Читать книгу Herzen der Nacht - Jill Korbman - Страница 3
Kapitel 1: Colin
Оглавление„Und du bist dir sicher, dass sie es ist?“ Die junge Frau stieg gerade aus ihrem Wagen. Sie hatte langes, blondes Haar und war wirklich hübsch, soweit ich das aus dieser Entfernung beurteilen konnte.
Ich runzelte zweifelnd die Stirn. „Nein, ganz im Gegenteil. Sie macht einen viel zu netten Eindruck. Und sie sieht irgendwie ziemlich harmlos aus. Die Auserwählte habe ich mir definitiv anders vorgestellt.“
„Das mag ja sein, vielleicht ist das aber auch alles nur Fassade. Auf alle Fälle müssen wir sie ganz genau unter die Lupe nehmen.“ Mein Cousin Drake saß an seinem Schreibtisch aus dunklem Teakholz und ließ sich zum wiederholten Mal an diesem Tag eine Blutkonserve schmecken.
„Sag mal, du kannst doch unmöglich schon wieder Hunger haben?“, fragte ich mit ungläubigem Staunen in der Stimme. „Die wievielte Portion ist das denn schon für heute?“
„Das geht dich gar nichts an, Colin“, blaffte er zurück, „du kannst überhaupt froh sein, dass ich meine Nahrung in dieser Form aufnehme… oder wäre es dir lieber, wenn ich mich an einem der saftigen Menschen da unten laben würde?“ Sein Lachen klang schaurig, selbst für die Ohren eines Vampirs.
Ich richtete mich auf und fletschte die Zähne. Plötzlich verspürte ich einen starken Drang, mich auf ihn zu stürzen und ihm sein süffisantes Lächeln aus dem Gesicht zu prügeln. Aber das war wahrscheinlich genau das, was er wollte. Er liebte es, jeden in seiner Nähe bis aufs Blut zu provozieren, insbesondere mich. Natürlich wusste er genau, dass die Menschen für uns tabu waren, und dennoch machte er immer diese geschmacklosen Scherze, von welchen man nie wusste, ob sie ernstgemeint waren oder nicht.
„Hört auf zu streiten.“ Mein Cousin Marcus hielt mich zurück. Er und Drake waren Brüder, die Ähnlichkeiten zwischen den beiden beschränkten sich jedoch nur auf das Äußerliche. Während Drake ein impulsiver, aufbrausender Typ war, verfügte Marcus eher über ein ruhiges und besonnenes Gemüt.
„Drake, du weißt genau, dass wir die Menschen brauchen, da sie unsere wichtigste Geldeinnahmequelle sind. Außerdem wurden wir vom Rat dazu bestimmt, die Menschen zu beschützen, für alle Zeiten. Also hör‘ gefälligst mit den dummen Sprüchen auf und halt‘ dich zurück! Wir haben doch jetzt ganz andere Probleme. Bei uns allen liegen die Nerven im Moment blank.“
„Reg‘ dich nicht so auf. War doch nur Spaß. Hiermit schwöre ich feierlich, dass ich niemals wieder einen Menschen beißen werde!“ Er lachte. „Na, zufrieden?“
Marcus verdrehte genervt die Augen, gab seinem Bruder jedoch keine Antwort. Stattdessen wandte er sich mir zu. „Und jetzt zu dir, Colin. Von deiner dauerhaft schlechten Laune werden ja die Blutkonserven sauer. Du solltest dringend etwas dagegen unternehmen! Langsam wird es unerträglich.“
Da konnte ich Marcus tatsächlich nicht widersprechen. Meine Laune war schon eine ganze Weile im Keller, und das lag nicht nur an den Werwölfen, die plötzlich wieder in den Wäldern rund um Greyborough Castele aufgetaucht waren und das Schloss belagerten. Es lag auch nicht an Drake oder der monatelangen Suche nach der Auserwählten, die offenbar noch immer nicht abgeschlossen war.
Nein, ich hatte es ganz einfach satt, ein Vampir zu sein. Andere meiner Art kamen offenbar besser mit ihrem Schicksal klar, ich aber nicht. Ich hasste es, Blut von anderen Lebewesen trinken zu müssen und deshalb kein normales Leben führen zu können. Und ich beneidete die Menschen. Sie ahnten nichts von der Gefahr, in welcher sie sich Tag für Tag befanden, und Werwölfe kannten sie allerhöchstens aus Filmen und Romanen. Sie wussten gar nicht, wie gut sie es hatten.
„Anstatt euch zu streiten, solltet ihr uns lieber mitteilen, wie wir weiter vorgehen sollen“, fuhr Marcus fort. „Deine Meinung, Colin?“
Ich ging erneut zum Fenster und blickte hinaus. Die Menschenfrau befand sich noch immer auf dem Parkplatz und machte gerade Bilder vom Schloss.
„Ich denke nicht, dass sie es ist“, erwiderte ich resigniert, „wir sollten unsere Suche an anderer Stelle fortsetzen. Es bleibt uns zwar nicht mehr viel Zeit, aber vielleicht haben wir ja Glück und finden die echte Auserwählte.“
„Aber sie ist Bibliothekarin, und sie ist im Besitz des Medaillons“, gab Mirja zu bedenken, „sie muss es einfach sein. Alles andere ergibt keinen Sinn.“ Die attraktive Rothaarige war Drakes Ehefrau, was ich bis heute noch nicht verstand. Ich konnte mir einfach nicht erklären, warum sie ausgerechnet diesen mürrischen Nörgler zum Gefährten genommen hatte. Meiner Meinung nach passten die beiden überhaupt nicht zusammen, aber vielleicht war das ja gerade das Geheimnis ihrer Beziehung.
Ich zuckte mit den Achseln. „Es kann Zufall sein, Mirja. Vielleicht hat sie den Anhänger ja auch gefunden oder gekauft.“
Ich schob den Vorhang zur Seite und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Das grelle Sonnenlicht verursachte mir Kopfschmerzen. Die blonde Frau telefonierte gerade mit ihrem Mobiltelefon. Sie gestikulierte wild in der Luft und ich stellte fest, dass ihr Lächeln wirklich bezaubernd war. Für einen Menschen hatte sie eine ganz besondere Ausstrahlung, das konnte ich selbst aus der Entfernung erkennen.
Auf einmal verspürte ich den starken Wunsch, sie kennenzulernen. Dieses Mädchen war irgendwie anders, das sagte mir mein Gefühl. Sie war interessant. Verwirrt zog ich eine Augenbraue nach oben. Ich war erstaunt über mich selbst, denn ich hatte schon lange kein Interesse mehr daran gehabt, jemanden kennenzulernen. Vielleicht war das ja ein gutes Zeichen.
Die junge Frau legte auf und kam direkt auf das Schloss zu.
„Es geht los“, rief Marcus und klatschte in die Hände. „Mirja – bitte geh gleich hinunter und nimm sie in Empfang.“ Sie nickte und machte sich auf den Weg.
„Drake, Colin - einer von euch beiden sollte ebenfalls nach unten gehen.“ Marcus sah erst Drake an, dann mich. „Mirja kennt sie bereits, aber euch hat sie vorher noch nie gesehen. Ihr könntet sie unauffällig aushorchen. Also – wer meldet sich freiwillig? Oder soll ich…?“
Da musste ich nicht lange überlegen. „Ich mache es.“
Ich konnte hören, wie Drake lautstark die Luft einsog. „Ausgerechnet du?“ fragte er und grinste hämisch dabei. „Denkst du wirklich, dass du die richtige Person für diesen Job bist? Ich meine ja nur…Nicht, dass du die Auserwählte gleich umbringst, so gereizt wie du heute bist.“
„Drake! Was hatten wir vorhin gesagt?“ Marcus drängte sich erneut zwischen uns, doch anstatt auf Drakes Stichelei einzugehen, drehte ich mich wortlos um und verließ den Raum.