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Jana

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Für mich war Sklave ein abstrakter Begriff aus der Antike. Vorstellen konnte ich mir darunter wenig. Bis ich einen Sklaven kennenlernte – und meine negative Meinung über Sklavenhaltung revidierte.

Jana lernte ich vor fünf Jahren kennen. Oder waren es nur zwei Jahre? Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, so innig waren wir uns mittlerweile. Wie Zwillinge im Geiste sahen wir die Welt mit den gleichen Augen. So offen und beredsam sie bei unseren ersten Begegnungen war, umso verschlossener war alles, was ihr Privatleben anging. Wenn man sie nach ihrem Beziehungsstatus fragte, prallte man gegen eine Mauer eisernen Schweigens. Selbst die entscheidende Frage, ob sie auf Frauen oder Männer stand, konnte niemand beantworten. Ihr Privatleben war ebenso nebulös wie die synthetischen Nebelwolken in diesem Gothic-Club, in dem ich ihr zum ersten Mal begegnete. Obwohl wir uns bald regelmäßig trafen, verging der erste Monat und der erste Winter nahm Abschied, der erste Frühling kam und der erste Sommer sagte mit einem goldrotem Gruß der Natur Lebewohl, ohne dass sie etwas über ihr wirkliches Leben preisgab. Jana hatte um ihr privates Dasein ein undurchdringliches Netz gesponnen. Sie bewahrte es wie ein dunkles Geheimnis, obwohl wir uns mittlerweile vertraut waren wie die besten Freundinnen, die diese Welt je gesehen hatte. Bis sie mich eines Tages einweihte. Ihr linkes Auge zuckte nervös.

»Ich habe bisher niemandem davon erzählt. Aber wir kennen uns mittlerweile zu gut, sodass ich mein Geheimnis nicht mehr vor dir verbergen sollte. Jedenfalls weiß ich, dass ich dir wirklich vertrauen kann.« Vorsichtig sah sie mich an und fragte zaghaft: »Willst du sehen, was ich zuhause habe?«

Noch nie hatte Jana jemanden zu sich eingeladen, meines Wissens noch niemals einen Menschen in ihr Privatleben eingeweiht. Bei jeder aufkommenden Neugier hatte sie sich vehement gewehrt. Sie wurde fast aggressiv, wenn jemand den Vorschlag wagte, ob man sich denn nicht einmal privat bei ihr treffen könnte. Oder wenn jemand anbot, sie zuhause abzuholen. Selbst einen Brief an ihre Adresse zu schicken war unmöglich, denn ihre Anschrift oder der Ort, an dem sie lebte, waren ein absolutes Tabu.

Ich hatte mir häufig den Kopf darüber zerbrochen. Was könnte es sein, das keiner sehen darf? Eine heruntergekommene und verwahrloste Wohnung – war sie ein Messie? Besaß sie vielleicht gar keine Wohnung und schlief unter einer Brücke? Oder im Zelt, vielleicht auch in einem Campingwagen am Straßenrand? Lebte sie womöglich in einer Hütte im Schrebergarten? Hatte sie häusliche Probleme, war sie verheiratet mit einem aggressiven Ehemann und schämte sich, dies jemandem zu offenbaren? Vielleicht hatte sie zuhause einen schweren Pflegefall, den sie ständig versorgen musste? Das täte mir leid. Ich habe großen Respekt vor Menschen, die so etwas leisten. Alles war möglich, ich tappte völlig im Dunklen. Was war ihr Geheimnis? Endlich würde ich die Wahrheit erfahren. Jetzt wollte sie sich mir offenbaren und mich einweihen.

»Ja, gerne«, antwortete ich und versuchte zu verbergen, wie neugierig ich wirklich war. Offensichtlich gelang es mir nicht, da sie grinste.

»Es ist ein wenig ungewöhnlich. Jemand, der diese Passion nicht in sich trägt, wird das niemals verstehen.«

Wo wir uns das nächste Mal getroffen hatten, das weiß ich nicht mehr. Waren wir uns in einem Park begegnet? In einem Café, in einem Modeshop oder in irgendeinem Restaurant? Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. So seltsam und merkwürdig war alles, was ich danach erlebt hatte. Jedenfalls war es Nachmittag und sie bat mich zum ersten Mal, seit wir uns kennengelernt hatten, zu sich nach Hause in die Weststadt. Ein gutes Wohngebiet, in dem die Mieten astronomisch hoch waren und in dem das gehobene Bürgertum residierte. Mit gepflegten Parks und mächtigen Hausfassaden in einer Umgebung, über die man stolz sein dürfte. Keinesfalls musste man Bedenken haben, jemanden zu sich nach Hause …

»Wir sind gleich da!«, unterbrach Jana meine Gedanken und drückte den Halteknopf der Straßenbahn.

Von der Haltestelle ›Am Konzerthaus‹ lief sie voraus und ich folgte ihr ohne zu fragen, was das Ziel wäre. Ich war unheimlich gespannt, wo sie mich hinführen würde. Wir gingen an vor Rosen strotzenden Vorgärten vorbei, ich bewunderte die mächtigen Villen mit Jugendstil-Fassaden und die kostspieligen Luxuskarossen am Straßenrand, für die manche ihr Leben lang sparen mussten. Darüber konnten die Bewohner dieser exklusiven Wohngegend sicherlich nur lächeln, wenn sie alle zwei Jahre ihr Fahrzeug durch ein neues ersetzten. Vielleicht war meine Vorstellung über die Menschen, die in diesem Stadtteil wohnten, etwas übertrieben. Jedenfalls war es eine Wohngegend, wegen der sich keiner schämen musste.

Nachdem wir durch die Eingangstür gegangen waren, die ein stabiles Portal aus massivem Eichenholz war, traten wir in einen bunt gekachelten Hausflur, überquerten einen originellen Mosaikboden und stiegen hinauf. Auf dem Treppenabsatz vor dem zweiten Stock drehte Jana sich um und bat:

»Warte bitte kurz hier, ich will ihn vorwarnen.« Meine Freundin eilte die letzten Stufen hinauf, öffnete ihre Wohnungstür und verschwand.

Das Ganze war wirklich mysteriös. Wen würde sie vorwarnen? Hatte sie einen wilden Kater – der jeden, der einen Schritt in ihre Wohnung setzte, angreifen würde? Einen Wachhund, der abgerichtet war, jeden mit unbekanntem Geruch zu verjagen? Hielt sie in ihrer Wohnung eine riesige Pythonschlange, die sie erst zurück ins Terrarium setzen musste? Lauerte in ihrer Wohnung ein wildes Krokodil?

Meine Vermutungen wurden unterbrochen, als ich meinen Namen hörte. »Jessica! Komm herauf!«

Als ich eintrat, schaute ich erst geradeaus, aber entdeckte im gleichen Moment zu meiner rechten Seite jemand, der seinen Kopf demütig senkte. Es war ein Mann mit kahl rasiertem Haupt. Und nackt. Nicht ganz, denn um seinen Hals war ein Ring aus Eisen gelegt und an seinen Handgelenken trug er Ketten. An seinem Fuß hing eine dicke Kugel, die ihn mit Sicherheit in seiner Bewegung stark einschränkte. Wie schon gesagt, er war vollkommen nackt, bis auf diese merkwürdigen Dinge aus Metall.

Jana kam in den Flur und lächelte mich breit an.

»Er ist zum Schweigen verpflichtet. Außer, ich gebe ihm den Befehl, etwas zu sagen. Nun komm herein und nimm Platz.«

Ich folgte ihr durch einen Flur mit Biedermeier-Möbeln, die zwar stilvoll, aber recht protzig wirkten. Danach betraten wir einen großzügigen Saal, dessen Zimmerdecke meiner Einschätzung nach vier Meter hoch war. Es war eine fein gearbeitete Stuckdecke, wie man sie in Altbauten der gehobenen Bürgerklasse findet. In der Mitte des Zimmers hing ein mächtiger Kronleuchter. Dies musste ihre Residenz sein, in der sie ihre seltenen Gäste empfing. Vielleicht war ich sogar der erste Gast überhaupt. Nun wies sie mir einen Sessel zu, der so antik wirkte wie die gesamte Einrichtung des Zimmers. Als ich mich umsah, kam ich aus dem Staunen fast nicht mehr heraus und bewunderte die vielen Kunstwerke, Holzschnitzereien und großformatigen Ölgemälde im Raum, als sie mir gegenüber Platz nahm und mich neugierig anschaute.

»Und? Wie gefällt dir mein Diener?«

Ich musste kurz schlucken und erst die ganze Situation auf mich wirken lassen. Die neuen Eindrücke analysieren und interpretieren. Ich war noch überwältigt von dieser prunkvollen Residenz, als der merkwürdige Mann eintrat und ein Tablett mit zwei dampfenden Tassen Kaffee in unserer Mitte abstellte. Er verbeugte sich und verschwand. Er war seltsam, aber irgendwie interessant. Genau das sagte ich:

»Interessant.«

»Er ist mein Sklave«, sagte Jana und lächelte mich an. »Mein treuer Hausdiener.«

Ich griff nach der Tasse und nippte am Kaffee. Das Ganze zu verstehen war mir in diesem Moment unmöglich. Genauer darüber nachzudenken und ein Urteil zu fällen, hob ich mir für eine spätere Gelegenheit auf. Ich entschied mich, die Situation mit dem seltsamen Diener vorläufig zu akzeptieren.

»Schöne Wohnung!«, sagte ich mit einem Blick rundum, weil mir nichts Besseres einfiel und der Auftritt des nackten Mannes in ihrer Wohnung mich konfus machte. Alles war blitzblank. Nirgends war ein einziges Staubkorn zu sehen, ganz anders als in meiner eigenen Wohnung.

»Du bist wahrscheinlich noch nie einem echten Sklaven begegnet und weißt nicht, was du davon halten sollst.« Jana sah mich direkt an. »So ging es mir auch, als ich ihn kennengelernt habe. Es war anfangs sehr seltsam, so einen Haussklaven zu haben. Außer mir bist du die Einzige, die ihn gesehen hat.«

»Wie heißt er denn?«, fragte ich. Es meldeten sich zwar viele andere Fragen im meinem Hinterkopf, von denen ich aber nicht sicher war, ob ich sie in dieser Situation stellen durfte.

»Ich nenne ihn Sklave.« Sie grinste. »Es ist sein Name. So will er genannt werden. Es ist seine Identität.«

Nervös umklammerte ich meine Tasse. Das Ganze war noch merkwürdiger, als es im ersten Augenblick erschienen war. Die Frage, die sich mir am meisten aufdrängte, war: warum tat er das?

»Ist er das freiwillig – ein Sklave?«

In diesem Moment kam er mit einem Staubwedel herein und schwenkte mit demütiger Miene über die Bilderrahmen.

»Es ist sein größter Wunsch, Sklave zu sein.« Offensichtlich hatte er keine Probleme damit, dass Jana in seiner Präsenz so offen über ihn redete, während er im Hintergrund das Inventar reinigte. Was nach meinem Eindruck absolut nicht nötig war. »Ich musste mich erst mit der Zeit daran gewöhnen, dass er mir jeden Wunsch erfüllen würde und hatte Hemmungen, mir alle Hausarbeiten aus der Hand nehmen zu lassen.«

Ich warf einen kurzen Blick zu dem nackten Mann und den Eisenketten, die um seine Hände geschlungen waren. Und betrachtete seinen eisernen Halsschmuck.

»Warum trägt er Fesseln?«

»Das gehört zu seiner Identität. Es fiel mir anfangs sehr schwer, seinen Wunsch zu erfüllen und ihm diese Ketten anlegen zu lassen. Erst hatte ich mich vehement geweigert, aber er bat mich immer wieder darum und kniete stundenlang vor mir. Er war so todtraurig darüber, dass er kein echter Sklave sein würde. Bis ich mich dazu überwinden konnte, ihm diese Fesseln anzulegen. Danach war er glücklich wie ein Schneekönig und hatte sich völlig gewandelt. Jemand, der dies nicht erlebt hat, kann sich das kaum vorstellen.«

»Er ist sehr fleißig.« Ich hatte laut gesprochen, damit der Mann dieses Kompliment auch hören konnte. Was eigentlich keines war, sondern eine Feststellung. Ohne eine Regung zu zeigen, setzte er seine Arbeit fort.

»Außerordentlich fleißig! Er übernimmt meine ganze Hausarbeit. Putzen, kochen, waschen, aufräumen, bügeln. Speisen und Getränke servieren. Den ganzen Tag. Jede Anweisung, die ich ihm gebe, führt er sofort aus, ohne ein Wort zu sagen. Niemals ein Wiederwort oder eine Ausrede. Im Gegenteil: Er ist froh, wenn ich ihm Befehle erteile, die er ausführen kann. Es macht ihn glücklich.«

Ich nickte. Nein, ich verstand es ganz und gar nicht. Mein Nicken war in dem Moment nur mein Ausdruck der Sprachlosigkeit. Unglaublich! Warum tat dieser Mann das? Ich trank den Rest Kaffee in einem Zug leer und betrachtete diesen seltsamen Menschen. Dieser schien meinen Blick als eine Anweisung aufzufassen, denn er eilte in die Küche, kam mit einer Kaffeekanne zurück und füllte meine Tasse.

»Er ist sehr einfühlsam.« Jana lächelte mich an. »Die Bezeichnung jemand würde jeden Wunsch von den Augen ablesen ist bei ihm wortwörtlich zu nehmen. Das beherrscht er aus dem Effeff. Du hast sicher gerade gedacht: ich hätte gerne noch etwas Kaffee. Er hat es gefühlt und sofort reagiert.«

Tatsächlich hatte ich dies gewünscht. Aber genauso hätte es auch sein können, dass er zuvorkommend und höflich war … Wenn es jedoch stimmte, was sie behauptete, war seine Reaktion spektakulär. Ich beschloss, genau darauf zu achten und die Dinge für mich selbst einzuordnen.

Wir plauderten noch eine Weile in ihrem Wohnzimmer, während der Exot im Hintergrund sich völlig zurückhielt und still vor sich hin werkelte. Zum Abschied versicherte ich ihr, keinem von ihrem Geheimnis zu erzählen und verließ die Wohnung mit gemischten Gefühlen.

Was ich danach tat, dessen kann ich mich nicht recht entsinnen. Ging ich durch die Altstadt und blickte in verschiedene Schaufenster oder wanderte ich einfach nur ohne irgendein Ziel umher? Jedenfalls bestieg ich nicht die Bahn zu meiner Wohnung, trotz der Distanz von mehreren Kilometern. In meinem Kopf fand ein wahres Feuerwerk zielloser Gedanken statt. Mein durch die bürgerliche Erziehung geprägtes Verständnis für zivilisiertes Leben, die ganze Weltordnung, an die ich bisher geglaubt hatte und meine Ansicht, das große Ganze halbwegs verstanden zu haben, war vollkommen infrage gestellt. In meinem Zustand der Verwirrung nahm ich meine Umgebung kaum noch wahr, so sehr war mein Geist beschäftigt, diese merkwürdigen Eindrücke zu verarbeiten und ein neues Verständnis für die Ordnung der Welt zu entwickeln. Es gelang mir nicht.

Ein paar Tage darauf ergab sich die Gelegenheit, dass ich Jana zu einem Treffen in ein Eiscafé einladen konnte. Es drängten sich Fragen in meinem Kopf, die ich ihr unbedingt stellen wollte, die ich aber auf keinen Fall in Anwesenheit ihres unterwürfigen Mitbewohners ansprechen wollte. Zu intim war, was ich über ihr Privatlaben erfahren wollte, es könnte vielleicht seine Würde verletzen – hatte ein Sklave überhaupt so etwas wie Würde?

»Jessica, ich bin mir sicher, dass du noch ein paar Dinge wissen willst«, wechselte sie nach unserem eingangs belanglosem Smalltalk das Thema. »Wegen des Sklaven. Prinzipiell könnten wir uns frei und offen vor ihm unterhalten, ohne dass er Anstoß daran nehmen würde. Es ist sein wahres Wesen, demütig zu sein und alles so hinzunehmen, wie es kommt. Das einzige, wovor er sich fürchtet, ist, dass ich ihn aus seinem Dienst als Sklave entlassen könnte. Aber für dich wäre es wohl zu befremdlich, wenn wir uns in seiner Anwesenheit so intensiv über ihn unterhalten würden. Also: was willst du wissen?«

»Ich bin ausgesprochen neugierig. Was denkst du denn, könnte ich über euch beide wissen wollen?« Mit der Frage hatte ich den Ball auf ihre Seite gespielt. Ich wollte mich absichern und wissen, wie weit ich gehen durfte. Was wäre zu intim? Was würde vielleicht zu vorwurfsvoll wirken?

»Du darfst mich alles fragen. Mein größtes Geheimnis kennst du ja bereits.« Sie schlürfte an ihrem Eiskaffee, blickte kurz zu mir und betrachtete nun den Zuckerstreuer zwischen uns, als wäre er ihr Gesprächspartner. Sie senkte die Stimme. »Wie ist unser Sexleben – würde ich an deiner Stelle wissen wollen.«

»Das wäre nur eine von vielen Fragen gewesen.« Ich fühlte, dass ich rot wurde. Vielleicht war diese Befürchtung auch unbegründet, denn bei meinem Spiegelbild sah ich nichts Auffälliges. Wir hatten uns die etwas abgesonderte Ecke mit dem spiegelnden Hintergrund ausgesucht, in der keiner mithören konnte, wenn wir uns nicht zu laut unterhielten. Meine Anspannung legte sich wieder und vorsichtig ging ich auf das Thema ihres Intimlebens ein. »Wenn die Frage Okay ist, dann würde ich diese gerne gestellt haben.«

»Zwischen uns läuft nichts. So ist es zwischen einer Herrin und ihrem Sklaven. Zumindest in unserem Fall. Ich könnte sogar einen fremden Mann mit nach Hause nehmen und mit ihm das machen … was, kannst es dir sicher denken. Mein Sklave würde sich zurückziehen und es nicht wagen, uns zu stören.«

Es knisterte, als wäre unsere Sitzecke elektrisch aufgeladen. Sicher war es nur meine psychische Anspannung, die mir etwas vorgaukelte, was nicht vorhanden war. Ich nippte an meinem Milchkaffee. Das war nicht normal. Absolut nicht. Ein Mensch, der ohne irgendwelche emotionalen Gefühle etwas ertragen konnte, was mich in rasende Eifersucht getrieben hätte!

»Das würde ihn nicht stören?«

»So wäre es. Aber bisher hatte ich Hemmungen, einen zu mir nach Hause mitzunehmen. Obwohl mein Sklave absolut nichts dagegen hätte. Unser Verhältnis ist ein spezielles und ich habe einige Zeit benötigt, bis ich es wirklich verstanden hatte. Einmal hatte ich ihm angeboten, eine Gesellin mitzubringen: eine Sklavin, die ihm in meinem Haushalt Gesellschaft leisten würde. Nur dieses eine Mal wurde er eifersüchtig. Er wollte nicht, dass ich jemand anderen in meine Dienste nehmen würde. Eine ganze Woche saß er in seinem Körbchen und weinte. Erst als ich ihm versichert habe, dass er auf immer und ewig mein einziger Sklave sein würde, kam er wieder heraus.«

»Sein Körbchen? Hat er nicht ein eigenes Zimmer?«

»Nein. Das will er nicht. Er ist in seiner Vorstellung so etwas wie ein Hund. Ein Haustier, das sich am wohlsten fühlt, wenn es in seiner Ecke hockt und jederzeit Befehle entgegennehmen kann.«

»Das muss ich erst verarbeiten.« Ich atmete tief durch und versuchte das merkwürdige Verhältnis der beiden zu begreifen. Das war zu arg. Ein Kulturschock. So etwas Bizarres hatte ich noch nie erlebt.

»Ich hatte auch einige Zeit gebraucht, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Erst nach und nach waren meine Bedenken, dass seine Persönlichkeit Schaden nehmen könnte, verflogen. Sowie die Befürchtung, dass ich ihn ausnutzen und seiner Freiheit berauben würde, dass ich zu viel von ihm fordern könnte. Jetzt bin ich zufrieden, wie es läuft. Er ist vollkommen glücklich in seiner Situation, das kann ich dir versichern.«

Die meisten Fragen, die ich zu dem seltsamen Verhältnis der Beiden hatte, waren mittlerweile beantwortet. Begriffen hatte ich es dennoch nicht. Aus ihren Äußerungen schloss ich, dass sie genauso wenig wie ich verstehen konnte, was ihren seltsamen Mitbewohner zu diesem absurden Dasein trieb. Sie hatte sich offensichtlich daran gewöhnt. Und schien es zu genießen.

»Warum ist er nackt?«, wollte ich zum Schluss noch wissen.

»Darüber haben wir nie richtig gesprochen. Er hat niemals mehr ein Kleidungsstück angerührt, seit er sich mir unterworfen und in einer Art Zeremonie seine Klamotten abgelegt hat. Ich bin mir nicht sicher und schwanke zwischen zwei Theorien. Die erste wäre: ein Sklave darf niemals Eigentum besitzen, dazu gehören auch Anziehsachen. Meine zweite Idee ist, dass es seiner wahren Natur entgegensteht, Kleidung zu tragen. Er hat etwas von der Seele eines zahmen Tieres. Ein Schoßhündchen trägt ja auch nicht mehr am Leib als seine Körperbehaarung.«

Im Unterschied zu ihm besitzt ein Hund aber ein Fell, dachte ich, musste mir jedoch eingestehen, dass es bei einem Rüden genauso wenig die Blöße bedeckte.

Als wir das Eiscafé verlassen hatten und durch die Stadt streiften, musterte ich die Menschen um uns und fragte mich, wie viele von ihnen vielleicht ein ähnliches, aber noch nicht entdecktes Bedürfnis hatten. Männer, die einen verborgenen Sklaven in sich trugen, von dem sie bisher noch nichts wussten. Wie viele der Frauen, die in der Einkaufsmeile unterwegs waren, hatten solch einen Diener zuhause? Man sah es ihnen ja nicht an. Möglicherweise waren es viele. Vielleicht war ich sogar eine der letzten Frauen, die noch keinen eigenen Sklaven besaß.

Am Marktplatz verabschiedeten wir uns. Sie bestieg ihre Bahn in Richtung Weststadt, während ich mich auf den Weg zu meiner Wohnung im Süden machte.

Es war auch nicht so, dass mir das Thema völlig fremd gewesen wäre. In Talkshows wurde es regelmäßig angesprochen, dieses bizarre Spiel zwischen Domina und devoten Männern, die viel Geld dafür bezahlten, um sich am Feierabend den Hintern von einer Frau versohlen zu lassen. Solche Behandlungen finden vor allem in der gutsituierten Gesellschaft statt. Dieses Verlangen, sich demütigen zu lassen, scheint besonders häufig bei Topmanagern verbreitet zu sein. Bei erfolgreichen Menschen, die mächtige Unternehmen führen und die Vorstandschefs von Autokonzernen, Großbanken, Versicherungen und Bauunternehmen sind. Sado-Masochismus ist zu einem wichtigen Wirtschaftszweig geworden. Es ist auch nicht wirklich ein schmutziges Geschäft, wenn man als Domina arbeitet, es unterscheidet sich nur gering von der Profession eines Psychologen, dessen Aufgabe es ist, gewisse Unstimmigkeiten im Kopf der Klienten wieder auf die rechte Bahn zu bringen. Manager, die ihre Mitarbeiter wie Schweine behandeln und sich zum Ausgleich demütigen lassen, um das psychische Gleichgewicht wiederherzustellen. Das Spiel von Dominanz und Demütigung wurde in der Literatur häufig aufgegriffen, auch in der umgekehrten Rolle: eine biedere Hausfrau, die sich von einem dominanten Mann verführen lässt und ihre verborgene Leidenschaft für Fesselspielchen entdeckt.

Aber was schweife ich ab – das ist alles nur Kindergarten. Das Verhältnis von Jana und ihrem Hausdiener war kein Spiel. Es war die Realität. Ihr Mitbewohner war vollends in seiner Rolle aufgegangen und zu einem Sklaven mit Leib und Seele geworden, der kein anderes Leben mehr führte.

Heute fand die große Party anlässlich des 20-jährigen Bestehens unseres Gothic-Clubs statt. Wie erwartet, erschien auch Jana in ihrem schwarzen Engelskostüm. Wir beide waren treue Stammgäste des Szeneschuppens und trafen uns jeden Freitag in diesem Gewölbekeller. Alle hatten sich heute besonders in Schale geworfen: Goth-Queens in hohen Lederstiefeln und eng sitzender Korsage, manche trugen sogar besonders gewagte Negligees und Strapse. Männliche Gäste kamen in Lack- und Lederkluft, mehr als sonst waren sie mit schwarzen Kilts bekleidet. In den Gesichtern der Besucher war nicht an Schminke gespart worden: viele waren totenblass mit roten Blutrinnsalen, die über ihre Stirn liefen, oder sie waren Vampire mit spitzen Zähnen, denen Blut aus den Mundwinkeln triefte. Manche trugen Kontaktlinsen, die aussahen wie Katzen- oder Reptilienaugen, oder hatten so weiße Linsen, dass man ihnen kaum in die Augen sehen konnte, ohne ein mulmiges Gefühl zu bekommen.

Ich stand gerade mit meiner Freundin an der Theke und wir hielten Sektgläser in der Hand, als zwei Frauen in einem typischen Gothic-Dress hereinkamen. Nichts Ungewöhnliches, außer dass die erste, die eintrat, ihre Begleiterin an einer Hundeleine hinterherzog.

»Du hättest deinen Sklaven auch mitbringen können«, flüsterte ich zu Jana und musste grinsen.

»Nein!« Sie schüttelte resolut den Kopf. »Das ist mir zu privat. Es gibt außerdem das Problem, dass ich ihn in Kleidung hineinzwängen müsste. Was er nicht ertragen würde. Selbst hier hätten einige Leute sicher etwas dagegen, wenn er nackt herumliefe.«

Ich nickte. Schade. Wirklich auffallen würde es in diesem Schuppen nicht. Bis auf das Fehlen des Outfits.

Schwarze Gummibärchen und schwarze Kartoffelchips waren als Knabberei bereitgestellt, zum Trinken gab es Schwarzbier oder schwarzen Sekt – Schaumwein gemischt mit Johannisbeersaft. Fledermäuse und Spinnen tanzten im Rhythmus der Bässe an der Decke, eine schwarze Hexe schwebte mit rot blinkenden Augen über uns und dunkle Spinnweben waren zwischen allem gespannt, passend zum Stil der ›Schwarzen Nacht‹.

Zwischendurch wurde die Tanzfläche eine halbe Stunde geräumt und es fanden Fesselspiele statt. Besucher ketteten sich gegenseitig an oder ließen sich an Armen und Beinen fesseln. Abseits in den dunklen Kammern der großen Halle wurde für Besucher, die auf Schmerzen standen, PainBall veranstaltet. Man konnte zuschauen oder selbst daran teil nehmen.

Mit Jana spazierte ich durch die Nebenräume und wir schauten uns alles an. Im ersten Raum ließ eine Schwarze Domina ihre Peitsche auf einen Mann sausen, der nur mit einem schwarzem String-Tanga bekleidet war. Im nächsten sahen wir Graf Dracula und seine drei Gespielinnen einen bizarren erotischen Tanz aufführen. Im dritten Raum verbissen sich zwei Grazien in einen langhaarigen Highlander und träufelten Kerzenwachs auf seine Brust. Danach kam die Folterkammer, in der ein Käfig von der Größe eines Quadratmeter-Würfels an der Decke hing: ein halbnackter Mann verrenkte sich darin und gab gequälte Laute von sich. Auf der Streckbank lag ein weiteres Opfer, während eine Goth-Queen einen Mechanismus betätigte, der ihn scheinbar in die Länge zog. Mitten im Raum befand sich ein großes Holzrad, an dem ein Schwarzromantiker angekettet war und sich vertikal drehte. Im Hintergrund wurden Peitschenhiebe auf Hände und Köpfe verteilt, die aus einem Pranger herauslugten. Gellende Schreie hallten durch die düstere und nur von einer einzelnen Kerze beleuchteten Kammer.

Nachdem wir aus dem letzten Raum herausgetreten waren, musste ich laut gähnen. Alles war irgendwie unecht, nur Show. Vielleicht war ich auch zu müde. Ich gähnte nochmals.

»Mich reißt das auch nicht mehr so richtig«, kommentierte Jana. »Wie wär's, du kommst in den nächsten Tagen nochmal zu mir? Ich habe etwas Besonderes vor. Ich melde mich gleich morgen bei dir.«

Mein Sklave

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