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Meine Zeit im geteilten Deutschland bei voller Beleuchtung
ОглавлениеAls meine Mutter sich sicher war, mit mir schwanger zu sein, öffnete sie eine Flasche Wein, nahm einen Hocker, stieg auf einen Tisch und sprang hinunter. Diesen Vorgang wiederholte sie, bis die Flasche Wein leer war.
Ich habe meine Mutter Zeit ihres Lebens nie mehr angetrunken erlebt.
Der Versuch mich auf diese Weise loszuwerden, hing im Wesentlichen damit zusammen, dass die Geburt meiner Schwester nur wenige Monate zurück lag. Sie war am 28. August 1951 geboren und ich kam am 28. November 1952 auf diese Welt.
Unsere gesamte Familie hat ihre Wurzeln in Vorpommern. Das Dorf Lassan und die Kleinstadt Gatzkow waren das Zentrum dieser kleinen Welt.
Nach meiner Geburt musste ich noch bis zum 24. Februar 1953 warten, bis mein Cousin geboren wurde. Der Familienfeier zur Doppeltaufe stand nun nichts mehr im Wege. Nach den Erzählungen meiner Mutter war ich bei dieser Tauffeier noch einmal kurz in Lebensgefahr. Die Täuflinge waren in einer Kammer vor einem Fenster abgelegt worden. Mit fortschreitender Feier musste mehr Luft in die Räumlichkeiten. Beim Öffnen des Fensters hinter uns Täuflingen hätte sich mein Vater beinahe auf mir abgestützt. Mein Vater konnte sich immer auf mich verlassen. In diesem Moment wäre es aber noch zu früh gewesen.
Einzeltaufen gab es zuvor und danach bei allen meinen Cousins und Cousinen.
Die frühen Jahre unserer Kindheit verbrachten wir in Lassan. Es war das Dorf unserer Kindheit, weil wir dort auch später unsere Ferien verbrachten.
Dorfleben ist Landwirtschaft. Ich kam sehr schnell dahinter, wie man sich einen Groschen oder gar eine Mark verdienen konnte. Meine Tante Hilde honorierte das Stallausmisten öfter mit einer kleinen Geldzuwendung. Pferdestall, Kuhstall brachten nicht so viel wie Hühner- oder Schafstall. Wer einmal einen Hühnerstall ausgemistet hat, weiß warum.
Mein Onkel Hermann arbeitete bei den Kühen. Es war nicht nur das Melken, er hütete sie auch auf der Weide. Ich ging gerne mit, weil er eine schwarze Stute namens Rösi bei sich führte.
Ich erinnere mich an einen herrlichen Sommertag. Mein Onkel legte sich ins Gras, schob den Hut vor die Augen und kaute auf Grashalmen, bis er einschlief.
Ich konnte mich dann an dem Pferd und den Kühen ausprobieren. Der Knoten des Pferdesattels fügte mir beim Reiten einige Schmerzen zu.
Ich konnte als Kind unbeschwert meinem Übermut Zucker geben. Das Kutschieren von Pferdegespannen machte mir genauso viel Spaß wie das Fahren eines Herrenfahrrads. Auf Grund meiner Körpergröße musste ich mit meinen Beinen unter die Stange des Fahrrades. Es klappte wunderbar.
Ich wuchs heran und meine Wünsche, mir das eine oder andere zu leisten auch. Der Tag, als ich 14 Jahre alt wurde, war für mich sehr wichtig. Mit 14 Jahren konnte man Ferienarbeit machen und ein gutes Taschengeld verdienen. Ich arbeitete als Zimmermädchen im Hotel »Warnow« oder auch im Straßenbau. Meine erste Ferienarbeit allerdings war in Lassan bei der Getreideernte. Ich schaufelte Getreide von Traktorenanhängern in ein Gebläse, welches das Korn auf den Kornboden förderte. Die Anzahl der Hänger nahm kein Ende, die Sonne brannte gnadenlos und ich bekam Blasen an den Händen. Mein Onkel Karl war LPG-Vorsitzender und wollte nachsehen, wie sich sein Neffe so machte. In dem Moment, als er neben dem Hänger stand und mir zuschaute, platzten die Blasen an meinen Händen. Der Staub und die Feuchtigkeit in meinen Händen verursachten große Schmerzen. Ich biss die Zähne zusammen und schaufelte weiter.
Es war für mich unmöglich aufzugeben, denn ich war mittlerweile ein Stadtkind geworden.
Der Weg meines Vaters führte ihn aus der Schreibstube der Bürgermeisterei von Gatzkow erst nach Greifswald und dann nach Rostock.
Mein Vater schlug nach dem Zweiten Weltkrieg eine politische Laufbahn ein. Er wurde in Rostock politischer Mitarbeiter der Bezirksleitung der SED. Das hatte nicht zur Folge, dass es uns finanziell besser ging als anderen.
Nachdem unsere Familie teilweise abenteuerliche Wohnbedingungen hatte, bezogen wir eine Zweieinhalbzimmerwohnung im Stadtteil Reutershagen. Meine Eltern und wir, mittlerweile drei Kinder, kamen damit gut zurecht. Ich hatte also eine große Schwester und eine kleine Schwester.
Meine Einschulung war kurz zuvor in einer reinen Jungenschule, der Borwinschule.
Die erste Lehrerin, Fräulein Schwaan, warf mir Kreide, einen Schwamm und auch einen Schlüsselbund hinterher. Es war gut, dass ich nach Reutershagen in die Türmchenschule umgeschult wurde. Da es zu der Zeit viele Kinder gab, waren die ersten Klassen eingeteilt in 1a, 1b und 1c. Das Lernen nahm ich zu Beginn nicht sonderlich ernst. Meine Schwester, die ein Jahr weiter war als ich, bekam eine Brille. Dieser Umstand war damit verbunden, Augentropfen zu bekommen. Die Teilnahme am Unterricht war also eingeschränkt.
Ich wollte auch eine Brille. Um an dieses Ziel zu kommen, las ich beim Augenarzt einiges falsch, so wie meine Schwester.
Die Augentropfen und die Brille verschafften mir ein wenig Freizeit im Unterricht. Vielleicht war es aber noch wichtiger, aus der Reihe zu tanzen.
Irgendwann merkt jeder Schüler, dass es ohne lernen nicht geht. Es stellte sich also ein Mindestmaß an Fleiß ein. Ich hatte Erfolge und Misserfolge, war nie ein Egoist und kam mit meinen Mitschülern sehr gut aus. Es entwickelten sich Kinder- und Jugendfreundschaften.
Wir gingen jeden Tag zu Fuß zur Schule, egal wie lang der Weg auch war. Es gab Frühschicht und Spätschicht. Die Anzahl der Schulen reichte noch nicht für alle Kinder. Der Heimweg im Winter war dann schon mal im Dunkeln. Ich besuchte in Reutershagen die 25., die 27., die 28. und 30. Polytechnische Oberschule. Ich siedelte mich zwischen den Zensuren 3 und 2 an. Manchmal habe ich heute das Bedürfnis, mich bei den Lehrern für meine Albernheiten zu entschuldigen.
Wichtiger als die Schule nahmen wir unsere Freizeit. Der Sportunterricht in der Schule konnte unseren Bewegungsdrang nicht befriedigen. Wir spielten und tobten, im Sommer wie im Winter bis zum Dunkelwerden.
Auf unserem Hof war eine Schaukel, die nicht für Überschläge konstruiert und gedacht war. Wir schafften es.
Eine Besonderheit im Stadtteil Reutershagen waren die »Reutershäger Füchse«. Es gab einen jungen Mann namens Ingo Ruepp, der sich der Aufgabe verschrieb, die Straßenjungen zum Fußballspielen in einer ganz besonderen Form zu bewegen. Er schaffte es, einen regelrechten Spielbetrieb zwischen Straßen- und Hofmannschaften aufzubauen. Manche Mannschaften organisierten sich nach ihrer Straße und andere nach den Hinterhöfen. Es gab logischerweise weder einheitliche Kleidung noch Schuhwerk. Man kannte sich, man wusste, wer zu seiner Mannschaft gehörte. Dieser Spielbetrieb lief bestimmt drei Jahre. Der Name »Reutershäger Füchse« war dem Journalisten Liebenberg zu verdanken. Er brachte die Spielergebnisse und Torschützen des Wochenendes in die regionale Tageszeitung. Es macht stolz, wenn man seinen Namen in der Zeitung lesen kann.
Viele der Jungs gingen dann in die bekannten Fußballclubs der Stadt. Ich ging zum FC Hansa Rostock. Es war ein kurzes Gastspiel. Mein Freund Berndt, der bei der BSG FIKO spielte, berichtete mir, dass es immer ein Mittagessen gab, wenn sie auswärts spielten. Meine Entscheidung stand fest, ich gehe zu FIKO. Es war die Betriebssportgemeinschaft des Fischkombinates Rostock. In dieser BSG wurden auch international bekannte Radsportler gefördert. Rostock hatte starke Sportclubs, Rostock war eine Sportstadt.
Mein Schulfreund Rainer schaffte es von den »Reutershäger Füchsen« mit dem FC Hansa bis in die Juniorenoberliga der DDR und zum DDR-Meister, bevor er dann zur See fuhr.
Rainers Mutter war alleinstehend und konnte ihren vier Kindern auch nicht jeden Wunsch erfüllen. Rainer war der jüngste in der Riege.
Unsere Mütter hatten in einem Winter nur die günstigen Kohlen bzw. Briketts bestellt. Der Winter dauerte aber leider länger als geplant. Rainer und ich mussten dann mit einem Handwagen vier Sack Kohlen von einem Kohlenhof holen. Es hatte geregnet, der Regen war wieder gefroren, die Fahrt wurde zum Abenteuer.
Wir Kinder waren in die Aufgaben, die wir leisten konnten, in der Familie eingebunden.
In meinem Stadtteil war ich bekannt als fleißiger Altstoffsammler. Die DDR hatte ein tolles System, um Altstoffe wieder in den Kreislauf der Wirtschaft zurückzuführen. Man nannte es SERO. Das bedeutet »Sekundärrohstoffe«. Mit diesem System konnte man sich auch wieder ein gutes Taschengeld verdienen. Flaschen, Gläser, Altpapier und Lumpen. Ich wusste über die Zeit ganz genau, wer viel trank. Das waren für mich gute Kunden. Wenn ich Lumpen nach Hause brachte, kontrollierte meine Mutter, ob Stricksachen dabei waren. Diese wurden aufgetrennt, gewaschen und wieder zu Pullovern verarbeitet. Wenn ich daran denke, tun mir meine vorgestreckten Arme, an denen die Wolle aufgewickelt wurde, heute noch weh,. Ich hatte nie einen einfarbigen Pullover. Meine Pullover bestanden immer aus Resten.
Mit meinen Nebentätigkeiten konnte ich allerdings nie das Geld für ein Fahrrad erwirtschaften. Ich vergoss viele Tränen, bis meine Mutter meinen Vater dazu bewegte, sein Fahrrad aus irgendeinem Dorf wieder nach Hause zu holen. Mein Vater war bei der Gründungsbewegung der LPG’s im Auftrag seiner Partei unterwegs und hatte sein Rad irgendwo stehen lassen. Das Rad kam tatsächlich in Einzelteilen bei uns an. Die Teile passten allerdings nicht so recht zusammen. In unserer Hausgemeinschaft wohnte ein Mann, der das mitbekam. Er schenkte mir seinen kaputten Hühnerschreck, man sagte auch Hackenwärmer. Das war ein fahrradähnliches Gefährt mit Motor. Aus allem baute ich mir mein erstes Fahrrad. Durch die Vollballonreifen vom Hühnerschreck waren Treppen und Kantsteine kein Problem. Mir fuhr jedenfalls keiner hinterher.
Mein erstes richtiges Fahrrad kaufte ich einem Jungen aus der Nachbarschaft mit meinem Jugendweihegeld ab. Er bekam von seinen Eltern ein neues Fahrrad.
Die Jugendweihen und Konfirmationen waren gleichzeitig große Familienfeiern. In unserer Familie wurde gern gefeiert und gesungen. Die Geburtsjahrgänge der Cousins und Cousinen sorgten für eine gewisse Kontinuität an Feierlichkeiten. Hinzu kamen natürlich noch andere wichtige Anlässe.
Das Erwachsenwerden kam nach dieser Zeit mit relativ großen Schritten. Vieles geschah gleichzeitig. Neue Interessen, neue Freunde und viele Einflüsse von überall her.
Mein Freund Berndt begann Gitarre zu spielen. Er konnte dann schon einen kleinen Chor begleiten, in dem ich mitsang.
Seine Eltern erlaubten, dass wir uns einen Partykeller einrichteten. Wir hörten Musik von einem Tonband »Smaragd«, sangen und spielten vieles nach. Es gab ja nicht nur uns, die dieser Welle des Beats folgten. Man lernte viele andere Jungs und Mädels kennen.
Es war schon nicht einfach, eine Gitarre zu haben, auf der man üben und spielen konnte. Die erste Wandergitarre, die ich hatte, kostete 35 Mark. Sie wurde zur Elektrogitarre, indem ich einen Tonabnehmer einbaute und mit der Endstufe unseres Radios verband.
Die Ansprüche an Instrumente und Technik wurden immer größer. Wir tauschten uns mit anderen aus und liehen uns auch manchmal Dinge aus. Die meisten Jungs, die wir kannten, waren keine Musikschüler, es waren fast alles Autodidakten, die voneinander lernten.
Es fanden sich schnell Leute, die eine Band gründeten. Man konnte im Sommer im Freien üben. Das hatte zur Folge, dass man von den Anwohnern verscheucht wurde.
In unserem Fall half der Vater von Richard. Er arbeitete in einem Großbetrieb und besorgte uns einen Probenraum. Über die FDJ-Leitung dieses Betriebes liehen wir uns auch später Verstärker und Mikrofone aus. So und ähnlich lief es bei anderen auch. Es gab Einzelfälle, die es in die Musikszene der DDR schafften. Das natürlich mit richtiger Musikausbildung und der nötigen Unterstützung.
Wir kamen mit unseren Künsten über einen Auftritt in einem Jugendclub, Brigadefeiern und Dorffeste nicht hinaus. Richard besorgte uns einen Auftritt in Mönchgut, einem Dorf bei Rostock. Unser Bühnenbild war großartig. Wir hatten zwei Tonsäulen, die jeweils aus fünf übereinander geschraubten Radios bestanden und mit blauem Fahnenstoff verkleidet wurden. Drei Notenständer waren auf der Bühne, obwohl keiner Noten lesen konnte. Weiterhin standen dort fünf Mikrofonständer, in denen zwei Mikrofone steckten, die gut funktionierten. In die anderen hatten wir rote PVC-Rohre mit Kristallmikrofonen gesteckt, die eigentlich nicht viel brachten. Es war wichtig, dass irgendwie ein Kabel auf die Bühne fiel. Für unsere Pauke schlugen wir einen 2 Zoll-Nagel in die Bühnenbretter, damit sie nicht weg sprang. Unser Schlagzeuger, Henning, saß auf einem Barhocker, weil die Pauke eine große Marschpauke war. Der Klang der Pauke war musiktechnisch völlig in Ordnung. Es standen geliehene Verstärker »Regent 60«, selbstgebaute Verstärker, Mischverstärker und Verzerrer auf der Bühne. Ein Lötkolben, Transistoren und Dioden waren bei Schäden immer einsatzbereit. Jeder von uns gab sich Mühe, gut gekleidet zu sein. Je nach Mode waren Schlaghosen angesagt oder enge Hochwasserhosen mit bunten Socken. Ich weiß von einer Rostocker Band, die einheitlich in Zimmermannshosen auftrat. Sie machten sich Schweißdraht in den unteren Hosensaum, damit die Glocken richtig zur Geltung kamen.
Der Tanzabend in Mönchgut war jedenfalls gut gelungen. Gegen Mitternacht gab es eine Saalschlägerei und der Clubchef bat uns weiter- und durchzuspielen. Wir hatten Zeit. Unser Zug fuhr erst morgens um 6.00 Uhr.
Es war eine tolle Zeit, die bis nach der Berufsausbildung andauerte.
Das Ende der Schulzeit und der Beginn der Lehrzeit waren prägende Ereignisse.
Ich ging zehn Jahre zur Schule und begann eine Lehre als Schiffselektriker beim VEB Fischkombinat Rostock.
Bevor ich dieses Ziel ansteuerte, hatte ich noch die kühne Idee, nur acht Jahre zur Schule zu gehen, Koch zu lernen und in der Hochseefischerei zur See zu fahren.
Ich hatte einen Onkel Siegfried mütterlicherseits, der dort zur See fuhr. Er war im Krieg bei der Luftwaffe als Funker. Als Funker fuhr er dann auch zur See. Wenn er bei uns zu Besuch weilte, war der Tisch reich gedeckt mit Dingen, die er mitbrachte. Ich wollte so schnell wie möglich auch in eine solche Situation kommen.
Mir war da noch nicht klar, dass es das nicht geschenkt gab.
Die letzte Hürde, um in der Hochseefischerei zur See zu fahren, war also meine Ausbildung zum Schiffselektriker.
Wir hatten sehr gute Lehrer und Ausbilder, die so manchen Streich, den wir uns erlaubten, nicht verdient hatten. Wenn ich meinte, mal einen Tag zu fehlen, schrieb mein Freund Erhard auf Blaupapier für mich mit und ich tat es für ihn.
Nach und nach schlich sich aber fast automatisch die Ernsthaftigkeit des Arbeitslebens ein. Im zweiten Lehrjahr arbeiteten wir mit gestandenen Facharbeitern im Schiffsneubau und in der Schiffsreparatur zusammen. Das schmeckte schon nach richtiger Arbeit und die Zeit, tatsächlich auf eigenen Beinen zu stehen, kam immer näher.
Es kam der Tag der medizinischen Untersuchung zur Seetauglichkeit. Bei der Urinprobe konnte ich nicht. Erhard gab mir von seinem Urin etwas ab und wir waren beide seetauglich.
Ich musterte auf dem Transport- und Verarbeitungsschiff »Junge Garde« an. Es war ein Fabrikschiff. Das Fischkombinat hatte zwei Schiffe dieser Art. Es waren die größten Schiffe, die je in Deutschland in der Fischerei unterwegs waren.
Die »Junge Garde« wurde drei Jahre bevor ich anmusterte in einer dramatischen Rettungsaktion im Nordatlantik mit Hilfe anderer Schiffe unserer Flotte aus dem Packeis befreit1.
Ich hatte die Ehre mit Menschen zusammen zu arbeiten, die maßgeblich an dieser Rettung beteiligt waren. Diese Leute machten aus mir einen brauchbaren Schiffselektriker.
Wir waren nicht nur für die Elektrik zuständig. Wenn die Fischerei es erforderte, wurde mit Mann und Maus im Fisch gearbeitet. Wir machten Umschlag auf See und gaben unsere Ware an Transportschiffe ab. Die Reisezeit lag bei 120 Tagen auf See. Neben der Arbeit lernte ich die Naturgewalt des Meeres und die Schönheit der Natur kennen.
Schnell wurde mir klar, dass das gute Geld nicht geschenkt war. Diese Tatsache hinderte mich allerdings nicht, mein Geld an Land mit beiden Händen wieder auszugeben.
Das erste, was ich kaufte, war ein super Damensportfahrrad für meine kleine Schwester.
Bevor ich zu meiner zweiten Seereise startete, war ich mit Routinearbeiten beschäftigt. Ich erwartete einen neuen Kollegen auf meiner Kammer und schaute hin und wieder nach, ob er schon da sei. Zunächst stand erst einmal ein Koffer in unserer Kammer, mit dem Namensschild »Kurt Schubert«. Als ich mittags Feierabend machte, saß der dazugehörige Mann auf meiner Couch. Ich sprach ihn sofort mit seinem Vornamen »Kurt« an und machte ihm Mut, denn es war seine erste Seereise. Er kam aus Merseburg und hatte bis dahin in den Leuna-Werken als Elektriker gearbeitet. Seine junge Ehe und sein Fernstudium waren gerade gescheitert und er sucht einen Neuanfang auf See. Unsere Reise dauerte bereits etwa 50 Tage, wir saßen uns gegenüber und tranken Glühwein vom »Erlauer Burgunder«, das Schiff wiegte sich in einer leichten Dünung und draußen war ein Schneesturm im Gange. Kurt schaute mich plötzlich mit festem Blick an und gestand: »Ich heiße Horst, das ist der Koffer meines Vaters.«
Im Jahr 1968 hatte ich beim Zelten in Ecktannen-Waren Müritz meinen Freund Manfred aus Halle kennengelernt. Diese Freundschaft sorgte dafür, dass ich in meiner Freizeit quer durch die DDR reiste. Ich lernte neue Menschen kennen und bekam andere Eindrücke von Land und Leuten. Es war noch anders als auf See.
Wir waren jung und ich hatte die Taschen voller Geld. Es ergab sich, dass mein Freundeskreis den Freundeskreis von Manfred kennenlernte.
Ich fuhr nicht nur mit dem Zug, sondern hatte Freunde mit Motorrad oder Auto. Das Auto von Christoph war ein EMW-Kombi mit 4-Takt-6–Zylinder-Reihenmotor in Atlantikgrün. Er hatte sich diesen Wagen für 300 Mark vom Schrottplatz gekauft und mühevoll aufgebaut. Wir fuhren nicht nur bis und durch Sachsen, sondern auch bis Warschau.
In der DDR fuhr das Auto mit Katalytbenzin, einer Art Waschbenzin, für 20 Pfennig der Liter.
Der EMW verbrauchte 17 Liter auf 100 Kilometer und fuhr in der Spitze 105 km/h. Das Auto wäre auch mit Normalbenzin gefahren, das konnte sich Christoph aber auf Dauer nicht leisten. Wir hatten immer eine Weinflasche Normalbenzin an Bord. Das kippten wir bei Notwendigkeit schluckweise in die Lufttöpfe des Vergasers, wenn das Auto angekurbelt werden musste.
Das Motorrad gehörte Bernhard. Er war Motorenschlosser und baute seine Java auf zwei Vergaser und allerlei Extras um. Es war eine exzellente Arbeit als Motorenbauer. Die Maximalgeschwindigkeit konnte aber nicht verbessert werden. Eine Strecke von 450 Kilometern mit einer Java zu fahren, sorgt dafür, dass man das Ende der Fahrt im Stehen verbringt.
Das Fischkombinat brauchte immer qualifizierten Nachwuchs, denn die Flotte wuchs ständig mit neuen Schiffen an.
Ich sollte Elektroingenieur werden. Ich rechnete mir aus, dass Elektromeister auch ausreichend wäre. Der Elektromeister verdiente nur geringfügig weniger als ein Elektroingenieur und hatte eine wesentlich kürzere Studienzeit.
Der Kaderleiter (Personalchef) Albert Ganz, redete mit Engelszungen auf mich ein. Ich blieb bei meinem Entschluss und wurde Elektromeister.
Ich fuhr dann nur noch kurze Zeit zur See, denn die Einberufung zur Armee kam auf mich zu.
Bevor ich einberufen wurde, sprach ein Mitarbeiter der Staatssicherheit mit mir. Er eröffnete mir, dass ich an die Grenze käme und wollte mich als IM anwerben. Das Gespräch bereitete mir Unbehagen. Ich arbeitete vor meiner Einberufung ganz kurze Zeit an Land in einem relativ kleinen Kollegenkreis.
Ich sprach offen über das Gespräch und machte mich über das Ansinnen meines Gesprächspartners lustig.
In meiner Stasiakte konnte ich später lesen: »Anwerbung in der Aktion ›Grün‹ abgebrochen. Grund: Schwatzhaftigkeit.«
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1Dietrich Striebel, Wulf-Heinrich Hahlbeck; Hiev up – So war die Hochseefischerei der DDR, Koehlers Verlagsgesellschaft mbH Hamburg