Читать книгу Der Unternehmer-Mythos - Joachim Gerlach - Страница 4
I - Einstieg
ОглавлениеDie belehrende Antwort auf meine letzte Zuschrift an die Redaktion der hiesigen Regionalzeitung erfolgte prompt. Purer Neid spräche aus meine Zeilen, so der Antworttext eines empörten Lesers. Bedenken solle man, welch ungeheurer Enthusiasmus dem Unternehmertum zugrunde liegt, welch unerhörte Risiken die Unternehmer auf sich luden, von ihrer enormen Verantwortung für Mensch und Technik ganz zu schweigen. Da sei es doch wohl aller Ehren wert, wenn diese gesegnete Gattung Mensch auch entsprechend für ihre Mühen entlohnt wird und der edlen Früchte zahlreiche erntet. Meine kleine Auslassung bezog sich auf Mark Zuckerberg, ob dessen nobler karitativer Spende in vielfacher Milliardengröße kurz vor dem Heiligabend des Jahres 2015 in allen Medien Lobpreisungen erschallten. Ich warf die Frage auf, wie es denn sein kann, dass ein gerade einmal zehn Jahre im Erwerbsprozess stehender Mensch aus dieser Erwerbsarbeit ein solches Vermögen anhäufen kann, welches ihm erlaubt, Milliarden über Milliarden davon wieder von sich zu werfen.
Doch schauen wir uns die märchenhafte zuckerbergsche Reichtumsmehrung etwas genauer an: Das Durchschnittseinkommen eines Beschäftigten in den USA beträgt pro Jahr rund 50.000 US-Dollar, aus einer zehnjährigen Durchschnittsbeschäftigung erwachsen mithin eine halbe Million Dollar. Wer gleich mir die menschliche Arbeit als alleinigen Quell allen irdischen Reichtums anerkennt, sucht mit mir nach den Faktoren, welche das Arbeitseinkommen von in Relation ein paar wenigen gegenüber den allermeisten übrigen Arbeitseinkommen nicht nur verzehn-, oder verzig- sondern sogar verhundertfachen. Wie also entstehen aus der Arbeitstätigkeit des Mark Zuckerberg in zehn Arbeitsjahren mehr als 50 Milliarden US-Dollar?
Extreme Arbeitsleistung nach Zeiteinheiten kann dafür nicht die Ursache sein, denn der Tag hat nur 24 Stunden, das Jahr nur 365 Tage. Besondere Genialität wohl auch nicht. Wäre dies zumindest prinzipiell der Fall, hätten Geistesgrößen wie Einstein, Heisenberg und wie sie alle heißen mögen zumindest Millionäre gewesen sein müssen, was sie aber bekanntlich nicht waren. Und besonders genial war Zuckerbergs Idee von der Schaffung seiner Internet-Kommunikations-Plattform wohl auch nicht, sieht man vom unternehmerischen Instinkt ab, damit Geld zu verdienen. Die technischen Voraussetzungen dafür lagen längst vor, hierfür bedurfte es keiner weiteren schier übermenschlichen Kreativität. Was er tat, war im übertragenen Sinne nichts anderes, als das eigentliche technische Innovat „Benzinmotor“ auf Räder zu montieren.
Ich gestehe, Zuckerberg ist ein schlechtes Beispiel, da ihm weltweit Millionen seiner Jünger mit ihrer Darstellungs- und Mitteilungssucht das Geld geradezu schaufelweise in den Rachen werfen. Darin gleicht er Supermodels, Spitzenprofisportlern und Unterhaltungskünstlern der Extra-Klasse. Und trotzdem: Ohne die weltweit etwa 10.000 Beschäftigten seines Unternehmens wäre er mit seiner Idee wohl nicht einmal in der Lage gewesen, pro Jahr den oben benannten us-amerikanischen Durchschnitt zu realisieren.
Nicht anders beim nahezu gottgleich verehrten „Apple“-Begründer Steve Jobs.
Um es an dieser Stelle schon einmal vorwegzunehmen und denen den Wind aus den Segeln zu nehmen, welche da sogleich unterstellen, ich argumentierte hier aus reinem „Sozialneid“: Dem ist nicht so. (Wobei freilich genau an dieser Stelle die durchaus berechtigte Frage aufzuwerfen wäre: Ist der immer wieder - paradoxerweise nicht selten selbst seitens derer, welche eigentlich eher den unterprivilegierten Schichten zuzuordnen sind - zur Zurückwerfung kritischer Argumente ins Feld geführte „Sozialneid“ nicht möglicherweise nur die besondere Form eines sozialen und vor allem ökonomischen Gerechtigkeitssinns?) Ich jedenfalls gehörte nie zu denen, welche sich dazu berufen fühlten, elitär an irgendeiner der Spitzen im sozialen Hierarchiesystem zu stehen. Auch vermied ich es stets, soweit ich dies vermochte jedenfalls, Arbeitsaufgaben der günstigeren Besoldung wegen anzunehmen so diese Aufgaben nicht mit meinen Interessen übereinstimmten. Dies in nicht geringem Maße zum Leidwesen meiner Gattin. Was mich hier zum Schreiben treibt, ist nicht Neid sondern allein das Motiv, den Schleier um den Kult des Unternehmertums, soweit dies in meinen Möglichkeiten steht, zu lüften und dazu beizutragen, den „Unternehmer“ als geheiligten Mythos von dem Thron zu stürzen, auf welchen er nicht hingehört. Nicht so jedenfalls. Es ist mir völlig egal, ob irgendein Zuckerberg oder Jobs oder Mr. Someone-Else sich die Taschen vollstopfen, auch wenn ihre dann prall gefüllten Taschen nur marginal mit ihren tatsächlich erbrachten persönlichen Arbeitsleistungen übereinstimmen sollten. Was mich jedoch wirklich erbost, ist der Umstand, dass nicht wenige der Wirtschaftseliten, egal ob selbst Unternehmer oder „nur“ solche ihrer hochdotierten Handlanger, sich in maßloser Arroganz einbilden, etwas Besonderes zu sein, zu denen zu gehören, welche mit natürlicher Vorausbestimmung gewissermaßen dazu berufen sind, und diejenigen, die - aus welchem Grunde auch immer - nicht zu ihrem hehren Kreis gehören, so zu rupfen, dass es seine Art hat. Ein erlebtes Beispiel soll diese meine Aversion unterstreichen, dies ironischerweise aus tiefster DDR-Vergangenheit.
In Zeiten von Mangelwirtschaft, was ökonomisch nichts anderes heißt, als dass das Verhältnis von Warenangebot und Geldmenge zuungunsten des Warenangebotes in Schieflage geraden ist, bauen sich im allgemeinen schnell kriminelle Strukturen auf, welche aus der Situation ihren Nutzen ziehen. So geschehen auch im Bezirk Karl-Marx-Stadt Mitte der 1970er. Ein gigantischer Schiebering hatte sich gebildet, angeführt vom Trainer einer in der Mittelklasse spielenden Fußballmannschaft. Es wurde mit allem geschoben, was den Bedarf nicht abdeckte: Lizenzschallplatten, Damenstrümpfe, Badkeramik und –armaturen, Personenkraftwagen. Am lukrativsten liefen die Schiebegeschäfte mit Wohnraum. Einen Wohnungsmarkt im eigentlichen Sinne gab es nicht, sieht man von den Tauschbörsen ab. Die Vergabe von Wohnraum erfolgte neben den staatlichen Agenturen in großem Umfang über die volkseigenen Betriebe. Bedarfslisten bestimmten den Zuweisungstermin. Wer eher Bedarf anmeldete, stand auf der Liste weiter vorn. Die auf der Liste hinten Stehenden warten drei, vier oder gar sechs Jahre. Woraus geschlussfolgert werden kann: die vorderen Listenplätze waren begehrt. Für Geld kriegt man bekanntlich alles, so auch im Sozialismus, es ist ausschließlich eine Frage der Höhe des Betrages. Mit einem Betrag von 3.000 Mark konnte man sich „schwarz“ einen der begehrten vorderen Wohnungsvergabe-Listenplätze „erkaufen“, was die Zuweisung der Wunschwohnung innerhalb eines halben Jahres vorantrieb. Die im Schiebering Schiebenden verdienten sich so allesamt goldenen Nasen bis der Ring mit Karacho aufflog und die Rädelsführer vor Gericht standen. Der Urteilsverkündung wurde aus ideologischen und erzieherischen Gründen in der Bezirkspresse der SED großer Raum zugemessen: eine ganze Seite. Maßgeblich für mich waren damals und sind noch heute die Ausführungen des Hauptbeschuldigten. Ob seines Motivs befragt, äußerte er ohne den Anflug der geringsten Zurückhaltung, dass die Menschen insgesamt gleich dem Prinzip der Fußball-Liga in zwei Hauptgruppen einzuteilen seien, die Gruppe der Cleveren und die der weniger Cleveren. Funktion der erstgenannten Gruppe sei es, die zweitgenannte gehörig zu schröpfen, Tor für Tor, Punkt für Punkt, Mark für Mark. Eine ähnliche Lebensphilosophie entnahm ich vor wenigen Jahren einem Spiegel-Artikel, worin die Berufserlebnisse einer Uni-Absolventin in einer der großen deutschen Wirtschaftsberatungs-Agenturen abgehandelt wurden. Gleich am ersten Tag sei sie dort mit der Firmenphilosophie vertraut gemacht worden, die da im Kern lautete: Wir sind die Elite, die Auserwählten. Die persönlichen Befindlichkeiten derer, über die wir mit unseren Schlussfolgerungen ein wie auch immer unerträgliches Urteil zu fällen haben, sind irrelevant. Unsere Themen sind ausschließlich Effizienz und Gewinn unserer Auftraggeber. Elitäres Maschinendenken.
Derartige Denkweisen mögen im ersten Moment als eine Ausnahmeerscheinung empfunden werden. Kratzt man aber den Lack von all den eloquenten Umschreibungen des Unternehmertums hinsichtlich Motivation und Bestimmung ab, gelangt man unweigerlich punktgenau wieder genau dorthin. Selbstgefälligkeit, Machtanspruch, Profitgier. So entnahm ich erst vor Tagen einer in Managerkreisen vorgenommenen Analyse, dass die befragten hochkarätigen Wirtschaftsfunktionäre ohne Ausnahme dem Umstand, eine wichtige Position einzunehmen und mit Hilfe dieser nicht nur ein enormes Gehalt sondern darüber hinaus auch gigantische Boni zu beziehen, das Wichtigste Ziel in ihrem Leben sei. So wichtig, dass sie selbst um des Preis eines möglichen nachfolgenden jähen und tiefen Absturzes eben diese Position anstrebten. Koste es was es wolle. Wir haben kein Problem damit zu sehen, dass Menschen mit den oben genannten Eigenschaften selbstredend alles daran setzen werden, die einmal erreichte Position mit Klauen und Zähnen zu verteidigen und, wenn es nur irgendwie geht, auszubauen.
Zurück zu Steve Jobs. Worin bestand bei sachlichem Lichte besehen seine Leistung, auf welcher am Ende sein gigantisches persönliches Vermögen beruht? Dass er in seiner Garage mit Gleichgesinnten aufopferungsvoll, fleißig und mit aller Hingabe werkelte, ist unbestritten. Jedoch kreative Genialität? Wohl kaum. Auch er nutzte gleich Zuckerberg nur, was an technischen und technologischen Erkenntnissen nicht nur geistig sondern längst auch schon materiell vorlag: Er passte die ursprünglich für industrielle und militärische Belange erdachten und eingesetzten Rechenmaschinen so an, dass sie vom Umfang und Preisgestaltung her auch für Otto-Normalverbraucher eingesetzt werden konnten, vordergründig angedacht damals für elektronische Spielereien. Das ist genau besehen nicht einmal eine ingenieur-technische Leistung sondern, auch wenn es denn schal klingen mag, eher dem Bereich des Handwerks zuzuordnen. Was sich daraus einst entwickeln würde, konnte Jobs nicht voraussehen. Seine unternehmerische Leistung war im Kern eine kaufmännische. Sie bestand schlussendlich darin, ein im engeren Sinne Werkzeug für den massenhaften Alltagsgebrauch in jedem Haushalt marktfähig zu machen. Die Beantwortung der Frage, inwieweit allein diese Idee schon ein Milliardenvermögen rechtfertigt, gehört zum moralisch-ethischen Bereich, aus rein ökonomischer Sicht lässt sie sich nicht begründen. Dass aber am Ende das Jobs-Vermögen einer solch fulminanten Inflation zugeführt werden konnte, ist wohl doch viel eher der in seinem Unternehmen eingesetzten Arbeitskräfte zu verdanken. Allein gelassen mit seiner Idee hätte er sich mit den Umsätzen, welche er im Kreise seiner Kameraden in der Garage erwerkelte, wohl geradeso über Wasser halten können.
„Reicher Mann und armer Mann / Standen da und sah'n sich an. / Und der Arme sagte bleich: / Wär' ich nicht arm, wärst du nicht reich“, schrieb einst Bert Brecht. Worin aber kann sie liegen, die Ursache für die geradezu wundersame Reichtumsmehrung in den Händen eines Unternehmers? Nun, wir sahen es schon: Schlichtweg in der Umverteilung von Wertschöpfungsanteilen, der Reichtum der Wenigen ist eine Funktion der Armut von Vielen. Wie geht das so ohne weiteres? Ohne dass auch nur im leisesten der Verdacht krimineller Aktivitäten ruchbar wird? Ohne dass diejenigen, welchen man die Wertschöpfungsanteile unbezahlt aus der Tasche zupft, dagegen aufbegehren? Antworten versuche ich, in den folgenden Abschnitten zu geben.
Ich stelle voran, dass meine Auslassungen nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Arbeit haben. Auch stellen sie nicht im geringsten den Versuch dar, ein derartig komplexes Thema in seiner Vollständigkeit abzudecken. Diejenigen, welche Quellenangaben und Querverweise suchen, werden enttäuscht sein, ich habe solche mit Bedacht außen vor gelassen. Dies betrifft gleichermaßen detaillierte statistische Quantifizierungen meiner Aussagen. Ich gehe dabei davon aus, dass die Churchill wohl vom Goebbelschen Propagandaministerium in den Mund gelegte These: ‚Ich vertraue nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe‘, wohl ihre prinzipielle Richtigkeit hat. Beide letztgenannten Merkmale akademischer Unterfangen, also Quellennachweise und Quantifizierungen, sind indes ohne besondere Schwierigkeiten, dies selbstredend vor allem dank Steve Jobs Initiative, per Internet recherchierbar.
Ich habe mit dieser Schrift nicht vor, die soziale Schicht der Unternehmer verbal in Grund und Boden zu stampfen. Ich weiß, sie ist notwendig, denn ohne ihre wie auch immer motivierte Umtriebigkeit wäre unsere Welt technisch-technologisch noch weit hinter dem Berg. Aber ich sehe diese Welt auch so, dass unregulierte private unternehmerische Umtriebigkeiten auf Grund ihrer unternehmerischen Kernmotivation nicht nur im nationalen sondern zunehmend im globalen Rahmen zu gigantischen gesellschaftlichen Verwerfungen und Spannungen führen. Spannungen, welche, so ihnen nicht rechtzeitig mit geeigneten Mitteln entgegnet wird, für die Menschheit insgesamt eine Gefährdung darstellen. Denn wie naiv muss man sein zu glauben, dass eine Wirtschaftswelt, so komplex und global wie die unsere, ohne jegliche Regulierung allein mittels des von privaten Interessen getragenen Marktes, der Smithschen „unsichtbaren Hand“, und dies zumal ja erst im Nachhinein, optimal zu verwalten wäre. Oder wie bösartig verlogen, solcherart Irrglauben noch zu verbreiten. Dies alles angesichts dessen, dass einerseits wirtschaftliche Prozesse innerhalb der Unternehmen bis hin zu Großkonzernen sehr wohl konsequenten Planungsritualen unterliegen, und andererseits auch jede Menge an Indizien und Beweisen für das Nichtfunktionieren der kapitalistischen Selbstregulierung vorliegen.
Ich lasse mich in meinen Überlegungen im wesentlichen davon leiten, was ich in sieben Lebensjahrzehnten selbst aus den diversesten Gegebenheiten im Sinne des Themas gesehen, gehört, erkannt und erfahren haben. Dass ich dabei zuweilen auf andere Quellen als die meinen, so dies im Interesse meiner kleinen Streitschrift steht, zurückgreifen werde, ist unterstellt.