Читать книгу Gesammelte Gedichte 2 - Joachim Stiller - Страница 3
Silbermond
Оглавление24.07.68
Als ich
geboren
wurde,
erblickte ich
das Licht
der Welt.
Als ich
geboren
wurde,
da schien
die Sommer-
sonne hell.
Traum (von und für Hilde Domin)
Ich war
fast noch
ein Kind
und lag
zuhause
in meinem
Bett.
Es war
die Zeit,
als ich noch
ein eigenes
Bett hatte,
und wie
ich wieder
in ihm lag,
erinnerte
ich mich
genau,
dass es
das beste
Bett war,
in dem
ich je
gelegen
hatte.
Nachgeben
Unsere kleine
Meinungs-
verschiedenheit
ist gleich
behoben;
gemach, gemach,
der Klügere
gibt nach.
Anfall
Ich habe
gestern
in einem
rauschhaften
Anfall
ein Gedicht
nach dem
anderen
rausgehauen;
da fing
sogar mein
Freund Karsten
an zu staunen.
Ganz
Ulrike sprach
einmal zu mir:
Du Ganz,
und in
der Tat,
ich konnte.
Direkte Demokratie und die Bienen
Was hat
die Biene
mit der
Direkten
Demokratie
gemein?
Zunächst
einmal
gar nichts!
Doch dann
stellt man
fest:
So, wie
die Biene
den Honig
sammelt,
sammeln
wir beim
Begehren
Stimmen ein.
Da Ding
Ich hab
einmal ein
Ding gedreht,
doch die
Sache tat
mir leid.
Ich glaub,
ich bin
nun ein
für alle
Mal kuriert.
Das Internet
Das Internet
ist der
größte
Schrotthaufen
in der
Geschichte
der lebenden
Menschheit.
Jeder bessere
Pansel glaubt,
dort ungestraft
seinen Senf
ablegen
zu dürfen.
Probleme
Das Konto
ist geplündert,
die Bank,
die schmeißt
mich raus.
Ich weiß
nicht, was
ich machen
soll,
ich weiß
schon nicht
mehr ein
noch aus.
Licht
Ich singe
schräge Lieder,
und lache
hin und wieder,
über diese
gar zu
heile Welt.
Wir suchen
das Licht
am Ende
des Tunnels,
doch leider
ist uns der
Blick verstellt.
Weltmeister
Wenn man
den Rechen-
exempeln
glauben schenkt,
wird Brasilien
Weltmeister.
Scheibenkleister!
Dafür ist
Deutschland
Zeitausend-
undzehn
wieder dran.
Na dann!
Streichholz
Ich zünde
Meine Zigarette
an einem
brennenden
Streichholz an.
Wie schön
ich das
Streichholz
Doch an der
Anreißfläche
entzünden kann.
Zugedeckt
Ich decke
mich mit
meiner
kunterbunten
Decke zu,
vor dem
Bett, da
stehn die
Schuh.
Löwenzahn (von und für Hilde Domin)
Sie war
lange
genug
geblieben.
Die Wiesen
waren
gewachsen.
Am schönsten
aber war es,
als der
Löwenzahn
zu samen
begann.
Rudolf Steiner
Rudolf
Steiner
ist an
der über-
großen Last
seiner selbst-
gesteckten
Aufgabe
physisch
und
psychisch
zusammen-
gebrochen.
Handlungen und Taten
Rechtfertige
niemals Deine
Handlungen
und Taten,
oder ent-
schuldige
sie gar,
sondern tue
alles nur
um Deiner
selbst willen.
Gewalt
Gewalt
ist keine
Lösung.
Die einzige
Konsequenz
liegt in
der absoluten
Gewalt- und
Waffenlosigkeit.
Neandertaler
Die Neander-
taler sind
ausgestorben,
weil sie
von uns einfach
erschlagen
wurden.
Diese
Menschheit
ist nun
mal eine
Herrenrasse.
Das Bauwerk
Das Bauwerk
muss sein
wie die Musik,
wie eine
Symphonie,
wie ein
Konzert
oder wie eine
Melodie.
Literatur
Die Literatur
handelt immer
vom Leben
und seinen
existentiellen
Themen,
oder aber
es handelt
von Büchern,
und die
handeln wieder
vom Leben.
Gott leben
Ich glaube
nicht an
Gott, ich
Lebe ihn.
Gott leben II
Glaube
nicht an
Gott,
lebe ihn.
Faulheit
Am Wochen-
ende war
ich faul,
und habe
nichts getan.
Und doch
habe ich
geackert,
wie ein Stier.
Soziale Kunst
Die soziale
Kunst
ist nicht
nur Träger
des Christus-
impulses,
sie ist
die neue
Kunst,
die das
esoterische
Christentum
so lange
erwartet hat.
Blubber
Ich will
mit der
Blubber
blubbern,
und Blubber-
blasen
platzen
lassen.
Kinderreim (von und für Clemens Meyer)
Ich kenne
da einen
Kinderreim.
Ich summe
ihn vor
mich hin,
wenn alles
anfängt,
in meinem
Kopf verrückt
zu spielen.
Jakob
Also blieb
Jakob allein.
Da rang
ein Mann
mit ihm,
und der
Mann war
der Satan.
Alter (von und für E.A. Proulx)
Leos Gesicht
war so fein
gerunzelt,
wie auf
einer Wiese
getrocknetes
Linnen,
sein schmaler
Rücken war
gebeugt,
wie ein Ast
unter der Last
grauen Schnees.
Das Leben (von und für Patrick Modiano)
Das Leben,
das ich
seit einiger
Zeit führe,
hat mich
in einen
recht eigen-
tümlichen
Geistes-
zustand
versetzt.
Leben II
Das Leben
hat sein Spiel
zwischen
Licht und
Finsternis,
zwischen
Lichtem und
Schwerem
und zwischen
Vertikale und
Peripherie.
Kasper Hauser
Wenn Rudolf
Steiner über
Kasper Hauser
sagt, er sei
ein versprengter
Atlantier, so
meint er damit,
er sei ein von
der Gemeinschaft
der Atlantier
Verstoßener.
Kasper Hauser II
Wenn Rudolf
Steiner über
Kasper Hauser
sagt: Was
wäre, wenn,
so ist die
Antwort ein-
deutig: Er
wäre niemals
das Kind Euro-
pas geworden.
Erkennen
Erkenne die
Wahrheit,
damit Du dich
dem Raumes-
sein und
Zeitenwerden
weihest.
Sei Mensch
Sei Mensch,
und nur Mensch.
Trichotomie
An der
Tricho-
tomie
führt
kein Weg
vorbei.
Trichotomie II
Wir wissen
heute:
Jesus Christus
hat sein
Jünger die
Trichotomie
gelehrt.
Sie muss
heute wieder
allgemeiner
Glaubensinhalt
werden.
Die Erde
Wenn Rudolf
Steiner sagt,
die Erde sei
innen hohl,
so meint er
die astrale
Erde.
Das Schulwesen
Wir brauchen
ein freies
und selbst-
bestimmtes
Schul- und
Hochschul-
wesen, sonst
können die
Probleme nicht
gelöst werden.
Die Liebe
Die Liebe
ist nichts
anderes, als
die zwischen-
menschliche
Wärme.
Sie ist sub-
stantiell und
sakramental.
Aphoristisch
Je älter
ich werde,
um so
aphoris-
tischer
werden
meine
Gedichte.
Engel
Ich glaube
an die Welt
der Engel:
Immer da,
immer nah.
Nick Hornby
Nick Hornby
vermischt
Komödie
und Tragödie,
aber er ist
und bleibt öde.
Raum
Wir
schaffen
Raum.
Senioren
ins Alters-
heim.
Berlusconi
Berlus-
coni
wird jetzt
Hütchen-
spieler
in der
Fußgän-
gerzone.
Das passt
ganz gut
zu seinem
Image.
Der Märchenerzähler (von und für Rafik Schami)
Es ist
schon eine
seltsame
Sache:
Der Märchen-
erzähler
wurde
plötzlich
stumm.
Psychologie (von und für Leon de Winter)
In dem
Behand-
lungs-
zimmer
stand
nichts
weiter
als ein
Sofa.
Pizza
Lass uns
eine
Pizza
wagen,
die liegt
mir jetzt
ganz gut
im Magen.
Pizza II
Lass uns
Bei der
Tonno
bleiben,
das muss
ich schnell
mal nieder-
schreiben.
Weisheitsträume
Was in
der Ver-
gangen-
heit die
Weisheits-
märchen
waren,
werden
in der
Zukunft die
Weisheits-
träume
sein.
Frühjahr 1790 (von und für K. Neville)
Eine Gruppe
Nonnen über-
querte die Straße.
Die gestärkten
Hauben auf
ihren Köpfen
hoben und
senkten sich,
wie die Flügel
großer Meeres-
vögel.
Sonderregel
Wer ein
Figur
abgibt,
muss
aufgeben.
Einzelschicksal
Das Leben
geht oft
seltsame
Wege.
Jedes
Einzel-
schicksal
taugt für
mindestens
einen
Roman.
Rosenkranz (von und für di Lampedusa)
Nunc et
in hora
mortis
nostrae.
Jetzt und
in der
Stunde
unseres
Todes.
Amen.
Mornigwood
Es geht
mir gut,
trotz mor-
ningwood.
Regierung
Die Kette
der Bundes-
Regierungen
ist eine Ge-
schichte der
organisierten
Verant-
wortungs-
losigkeit.
Weihnachten
Morgen
ist mein
großer Tag,
morgen ist
Weihnachten.
Das Ende
Wir gehen
einem
geradezu
phantas-
tischen
Ende
entgegen,
einem
Ende,
das Du
Dir in
Deinen
kühnsten
Träumen
nicht
ausmalst.
Das Ende II
Am Ende
wird sich
die gesamte
Menschheit
entmateri-
alisieren
und in
ihre kos-
mische
Heimat
zurück-
kehren.
Bürger aller Länder
Bürger
aller
Länder,
vereinigt
Euch.
CDU
Wählt die CDU,
die einzige
kommunis-
tische Partei
Deutschlands.
Kopftuch
Geh doch
mal mit
Kopftuch
zur Schule
und sag,
das Kopftuch
sei Ausdruck
deines heid-
nischen Hexen-
glaubens.
Die Bundesregierung
Die Bundes-
regierung
hat jetzt
ein Erzieh-
ungsgeld
beschlossen.
Hat die Bundes-
regierung
sonst nichts
zu tun?
Erleuchtung
Ich bin ein im
modernen Sinn
Eingeweihter,
ein philosophisch
und ästhetisch
Erleuchteter.
Infiltration homogen
Ich bin die
Infiltration
homogen
für Konzert-
flügeljom.
Der, den man nicht wieder los wird (von und für A. Tisma)
Die Auf-
forderung
zum Ver-
lassen der
Wohnung
fiel wie
ein Same
auf un-
fruchtbaren,
morastigen
Boden.
Rettung (von und für A. Tisma)
Er wusste,
dass es um
seinen Kopf
geht, und er
wusste, wie
er sich retten
konnte: Er
musste sich
selber der
Justiz stellen.
Tagebuch (von und für A. Tisma)
Das Tagebuch
des Mädchens
hat längliches
Format,
sein
fester, roter
Einband
trägt in
der linken,
oberen Ecke
die gold-
geprägte
Aufschrift:
„Poesie“.
Meine Gedichte
Meine Gedichte
sind wie der
Ficus benjamin
vor meinem
Fenster, sie
bringen Leben
in meine be-
scheidene Welt.
Manuskript
Eine Brief-
marke habe
ich angeleckt,
die andere
in einen
Briefumschlag
gesteckt, und
das Manuskript
mal wieder
abgeschickt.
Gefunden
Ich könnte
nicht glück-
licher sein.
Jedenfalls
habe ich
gefunden,
wonach ich
immer ge-
sucht habe.
Revolution
Es wird
nie wieder
eine Re-
volution
geben.
Lebenslänglich
Ich habe
lebens-
länglich
bekommen,
einen
lebens-
langen
Aufent-
halt auf
dieser Erde.
Eine Schwalbe
Eine Schwalbe
macht noch
keinen Sommer,
eine Mücke
noch keinen
Elefanten.
Geld
Es stimmt
einfach nicht,
dass ich
mehr Geld
habe, als Du,
ich gebe
zwar mehr
Geld aus,
aber ich
habe es nicht.
Ein Licht
Ich
seh
ein
Licht!
Wo?
Da!
Nebensache
Da streiten
sich die Deut-
schen noch,
was denn
die schönste
Nebensache
der Welt ist:
Fußball,
Ficken oder
Faulenzen.
Wissen und Glauben
Wissen muss
nur der, der
Glauben hat.
Wer keinen
Glauben hat,
braucht auch
nicht zu wissen.
Die Zahl
„Eins“ ist
keine Zahl,
„Eins“ ist
nur ein
Wort. Die
Zahl be-
ginnt
erst mit
der „Zwei“.
Gedichte
Ich möchte
da hingehen,
wo die Gedichte
herkommen.
Schicksal (von und für F. Schätzing)
An jenem
Mittwoch
erfüllte sich
das Schicksal
von Juan
Narciso
Uran, ohne
dass die
Welt Notiz
davon nahm.
Unschuld (von und für U. Gruenter)
Das ganze
Theater um
die Unschuld
hat mich im-
mer kalt ge-
lassen.
Kontemplation
Kontem-
plation
ist die
Konzen-
tration
des Geistes
auf eine
spirituelle
Wahrheit
oder ein
Problem.
Licht
Ich habe
das Licht
zwar gesehen,
aber nicht
verstanden.
Kleine Zahlenmystik
„Eins“ ist
das Prinzip,
„Zwei“ ist der
Gegensatz,
„Drei“ ist
die Idee,
„Vier“ ist
die Form,
„Fünf“ ist
der Mikro-
kosmos, und
„Sechs“ ist der
Makrokosmos.
Magie
Das Leben
ist magisch.
Das ist auch
der Grund,
warum ich
nicht prakti-
ziere.
Arbeit
Arbeit muss zur
Muße werden, und
Muße zur Arbeit.
Religion
Ich bin
zwar nicht
Mitglied
der Kirche,
aber ich
bin getauft.
Medien
Tagsüber
fernsehen
ist obszön.
Ich sehe
weder fern,
noch lese
ich Zeitung.
Vagabund
Ich bin ein
Vagabund,
wie er im
Buche steht.
Habicht (von und für F.J. Degenhart)
Lasst nicht
die roten
Hähne flattern
ehe der
Habicht schreit.
Typologie
Der Mensch ist ein
Individuum. Es gibt
keine Typologie,
jedenfalls kein, die
den Namen verdient.
Anthroposophie
Die gesamte
Anthroposophie
ist nur ein Torso
geblieben, aber
es gibt weltweit
nichts vergleichbares.
Tabula Rasa
Mach mal
Tabula Rasa.
Tabula Rasa II
Es gibt
zwei Arten
von Tabula
Rasa: Die
leere Tafel
vollschreiben
und die
volle Tafel
auswischen.
Insignien
Die Erde ist
eine Scheibe,
wie wir alle
glauben, aber
was ist dann
die Sonne?
Schwert, oder
Kelch?
Kinder
Was wäre gewesen,
wenn Rudolf Steiner
Kinder gehabt hätte?
Lauter kleine erleuch-
tete Bälger.
Hüter der Schwelle
Vor der Erleuchtung
begegnen Dir die
beiden Hüter der
Schwelle. Der große
sagt: Verschone mich
mit dem Ungemach,
und der keine sagt:
Kommt überhaupt
nicht in Frage.
Taufe
Rudolf Steiner
hat mit seiner
unendlichen
Weisheit getauft,
doch Jesus
Christus tauft
mit dem heiligen
Geist.
Legende
Die Wahrheit
war früher ein
Mythos, heute
ist sie Legende.
Innere Landschaft
Ich habe eine
innere Landschaft
durchschritten, und
sie ist voller Weisheit.
Der Denker
Der Denker
brütet nur in
sich hinein,
aber er versteht
das Räderwerk
nicht.
Erwachen
Heute nacht
bin ich erwacht,
und ich habe die
Nacht zum Tage
gemacht.
Menschheitsideal
Der Sozialismus
ist das größte
Menschheitsideal.
Spekulation
Spekulation ist
die Kinderkrankheit
jeglicher Philosophie.
Das Leben
Das Leben ist
ein Buch mit
sieben Siegeln.
Schlägst man es
auf, sieht man
in einen Spiegel.
Spiritualisierung
Wir brauchen eine
Spiritualisierung
aller Lebensbereiche.
Liebe
Lieben heißt:
Sich äußern.
Also äußer Dich,
oder stell wenig-
stens Fragen.
Goethe
Goethe sagte einmal:
Der Mensch kennt nur
sich selbst, wenn er die
Welt kennt. Ein guter Satz.
Joachim Stiller Münster, 2006