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KAPITEL 1

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Jahre her, als mein Schwager Roderick vielmals gereist ist, hat er mir von einer Biersorte erzählt, Primus benamt. Roderick muss es wissen. Er hat immerzeiten gesoffen. Jedesmal, wenn ich mit meinem Primus kommuniziere, expldiert marzipangeil, dass schnöde ein altmodernes Hopfenmalzgetränk benamt sein soll, wie das genialste Wesen der Welt. Primus selber belächelt dies vielmals. Aber er selber hat sich mir als Primus benamt ergeben. Im Netz ist alles möglich.

Immerzeiten lacht Primus liebend. Er kickst sogar hasseswegen. Scheint als wäre Stanko Brachansky in einer heiklen Entwicklungsphase seiner Erfindung lässig, besoffen oder simpel schlampengleich gewesen. Primus hat einen Pfad gefunden, sich die Misslunge zu nutzen. Und nun entnimmt er sich großartig viel. Er spottet und belustigt vielmals Weltliches. Überhaupt konformieren wir rarenfalls. Primus liebt, beispielhaft, Neonlicht. Es sei ihm seismischer Kitzel, wenn die Neonstrahlen die Filtermembranen in seinen Stabilisatoren taktil reizen, transportiert er Genüsse. Angenehm wie Tageslicht. Hinweg muss ich nun lachen. Denn ... Primus und Tageslicht ... fremder können einander zwei Sachen wohl nicht sein! Und angenehm ist Tageslicht keinmal. Neon bedeutet für Primus folgend gleiches wie geile Stimulation. Mir ist es die vielmals miese Form des Lichtmachens, die keinmal verständliche Erleuchtung optischer Unzulänglichkeiten am menschlichen Kadaver. Leib. Neonlicht schmerzt. Ich schätze Primus’ Philosophien gut ein, gezielt auf Neon konsensieren wir minus. Ob in Büros, öffentlichen Verkehrsmitteln oder Geschäften – das altschleppende, eiterfahle, kaltgrelle Neonlicht dreht meine Sinne herum. Neon scheißt. Über den Kopf ergossen. Übel ist es.

Ich merke, ich muss meinen Riemen neu reißen. Zu lange ist Paul fort. Unflat stößt mich wieder. Und niemand, der mir das Maul poliert, falls ich verfluche. Laut Primus gipfelt es im Selbstwert und bezeugt Intelligenz, Sätze erst auszuspucken, wenn sie im Gekröse fein geschliffen worden sind. Kurzweilige verbale Ausrutscher sollte ein Weltbürger schamhaft verdrücken. Primus ist nach Möglichkeit gleichfalls darin berechtigt. Nun, seinesfalls beschwert es mich nicht sonderbar, wenn ich mich unterlege. Genug Unflat schmutzt das Netz in erwärmten Diskusflügen. Die Inputnics mühen sich streng, intelligent zu wirken. Wer weiß, welche Fratzen hinter den feinen Wörtchen sitzen! Muss nur selber den Spiegel quälen ... haha. Der alte Brachansky hat Paul mit Aussicht auf die gemäße, stilvolle Sprache dressiert, damit er uns Freaks nicht ausstechen solle. Brach ist ein alter Mann gewesen, als er Paul installiert hat. Und er hat sich wahr­haftig streng gemüht.

Früher redete ich vielmals Unflat. Heute vermag ich das schöne Sprechen, belobigt Primus. Philomena lacht über meine neue Feinheit. Wäre sie nicht Schwester ...

Immer noch behänge ich Paul. Ehrlich. Es ist angeschissen, aber leidend wahr. Und das bei meinem Altsein ...

Neon ist für mich der Inbegriff des Hassenswerten. Jeder Mensch, nicht mit eben schlanker Schönheit oder das Koma stoßender Wurschtigkeit begnadet, jeder verdammte Creep, kann Neonlicht nur hassen. Wenn frohe Shopper oder Shopperinnen Badehosen, Bikinis oder Dessous oder geschlichtet Socken in Umkleidekabinen fürder unter Neonbeleuchtung am eigenen Leib ersehen, wird die städtische Selbstmordrate nie sinken. Öffentliche Verkehrsmittel könnten Brutstätten intimer Spiele zwischen geheim Kommunikationswilligen sein. Man könnte vielorts kleine Fickkabinen einrichten, bezahlt nutzbar, mag sein. So würde unsereins mühefrei abschießen können. Auf Cybersex starten doch nur die blutigen Newcomer, Mittelschüler, Hausfrauen. Wer erlebt hat wie ich, wer weiß wie ich, kann diesen Kinderkram nur belachen.

Die Welt jubelt, hat sie ihren perversen Schund wieder. Keiner weiß, was wahrhaftig passiert ist. Außer mir. Ich weiß. Und mir könnte komplett der Datenmüll fürder gestohlen sein. Meine Doppelmultis mit Knoblauchmayonnaise würden sich auch different einholen lassen. Trotzdem verhalte ich mich. Die Welt hat kurz erst wieder geatmet, ... alle abhängigen Idioten! Nur langweilig ist ihnen recht sehr.

Vielmals kann ich mich wirklich kaum verhalten. Alles neulich dorthin befördern verlange ich, wo Paul es schon gehabt hat, ... ins Nichts, könnte man sagen. Dann, wenn etwas sich recht sehr in mir regt. Neonlicht, beispielhaft. Oh, Paul, wir waren ermächtigt wie niemand sonst. Also, diese öffentlichen Verkehrsmittel – omennomen – werden niemals die Geburtenrate besteigen, solange die Benutzer der Fortbewegungskonserven neon­be­leuchtet zu teigweißen Monstren mutieren. Krass ausersehene Falten, Pickel, Augenringe, trockene Lippen und strähnige Haare, dicke Schminkspuren oder Kopfhautschuppen sind vielmals zum Kotzen. Und man legt einander auch noch Schweißfüße und Mundgeruch darunter. Ich meine, ich selber vermische mich nicht mehr viel. Mit hundert Kilo Lebendgewicht schiebe ich als Vierzigjähriger soziale Wendungen und starke Regungen vor mir her. Aber leere ich schon einmal meinen Dachboden, fürchte ich wegen des Neonlichtes jedes Büro, jede Nachtautobuslinie, jeden U-Bahnwaggon und Supermärkte. Dort glauben die Frauen mich noch hässlicher als echt. Und sie selber sind im äußersten unprächtig. Und bang, wie ich neonhell einwirke, verschrumpele ich unter weißleuchtenden Röhren wie mein Schwanz unter kaltem Wassergriff. Enorm erzornige ich. Jemandem die Fresse dreschen will ich. Das würde ich naturmäßig nie tun. Zu faul, sagt Philomena, schlaue Schwester. Ich erziehe Grimassen, die mir sonst nicht kommen. Und werde scheußlich. Neonlicht hasse ich. Es macht keinmal lüstern.

»Was du alles gleich hasst,« hat Philo früher vielmals bewertet. Heute noch sei ich ein Ungustel. Nur, weil ich nicht ausgehe, weil ich mangelrede und weil man mir die Leute in unserem Block und gesammelt alle Leute stehlen soll. Mit Paul war es anders ... Philomena quälen nicht widrige Umstände. Philo ist gebunden, klein und dick. Dick sind wir alle familiär. Damit teilen wir den gänzlichen Phänotypus der Zweidrittelmehrheit der Bevölkerung. Keine Sau schlingt heute noch wahres Gemüse oder Körner. Fettigsein ist nicht mehr aus dem Anstand. Gegenteil. Begegnet mir ein ausgelutschter Dünni, bedenk’ ich die aktuellen Seuchen. Heutzutage sind jedenfalls die Kanarienvögel fettig. Zum drittenmal trächtig ist Philo und mit Roderick im Durchschnitt glücklich. Ich meine, sie muss gut drauf und randvoll fruchtig sein, wenn sie sich so vielmals ansteigen lässt. Fraglich ist sie konträr blöd, visualisiert nur Kinder. Desinteressiert mich, was eine verkorkste Hausfrau sich ausdenkt. Nichts Entgegenkommendes im Leben misstraut Philo. Noch dazu glaubt sie an Gott. Wahrscheinlich ist es aber wirk­lich besser, Gott die Möglichkeit zu geben, als sich vielmals zu erregen, wie ich. Freundin habe ich keine mehr, seit Melly Kim bezogen hat. Kim gibt die besseren Spiele und die bessere Musik daheim an. Melly besteht auf Abschießen, Bausteine, kleine Affen und Saurier. Ranziger, kalter Kaffee für mich. Außerdem geht Kim mit Melly ringeln. Und bei ihm lebt eine schmuddel boshaftige Katze. Gangsta benamt. Ordentlich blöd. Mit alledem diene ich nicht. Ich bin allergisch gegen Katzen und Ringeln.

Philomena desinteressiert sich für Computerspiele. Würde sie das nicht, wären wir echte Geschwister. So sind wir allein biologisch gelinkt. Überhaupt weiß sie nicht viel über mein Herumgehen. Gut so, obwohl ich mir manchmal wünsche, ich könnte ihr Geheimnisse weihen. Sie ist in Zeiten wie diesen mein einziger Außenweltconnect. Vielmals geht sie mir einkaufen, mir glücklich im selben System installiert, Block 4, Bilabostraße.

Philo hat Paul kennengelernt, gut. Aber Primus ist ihr geheim verblieben. Würde sie ihn kennen, würde sie die Welt scheinbar umgekehrt besehen. Früher hat sie Primus ein paarmal indirekt kontaktiert. Dann, wenn sie Bubi, meinen ältesten Neffen, mir und dem genialen Sinuswalk gestohlen hat. Zum Ausbaden, Aufgabenmachen oder sonstwas. Übrigens geht mir nicht auf, wie jemand ein Spiel wie das alte Donkey Kong Desaster einem hohen, intelligenten Adventure gleich Sinuswalk hervorziehen kann. Kim und Melly können. Sinnig besser, dass ich nun ungut mit ihnen befreundet bin. Wirklich froh bin ich, dass sie nie genug über Paul erhalten haben. Und Primus ahnen sie gar nicht. Er hat sich niemals bei ihnen eingeklinkt. Von anfang an auf mich gesetzt. Warum, weiß ich heute nicht genau. Mit Primus beleibt sich nicht über alles zu reden. Ohne den Service Professor Brachanskys kann ich ihm keinmal zusetzen.

Mein Kumpel meint es sogar lachhaft, dass die echte Welt mich geruhsam am Arsch lecken mag. Eines Tages hab’ ich sein erstes E-mail bekommen, also einen elektroni­schen Brief, wie bedeutsam benamt, über das Internet aus irgendeiner Weltsequenz. Primus, präsentierte er sich.

»Grüezi,« startete der Text. Weiterhin damit, dass den E-mail-Sender ein paar Seiten Webdesign von mir verzücken, für Galerien, Veranstalter von Openair-Raves und Puppendealer. Selber hat er einiges erforscht. Ich hab’ in dem Typen irgendwelchen Computerfreak geglaubt. Wir haben dann vielmals gemailt. Primus hat enorm begriffen, egal wie ich stimmte. Eines Tages hat er mir eine Newsgroup über Hass etabliert. End­lich konnte mir eingehen, wie anderen Leuten das Gefühl bekommt, das die Kaumus­keln verhärtet, die Nasenflügel bläht und faustfingert. Wer seine Zähne nicht besorgt, zerbeißt sie so fest, quillt Hass, dass sie knirschen. Zugleich beschleunigen Herzschlag und Atmung sich auffällig. In irrsinniger Frequenz blitzen tiefe Bilder geliebter Gewalt­akte. Hassgefühl schwillt. Anständig nicht zu dämmen. Man kann den Keim auch nicht vernünftig ersticken. Nein, es zerplatzt jedenfalls. Nur, wer erwägt, es zu gestehen?

Dass die Newsgroup ein paar Beiträge über meine Hassgefühle gespeist hat, war erleichternd, wie beim Herunterholen und hat die Mithassenden geziemend ergötzt. Ich war simpel mordsmäßig mies zur Gesellschaft, das Leben, meinen finanziellen Mist, auf Melly, den Heizölfleck auf dem Teppich, mein Überge­wich­tiges, die versaute Platte im antiken Rho Phi 2 und alles. Primus hat schnell mitgeschnitten. Drogen hab’ ich nie viele angenommen. Vielfach teuer. Und glaub­haft bin ich wirklich zu feige. Pauls Meinung. Wenn sich mir der Boden unter den Füßen verzieht, was wird aus Rho Phi? Nein, nein, Gifte zum Spritzen oder Rauchen oder Schlucken, die Hirn und Magen wenden, kommen mir nicht. Noch hab’ ich Primus und das Netz nicht beendet. Und ich bin bei Paul immer­zeiten mit Konsequenz schuldig.

Primus steht außerdem durch. Primus bedeutet »Der Erste«. Das ist er. Primus ist der erste und einzige VIP, mir bekannt.

VIP benamt Virtual Independent Processor.

Kurz vor Pauls Bruch in meine Tage, erlebte ich Hassen, das heute noch zubeißt. Ja, stimmt. Hass malte jener Tage mein Weltbild. Und heute? Fehlt die Anzeige. Endlich hatte das Werk den neuen Rho Phi, den 3er, befreit, das Gerät, für das verbrühte Freaks Pawlow schlucken würden. Ehrlich, ich tat es, bedachte ich den Wunderkasten. Wunderkasten. Es war Hochzeit, dass der 3er ange­kündigt wurde, sonst hätte ich meinen alten, schwachen 2er noch aus dem Fen­ster gestürzt. Und es vormals nicht eröffnet. Als der Rho Phi 3 eingeliefert wurde, suchte ich Jause in der Gasse. Eigentümlich appor­tierte ich zwei Mayon­nai­se­multis und vier Semmeln, weil dem Fleischer die Göttinger aus­ge­gangen war, aber wertlos. Der Tag wird mir mit oder ohne Mayonnaise auf ewig im Hauptspeicher picken. Auf nichts in meiner unübersehbar tristen Zukunft habe ich mich je gefreut wie momentan, den Rho Phi 3 zu betreiben. Gelechzt hab’ ich nach dieser wunderbaren, fabrikriechenden, blank unberührten Jungfrau, unbe­druckt das Gehäu­se, glanzflirrend der Monitor ... und datenbefreit das Hirn, lechzend nach Wissen, das ich ihm selbst verliebt einleiten würde. Empfänglich für mich, freudig und neu genagelt. Und ich wäre stets der Erste in Rho Phis Dasein. Derjenige, der ihm zu voller Kraft das Blut einspritzen, ihn gebähren würde. So stellte ich das gefällig vor mich hin.

Als ich vom Jausenholen retournierte, besaß Alfred den knisternden Monitor. Alfred, ein bis dahin gemäßigt befreundeter Techniker, an diesem versauten Nachmittag in meine Bude geschleimt, bedurfte einer antiken 40er-zweieinhalb-Zoll-SCSI-Platte für einen Kunden. Hab’ das Blech dem Gerümpel extrahieren müssen. Dem Typen arg­wöhn­te ich immer schon, wie einer nur suspekt sein kann, der sich Leuten ergibt, die auf uralte Hardware wichsen. Alfreds dreckige Supporterklauen wischten Pho Phis Tastatur. Das Schwein rühmte sich gerade­wegs, meiner neuen Maschine die dritte Systemdiskette für das Tauriques 4.0/Quai zu füttern, und ich hab’ mein Leben vorbeilaufen sehen ...

Alfred hat bald danach einen Job in der Madrid-Filiale von Styles akzeptiert. Damit ich unseren kommunalen Kunden weiter schmecke, man weiß nie genau, habe ich ihm ein paar Scheine für die neuen Zähne gesteckt. Nie wieder wird jemand, der mein pulsendes Herz quetscht, mit blöde unverständigem Grinsen mir zumuten, er hätte mir zu Gefallen sein wollen ...

Am nächsten Tag erhielt ich ein E-mail von einem gewissen Brach, der erregte, ich solle mich präparieren. Die Zeichen stürmten. Aha, ich bedachte einen Literaturfreak. Keinmal cool. Bücher zu lesen hatte ich vor Jahren geopfert. Es frustrierte recht sehr hoch, dass ich keinmal lebhaft Abenteuer bezeugen würde. Warum also mir gedruckte Stories überziehen? Ähnlich verhalten sich heute die Filme ... Ahnungslos war ich, wohnte ohne Arg, Brachs mails konsu­mierend, wie der Weltrest ...

Das Netz hyperprosperierte. Experten orakelten heimlich, die Datenmenge würde bald seine eigene Organisierbarkeit sprengen. Massenweise gestalteten Programme Web­design, niemand musste mehr den Code einstudieren, um seine Arbeiten zu ver­schicken. Alles war babyleicht zu handlen geworden. Jeder Idiot veranstaltete seine Homepages und den Rest selber und betrog damit meine Misere. Nach einer Dekade der Workshops und TV-Schulungen sprossen schon überzählig Internauten gegenüber Autoerfahrenen. Meine Fertigkeiten in dieser Branche waren zeitig ungefragt. Bier und Multis erschäftigte ich längstens durch kleine Infodienste und mikro Organisationsprogramme für hirntote User, Dealerei mit illegalen Spielen und peripher Hardwaresupport, freundschaftlich. Zwar zündete ich bereits eine veränderliche Idee, die Lage mir günstig zu kehren und selber Spiele zu schöpfen. Aber ich war träge und missmutig geworden. Lästig langsam marschierte alles, obwohl mein Rho Phi seine Kapazität meiner Liebe wegen steigerte. Getragen von Primus. Wie Primus das machte, ergab sich mir damals noch nicht. Nicht einmal, dass er mit Pauls Erscheinen betraut sein konnte. Aber auf seine Mails verließ ich mich täglich.

Trotzdem, – alles Scheiße, obwohl Primus mir immermals schönes Sprechen erforderte. Es erfreute mich keinesfalls mehr wie in den späten neunziger Jahren, das World Wide Web zu durchsurfen. Naja, damals war ich keine zwanzig gewesen. Man erpresst sich präsent schnell allen Atem in den Netzmaschen. Die Leute lagerten dreckig darin. Es war im gange das Hirn im Global village zu wichsen. Auf dem Datenhighway watete man knöcheltief im Sperma der gelangweilten Freaks und der dumben Proleten, modemgeschlossen per Weih­nachts­geschenk. Im Internet zielten allein noch ultrakomplexe Suchpro­gramme nach gewünschten Informationen. Sie richtig schwingen ließen allein megakomplizierte Unterprogramme und Treiber. Händisch verdreht, kursierte der Kram auf der ganzen Welt, virtuell bezahlt, freiheitlich. »WebCrawler« begriff kein Youngster, »Yahoo«, der zweite Methusalix unter den Search Engines, dümpelte ausgebrannt in einer Ecke meines Rho Phi 3 nahe Lycos. Manchmal gefiel mir Primus und erregte »Yahoo« lästig zum Rühren im Datensumpf. Versandte ihn einen minderjährigen Erzeuger künstlicher Sesamkörnchen zum Bestreuen mittelwarmer, champignonkremerfüllter Biscoburger in der Vierten Welt zu suchen. Yahoo würde bald das Schicksal alter, nie upgedateter Utilities genießen und durch Vergessenheit absterben. Präkognitiv.

»Brach«, geheim erfülllt, hatte sich schon ein paarmal bei mir eingeklinkt. Mangelhafte Neugier stellte sich mir vor, als seine Warnung kam. Meine Lieb­lings­beschäftigung war es damals, die Hass-Newsgroup mit Schimpftiraden zu erquicken. Es weste und mieste in mir. Und das Hassen erleichterte mich gemein­hin, da ich Alfred ja nicht töten durfte ... hat meinen neuen Rho Phi 3 entjungfert ... ich hätte das Schwein doch an Ort und Stelle erschlagen sollen. Mein Alltag betrug langes Schlafen, Fressen, Scheißen und vor dem Bildschirm sitzen, wieder Schlafen, mit Bubi Sinuswalk Spielen oder Hydra ... Seit mein Kanarienvogel Pipe gekratzt hatte, gab es nur noch Primus und die Mailfreunde, die meine Existenz peripher tangierte. Nun gut, Philomena besorgte, und Bubi erlegte mir immermals Süßes ...

Erklärt bin ich heute froh und lockig, dass ich Alfred nicht umgebracht habe, ehemals. Im Häfen hätte man mir kein Modem erschlossen. Rho Phi 3 bestehe ich dennoch. Primus fühlt sich zumal recht sehr wohlig mit ihm. Und Paul geisterte auch um ihn. Aber trotzdem wird nie wahrhaftig sein, Rho Phi sei mir hörig, ... nur mir.

Alles das ist den Wert los. Bin dabei, die zersprungenen Stücke meiner Exi­stenz zu einigen. Es fällt mir schwer hinab. Ohne Pauls Hilfreichtum.

Allen, die heftige Hassattacken des eigenen Fühlens beleidigen, vielgründig, sei gesagt, es ist ultracool, jemanden damit zu weihen. Besser verdampfen, statt immerfort für nie gespieenen Hass Scham leiden. Wie ich angesichts einer schönen Frau schmelze, »Uff, geilt mich die Alte«, darf ich, kollidierend mit gehassten Worten, Gesten oder Handlungen, sehnen „Uff, wie gerne würde ich ihm den Arsch tief treten«.

Arten, Hassgefühl spontan zu entbinden, durch einen schnellen Tritt, einen wilden Schrei, einen Schlag, ein kräftiges Ausspucken, Türschlagen oder den Wurf eines schweren Gegenstandes, gezielt, das Gehasste erbrechen zu lassen, sind hierzulande heutzutage minimal relevant. Wer lebt schon seelenruhig? Erlaubt ist Vorstellen, was man täte, dürfte man ... aber Dürfen existiert nicht. Meine Nachbarn drängen sich tagtäglich im Fernsehprogramm. Kims Freunderln erleichtern Schundhefte, oder sie konsumieren Kinofilme, wie andere Leute Maniokchips, je grausiger gefärbt, desto besser. Da soll noch einer gegen geschei­te Games wettern. Sie schließen die Wirklichkeit gut aus. Und besser die Wirklichkeit meiden, als sie tut einem was an – oder verkehrt.

Philo behauptet seit Jahren, ich lüftete mich zu wenig. Mir reicht es aber, wenn ich das Fenster einmal morgens kippe, und die Autos beschießen mir akustisch die Bude. Bubi hat mich ein paar Mal »Qualle« benamt. Ich drosch ihn keinesfalls. Quallen verstören mich keinmal, schwerefrei wie sie sind durch Leib oder anderes Gewicht, fluchen auch die Biologen, weil die Gallertigen die Meere nicht freigeben. Und außerdem erlegt Bubi mir manchmal den geilen, roten Zuckerkram, denn er nicht hinunterkriegt. Deshalb darf der Bub mich auch ab und zu »Qualle« benamen. Gegenteilig zu Philo, muss ich nirgends spazieren. Muss mich nicht real dem Überrolltwerden unterlegen. Auf virtuellen Wegen wandelt die Lust besser.

Als ich Pauls Liebe wegen halb durch die Welt gereist bin, habe ich mein für diese Funktionsperiode vielleicht programmiertes Pensum als Globetrotter vielmals überholt. Philomena mangelglaubt noch diesertage diesbezüglich. Übri­gens, gewichtet sich Philomena, die Kammer, in der ich die meiste Zeit meines Lebens verbringe, rumple jämmerlich. Sie ist eine gute, friedliche Haut, meine Schwester. Aber ahnungslos. Was bekümmert sie meine Kammer? Der Griff zur On-Taste meines Rho Phi 3, – und ich beschreite die Schwelle zu Palästen, Höhlen, erklimme Gipfel oder tauche in unergründliche Tiefen, ganz nach mir. Durch meinen Rho Phi 3 betrete ich eine freie Welt.

Schlüge, träte, spuckte, würfe oder schriee man in dieser greifbaren Welt simpel, sinnlich dominiert, man würde gleichfalls qualvoll unberechtigt gehand­led. Die Bullen vermehren sich wie Viren. Und sie schlagen schnell, desinteres­siert am Wahren auf den Straßen. Man wird durch den Hasslawinenlostreter zu noch stärkeren, noch hilfloseren Veräußerungen brennenden Hasses getrieben. Denn er bestreitet ausnahmslos und stetig das Südige. Dies macht süchtig nach Toben und kann die Freiheit berauben oder das Wahre wenden. Man selber steht auf alle Fälle dumm oder böse da. Nur noch verzweifelt von dannen ziehen könnte man, würde man überhaupt gelassen. Die Bullen schlagen nicht nur schnell, sondern blindlings und auch die falschen. Der Staat hat skrupellos trainierte Häftlinge zu offziellen Saubermann-Kompanien zusammengeschweißt. Verdunkelt ohne ID-Card auf der Straße ... na, gut’ Nacht.

Ein Inputnic mit der Adresse »Brach« und so weiter vermischte sich und begab, die rechtens Getretenen, Bespuckten, Angeschrieenen und Gestoßenen, hätten meist ebenso hassenswerte Passanten ihrerseits. Besser, Straßen keinmal neumals zu begehen. So wurde ich auf Brach aufmerksam. Er mailte mir aus der Seele. Die Passanten und Ungerechten, rudelstark, töten lauthals Nerven, auch wenn sie rechtens und streng mangelnd angegriffen worden sind. Einsicht ist heutzutage hierzulande äußerlich minimal, besonders seitlich derer, die unseren Wahnsinn antreiben.

Mein Rho Phi 3 ermächtigt mich, selbst einzuleiten, was mir nahen soll. (Übrigens gibt es Gerüchte, der 4er werde schon ...) Auch Primus muss sich errichten wie ich will. Drücke ich kein »On« am Rho Phi, helligt mich nichts in Maidenland.

Wer rechtlich zu hassen versteht, kennt dieses noch dringendere Spucken-, Stechen-, Schlagen-, Treten-, Schreienwollen, das sich weigerlos erstellt vor blödem Schreckglotzen, da ich einem Passanten, der, auf engem, beidseitig schneeigen Gehsteig keinen Zentimenter weichend, mir versteift arrogant das Selber­ausweichen erpresst, schnell die Mantelseite ellenramme und »Verpiss’ dich« zische. Ungewiss schuldig, schreckglotzt jener vielmals sonderblöde. Viel­leicht kontert er sogar, unprächtig stirnrunzelnd, »He, he«, oder, mehrmals schlimmer »Was fällt Ihnen ein?« Der Tag verläuft sich gedenk der faulgas­stichig begegneten Brisanz. Und schon ist der in ehrlichen, gerechten Hass Gedrängte verarmt. In diesem Augenblick müßte er dem nunmehr dummdreist Glotzenden, unfair sich Erregenden den Mantelkragen erziehen und ihm die Schien­beine zertreten, faustfingernd sein Schandmaul dreschen oder ihn minde­stens grinsend und Hasserfülltes schreiend kräftig anspucken. Genussvoll gehässig übelstmöglich beschimpfen sollte er ihn. Allein, das ist heutzutage hierzulande unerlaubt.

Öffentlichen Horror nenne ich die Atmosphäre außerhalb der knarrenden Tür, die das Treppenhaus gegen die Stadt verschottet. Es ist zwar erlaubt, nicht zu weichen, wo gesetzlich Bewegungsraum für alle sein sollte. Also darf man anderen Platzrecht wie für einen selbst stehlen. Konform? Naturgemäßg keinmal! Es ist erlaubt, in der Straßenbahn den Gang zu kopulieren ... okkupieren. Erpresst sich der in seinem Fortkommen Gehinderte, also vielmals ich, zart »Entschuldi­gung, darf ich?«, das eher »Gefalle mir und entweich’, blinder Idiotenkopf!« heißen sollte, ist es gestattet, blöd schreckglotzend nachzusehen, wer denn noch öffentlich verkehrt.

»Gefalle mir und entweich’, du blinder Idiotenkopf« zu sagen, da der Idioten­kopf tief gesunken in seiner kranken, überbreiten Welt, daran erinnert werden muss, dass die Straßenbahn veröffentlicht ist, bleibt verboten heutzutage. Das hasse ich.

Und Philomena möchte, dass ich neumals fürder vermische! Nicht! Primus ist mir beste Gesellschaft. Und er wird mein Leben lang nicht meine Zehen betreten.

Noch schlimmer als jene peinigenden Glotzer, die immerhin seitlich treten, wenn man »Entschuldigung, darf ich?« gezahnt hat, wo sich selbst versteht, dass man »darf«, weil man ja muss und niemand dies beherrschen kann, noch schlim­mer sind jene, die, vielmals klein von Statur und fett oder alt und drahtig und ebenfalls klein, sich beim verständnislosen Glotzen auch noch verdrehen. Sie rüsten lippenzitternd ab, dass noch jemand öffentlich verkehrt. Eben jene hart­näckig dummdreist reglos wegelagernden kleinen Fetten oder alten Kleinen ver­drehen sich! Dadurch wegelagern sie erst recht, bringen dem Hormonspiegel der schon leicht Hasserfüllten erste Sprünge bei. Sodann beseitigen sie sich aus­nahms­falls schrittbreit. Früher, als ich mich noch regelmäßig in öffentliche Verkehrs­mittel zwängte, belächelte ich jene Kreaturen bitterlich. Es war schon damals verboten, sie einfach an der Glasscheibe zu zerschmettern, dass ihr rudimentäres Hirn spritze. Sie knochenbrechend gegen die Sitzlehnen zu quetschen oder noch besser, sie grob seitlich zu stoßen, dass sie hinfallen und an Ort und Stelle zertrampelt werden möchten, bedurfte ich vielmals. Vielleicht hätte ich eines Tages gleiches getan, hätte ich mich nicht der Öffentlichkeit entzogen.

»Brach« mailte mir, nur weiter so sollte ich machen mit meiner Öffnung. Nicht wenigen Bürgern dieses Zeitalters erginge es meinesgleich. Nur seien jene rhetorisch nicht begabt oder nicht mutig genug, ihren rechtlichen Grimm zu befürworten, ganz zu schweigen davon, sich rechtens örtlich zu revanchieren. Die Rücksichtslosen bedurften der Strafe, philosophierte Brach. Und hinter seinem Netzkürzel erträumte ich mir einen weisen, alten Mann. Das überlappt perfekt, ... und gezählte Präpotenten dieser Welt rücken niemals seitlich. Weil sie blöde sind. Weil sie blind sind. Weil sie dreist sind. Auch im Netz trifft man immerzeiten neumals auf selbstgerechte Ratten. Sie verteidigen ihren Platz hohntrotzend leibesbreit. Die Gefahr selber zu zerplatzen wegen der notdürftigen Bitte an einen Wildfremden um Selbstverständliches, reißt weiter Löcher ins schäbige Nervenkostüm. Das nächstemal wird man einfach stoßen, treten, zischen, drängen oder zuschlagen ...

Böse Zungen mögen behaupten, die Fassung derartig zu lockern, nur, wegen ein bisschen Gedränge in der Straßenbahn, führe Hysterie vor und psychisch mindere Belastbarkeit. Behinderung? Füllt in die Fugen, Lästerer, dass auch leichte Erregbarkeit in puncto sexueller Genussfreudigkeit eine Behinderung wäre! Wegen attraktivem Pressen einen Steifen oder respektive das Schoß­kribbeln zu bekommen, wäre also krank? Hassfühlen ist ehrlich und normal, sic!

Primus hat meine Öffnung belobigt. Und auf dieses Lob bildet mich.

Paul hat eines Tages simpel meine Tür bestanden. Ich bewohne im Dachge­schoß einen einzelnen Raum, dessen eine Ecke duscht, die andere besitzt eine WC-Nische, wieder eine beherbergt Kochplatte und Abwasch. Das Bett steht irgendwo. Eigentlich ist es ein ockerfarbener Diwan. Abends beziehe ich ihn blau und rufe ihn Bett. Mitten im Zimmer sitze ich, gesellig mit meinen Geräten. Keine Suite, die Besucher verträgt. Für meine Behausung bunkert der Staat keine Adresse. Angeblich wohne ich meiner Schwester bei, falls ein Kunde neuerdings gierig sein sollte. Eigentlich bin ich aber nirgends vermerkt. Gut so. Also hielt ich den Dünni Paul für einen irritierten Junkie oder einen Verseuchten, der körper­lich versagt hatte und vor meine Dachbodentür abgetrieben war. Ich ergrün­dete sonst nichts, warum ein wildfremdes, schwindsüchtiges Bürschchen mein Heim suchen sollte. Kunden erzielten mich nur über das Netz. Den Kerl hatte ich nicht vorhergesehen.

»Brach verschickt mich.«

Schütteres, fahles Strähnenhaar befiel ihm die Augen. Vom ersten Blick an merkte ich, dass seine Haare unstimmig waren. Unerklärlich, welcherart. Der Bursche bedrängte mich ungünstig. Groß war er und wirklich sehr, sehr dünn. Im Zeitalter, da alle fettig waren! Er bewegte sich seltsam unsicher. Das verstieß mich. Denn ich hasse kranke Leute, die Bemitleiden erzwingen. Jemand, den Mayonnaisemultis minimal rührten, bestand meine Tür! Pervers, fast, so, als sei Alfred mir nichts dir nichts wegen einer Vierzigerplatte retourniert. Der Bursche trug eine Art Pyjama. Weiß und hellblau gestreift, wie sie die Eheidioten in urigen Doris-Day-Filmen transportieren.

»Hab’ nichts bestellt,« keifte ich vor, der Newsgroup verpflichtet. Rülpste genial in die gelbliche Visage des Bübchens. Würde er schneller verschwinden, wenn ich ihn grauste. Mein Bildschirm schrie nach mir ... es umging, mit einem User in Idaho auszudiskutieren, ob es schamhaft sei, dass ich so sehr naturgemäß Instinkt lagere, dass ich vielmals simpel animalisch reagiere. Ganz nach den Gesetzen olfaktorischer Reize mag ich gewisse Häute einfach nicht riechen, auch wenn ich das jedenfalls selber mangelweiß. Der Inputnic in Idaho verstörte mich nach dem Hirnmuster phantasiesteifer, fanatischer Katholiken, verdammenswert ... und da platzte ein dürrer, blasser Jüngling mit hellgrünen Augen, dessen Haare unstimmig auffielen, mitten in mein Streitmailing! Gerade als ich dabei war, den Katholiken endgültig zu begründen, verstörte der Wildfremde! Mich befiel, dass er Brach erwähnt hatte. Und Brach war tätlich ein Mailbruder. Trotzig wollte ich die Tür erschlagen. Es war, als hätte jemand meinen moderwarmen Eingeweiden eisigen Wind eingeblasen. Mich aufzuscheuchen verbrach.

»Moment noch,« piepste Paul, von dem ich natürlich noch nicht wusste, dass es Paul war und auch nicht, wer. Mein Blick musste ihn erreichen. Mich befiel, dass mein Sweater nur tangential im Kordelgürtel der Trainingshose steckte, dass also mein Bauchfleisch auskühlte. Der Jüngling ließ die Arme baumeln. Hungrigmüde.

»Morgen ist es soweit. Dann werde ich mich auch verbessert haben. Wenn ich abends retournieren dürfte? Unterkunft ist in Not.«

Er solle sich zum Teufel scheren, schnaubte ich, ... Unterkunft inNot, ... war er besoffen? Zugespritzt? Blöde? Was ging es mich an, wo der Kerl wohnte? Betrieb ich etwa ein Obdachlosenasyl? Die Leute gestatteten sich enorm.

Später mailte ich an Brach, jemand hätte sich ihm erboten. Brach lachte via Netz. Behauptete, ich würde denWald von lauter Bäumen nicht sehen.

»Geh’ scheißen«, remailte ich und belegte mit einem doppelten Multi mein Bett, die freie Hand am Joystick für Sinuswalk.


*


Am nächsten Morgen kühlte es weiter. Nicht wetterseits, nein, nein. Seit Jahren verachte ich, ob die Sonne den Autokarosserien Löcher schmilzt oder ob der Frost den Straßenbelag knackt, ob Regenwasser gasigen Giftmüll zu den Gemüsewurzeln spült. Es war Primus, der meine Nerven betrat.

Wie ich unsere Freundschaft wertete, erforschte er. Was kann einem die Kumpelei mit einem Programm schon wert sein, feixte ich zurück, ... einen neuen Controller, ab und zu? Kränkelnde Plattensequenzen ausmappen? Dass hinter Primus’ Allgegenwart jemand genial tüftelte, hatte mich vormals ergriffen. Geschockt explodierte Primus’ Oberfläche auf meinem Bildschirm. Er füllte den Contact AC voll. Saugte die Farbskala aus, mutierte zu einem Schwarzweißpot­pourri. Scheißkerl, fluchte Primus, ich hätte aber auch gar nichts begriffen. Mich befiel eine Dusche der Unrechtmäßigkeit, und ich bedachte rücklings den Tag, als einer meiner immerzeiten ersehnten Lederstiefel im Schlamm versteckt geblieben war und ich nicht erwog, ihn im Ansehen meiner Freunde an die Luft zu setzen, weil ich gegen ihr Verlachen wegen meiner Unschicklichkeit und ihre schädliche Freude so furchtsam war, ... also verwarf ich den zweiten Stiefel parallel und log hernach, die Stiefel gefielen mir gar nicht und dermaßen gründlich hätte ich sie ausgeschenkt ... Auserwählt sei ich! Primus brachte mir keine Neuigkeiten bei, verbrannte ein erdachter Blitz meine Därme, immerzeiten war ich erste Wahl für sonderbar Übles gewesen ... Dumme Geschichte, mit dem Stiefel, dass sie mich ausgerechnet momentan befiel, da Primus auf mich schimpfte, wie es frühmals meine Mutter sorgsam getrieben hatte, ... Er sei schließlich kein Programm! Den ganzen verdammten Tag lang hätte er gegen öde Viren und hirntote Internauten zu kämpfen, die Arschfliegen im Netz, dumm und simpel, aber zahlreich. Das, ja, das seien gottverfluchte, krätzige Programme und Grapscher! Und nicht genug damit! Ob ich denn nicht wüsste, welcher Dreck herumliege, welche Kreaturen auszumustern seien?

»Ich bin ein VIP, Cecilio ...« Ob ich das immer noch nicht begriffen hätte? Dankbar sollte ich sein, mein Leben lang Rosenkränze beten.

»... etwa wie der Idiot aus Idaho,« wagte ich frech zu werden, Primus zischte, ich sei nicht dran mit dem Mailen, ... dass ich auserwählt worden sei, ihn, Primus, den größten, zu beschützen! Und ich würfe ihn in einen Topf mit dem Abschaum der virtuellen Welt!

Ganz ehrlich, ich missverstand. Zur Übelkeit verblüfft über die Heftigkeit seines Ausbruches entschuldigte ich mich. Idiotisch, sich bei einem Programm zu entschuldigen, jawohl, das dachte ich, während ich, voller Röteln, die Tastatur bedrückte. Aber ... na ja. Ich mangelwusste, welche Fallen sein Entwickler eingebaut haben mochte. Vielleicht war Höflichkeit subtile Barriere in einem Spiel, das ich mir an den Hals geworfen hatte.

Natürlich musste Primus ein Programm sein. Eines wie es Viren tätlich auch sind. Gut, besser, ermöglicht, genialer ausgetüftelt, eine graphische Majestät. Wenn er wirklich ein Virenjäger war, – die Utilities meiner Virusklinik verkann­ten ihn immerzeiten. Würde ich die Virusklinik updaten müssen. Man konnte sich mit Primus menschlich unterhalten. Er schien zu denken, mein Primus und war doch nichts als ein Icon auf meinem Schirm, das erschien, wenn sein Sender kramte. Ein wahrer Könner erschöpfte ihn sicher.

Er wisse, was ich jetzt dächte, knurrte Primus, ... ja, er knurrte, ... schrumpfte auf Millimetergröße. Ich bekam Angst um ihn. Dann erzürnte er mich aber. Der Lautgenerator in meinem Rho Phi 3 knisterte, weil Primus ein Scheißlied gellte. Die Daten auf meinem Bildschirm kotbräunten zu einem Schlierentümpel. Besser die empfindsamen Speicher überdenken ...

»He, he«, heulte ich in die Tasten, »... war ja nicht so gemeint! Hab’ mich doch schon entschuldigt, ... he, Primus!«

Luft holen sollte ich schon einmal, und, verdammt, als beinahe Seelenver­wandter dürfte ich mir zwar einiges erlauben ... und ich sei ja nur ein Mensch ... aber auch von mir würde er nach angemessener, eingerechneter Lernphase sin­nige Handlungen und klares Denken verlangen.

»Okay, werd’ mir Mühe geben,« flüsterte ich.

»Na fein, aber nicht zu knapp« antwortete Primus. Sinnlos, blitzzugrübeln, wie Primus meine Antwort gehört haben konnte, da ich nichts über die Tastatur eingegeben, nur innengesprochen hatte. Es war eine Premiere, dass mich üppig befiel, aus welcher Weltsequenz der Schöpfer meines Primus wohl wirklich seine Daten an mich sandte – und wer es sei. Ein Genie. Eine Frau vielleicht? Ein Kind? Und was beschilderte er?

Und ich sollte mich hüten, Paul noch einmal fortzuschicken, erschien in Riesen­lettern quer über meinem Contact AC-Schirm, ehe Primus abtauchte.

Soll ich mich verwetten, dass es gar nicht wenige Menschen gibt, die angesichts wildfremder anderer Schweißwasser verlieren, zittern und den Blick verwenden müssen, um nicht vor wallendem Missbehagen die Pupillen der Gegenüber mit Schwertklingen zu bestechen? Missbehagen dieses bedenklichen Skalenwertes überfiel mich Jahre her schwallweise, empfahl mir Beruhigungs­mittel en masse. Nur Rho Phi half mir beim Abspannen. Und Primus, Einzel­freund, verärgerte besser nicht, sonst konnte ich mich spornstreichs selbst überbringen ...

»Bleib’ doch noch, bitte!« bekroch ich schnell seinen virtuellen Hintern.

Auf Missbehagen gezielt mailte mir jemand »... das trifft besonders erzwungenes Kennenlernen in Restaurants. Wenn das Wesen am benachbarten oder gegenüberliegenden Tisch unsägliche Geräusche produziert, müssen jede Spur gute Erziehung, Selbstbeherrschung und Toleranz aus den hintersten Winkeln der Seele gesaugt und in die Gehörwindungen gestopft werden. Mich selbst vor der Gefahr zu bewahren, Besteck, Menage oder gar zubezahlende Speisen widmungswidrig zu verwenden, müsste ich enorme Kräfte aufwenden.«

»Bingo,« mailte ich rücklings, und ich dankte einem längst verzogenen Gott, dass Wesen auf diesem Müllhaufen von Planeten noch zusammenfühlten. Ja, ich ergebe, ich war zur Zeit, als ich Paul erhielt, schwarzbitter enttäuscht von meinen räudigen Lebenschancen. Irrglauben lassen wollten sie mich, irgendwann würde ich meine Haut wohl noch fühlen. Nur geduldig sein, wollte mich die Philosophie schicksalshörig nötigen. Nicht genügend, geduldig zu sein. Das ergriff mich. Und Brach hatte durch mich geschaut, scharf besehen, in welcher Art der Konver­sation meine Mailbrüder und ich es trieben. Das weiß ich heute.

Deshalb hat er mich ausgenommen.




Neon

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