Es ist nicht mein Musikgeschmack, doch der unglaubliche Erfolg und der weltweite Einfluss können nicht hoch genug bewertet werden. Ich schätze das Festhalten an einer Vision. Sie machen das, was sie am besten können, und geben ihren Fans auf dem ganzen Globus, was diese schon so eine erstaunlich lange Zeit wollen. Darin sind AC/DC sicherlich oberste Klasse. Sie haben zweifellos sehr hart für den Erfolg gearbeitet und sich diesen auch verdient. Sie zählen zu der Handvoll Bands, durch die Australien auf der Landkarte des kompromisslosen Hardrock als Zentrum verzeichnet wurde.“

Auch George zeigte kaum Kompromissbereitschaft, als er das musikalische und finanzielle Schicksal seiner Brüder in die Hand nahm. Schon zu Beginn achtete er darauf, dass AC/DC nicht in dieselben Fallen stapften wie die Easybeats. Seine eigene Band hatte sich stilistisch und in Bezug auf die Kompositionen zu sehr aufgefächert und dabei ihre Identität verwässert und die Botschaft der Musik missverständlich werden lassen.

„Malcolm und Angus wurden geboren, um in dieser Band [AC/DC] zu spielen“, erklärt Mark Evans. „Vieles lässt sich auf die Jugendjahre zurückführen, in denen sie schonungslos erlebten, was George durchmachen musste. Ohne die Easybeats gäbe es AC/DC nicht.“

Doug Thaler, AC/DCs erster amerikanischer Konzertmanager, der sich später bei Mötley Crüe und Bon Jovi verdingte, erläutert das in einem knappen Satz: „Die Easybeats waren eine Weltklasse-Band ohne Weltklasse-Resultate.“

George, das Mastermind, achtete darauf, dass die Brüder in dieser Hinsicht nicht versagten, und hatte seinen Spaß daran, ihnen dabei unmissverständlich die Regeln einzutrichtern, die kompakt und treffend in Forsters Buch (The 10 Rules Of Rock And Roll) dargelegt werden, um nicht in eine Falle zu tappen.

Es war ein Preis, denn alle zu zahlen bereit waren, und ihr konsequentes Bemühen wurde von einem überdimensionalen Erfolg gekrönt.

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Die Youngs lehnten eine Kooperation mit Clinton Walker für dessen bahnbrechendes Buch über Bon Scott ab. Auch bei den Regalmetern an Büchern, die folgten, zeigten sie sich nicht gesprächsbereit. Als ich mich zur Niederschrift des Buches aufmachte, erwartete ich überhaupt keine Hilfe. Scheinbar jeder, der mehr will als einige wenig erhellende Gesprächsfetzen für Magazine oder TV-Interviews und der den offiziellen Weg der Kontaktaufnahme einschlägt, wird schroff von ihren Aufpassern abgewiegelt, die sich wie eine Mauer vor ihnen positionieren.

„Du hast dir da eine schwierige Aufgabe gestellt, wie du vielleicht schon selbst weißt“, warnte mich Walker noch bevor ich begann.

Ich wechselte E-Mails mit Fifa Riccobono und Sam Horsburgh, den Torwächtern der drei Youngs. Riccobono ertränkte meine Hoffnungen schon am Anfang mit einem sprichwörtlichen Eimer kalten Wassers, aber erlaubte mir zumindest, einige schriftliche Fragen an George Young und Harry Vanda zu stellen. Doch das brachte mich genauso wenig weiter wie der Versuch, über Vandas neues Studio Flashpoint Music zu einem Kontakt zu kommen. Ich begegnete Vanda sogar eines Tages am Anlegeplatz Finger Wharf in Sydney. Er saß dort mit seiner Familie beim Lunch. Es war an einem gesetzlichen Feiertag, und so hielt ich es für sinnvoll, ihn in Ruhe zu lassen und vorbeizugehen.

„Ich habe es einige Male weitergeleitet, doch niemand kümmerte sich darum“, schrieb mir Riccobono nach längerer Zeit. „Es tut mir leid, Ihnen nicht helfen zu können … aber ich habe Ihnen gleich gesagt, dass die Chancen minimal sind.“

Horsburgh, der Mittelsmann von Angus und Malcolm Young bei der Produktionsfirma Alberts, erwiderte: „Ich werde ihre Anfrage weiterleiten und dabei erklären, dass sie [in ihrem Buch] eine andere Perspektive wählen, aber sie – Angus, Malcolm und George – lehnen Buchanfragen für gewöhnlich ab.“

Nichts geschah. Ich stellte eine erneute Anfrage, erhielt jedoch keine Antwort. Wie lässt sich diese Abschottung erklären?

„Nachdem AC/DC zu einer Gelddruckmaschine geworden waren, haben sie um ihre Familie quasi einen Zaun errichtet“, erklärt ein Insider das fast schon paranoide Schutzverhalten von Alberts.

In New York kontaktierte ich das Büro ihres Managers Alvin Handwerker und erläuterte mein Vorhaben. Erneut stand ich vor einer Mauer des Schweigens.

Das muss allerdings nicht schlecht sein. Musiker, sogar die besten, können sich nicht immer akkurat über die Details ihrer Arbeit auslassen. Die Youngs, unschlagbar scharfsinnige Strippenzieher und schlaue Männer – obwohl Angus und Malcolm einst von ihrem ehemaligen britischen Konzertveranstalter Richard Griffiths (nun Manager von One Direction) als „begriffsstutzig“ beschrieben wurden – sind nicht gerade für eine qualifizierte Schulausbildung berühmt. Sie mögen ein paar frivole Ausdrücke und lassen es sprachlich krachen, wenn es sich um Alk, Sex mit Groupies, Schlägereien in Kneipen und viel zu lange Züge an einer Kippe dreht. Melbournes Zeitung The Age äußerte in einer Besprechung der Engleheart-Biografie, dass die beiden, wenn sie sich nicht im „berühmten Gewölbe des Schweigens“ verbergen, sich in „schmutzigen, grammatisch verwaschenen Zitaten“ äußern und „kaum die eloquentesten Kommentatoren für so eine Legende“ sind.

„AC/DC werden sorgsam geschützt und verhalten sich nach wie vor unkooperativ. Leidende Biografen müssen alte Magazin-Interviews durchforsten und die Zeitzeugen befragen, die sich eine Aussage zutrauen.“

Als ein kontrovers diskutierter Punkt steht das Argument im Raum, dass Musik nicht erklärt werden muss. Es ist ein berechtigter Einwand, dem ich mich aber widersetze. Allerdings wurde das Schreiben dieses Buches durch die Tatsache zusätzlich erschwert, dass viele Personen innerhalb des AC/DC-Universums (oder ehemalige nahe Zeitzeugen) entweder tot sind, Interviews ablehnten, nicht antworteten oder jeglichen Kontakt vermieden, das Gefühl hatten, nichts Lohnenswertes beizutragen, oder sich überhaupt mit niemanden mehr unterhalten. Ich stellte über Handwerker formelle Anfragen an die drei anderen Mitglieder von AC/DC, jedoch ohne Erfolg. Ich versuchte sogar durch die Hintertür zu gelangen und ließ Brian Johnson einen persönlichen Brief durch einen Freund in Barcelona überreichen. Er musste unbedingt ausgedruckt sein, denn sonst hätte er ihn nicht gelesen. Erneut keine Reaktion. Mein enttäuschter Freund hatte mich schon zuvor gewarnt: „Wenn er nichts machen will, liegt das am Thema Young.“

Das Thema Young! Ich erkannte unmissverständlich, dass nicht jeder, der mit den Youngs zusammengearbeitet hat (sogar die Mitglieder der Band), auch über sie reden will – und das hat verschiedenste Gründe.

Das trifft auch auf den in der Schweiz lebenden Robert John „Mutt“ Lange zu, den wie besessen arbeitenden Mann hinter dem Multi-Platin-Erfolg von Foreigner, AC/DC, Def Leppard, Shania Twain, The Cars und Maroon 5. Mit ihm in Kontakt zu treten wäre zwecklos, wie mir seine beiden Freunde Terry Manning und Tony Platt verrieten. Wie auch Guus Hiddink, der niederländische Fußball-Manager, pflegt er einen besonderen Stil im Umgang mit den Medien: Nichts sagen, den eigenen Mythos vergrößern und damit den Marktwert steigern. Das zahlt sich offensichtlich aus, denn der Mann ist Millionen Dollar schwer. Der Produzent von Highway To Hell, Back In Black und For Those About To Rock ist das Schwergewicht in der Young-Story. Möglicherweise würden sie es vorziehen, wenn ihn niemand kennt, denn er übte einen grundlegenden Einfluss auf die Entwicklung ihres Sounds und der Karriere aus. Eins steht fest: AC/DC entwickelten einen Sound. Sie waren nicht von Beginn an eine statische Band!

„Das läuft nicht, und da bin ich mir ganz sicher“, lachte Manning, als ich ihm von dem Wunsch berichtete, Lange zu interviewen. Doch ich ließ mich nicht beirren und schickte Manning Mails, die er weiterleitete.

Wenige Wochen darauf meldete sich Manning.

„Ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass er die ersten drei Fragen nicht beantworten wird, aber möglicherweise kommentiert er die vorletzte und eventuell auch die letzte. Ich werde es dich wissen lassen, wann und falls überhaupt.“

Die ersten drei Fragen drehten sich um die Arbeit mit AC/DC im Studio. Die Monate verstrichen. Keine Antwort.

Schließlich informierte mich Manning: „Wie ich vermutet hatte, zieht er es vor, die Fragen nicht auf einem öffentlichen Weg zu beantworten.“

***

Glücklicherweise unterhielt ich mich mit fünf Personen, die bei den besten AC/DC-Aufnahmen hinter dem Mischpult saßen, mit ihnen in nächster Nähe arbeiteten und ihren Sound besser kennen als alle anderen lebenden Zeitzeugen, mal abgesehen von Mutt Lange und George Young. Mark Opitz (Let There Be Rock, Powerage), Tony Platt (Highway To Hell, Back In Black, Flick Of The Switch, Let There Be Rock: The Movie – Live In Paris), Jimmy Douglass (Live From The Atlantic Studios), David Thoener (For Those About To Rock) und Mike Fraser (The Razors Edge, Ballbreaker, Stiff Upper Lip, Black Ice, Backtracks, Family Jewels, Iron Man 2, Rock Or Bust). Ihr Humor, das technische Fachwissen, die Kenntnis der Musik und die Freimütigkeit während des Projekts, das manchmal wie ein Kapitel aus Don Quijote erschien, werde ich niemals vergessen.

Aber auch andere in das Projekt involvierte Personen haben sich als wichtige Quellen und Hinweisgeber erwiesen: Die Easybeats-Ikonen Stevie Wright und Gordon „Snowy“ Fleet; die Rockproduzenten Terry Manning, Shel Talmy, Kim Fowley und Ray Singer; Barry Diament – Mastering-Tontechniker; AC/DCs erster Sänger Dave Evans; John Proud, Session-Drummer von AC/DC, Marcus Hook Roll Band und Stevie Wright; Tony Currenti, ebenfalls Session-Drummer von AC/DC und Stevie Wright; AC/DC-Bassist Mark Evans; die AC/DC-Manager David Krebs, Steve Leber, Ian Jeffery, Michael Browning, Cedric Kushner und Stewart Young; die australischen Rockmusiker Rob Riley, Bernard Fanning, Joel O’Keeffe, Tim Gaze, Chris Masuak, Phil Jamieson, Allan Fryer, John Swan, Mark Gable, Joe Matera, Deniz Tek und der verstorbene Mandawuy Yunupingu; die Rockjournalisten Billy Altman, Robert Hilburn und Anthony O’Grady; die Rockfotografen Lisa Tanner, Dick Barnatt und Philip Morris; Rockpromoter Sidney Drashin, Jack Orbin und Mark Pope; Matt Sorum, der Schlagzeuger von Guns N’ Roses, The Cult und Velvet Revolver; Terry Slesser, Sänger von Back Street Crawler; John Wheeler von Hayseed Dixie; der Dropkick Murphys-Frontmann und -Bassist Ken Casey; Georg Dolivo, Sänger und Gitarrist von Rhino Bucket; die hochrangigen Mitarbeiter von Plattenfirmen Phil Carson, Chris Gilbey, John O’Rourke und Derek Shulman; und insbesondere der unermüdlichen Jerry Greenberg, welcher an einem Punkt in den Siebzigern sicherlich durch seine Rolle als Präsident von Atlantic Records zu den mächtigsten Männern im Musikgeschäft zählte.

Besonders Greenberg zeigte sich hinsichtlich seiner Zeit und seiner „schwarzen Liste“ als äußerst großzügig. Sogar nach mehrmaligen Telefongesprächen, die ich aus Sydney und New York mit ihm führte, nahm er die Mühe auf sich, sich mit mir in der Bar des Beverly Wilshire Hotel in Los Angeles persönlich zu treffen. Greenberg engagiert sich aktuell als Veranstalter von Tribute-Bands von Acts wie ABBA, AC/DC, Led Zeppelin und den Rolling Stones, einem stetig wachsenden Geschäftszweig. Durch ihn bekam ich Zugang zu einem Teil der AC/DC-Geschichte, der bislang Außenstehenden vorenthalten und demzufolge bis auf winzige Details noch nie erzählt wurde. Ich stehe in seiner Schuld.

Meines Wissens äußern sich sowohl Leber als auch Krebs von der nicht mehr existierenden, aber einst sehr mächtigen Contemporary Communications Corporation (bekannt als „Leber-Krebs“) in diesem Buch erstmalig gemeinsam zu AC/DC. Darüber hinaus erscheint zudem ein Kommentar von Jake Berry, dem Produktionsmanager von AC/DC im Jahr 1980, über die Ereignisse, die ummittelbar auf den Tod von Bon Scott folgten, nicht zu vergessen der wichtige Input von Cedric Kushner, Jerry Greenberg und einigen wichtigen Mitarbeitern von Atlantic Records: Steve Leeds, Larry Yasgar, Nick Maria, David Glew, Jim Delehant, Mario Medious und Judy Libow. Um den Blick aus unterschiedlichen Perspektiven zu gewährleisten, unterhielt ich mich mit dem dekorierten amerikanischen Kriegshelden Mike Durant, dessen aufsehenerregende Rettung in Somalia 1993 (mit ein wenig Unterstützung von AC/DC) einen Teil der Story zu Black Hawk Down bildete. Auch interviewte ich den australischen Kriegsfotografen Ashley Gilbertson, der sich mit den US-Streitkräften 2004 an der Front befand, als der Klang von „Hells Bells“ die Stille einer Nacht in Falludscha zeriss, um den irakischen Aufstand zu unterminieren.

Es gibt viele Lücken und Löcher in der AC/DC-Geschichte und in dem, was über sie geschrieben wurde. Auch wenn ich ausdrücklich nicht beabsichtigt hatte, eine Biografie im eigentlichen Sinne zu verfassen, müssen biografische Einzelheiten berücksichtigt werden, und manche bedürfen einer näheren Betrachtung. Wichtige Details müssen eingebracht werden; es gibt Fehler, die einer Korrektur bedürfen, und bislang akzeptierte Geschichten, die man als schlichtweg falsch entlarven oder zumindest als anfechtbar darstellen muss. Auch wäre es an der Zeit, bislang kaum genannten Personen Anerkennung zukommen zu lassen und ihre Verdienste zu würdigen: Die Radiokoryphäen Holger Brockmann, Bill Bartlett und Tony Berardini; Designer Gerard Huerta (der Mann, der das AC/DC-Logo kreierte, aber niemals auch nur einen Dollar an Tantiemen von dem Merchandise erhielt, auf dem das grafische Meisterwerk zu sehen ist); der verstorbene Senior-Vizepräsident Michael Klenfner von Atlantic Records (dessen Witwe Carol Klenfner mir freundlicherweise von seinem Ärger über den Rausschmiss aus der Firma berichtete); die unterbewerteten Session-Drummer Proud und Currenti; und Doug Thaler, der sich laut seinen eigenen Angeben und den Berichten diverser Zeitzeugen leidenschaftlich dafür engagierte, die Youngs mit Mutt Lange zusammenzubringen, eine Arbeitsbeziehung, die den Verlauf der Rockgeschichte änderte und den an Back In Black Beteiligten unerhofften Reichtum einbrachte. Die Perspektive von Atlantic Records, die AC/DCs frühste amerikanische Abenteuer miterlebten, ist von besonderer Faszination. Die in New York ansässigen Atlantic Records werden in vielen Berichten der Youngs sprichwörtlich „angeschissen“, doch es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass Atlantic die Band groß herausbrachte. Ohne das Label und die vielfach übersehenen Leistungen der Mitarbeiter hätte die Karriere von AC/DC möglicherweise denselben Verlauf genommen wie die von Rose Tattoo.

Meiner Meinung nach fehlt dieser Aspekt bei vorhergehenden Erzählungen der AC/DC-Story ganz oder zumindest teilweise. Der Erfolg der Youngs wurde nicht in einem isolierten Raum angekurbelt. Ihre Musik und der gemeinsame leidenschaftliche Erfolgswille hätten allein niemals ausgereicht. Es erforderte den positiven Einsatz, die Vision und die verschiedenen und gebündelten Talente eines Mitarbeiterstamms aus nun meist vergessenen bzw. nicht bekannten Menschen, die etwas in ihnen erkannten, das alle anderen übersahen. Der Glaube und die Loyalität wurden von AC/DC nicht immer erwidert.

Als ich David Krebs zum Essen in der Upper East Side von Manhattan traf, trug er einen marineblauen Schal, einen marineblauen Sportmantel und eine Kappe der New York Yankees. Zu seinen Glanzzeiten managte Krebs die Scorpions, AC/DC, Ted Nugent, Aerosmith und Def Leppard. Er zeigte sich im Interview ein wenig ängstlich und war besorgt wegen des Diktiergeräts (er bat mich nach 20 Minuten, es abzustellen). Krebs verglich das Managen einer Rockband mit Akira Kurosawas Film Rashomon – Das Lustwäldchen, in dem vier Zeugen einer Vergewaltigung unterschiedliche Beschreibungen des Tathergangs geben, die sich gegenseitig ausschließen. Egal, wie und was für ein Buch ich schreiben würde, es gäbe laut Krebs immer wieder Leute, die das gleiche Ereignis unterschiedlich wahrnahmen und erlebten. Es gab keine Wahrheit, keine definitive AC/DC-Story, sondern nur viele verschiedene Versionen. Ich sollte mich nicht daran versuchen.

Tage später, mit Back In Black auf dem iPod, machte ich mich zum Joggen in den Central Park auf. Viel zu dünn bekleidet für das Wetter – es hatte zu schneien begonnen – lief ich von der East 96th Street in die U-Bahn hinunter, um Schutz vor der Kälte zu finden. Auf dem Weg wäre ich beinahe mit Krebs zusammengestoßen, der die Straße entlang schlenderte. Er zeigte sich völlig verblüfft: „Da leben wir 20 Jahre lang im selben Block in New York und sehen uns nie. Wie kommt denn das?“

Krebs hatte die Youngs seit drei Dekaden nicht gesehen.

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Entgegen all dem „Wir kommen von unten“-Gehabe und ihrem Widerstand dagegen, Sänger und Symphonieorchester zu begleiten, Samples und „Greatest Hits“-Alben zuzustimmen, und entgegen ihren Hymnen gegen die Gier („Money Made“ von Black Ice und „Moneytalks“, ein langweiliger Track von Razors Edge, der es in die Top 30 der Billboard-Top-100 schaffte, was für eine Gruppe, die sich nicht als „Singles-Band“ bezeichnet, wohl einzigartig ist) gibt es eine andere Realität. AC/DC haben sich zu einer der kommerziellsten und finanziell einträglichsten Marken der Welt entwickelt, die neben Schwergewichtchen wie Nike und Coca-Cola steht.

Sie schließen mit Wal-Mart Exklusivverträge ab. Sie lizenzieren ihre Musik an Spielehersteller, iOS-Apps und Sport-Franchisenehmer. Sie remastern alte Platten in neuen Verpackungen [gemeint sind die Digipak-Remasters aus dem Jahr 2003, A.T.] – und um es mal deutlich zu sagen: Sie klingen nicht besser. Doch wen interessiert es schon, wenn sie höhere Umsatzzahlen haben als die Backlist der Beatles? Am 19. November 2012 veröffentlichten sie schließlich ihre Alben auf iTunes (zusätzlich zwei Box-Sets, die nur bei iTunes erhältlich sind: The Collection und The Complete Collection), eine Entscheidung, der sie sich jahrelang verweigerten. Die Veröffentlichung bei iTunes stellte einen Gesinnungswandel mit einer hohen Dividende dar. Sie lehnten es ab, beim „Live Aid“ aufzutreten und bei großen Wohltätigkeitsveranstaltungen im Allgemeinen, obwohl AC/DC beim SARS-Benefiz-Konzert 2003 in Toronto zu sehen waren. Es war ein Stimmungswechsel, der sich lohnte, denn „Highway To Hell“ und „Back In Black“ kamen in die Top 40 der britischen Singles-Charts, mehr als drei Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung.

Die Entscheidung hinsichtlich ihres Digital-Deals verwunderte viele, ließ andere hingegen unbeeindruckt. Anthony O’Grady zum Beispiel wird sich die Band weiterhin nur auf Vinyl anhören.

„AC/DC wurden für das Vinyl-Format produziert, denn Vinyl gibt den Bass wieder“, erklärt er mit einem nostalgischen Gesichtsausdruck. „Sie waren eine Band, die damals in die Plattengeschäfte schlich und die Ständer umsortierte, damit ihre Platten vorne standen.“

Ohne Zweifel wird eine Zeit kommen, in der sie Hip-Hop-Musikern nachgeben und Samples ihrer Musik lizenzieren. Dadurch wird ihr Werk wieder in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, womit sich eine neue Generation und der dazu gehörige Markt eröffnet. Public Enemy, die Beastie Boys und andere Acts haben offiziell versucht, AC/DCs Musik zu nutzen, wurden aber schroff abgewiesen. Jimmy Douglass zeigt sich über ihre beharrliche Haltung gegen das Unvermeidliche verwundert.

„Ohne Zweifel ist das Sampling – vorausgesetzt, es handelt sich um gute Umsetzung – die ultimative Schmeichelei. Es ist eine neue Kunstform. Nicht mehr und nicht weniger.“

AC/DC spielen auf riesigen Bühnen mit Glocken, Kanonen, Angus-Statuen und aufblasbaren „dicken Muttis“. Sie verpacken Greatest-Hits-Alben getarnt als Box-Sets und Soundtracks. Paramount Pictures nutzte 15 ihrer Songs auf einer Compilation für Iron Man 2.

O’Grady vertritt dennoch die Auffassung, sie betrieben keinen Ausverkauf: „Sie achten stets auf den Kontext. Also lizenzierten sie ihre Titel für Iron Man, da es zwischen dem Publikum des Films und ihrem Publikum Überschneidungen gab. Sie würden sie zum Beispiel für keinen Film freigeben, der die Tracks in einem ironischen Kontext einsetzt. Hätte sich ein Woody Allen mit einer Anfrage an sie gewandt, hätten sie vermutlich noch nicht mal die Briefe beantwortet.“

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Besucht man eBay und tippt AC/DC ein, wird man mit einer Vielzahl von Markenartikeln konfrontiert, die von aufleuchtenden Teufelshörnern bis hin zu Baby-Lätzchen reichen. AC/DC haben ein eigenes Weinsortiment, sowohl Weißweine, als auch Rotweine. Es gibt deutsches AC/DC-Bier, bei dem jede Dose einen „persönlichen Code enthält, mit dem man attraktive Devotionalien erwerben oder an einem Preisausschreiben teilnehmen kann“. (Die das Bier vertreibende Firma bietet sogar einen „High Voltage“-Energy-Drink an.) AC/DC haben eine eigene Produktlinie von Coverse Chuck Taylors, ihr eigenes Monopoly-Spiel und die eigenen High-End-Kopfhörer. Die jüngste Tournee brachte Bruttoeinnahmen in Höhe von 450 Millionen Dollar, womit sie den zweiten Platz bei den umsatzstärksten Konzertserien besetzen, gleich nach den Rolling Stones. 2011 waren sie die ersten Musiker, die in Australiens BRW-Magazin in die Liste der reichsten 200 Menschen des Kontinents gelangten. Im Jahr 2013 belegten sie im gleichen Magazin den 48. Platz der reichsten australischen Familien, mit einem zusammengezählten Vermögen von 225 Millionen Dollar. Es waren die einzigen Personen aus dem Entertainment-Geschäft.

Für Brüder, die sich mit Stolz der „No bullshit“-Philosophie verschrieben haben, muten die angehäuften Geldberge zumindest verstörend an. Im Gegensatz zu ZZ Top und Aerosmith, die sich von einem lockeren, rauen und behelfsmäßigen Beginn in den Siebzigern zu kommerziellen Ungetümen in den darauffolgenden Jahrzehnten entwickelt haben, interpretiert Tony Platt AC/DCs Transformation zu einer Stadionband als Zeichen ihres Charakters.

„Darin liegt die Stärke der Jungs. Sie haben auf einen sich entwickelnden Musikmarkt reagiert. Als das Publikum nach Größe, Bombast und so weiter förmlich schrie, haben sie sich als gute und vorausschauende Künstler weiterentwickelt, um dem Anspruch gerecht zu werden und ihn voll zu bedienen.“

Phil Carson, der während seiner Arbeit für AC/DC mehrere Male den Hals für sie in die Schlinge steckte, missgönnt ihnen den Erfolg nicht, auch wenn er zu Lasten einiger Beziehungen ging: „AC/DC haben einen starken und ehrlichen Kontakt zu den Fans aufgebaut. Für die Young-Brüder standen die Fans immer an erster Stelle. Darum hielten sie die Ticketpreise in einer Zeit niedrig, in der Künstler ihrer Liga mehr und mehr verlangten. Musikalisch fanden sie eine funktionierende Formel, und sie konzentrierten ihre kreative Energie darauf, innerhalb dieser Parameter zu bleiben. Sie machten weiter, überstanden die schwierige Phase von Flick Of The Switch und Fly On The Wall und kamen am Ende stärker und besser heraus.“

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Aber sie hinterließen dabei eine Blutspur.

Man muss sich nur vor Augen führen, wie sie sich einiger Bandmitglieder entledigten, Produzenten, Tontechniker, Manager und aller anderen Personen, mit denen es, aus was für einem Grund auch immer, unangenehme Reibereien gab: Dave Evans, Mark Evans, Mutt Lange, Phil Rudd (wurde für eine Dekade rausgekickt, nachdem er sich mit Malcolm während der Flick Of The Switch-Sessions wegen einer persönlichen Angelegenheit heftig zerstritt), Chris Slade, Michael Browning, Ian Jeffery, Peter Mensch, Steve Leber, David Krebs und ein Haufen anderer, darunter eine kleine Armee vergessener Drummer und Bassisten aus ihrer frühen Zeit in Australien. Die Namen Colin Burgess, Peter Clack, Larry Van Kriedt, Ron Carpenter, Paul Matters, Russell Coleman, Rob Bailey, Noel Taylor und der verstorbene Neil Smith nehmen in der AC/DC-Geschichte höchstens eine Platz im Register ein oder werden in trivialen Zusammenhängen genannt. Als Smith im April 2013 verstarb, würdigte man ihn nicht mal auf der offiziellen Webseite von AC/DC (zum Zeitpunkt der Niederschrift 29 Millionen „Likes“ auf Facebook mit steigender Tendenz).

Die „Opferliste“ hat den Brüdern nicht immer Glück gebracht. Der Verlust von Mensch, AC/DCs Manager zum Höhepunkt ihrer Popularität, und Lange, der beste Produzent, mit dem die Gruppe je zusammenarbeitete, wirkte sich mehrere Jahre sowohl kommerziell als auch künstlerisch negativ aus.

Es stößt mir sauer auf, dass AC/DC damit prahlen, wie viel sie für ihre Fans machen. Im Gegensatz zu anderen Bandmitgliedern, Managern und Journalisten riskieren Fans nämlich keine dicke Lippe. Sie sagen niemals Nein. Sie stellen keine unangenehmen Fragen. Sie schlucken den Hype. Kaufen den Merchandise. Stellen nicht die Autorität der Youngs in Frage. Laut einer Anekdote heißen AC/DC Außenseiter so willkommen wie ein Mongole Fremdlinge in seiner Jurte, seiner Hütte. Wie Mick Wall in seiner Biografie beschreibt, liegt „die Basis jeder AC/DC-Story“ in der Tatsache begründet, dass sie eher „ein Klan als eine Band“ sind. Der amerikanische Filmemacher und AC/DC-Superfan Kurt Squiers entschloss sich zur Produktion eines warmherzig gedachten Streifens mit dem Titel „Beyond The Thunder“, der die enge Beziehung zu den Fans durch die Musik dokumentierten sollte. AC/DC weigerten sich jedoch, daran teilzunehmen. Hier besteht ein inhärenter Widerspruch. Zum Zeitpunkt der Niederschrift war die Doku, an der jetzt schon einige Jahre gearbeitet wird, noch nicht veröffentlicht. Squiers und sein Partner Gregg Ferguson erhoffen sich eine Partnerschaft mit AC/DCs Management und den Segen der Gruppe für einen weltweiten Vertriebs-Deal.

Dave Evans malt ein Bild des „Insulaner-Verhaltens“: „Die Youngs traten als eine kompakte Einheit auf. Ich erinnere mich an George, der mir von der Zeit bei den Easybeats berichtete. Auf dem Papier waren sie Millionäre, doch das Ganze endete in einem finanziellen Desaster, da das Management sie über den Tisch gezogen hatte. Die Brüder rückten nah zusammen und keinem von uns wurde erlaubt, an den häufig stattfindenden Meetings teilzunehmen, was natürlich nicht gut ankam.“

Anthony O’Grady, der Familienfeste im Haus der Youngs in Burwood besuchte, die er als echte „Besäufnisse“ bezeichnete, teilt die Ansicht: „Für mich repräsentierte die Gruppe gleichzeitig den Young-Klan. Ich glaube nicht, dass noch jemand daran zweifelt, dass AC/DC die Fronttruppen des Klans symbolisieren. Malcolm ist der General der Band und Angus das nach vorne gerichtete Schwert – und alle anderen fügen sich in die Konstellation ein.“

O’Grady erlebte das aus nächster Nähe, denn man bat ihn eines Abends, das Haus zu verlassen, woraufhin er sich neben den total besoffenen und schlafenden Bon Scott in den Wagen setzte und „dem Prasseln des Regens auf dem Dach“ lauschte. Zwischenzeitlich wurden im Haus Bandangelegenheiten mit dem AC/DC-Manager Michael Browning besprochen. O’Grady musste den volltrunkenen und auf dem Sitz zusammengesunkenen Scott wieder aufrichten und mehre Male auf den Rücken klopfen, da dieser klang, als bekäme er keine Luft. (Hätte er nur 1980 neben ihm gesessen – in einem Renault 5 in Südlondon.)

Man muss bedenken, dass diese Familie von den Gesetzen der schäbigen und heruntergekommenen Hinterstraßen Glasgows geprägt wurde, in einer Epoche der Rivalität zwischen Protestanten und Katholiken. AC/DC sind eine Band, die ihre Karriere in den Malocher-Spelunken begann und ständig vor einer Horde Sharpies [australische Skinheads, A.T.] bestehen musste. Schon zu Beginn verinnerlichten sie das Ethos der Straße und zogen ein Publikum an, das vornehmlich aus der Arbeiterschaft stammte.

John Swan, der in einem Migrantenhostel lebte, als er George begegnete und die Easybeats sah, als sie in der Stadt auftraten, erläutert die Glasgower Mentalität: „Meine Philosophie gleicht ihrer: Wenn du mir oder meinen Leuten was antust, werde ich es dir heimzahlen. Egal wann. Ich werde dich kriegen. Wenn du mir heute eins in die Schnauze verpasst, werde ich dir morgen die Fresse polieren. Das vermittelten uns die vorhergehenden Generationen in Glasgow. Man wurde so erzogen. Diese Prägung bringt man also in dieses Land mit und neigt immer dazu, sie auszuleben. Der durchschnittliche Typ in einer australischen Band stammt aus einer recht stabilen Familie und hat vernünftige Eltern, die die Menschen nicht in Katholiken und Protestanten einteilen, die sich verdammt noch mal gegenseitig umbringen sollten. Wenn du hingegen bei einem aus unserer Familie Scheiße baust, werden wir dir auch was ans Zeug flicken.“

Derek Shulman, auch aus Glasgow stammend, verblüffte die anhaltend zentrale Rolle von George bei den Entscheidungen der Band. Shulman hatte mit seinen Brüdern Phil und Ray bei Gentle Giant gespielt, wonach er eine hohe Position bei einer Plattenfirma besetzte und den kommerziellen Wirbelwind – auch bekannt als Bon Jovi – durch die amerikanischen Stadien fegen ließ.

„Als ich mit den Jungs arbeitete, erkannte ich, wie extrem eng die Beziehung der Brüder untereinander war. Da ich mit meinen Brüdern in einer Gruppe gespielt hatte, wusste ich, dass diese Art der Bindung das Vertrauen aller voraussetzte. In Schottland geboren, spürte ich instinktiv, wo, wie und warum die Young-Brüder ihre Distanz gegenüber anderen wahrten – genau wie die Shulman-Brüder in der Vergangenheit. Ihre ‚Klanität‘ wurzelte teilweise in der schottischen Zurückhaltung und basierte zum Teil auf der brüderlichen Enge.“

Die Loyalität hielt Angus und Malcolm nach dem relativen Misserfolg von Powerage nicht davon ab, George als Produzenten abzusetzen, auch wenn er dazu seinen Segen gab. So lange er im Hintergrund die Fäden in der Hand hielt, war es ein Kompromiss, mit dem sie leben konnten. Wenn sie eins sind, dann pragmatisch!

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Doch alle die Intrigen sind in diesem Buch lediglich Randthemen. Damit sollen sich AC/DC-Biografen beschäftigen oder die Person, die die unvermeidliche, offizielle Bio der Youngs verfasst. In meinem Buch beschäftige ich mich nicht mit diesen Aspekten und versuche es auch gar nicht. Ihre Privatsphäre und das Familienleben gehen nur sie etwas an, auch wenn einige Journalisten sich nicht daran halten. Das Buch handelt letztendlich von der Power ihrer Musik und erklärt, wie sie einen Koloss namens AC/DC erschufen. Es ist ein Dokument der Wertschätzung dreier Brüder, deren Reise mit zwei der größten Rockbands, die jemals aus Australien hervorgingen, zu einem unverbindlichen Ende kommen mag, denkt man an die Bekanntgabe auf der AC/DC-Facebook-Seite im April 2014, dass Malcolm „aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands bei der Gruppe eine Pause einlegt“. Monate später wurde klar, dass Malcolm nicht nur pausieren, sondern aussteigen musste. Seine Demenz kann AC/DC aber nicht aufhalten. Das neue Album Rock Or Bust, der neue Gitarrist Stevie Young und eine weitere geplante Welttournee deuten an, dass die Geschichte von AC/DC noch nicht zu Ende geschrieben ist.

Die Brüder Young – Alles über die Gründer von AC/DC deckt mehr als ein halbes Jahrhundert mit ihrem Songwriting ab. Das Jahr 2014 markierte den 40. Jahrestag des AC/DC-Debüts und den 50. Geburtstag der Gründung der Easybeats. Es sind zwei Bands, die die Speerspitze der australischen Rockmusik bilden.

Die Brüder Young - Alles über die Gründer von AC/DC

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