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2 – Jäger der Nacht

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»Achtung!« schrie ich so laut ich konnte, als ich abrupt aus meinem heiteren Freudentaumel gerissen wurde.

Denn in den vielfältigen Echos, die meinen Geist erfüllten, hatte sich jäh ein großer, dunkler Schatten abgezeichnet, der mit extrem hoher Geschwindigkeit auf mich zugeschossen kam. Sofort warf ich mich herum und sauste davon.

Im nächsten Moment konnte ich ein enttäuschtes Krächzen vernehmen. Hoffentlich zeigte es mir, dass die drei Schwestern augenblicklich auf meine Warnung reagiert hatten und ihnen auch die Flucht in letzter Sekunde gelungen war. Nachprüfen konnte ich es nicht, denn ich hatte genug mit mir selbst zu tun.

So wie es aussah hatte mein wildes, ungestümes Treiben einen Jäger der Nacht auf uns aufmerksam gemacht. Damit war aus meinem unbekümmerten Spiel innerhalb von einer Sekunde blutiger, wahrscheinlich tödlicher Ernst geworden.

Und es war noch nicht vorbei.

Wie sich zeigte, hatte ich mich mal wieder zu früh gefreut. Denn der Angreifer hatte sich an meine Fersen geheftet und jagte nun hinter mir her. Er hatte mich eindeutig als Beute auserkoren. Doch dem wollte ich auf keinen Fall Rechnung tragen.

So jagte ich mit hektischen Flügelschlägen in die Finsternis davon. Dabei verlor ich natürlich sofort meine Begleiterinnen aus den Augen. Der Jäger hielt mich so sehr in Atem, dass ich nicht den Bruchteil einer Sekunde dafür verschwenden konnte, mich nach ihnen umzusehen.

Außerdem hatte ich mich in der kurzen Zeit ohne Frage schon viel zu weit von ihnen entfernt. Das Einzige, das mich neuen Mut schöpfen ließ, war, dass ich sie durch diese Tatsache in Sicherheit wusste. Solange der Jäger hinter mir her war, konnte er ihnen nichts antun.

So lieferte ich dem Angreifer eine Verfolgungsjagd, die sich sehen lassen konnte. Denn nun bewährten sich meine zuvor so ausgiebig geübten Flugmanöver. In dem ich alle meine erst vor wenigen Minuten gesammelten Erfahrungen einbrachte, Loopings vollführte, abrupte Sturzflüge einlegte und unerwartete Haken schlug, konnte ich ihn mir doch ziemlich effektiv vom Leib halten.

Seine Angriffe gingen zum Glück letztendlich immer wieder ins Leere, auch wenn es manchmal äußerst knapp war und ich seinen Luftzug in meinem Rücken spüren konnte.

Doch all meine Mühe half nichts. Alles, was ich versuchte, war vergebens. Ich konnte den verdammten Plagegeist einfach nicht abschütteln. Hartnäckig klebte er an meinem Hintern.

Was mir allerdings Sorgen bereitete, war, dass ich diese Jagd nicht mehr lange durchhalten würde. Das schmerzhafte Ziehen in meinen Schultern wurde immer schlimmer und raubte mir zusehends meine Eleganz, mit der ich durch die Nacht sauste.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis meine Kräfte erlahmen und ich in den Fängen des Jägers landen würde. Ich musste mir daher schnellstens was einfallen lassen, wie ich ihn los werden konnte.

Okay, da es auf die klassische Art nicht funktionierte, musste ich wohl oder übel etwas tiefer in die Trickkiste greifen. Mal sehen, wie es für ihn sein würde, wenn ich mich in einen dichten Busch stürzte.

Ich hegte die schwache Hoffnung, dass es ihm weitaus größere Schwierigkeiten bereiten würde, mich da drinnen zu verfolgen. Alleine seine Größe dürfte hinderlich sein. Vielleicht würde er mich dann in Ruhe lassen und das Weite suchen.

Na gut, dann war es wohl an der Zeit, Plan B in Angriff zu nehmen.

Abermals legte ich die ledernen Schwingen an, ließ ich mich tiefer fallen und scannte mit meinem eingebauten Radar hoffnungsvoll das Gebiet unter mir. Und mir war in der Tat mal das Glück hold.

Nicht weit entfernt von mir entdeckte ich eine kompakte, ausgedehnte Buschgruppe, die geradezu ideal für die Umsetzung meines Vorhabens war. In wenigen Sekunden könnte ich mich darin verkriechen.

Weiterhin wie ein Feldhase Haken schlagend sauste ich darauf zu, dicht auf verfolgt von dem hartnäckigen Nachtvogel, der mich einfach nicht in Ruhe lassen wollte. Bald würde ich ihm zeigen, was er davon hatte.

Mit einem triumphierenden Zirpen tauchte ich in den Irrgarten der eng verzweigten Äste des Dickichts ein, wobei ich selbst höllisch aufpassen musste, um nicht an ihnen hängen zu bleiben.

Immer tiefer stieß ich in das Wirrwarr hinab und zischte knapp an einem knorrigen, verdrehten Stamm vorbei. Da kam mir eine Idee. Blitzschnell wechselte ich die Richtung und schoss daran entlang etwas in die Höhe, um mich dann mit meinen Beinchen an ihm festzukrallen.

Ein gequältes Stöhnen entrang sich meiner Kehle, als mein Bauch gegen die rissige Rinde prallte. Durch dieses Manöver riss ich mir fast selbst die Gliedmaßen aus. Schnell umschlang ich mit den Schwingen den Strunk und verharrte regungslos.

Ich kam nicht einmal dazu, erleichtert Atem zu schöpfen, als es über mir auch schon ohrenbetäubend krachte. Mein Verfolger versuchte direkt über mir in die Sträucher einzudringen.

Da ich nichts riskieren wollte, wagte ich noch nicht einmal, mich mit meinem Ultraschall umzusehen. So konnte ich mich nur auf mein natürliches Gehör verlassen und hoffen, dass es ihm nicht gelang, sich durch die dicht beieinander stehen Zweige zu mir vorzukämpfen.

Wie mir das unaufhörliche Knacken kleiner Äste zeigte, gab der Jäger der Nacht nicht so leicht auf. Unermüdlich gab er sein Bestes, um seiner Beute habhaft zu werden. Ängstlich klammerte ich mich noch enger an den Stamm und versuchte sogar den Atem anzuhalten. Hoffentlich war ihm bei seinen Versuchen kein Erfolg beschieden.

Übergangslos wurde es mit einem Mal so still wie in einem dunklen Grab. Nicht das leiseste Geräusch konnte ich mit meinen Ohren mehr auffangen.

Was war den jetzt wieder los?

Hatte mein Verfolger etwa aufgegeben?

Mit pochendem Herzen lauschte ich mit angehaltenem Atem in die Nacht hinaus. Nichts regte sich mehr über mir. Hoffentlich war die Stille ein gutes Zeichen. Doch dem war nicht so.

Nur Sekunden später brach nicht weit von mir entfernt ein Ast mit einem lauten Knall. Vor Schreck hätte ich fast losgelassen und wäre in die Tiefe gestürzt. Im letzten Moment gelang es mir, mich zu halten.

Erst danach erkannte ich, dass sich die Geräusche jetzt rasch von mir entfernten. Trotz meiner Erleichterung hielt ich weiter still, bis ich ein enttäuschtes Krächzen hörte, mit dem der Raubvogel seine Kapitulation signalisierte.

Puuuh!, schoss es mir befreit durch den Kopf.

Das war knapp gewesen.

Trotzdem wagte es ich noch nicht, mein Versteck zu verlassen und sofort aufzubrechen. Zwar drängte es mich danach, nach meinen Begleiterinnen zu suchen, doch ich traute dem Ganzen nicht so richtig. Schwach glaubte ich mich daran zu erinnern, irgendwo gelesen zu haben, dass sich diese Raubvögel meistens noch für eine Weile gerne in der Nähe ihrer Opfer auf die Lauer legten und auf eine Regung von diesem warteten, um erneut zuzuschlagen.

Ich hatte absolut nicht die Absicht, mich nochmals in Gefahr zu begeben und eine solche Jagd durchzustehen. Das könnte ich nicht noch einmal durchstehen – und um ehrlich zu sein, mir war auch die Lust darauf vergangen. Daher beschloss ich, noch einige Minuten am Stamm zu verharren, mich etwas von der Hatz zu erholen und erst dann den Versuch zu wagen, den Schutz der Sträucher zu verlassen.

Doch mit der Zeit wurde ich immer unruhiger, da ich unbedingt wissen wollte, wie es Nathalie und ihren Schwestern ergangen war. Zudem würde es immer schwieriger werden, sie zu finden, je länger ich wartete.

Gerade als ich mich dazu entschloss, das Wagnis einzugehen, erfasste mich ein unheimliches Gefühl, das mich weiterhin am Stamm verweilen ließ. Irgendetwas mit einer extrem bedrohlichen Ausstrahlung war soeben in die Buschgruppe eingedrungen und schlich darin umher.

Verdammt! Kaum war ich den einen Jäger los, folgte ihm der Nächste auf dem Fuße. Das Empfinden einer tödlichen Gefahr wurde so intensiv, dass es mir fast die Luft abschnürte und mein kleines Herz schmerzhaft verkrampfen ließ.

Der Nachtjäger konnte es definitiv nicht mehr sein, denn bei ihm hatte ich keine derartige Empathie verspürt. Somit musste sich etwas Neues an meine Fersen geheftet haben.

Könnten es vielleicht Kampfgeister sein?

Doch das konnte ich nach kurzer Überlegung ausschließen.

Nur, was konnte es sonst sein?

Kein Gedankenblitz erhellte meinen angsterfüllten Geist. Daher musste ich notgedrungen warten, bis sich der neue Gegner irgendwo zeigte.

Um jeder möglichen Gefahr von vornherein aus dem Weg zu gehen, blieb mir nichts anderes übrig, als weiter regungslos auszuharren. Instinktiv drückte ich mich noch enger an die raue Rinde und wagte noch nicht einmal mehr, den kleinen Zeh zu bewegen. So konnte ich nur mit meinen empfindlichen Ohren in die Schwärze lauschen und hoffen, dass ich mit heiler Haut davon kam.

Zudem hoffte ich inständig, dass es nicht zu einem Kampf kam, da ich mich von der langen Jagd noch ziemlich ausgepowert fühlte. Dennoch versuchte ich, mich auch auf diese Eventualität vorzubereiten, indem ich bemüht war, meine Wut anzufachen, sie in meinem Bauch zu sammeln und mir den Spruch immer wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Dann war es soweit.

Das unheimliche Wesen kam stetig näher. Das bedrohliche Gefühl steigerte sich immer mehr und drohte mich zu lähmen.

Was oder wer verbreitete solch eine verstörende Aura?

Bis jetzt war ich noch keiner derartigen Ausstrahlung begegnet. Daran hätte ich mich erinnert. Vielleicht habe ich sie aber auch nur nicht wahrgenommen.

Egal, das hatte Zeit bis später, denn in diesem Moment erhaschte ich eine flüchtige Bewegung unter mir. Ein großer, länglicher Schatten schob sich dicht am Boden hinter dem Stamm auf die freie Fläche vor und erstarrte.

Was es genau war, konnte ich jedoch beim besten Willen nicht ausmachen. Dafür war es einfach zu dunkel und mit meinem Sehvermögen stand es auch nicht zum Besten. Da hätte ich schon einen Laut von mir geben müssen, um dieses wettzumachen.

Jetzt aber kam es darauf an, ob mich die Kreatur entdeckte und ich mich zum Kampf stellen musste oder nicht. Angespannt verfolgte ich, wie der längliche Schatten unter mir langsam vorbei glitt und war bestrebt, weiterhin in der kohlrabenschwarzen Finsternis etwas zu erkennen. Es wäre schon gut gewesen zu wissen, mit was ich es zu tun bekommen könnte.

Es wurde eine kaum auszuhaltende Geduldsprobe. Im Schneckentempo, als hätte sie alle Zeit der Welt, schob sich die Gestalt durch die Schwärze. Die ganze Zeit über zwang ich mich dazu, reglos abzuwarten, wobei mir mein ruheloses Gehirn die wildesten Fantasien vorgaukelte.

Mein Herz pochte so laut in meinen Ohren, dass ich glaubte, es müsse in einem weiten Umkreis zu hören sein. Zum Glück war das nur Einbildung, denn der Jäger zeigte mit keiner Regung, dass er etwas bemerkt hatte. Noch immer konnte ich mir keinen Reim auf den verschwommenen Schatten machen. Da hätte ich schon viel näher dran sein müssen.

Es schienen Ewigkeiten zu vergehen, bis er mein Versteck komplett passiert hatte und mit dem dichten Gewirr des Nachbarbusches verschmolz. Da erst erlaubte ich mir, leise Hoffnung zu schöpfen. Das intensive Gefühl der Bedrohung in meinem Bauch ließ mit jeder Sekunde nach, die verstrich.

Daher beschloss ich, noch ein paar Minuten länger zu verweilen, ehe ich mich auf die Suche nach Nathalie und ihren Schwestern machte. Die fragten sich bestimmt schon, wo ich steckte oder ob mich der Raubvogel doch noch erwischt hatte.

Ich hoffte nur, dass sie sich irgendwo in der Nähe aufhielten. Ansonsten hatte ich verdammt schlechte Karten, sie zu finden, zumal ich ja auch keine Ahnung davon hatte, wo ihr Ziel lag.

Nachdem nach meinem Gefühl genügend Zeit verstrichen war und ich lange genug Toter Mann gespielt hatte, machte ich mich bereit, mein Versteck zu verlassen. Das dachte ich wenigstens.

Denn kaum hatte ich den Halt meiner Schwingen etwas gelockert, da schlug das bedrohliche Gefühl mit einer solchen Wucht über mir zusammen, dass ich erschrocken zusammenzuckte und fast den Halt verloren hätte. Panik machte sich in mir breit, als ich den heran rasenden Schatten bemerkte, der unter den Büschen hervor schoss.

Unwillkürlich stieß ich einen spitzen Laut aus und die Echos enthüllten eine riesige, kräftige Echse, die mit mächtigen Sprüngen näher kam und zu einem gewaltigen Satz ansetzte. Im letzten Moment gelang es mir, die lähmende Starre abzuschütteln, die mich erfasst hatte und mich mit einem befreienden Schrei auf sie zu stürzen.

»Abrakadabra! Simsalabim! Dreimal schwarzer Kater – und alles ist hin!«

Sofort wurde die Echse von dem Energieschleier umhüllt. Grell loderte eine Feuerlohe auf, die mir sogar leicht das Fell versengte, als ich daran vorbei sauste. Dann ertönte ein gewaltiges Donnern hinter mir. Blattfetzen und kleine Bruchstücke von Zweigen regneten auf mich herab, als die Explosion die Sträucher um mich herum zerfetzte.

Nur mit größter Mühe konnte ich verhindern, dass ich von den größeren Brocken getroffen und zu Boden geschleudert wurde. Mit solch einem Ergebnis hatte ich nicht gerechnet. Aber ich hatte erreicht, was ich wollte.

Denn das Wesen in Echsengestalt konnte sich nicht weiter mit mir beschäftigen. Es hatte genug mit sich selbst zu tun. Kreischend jagte es durch das Unterholz davon und hinterließ eine feurige Spur.

Erleichtert flatterte ich jubelnd um den Explosionsherd herum und stieß immer wieder freudige Schreie des Triumphs aus. Ich hatte es unleugbar geschafft – entgegen aller Erwartung.

Dank meiner spontanen Aktion war es mir gelungen, meinen Verfolger, wer immer es auch gewesen war, in die Flucht zu schlagen. Andererseits hatte es auch zur Folge, dass immer mehr vom Gebüsch in Flammen aufging. Knisternd und fauchend griff das Feuer immer weiter um sich und zwang mich schließlich dazu, das Weite zu suchen.

Doch das kümmerte mich diesem Augenblick wenig. Alles was für mich zählte, was, dass mich mein Gegner nicht weiter behelligen und ich wieder meiner Wege ziehen konnte. So zog ich mich hastig von dem prasselnden Brand zurück, verließ schnellstens die Buschgruppe, die mir Schutz geboten hatte, und strebte in die kühle Nachtluft hinaus. Die Suche nach meinen Begleiterinnen hatte ab sofort höchste Priorität.

Als ich eine ausreichende Höhe erreicht hatte, offenbarte sich mir das ganze Ausmaß meiner gelungenen Attacke. Ein großer Bereich im Zentrum des ausgedehnten Dickichts stand lichterloh in Flammen. Fassungslos starrte ich in die Tiefe und konnte nicht begreifen, welche Zerstörung mein behelfsmäßiger Spruch angerichtet hatte.

Während ich noch zögerlich einige Runden über dem Brandherd zog, griff die Feuersbrunst immer weiter um sich und verschlang einen Busch nach dem anderen. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würde das gesamte Gebiet in Flammen stehen.

Die ansteigende Hitze zwang mich schließlich dazu, mich allmählich weiter von der Katastrophe zu entfernen, die ich verursacht hatte. Mit einem schlechten Gefühl im Magen kehrte ich dem Flammenmeer den Rücken zu. Ich hätte ja doch nichts gegen die Vernichtung der Sträucher tun können.

Obwohl der Brand hinter mir immer stärker die Nacht erhellte, hatte ich nicht die geringste Ahnung, wo ich mich befand. Keine Landmarke half mir dabei, dies herauszufinden. Und je weiter ich mich davon entfernte, desto mehr ging mir auf, dass ich jetzt ganz andere Probleme zu lösen hatte. Durch die wilde Verfolgungsjagd hatte ich völlig die Orientierung verloren.

Wie sollte ich da nur Nathalie, Neve und Nell finden?

Die drei konnten überall und nirgends sein.

Unsicher flatterte ich in der Dunkelheit aufgeregt hin und her, stieß unablässig Ultraschallschreie in alle Richtungen aus, um so vielleicht doch noch eine Spur von ihnen zu entdecken. Doch mir war kein Erfolg beschieden, so oft ich es auch versuchte. Die Reichweite meiner Rufe war anscheinend nicht sehr groß. Langsam aber sicher stellte sich totale Ratlosigkeit bei mir ein.

Was sollte ich jetzt nur tun?

Ich konnte unmöglich die ganze restliche Nacht hier herum fliegen, in der Hoffnung, dass ich sie oder sie mich durch einen Zufall fanden. Zudem brauchte ich durch die Jagd und allem anderen dringend einen Platz, wo ich mich erholen konnte. Lange würde ich die Strapazen nicht mehr durchhalten.

Zwar wusste ich, dass Fledermäuse auf der Suche nach Nahrung große Strecken zurücklegten und sich dabei auch irgendwie orientierten, um wieder in ihr heimatliches Quartier zurückzufinden. Doch meine Instinkte und meine Ausdauer versagten hier kläglich.

Als ich nach geraumer Zeit immer noch keinen Erfolg verbuchen konnte und meine Kräfte zusehends erlahmten, sah ich ein, dass ich mir wohl für den Rest der Nacht einen Unterschlupf suchen sollte.

Im morgendlichen Zwielicht hatte ich deutlich bessere Chancen, den Heimweg zu finden. Jetzt würde ich mich nur noch mehr verausgaben und irgendwann erschöpft zu Boden stürzen. Damit wäre niemandem geholfen. Es hatte schlichtweg keinen Sinn, so weiter zu machen.

Niedergeschlagen machte ich mich auf die Suche nach einem Baum, in den ich mich zurückziehen konnte, als ich mehrere grelle, blinkende Lichter links von mir bemerkte, die rasend schnell näher kamen. Neugierig flog ich näher, um zu sehen, um was es sich dabei handelte.

Wenig später erkannte ich mehrere Feuerwehrautos, die mit heulenden Sirenen auf das von mir verursachte Buschfeuer zurasten. Daraus schloss ich, dass sich unter mir eine Straße oder zumindest ein Feldweg befinden musste, der zu dem Ort führte, von dem diese kamen.

Sofort machte sich neue Hoffnung in mir breit und ließ überraschend neue Kräfte durch mich hindurch strömen. Es bestand die berechtigte Aussicht, dass ich eventuell so in Erfahrung bringen konnte, wo ich mich befand. Einem Heimflug am Morgen stünde somit nichts mehr im Weg.

Mit neuem Mut sank ich etwas tiefer, um dem Straßenverlauf besser folgen zu können – weg von dem hoch auflodernden Feuer hinter mir und einem unbekannten Ziel entgegen. Dennoch erfüllte mich jetzt wieder eine gewisse Zuversicht.

Ich war noch nicht weit gekommen, als ein nicht sehr heller Lichtschein zu meiner Rechten meine Neugier weckte. Kuppelförmig erhellte er schwach die Nacht. Nach kurzem Zögern ließ ich die Straße sofort hinter mir und steuerte darauf zu. Ich war der festen Überzeugung, dass dieser Lichtdom etwas zu bedeuten haben musste.

Je näher ich der unbekannten Lichtquelle kam, desto mehr schälte sich ein riesiges Gebäude aus der Dunkelheit. Bald konnte ich es mit meinem Ortungssinn nicht mehr in Gänze erfassen. Zu ausgedehnt und unübersichtlich war es in seinen Dimensionen.

Erst als ich die gewaltige, betonierte Fläche davor überflog, auf der massenhaft Autos in Reih und Glied dicht an dicht parkten, erkannte ich, dass es sich dabei um ein weitläufiges Einkaufszentrum handeln musste, das hier inmitten von Feldern und Wiesen einsam und verlassen thronte.

Soweit ich mich erinnern konnte, gab es in der weiteren Umgebung von meinem Wohnort nur einen einzigen solch gewaltigen Komplex. Daher war ich mir ziemlich sicher, dass es sich dabei nur um das MAGNUS handeln konnte, das im etwa 20 km entfernten Nachbarort vor ein paar Jahren eröffnet worden war.

Jetzt wusste ich wieder, wo ich war. Und sobald es hell wurde, könnte ich, nachdem ich mich etwas ausgeruht hatte, ohne weiteres zurückfliegen. Doch damit würde ich Nathalie im Stich lassen und die zarten Bande zwischen uns wären definitiv zerrissen, da war ich mir sicher.

Aber was sollte ich sonst tun, wenn ich sie nicht fand?

Auch schreckte mich der Gedanke ab, außerhalb von meiner Wohnung nackt aufgegriffen und eingesperrt zu werden, wenn ich nach Ablauf der Zeitspanne, die so eine Verwandlung andauerte, wieder meine menschliche Gestalt annahm. Erstens wäre das verdammt peinlich und zweites sehr verdächtig.

Wie sollte ich denn so etwas erklären?

Ach, immer diese verflixten Zwickmühlen.

Daher sagte ich mir, dass es keine schlechte Idee wäre, wenn ich in der Nähe bleiben würde, auch auf die geringe Chance hin, dass mich die drei Schwestern – oder ich sie – doch noch finden würden.

So zeigte ich ihnen wenigstens, dass es nicht an mir gelegen hatte und ich ihnen wirklich hatte helfen wollen. Es war schließlich nicht meine Schuld, dass ich sie mit den beschränkten Möglichkeiten einer Fledermaus nicht aufspüren konnte. Zudem waren sie wesentlich begabter beim Zaubern als ich und kannten sicherlich Mittel und Wege, mich aufzuspüren.

Also entschloss ich mich dazu, weiter auf den Konsumtempel zuzusteuern, um mir wenigstens dort einen Unterschlupf zu suchen. Daher flog ich weiter zielstrebig auf das riesige Gebäude zu, wobei ich natürlich weiterhin Ausschau nach meinen verschollenen Begleiterinnen hielt. Doch noch immer war es mir nicht vergönnt, den kleinsten Hinweis auf ihren Verbleib zu entdecken.

Allerdings hatte ich die Entfernung unterschätzt und geriet gefährlich an den Rand der totalen Erschöpfung. Es gelang mir nur noch mit eisernem Willen die ledernen Schwingen zu bewegen. Das würde morgen zweifellos einen ordentlichen Muskelkater geben. Aber die Aussicht auf einen Ruheplatz in den Bäumen auf dem Parkplatz oder im Komplex selbst, mobilisierte meine letzten Kraftreserven.

Sieben Schwestern - Wolfsbande

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