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Vorwort

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DIE Wandlungsfähigkeit des Bürgertums überrascht. Durch das 20. Jahrhundert hindurch schien es durch die von ihm mit erzeugten Katastrophen dem Untergang geweiht – die mehrfach beschworenen Abschiede vom Bürgertum wollten nicht enden. Doch allen Untergangserwartungen zum Trotz dominiert es heute – nach den gesellschaftlichen Umbrüchen von 1989 – die Massengesellschaft und tendenziell die Weltgesellschaft. Das Bürgertum ist ein stupor mundi der Weltgeschichte.

Nachfolgend werden Anmerkungen zum Bürgertum geboten. Ein distanziert soziologischer Blick auf diese enorm wandlungsfähige Klasse beobachtet, wie sie sich »in Form« hält. Man findet hier keine Apologie des Bürgertums, und umgekehrt werden manche die allfällige Kritik am Bürgertum vermissen. Keine Legitimation des Phänomens also, und noch nicht einmal eine Kritik im Namen seiner eigenen Normen. Interessant erscheinen vielmehr nur die Strategien, mittels deren das Bürgertum – nach seiner Kontingenzerfahrung im 20. Jahrhundert – im Spiel bleibt: zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit der modernen bildenden Kunst, im ›Rekonstruktivismus‹ der »europäischen Stadt«, in der Nobilitierung weltgesellschaftlicher Verkörperungen der Prinzipien des Bürgerlichen.

Das sind nur Proben und Fragmente. Hinter den essayistischen Zuspitzungen steht eine soziologische Theorie der bürgerlichen Gesellschaft, welche in gegenwartsdiagnostischer Absicht Durchblicke, Einblicke gestatten soll, die zwei alternativen Kandidaten der Gesellschaftstheorie verwehrt bleiben: der notorisch wiederaufgelegten Kapitalismustheorie und der raffinierten Systemtheorie. Erstere ist analytisch zu ökonomiefixiert und kann die irreduzible Fülle nichtökonomischer Größen systematisch nicht in den Blick bekommen, die zweite ist in ihrer These von der funktionalen Ausdifferenzierung von autonom agierenden Teilsystemen angemessen komplex, aber vom Ansatz her blind für die Akteure, das unentbehrliche Personal, das die differenten Systeme trägt – oder eben nicht.

»Bürgertum«, »Bürger / Weltbürger«, »Bürgerlichkeit«, »bürgerliche Gesellschaft« – in dieser historisch-soziologischen Semantik zwischen Klassen- und Systembegrifflichkeit, zwischen Sozialfigur und Habitus steckt ein unabgegoltenes gegenwartsanalytisches Potential – das ist die Intuition.

Wie sich das Bürgertum in Form hält

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