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1. Kapitel

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Als sie an Bord der „Hennessy“ kletterten, hatten sie einen unsichtbaren Begleiter dabei: den Tod.

Doch das ahnte weder Kapitän Baxter noch seine zusammengewürfelte Mannschaft. Es war Baxters erstes selbständiges Kommando, und es sollte sein letztes sein. Er war sich darüber im klaren, daß dieser Job ein Abstieg für ihn bedeutete, aber er wußte nicht, daß dieser Abstieg im Nichts enden sollte.

Das M. S. Hennessy, neunhundert Tonnen Stahl und Rost, arbeitete sich mühsam die Küste Floridas entlang, Die See war bleiern, und die Hitze machte ihnen zu schaffen. Der Wind kam genau von achtern und war gerade stark genug, um es dem Schiff unmöglich zu machen, aus seinen eigenen Abgasen zu entkommen. Es war Abend. Die Dämmerung hatte schon eingesetzt und ging rasch in Dunkelheit über. Im Westen verschwand die Sonne über der dünnen Linie, die die Küste darstellte.

Um zwanzig Uhr kam der Skipper auf die Brücke. Er war unrasiert, und in seiner Halsgrube stand der Schweiß. Das war nun sein erstes selbständiges Kommando. Er schwor sich ungefähr alle Viertelstunde, die Hennessy auf ein Riff zu setzen und einen ruhigen Posten an Land anzunehmen.

„Verdammte Hitze!“ sagte er zum Wachhabenden. „Wo stehen wir?“

„Noch drinnen. Der Druck im Kessel ist in der letzten Stunde um zehn Grad gefallen. Die schwarze Bande hat ihn noch nicht wieder hochgekriegt.“

„Wir haben keinen Fahrplan“, sagte Baxter. „Aber bei Gott, ich verheize die Burschen eigenhändig, wenn sie durch ihre Schlamperei die Fahrt auch nur um eine Minute verlängern.“ „Daran werden Sie sich gewöhnen müssen, Mr. Baxter. Bei den Kesseln fallen ständig die Roste ’raus.“

„Ich bezweifle sehr, daß ich mich daran gewöhnen werde“, knurrte Baxter und musterte den Wachhabenden. Er stellte zum soundsovielten Male fest, daß der Mann ihm unsympathisch war. Er hatte ein rotes, aufgedunsenes Gesicht und roch ständig nach Alkohol, obwohl man ihn nie trinken sah.

Baxter hatte auf großen Passagierschiffen als 1. Wachoffizier gedient. Er hatte noch nie in seinem Leben soviel Schmutz und Verwahrlosung auf einem Haufen gesehen wie hier auf der Hennessy. Aber die Heuer war überdurchschnittlich und der Job schließlich keine Lebensstellung. Er sollte eine Ladung Maschinenersatzteile nach dem mexikanischen Hafen Algeciras bringen.

Der Kapitän der Hennessy war wenige Stunden vor dem Auslaufen des Frachters erkrankt, die Reederei hatte sich an Baxter gewandt, und er hatte zugegriffen. Er war gerade in Galveston gewesen und hatte vorgehabt, ein paar Tage faule Pause zu machen. Sein Kapitänspatent war genau einen Monat alt.

Warum habe ich diesen Job nur angenommen? Fragte er sich und rieb sich die entzündeten Augen. Aber die Antwort war klar. Es war sein erstes selbständiges Kommando, und außerdem konnte er sich später mal rühmen, auf einem Seelenverkäufer Dienst getan zu haben, wie man sie heutzutage nur noch in Abenteuerfilmen zu sehen bekommt.

Der Wachhabende zündete sich eine Zigarette an und musterte Baxter.

„Auf einem solchen Schrotthaufen würden Sie nicht bleiben, Mr. Baxter, wie?“ fragte er.

„No“, knurrte der Kapitän.

„Auch nicht, wenn Sie hier mehr als das Doppelte von der üblichen Heuer einstreichen könnten?“

„Das hat mit Geld nichts zu tun. Ich bin Seemann und will auf einem Schiff Dienst tun — und nicht auf einem verbeulten Eimer, der sich zufällig über Wasser hält.“

„Das Schiff ist gar nicht so schlecht“, sagte der Wachhabende. „Und die Reederei ist verdammt großzügig, das muß man ihr lassen.“

„Yeah“, sagte Baxter. „Ich möchte wissen, wieso sie sich das leisten können. Mit der Hennessy können die doch keinen Blumenpott gewinnen.“

„Vielleicht doch“, brummte der Wachhabende. Er kniff die Augen zu und blies den Rauch aus der Nase.

„Ich kenne mich im Frachtgeschäft aus“, beharrte Baxter. „Selbst die modernen Frachter haben Mühe, rentabel zu fahren. Die Konkurrenz ist einfach zu groß. Haben Sie mal die vielen eingemotteten Schiffe gesehen?“

„Vielleicht haben wir gar nicht soviel Konkurrenz, wie Sie denken“, orakelte der Wachhabende.

„Was soll das heißen?“

„Nichts“, brummte der Offizier. Er drehte sich um und beugte sich über den Kartentisch. Eine alte Lampe spendete trübes Licht. Es war fast dunkel.

„Wir müßten bald draußen sein“, sagte er. „In einer Viertelstunde.“

Das Telefon auf der Brücke läutete. Baxter wollte abnehmen, aber der Wachhabende kam ihm zuvor.

„Brücke“, sagte er und kaute auf seiner Zigarette.

Baxter konnte deutlich die Stimme des Mannes am anderen Ende der Leitung verstehen.

„Hier achterer Ausguck. Wir bekommen Besuch.“

Der Wachhabende war sofort im Bilde.

„Küstenwache, eh?“

„Genau. Einer von diesen schnellen Kuttern. Hält genau Kurs auf uns.“

„Verdammter Mist!“ fluchte der Wachhabende, knallte den Hörer auf die Gabel und stürmte nach draußen.

Baxter folgte ihm und entdeckte jetzt den dunklen Schatten des Polizeibootes. Es schob eine weiße Bugwelle vor sich her und kam genau auf sie zu. Der Abstand mochte eine halbe Meile betragen.

Der Wachhabende ging auf die Brükke zurück.

„Ruder hart Backbord, Tom“, sagte er. „Leg genau neunzig Grad an.“

„Aye, aye“, nuschelte der gummikauende Gnom, der in zerlumpter Montur am Ruder stand, und ließ das Rad herumwirbeln.

Der Wachhabende schoß ans Sprachrohr.

„Mal herhören“, sagte er. „Ein Polizeiboot sitzt uns auf den Fersen. Wenn ihr nicht gewaltig Dampf macht, schnappen sie uns. Also strengt euch an. Wenn das Manometer nicht in einer Minute oben ist, stopfe ich euch eigenhändig in die Kessel.“

Ein wilder Fluch war die Antwort. Der Offizier achtete nicht darauf. Er wollte wieder nach draußen, aber er prallte gegen Baxter.

Der Skipper hatte sich aufgerichtet.

„Wollen Sie mir nicht erklären, was das ganze soll? Zufällig bin ich der Kapitän dieses Schiffes. Wenn die Polizei uns überprüfen will, soll sie es tun.“

Der Wachhabende musterte ihn verächtlich.

„Sie sind der Skipper, weil es Vorschrift ist, daß einer mit dem Kapitänspatent auf der Brücke steht. Aber in Wahrheit führe ich das Schiff. Hier passiert, was ich sage.“

„Moment mal“, ging Baxter hoch, aber der Offizier schob ihn zur Seite.

„Gehen Sie nach unten, Mr. Baxter. Vergessen Sie die Geschichte. Nachher können Sie wieder Kommandos geben, soviel Sie wollen.“

„Das ist Meuterei!“ keuchte Baxter.

„Einfaltspinsel!“ sagte der Offizier, schob ihn zur Seite und wollte ins Freie treten.

Baxter riß ihn an der Schulter zurück. Seine Faust schoß vor, traf den anderen genau an der Kinnspitze und schleuderte ihn mit dem Rücken gegen die Eisenwand.

„Gehen Sie auf alten Kurs, Rudergänger!“ befahl Baxter und drehte sich um. Mitten in der Bewegung erstarrte er. Wie hingezaubert lag eine schwere Automatic in der Hand des Gnoms. Mit einem blöden Grinsen sah er ihn an.

„Was, zum Teufel, soll das bedeuten?“ fragte Baxter.

„Sie haben’s doch gehört, Chef“, sagte der Mann und ließ den Kaugummi durch den Mund wandern.

Der Wachhabende kam mühsam wieder auf die Beine.

„Verdammter Idiot!“ zischte er. „Haben Sie immer noch nicht kapiert, was hier gespielt wird? Wir haben heiße Ware an Bord, und wenn die Polizei uns schnappt, sind wir alle dran — Sie eingeschlossen, Mr. Baxter.“

Das war die Erklärung. Baxter holte tief Luft.

„Jetzt wird mir einiges klar. Der verrostete Kahn und die gute Bezahlung.“

„Freut mich, daß es bei Ihnen endlich gezündet hat“, knurrte der Wachhabende und spähte auf die ferne Küste. „Wir müßten gerade draußen sein. Sie haben kein Recht mehr, uns zu stoppen.“

„Tun Sie aber“, sagte der Rudergänger und wies mit dem Kinn auf den Polizeikutter. Der hatte inzwischen die Distanz verkürzt, ging auf Parallelkurs und ließ seinen Morsescheinwerfer aufblitzen. Der grelle Lichtstrahl stach durch die Nacht.

„Wir halten die Fahrt“, sagte der Offizier. Sie beobachteten, wie der Kutter näher herankam. Er stellte jetzt das Morsen ein, und dann hörten sie eine Stimme über Megaphon:

„M. S. Hennessy — stoppen Sie und drehen Sie bei. Wir wollen Sie durchsuchen.“

Der Wachhabende langte sich die elektrische Flüstertüte und lehnte sich über die Reling.

„Wir sind außerhalb der Dreimeilenzone“, schrie er. „Dazu haben Sie kein Recht.“

„Sie sind keineswegs außerhalb“, kam die Antwort. „Wenn Sie nicht sofort stoppen, setzen wir Ihnen einen Schuß vor den Bug.“

Nervös wandte sich der Offizier um und spähte nach dem Manometer. Es war um zwei Punkte gestiegen. Das alte Schiff bebte in allen Fugen, aber es machte nicht mehr als acht oder neun Knoten Fahrt. Der Polizeikutter war um ein vielfaches schneller.

Drüben blitzte es jetzt rot auf. Etwas heulte heran, und dann stieg eine weiße Gischtfontäne vor ihnen aus dem Wasser. Gleichzeitig rollte der Donner des Abschusses herüber.

„Sie haben eine sieben Zentimeter Oerlikon mit Sprengmunition“, sagte der Rudergänger fachmännisch. „Damit können sie einen Schweizer Käse aus uns machen.“

„Drehen Sie bei, um Himmels willen!“ sagte Baxter. Er wollte zum Ruder stürzen, aber der Rudergänger brachte sofort seine Waffe hoch und stoppte ihn.

„Mal sehen, ob sie es wirklich wagen“, sagte der Wachhabende und starrte nervös auf den Polizeikutter. Der war eine Bootslänge voraus und verlangsamte jetzt seine Fahrt. Deutlich sahen sie, wie das Rohr der automatischen Kanone geschwenkt wurde.

Wieder blitzte es, und diesmal schlug die Granate auf dem Vorschiff ein. Die Hennessy wurde wie von einer Riesenfaust geschüttelt, während Eisensplitter durch die Luft flogen. Die drei Männer lagen flach auf den Decksplanken.

„Der nächste Schuß sitzt in der Brükke!“ versprach der Cop am Megaphon.

„Wollen Sie nicht lieber stoppen?“

Der Wachhabende starrte nach vorn, wo ein großes Stück der Reling fehlte.

„Sieht wirklich so aus, als hätten die heute ihren tierisch ernsten Tag“, brummte er.

„Wir könnten versuchen, sie zu rammen“, schlug der Rudergänger vor und packte das Rad fester.

„Witzbold!“ knurrte der Wachhabende. „No, wir haben ausgespielt.“

„Wir sind aber eindeutig draußen.“

„Klar, aber wenn die Polizei sich nicht an die Dreimeilenzone hält, was dann?“

„Sie haben genau dreißig Sekunden Bedenkzeit“, hallte es blechern über das Wasser.

Der Wachhabende verzog das Gesicht und ging zum Sprachrohr.

„Maschinen stop!“ Er sah Baxter an. „Diesmal haben wir verloren. Aber für die Cops wird das kein Sieg. Unser Anwalt wird sie wegen Mißachtung des internationalen Seerechts aus dem Anzug stoßen, diese staatlich lizenzierten Freibeuter. Wir sind eindeutig außerhalb der Hoheitsgewässer. Sie sind unser Zeuge, Baxter.“

„Der Teufel bin ich“, sagte Baxter wütend, „und Zeuge einer ungeheuerlichen Meuterei!“

Das Zittern im Schiffsrumpf hörte auf. Nur die Kessel knackten noch. Langsam glitt die Hennessy durch das ruhige Wasser und verlor immer mehr an Fahrt.

Der Polizeikutter schob sich heran. Jetzt konnten sie die uniformierten Cops sehen. Es waren mindestens zehn Mann.

„Halten Sie sich bereit, ein Prisenkommando an Bord zu nehmen“, schepperte es aus dem Lautsprecher. „Und versuchen Sie keine faulen Tricks. Wir sind bereit, euch in die Luft zu jagen.“

„Sie sind wohl ein verhinderter Feuerwerker, eh?“ bellte der, Offizier zurück.

Schweigend beobachteten sie, wie der Kutter längsseits kam. Die Polizisten waren schwer bewaffnet, und die Art, wie sie an Bord kamen, zeigte, daß sie mit allem rechneten. Die Kanone war ständig drohend auf die Brücke gerichtet.

Ein Mann in der Uniform eines Leutnants kam auf die Brücke. Er hielt in der Linken eine Maschinenpistole.

„Wer hat hier das Kommando?“ fragte er.

„Ich“, sagte Baxter. „Ich möchte verdammt wissen, was Sie sich dabei gedacht haben. Wir sind auf hoher See. Sie haben kein Recht, uns festzuhalten.“

Der Polizeioffizier grinste.

„Das da ist unser Recht“, sagte er und wies auf seine Waffe. „Lassen Sie die Besatzung vollzählig antreten.“

„Mit Ihnen rechne ich noch ab!“ zischte Baxter dem Wachhabenden zu. Der sah zur Seite und spuckte aus.

Jeff Baxter ging ans Mikrophon und legte den Hebel um.

„Alle her hören! Hier spricht der Kommandant“, sagte er. Seine Stimme hallte über das Schiff. Er gab den Befehl und knallte dann den Hebel zurück.

„Recht so“, sagte der MPi-Träger. Er lehnte sich gegen das eiserne Geländer und beobachtete, wie die Männer an Deck stolperten. Sie fluchten und starrten mißtrauisch auf die Polizisten, die alle strategisch wichtigen Punkte besetzt hielten. Murrend stellten sie sich längs der Reling auf.

Der Leutnant wandte sich um und winkte mit der MPi.

„Stellen Sie sich dazu!“ sagte er.

Baxter sah ihn verständnislos an.

„Wollen Sie mir nicht erklären …“

„Die Erklärung kommt gleich. Stellen Sie sich zu den Männern.“

Der Wachhabende starrte ihn finster an. Dann setzte er sich in Bewegung. An der Treppe blieb er kurz stehen. Und plötzlich fuhr seine Hand in die Tasche und brachte einen kurzen Colt zum Vorschein.

Die Maschinenpistole orgelte los. Der Feuerstrahl packte den Offizier und schleuderte ihn auf die Decksplanken.

Baxter fuhr herum, aber angesichts der auf ihn gerichteten Waffe erstarrte er.

„Das war Mord!“ sagte er keuchend.

„Ein häßliches Wort“, kommentierte der Schütze. „Mann, haben Sie immer noch nicht begriffen, was hier gespielt wird?“ Er sah Baxter an. „Sie sind neu auf dem Schiff, nicht wahr? Mann, hat Ihnen keiner gesagt, was für eine Ladung Sie in Wahrheit nach Mexiko bringen sollen? Pech für Sie! Die anderen wissen wenigstens, wofür sie sterben. Vorwärts. Ich habe keine Zeit zu verlieren.“

Melancholisch folgte Baxter dem Befehl. Er stieg über die Leiter nach unten und stellte sich neben den Männern an der Reling auf.

Ein Uniformierter trat neben den Leutnant.

„Das sind alle; ich habe nachgesehen.“

Der Leutnant nickte und musterte die Besatzung. Es waren neun Mann. Finster erwiderten sie seinen Blick.

„Jetzt paßt mal gut auf“, sagte er. „Ich könnte euch auf der Stelle umlegen. Aber ich gebe euch eine Chance. Ihr dürft nach Hause schwimmen — wenn ihr es schafft.“

Endlich begriff Jeff Baxter, was hier über die Bühne ging.

„Das ist eine Falle!“ schrie er. „Ihr seid gar keine Cops.“

„Stimmt“, sagte der Leutnant.

„Ihr seid Gangster, die sich als Cops verkleidet haben.“

„Keine Beleidigungen“, mahnte der Anführer. „Die kleine Maskerade hat sich ganz gut bewährt, wie ihr selbst gesehen habt. Wir wollen das Schiff und die Ladung; euch können wir nicht gebrauchen. Also, vorwärts! Ich zähle bis drei, und wer dann noch nicht im Wasser ist, wird mit Blei gespickt. — Eins …“

In die Männer kam Bewegung. Fluchend wandten sie sich um und starrten auf die bleierne See. Die Küste war in der Dämmerung verschwunden.

„Das ist Mord!“ schrie Baxter. „Hier wimmelt es von Haien. Bis zur Küste sind es fünf Meilen, und gegen die Strömung kommt keiner an. Ebensogut können Sie uns gleich erschießen.“

„Das tue ich auch, wenn ihr nicht springt“, sagte der Anführer kalt. Schwimmend habt ihr wenigstens eine kleine Chance. Vielleicht findet euch ein Schiff. Wenn ich die Wahl hätte, wüßte ich, was ich tue.“ Er hob seine Waffe. „Zwei!“ sagte er.

Der erste sprang ins Wasser. Baxter sah sich verzweifelt um. Das durfte nicht wahr sein! Das war ein wüster Traum!

„Drei.“ Der Gangsterführer drückte ab. Ein Feuerstrahl schoß aus seiner Waffe.

Baxter stieß sich ab, segelte durch die Luft und klatschte im Wasser auf. Es war warm und salzig. Er kam wieder an die Oberfläche und brachte wassertretend den Kopf in die Höhe. Er trieb rasch ab.

Für einen geübten Schwimmer mochte es möglich sein, die fünf Meilen bis zur Küste zurückzulegen. Bei dieser tropischen Wassertemperatur konnte man es stundenlang aushalten. Aber da waren die Haie. Und selbst wenn man denen entkam, war es nicht zu schaffen. Baxter war ein viel zu guter Seemann. um die Strömung nicht zu kennen, die an diesem Teil der Küste herrschte und ins offene Meer hinaustrieb. Dagegen kam er nicht an. Verzweifelt stieß er sich ab. Aber er wüßte, daß es hoffnungslos war.

Joe Barry, in gewissen Kreisen unter dem Namen Privatdetektiv Joe Barry so beliebt wie der Hecht unter den Karpfen, zog sich an einer Mauer in die Höhe und warf sich flach auf das Garagendach.

Hinter ihm wuchtete sich eine massige Gestalt in die Höhe, und dann landete Captain Starr neben ihm.

„Da drüben muß er irgendwo stekken“, brummte Tom und spähte ins Gelände. Vor ihnen erstreckte sich eine Lagerhalle. Zwischen zwei Mauern war ein Stück Pier zu sehen. Kräne und Aufbauten gerieten ins Blickfeld.

Joe wies auf einen Lüftungsschacht, etwa zehn Meter vor ihnen.

„Dahinter ist er!“

Der Captain nickte.

„Gib mir Feuerschutz!“ Joe stieß sich vom Boden ab, lief geduckt los und landete im Hechtsprung vor einem Kamin.

Vor ihm blitzte es orangenrot auf. Die Einschläge ratterten über das Dach. Querschläger pfiffen mit häßlichem Singen durch die Luft. Die Kugeln steppten eine saubere Naht in die Dachpappe. Starrs schwere Waffe war in Aktion getreten und versah den Rand des Lüftungsschachtes mit einem Zickzackmuster.

Joe zog sich in die Höhe und lief weiter.

Er erreichte den Lüftungsschacht und hatte für Sekunden den Blick frei auf einen Mann im hellen Trenchcoat, der mit affenartiger Geschwindigkeit über eine Feuerleiter turnte.

Seine Automatic bellte los, aber er kam um Sekundenbruchteile zu spät.

Gleich darauf stand Tom neben ihm. Er überblickte die Lage und steckte seine Waffe weg.

„Wir haben ihn“, sagte er. „Da unten kommt er nicht mehr ’raus. Wir brauchen kein Risiko mehr einzugehen. Ich rufe jetzt im Headquarters an und verlange kugelsichere Westen und Tränengas. Damit holen wir ihn ’raus.“

Joe sah ihn an. Sein Gesicht war gegeschwärzt. Das Weiße in seinen Augen leuchtete.

„Kannst du einen Kran bedienen?“ fragte er.

„Ein Captain der New Yorker City Police kann alles“, versicherte Tom.

Joe wies auf einen Kran, der neben ihm emporragte.

„Versuchen wir es mit einer kombinierten Luftlandeaktion“, schlug er vor.

Der Captain war sofort im Bilde.

„Okay“, sagte er. „Aber sei vorsichtig.“

„Es ist einen Versuch wert“, sagte Joe. „Würde uns eine Menge Scherereien ersparen.“

Der Captain lief hinüber und erreichte mit einem Sprung den Kran. Keuchend kletterte er die Leiter hoch und schwang sich in die gläserne Kanzel. Sekunden später surrte der starke Elektromotor los. Der Ausleger des Krans senkte sich und schwenkte herum. Gleichzeitig rollte das Seil aus, und das Ladegeschirr pendelte über Joe.

Er packte es und hängte sich ein, wurde hochgehoben und schwebte gleich darauf durch die Luft.

Er hatte jetzt den Blick frei auf die Pier, wo mehrere Streifenwagen der City Police standen. Die Polizisten hatten sich verteilt und riegelten das Gelände ab. Jetzt sah er auch den Mann im hellen Trenchcoat wieder. Der Flüchtende hatte das Ende eines Ganges erreicht und kletterte über einen Kistenstapel, der den Weg zur Pier versperrte. Dort aber standen die Cops.

Plötzlich erstarrte Joe. Über die Pier kam ein junges Mädchen. Sie trug ein einfaches schwarzes Fähnchen. Ihr dunkles Haar flatterte im Wind. Die Polizisten wandten ihr den Rücken zu und bemerkten sie nicht. Jetzt war sie an ihnen vorbei. Joe sah, wie die Cops stutzten und ihr etwas zuriefen. Aber sie schien es nicht zu beachten. Einer der Polizisten trabte an, aber das Mädchen war schneller.

In diesem Augenblick entdeckte der Gejagte das Mädchen. Er schob sich an den Rand des Kistenstapels vor. Die Polizisten bemerkten ihn nicht. Joe sah den schußbereiten Revolver in der Hand des Mannes und erriet, daß der Verbrecher sich auf das Mädchen stürzen wollte, um es als Kugelfang zu benutzen.

Joe winkte Tom zu. Der Captain verstand und ließ das Kranseil schnell auslaufen.

Lautlos schwebte Joe heran.

Das Mädchen passierte jetzt den Kistenstapel. In diesem Augenblick drückte sich der Mann im hellen Trenchcoat ab, sprang vor und packte sein Opfer. Er riß es herum und preßte es eng an sich.

Die Polizisten erstarrten in ihren Bewegungen.

„Alles zurück, oder ich bringe sie um!“ schrie der Mann.

Das Mädchen war vor Schreck wie gelähmt. Willenlos ließ es sich festhalten.

„Tempo!“ schrie der Mann. „Ich bringe die Puppe um, wenn ihr nicht verschwindet. Das ist keine leere Drohung.“

Zögernd wichen die Cops zurück. Sie konnten nichts tun, ohne das Mädchen zu gefährden.

In diesem Augenblick hing Joe genau über ihm.

Sorgfältig nahm er Maß, dann sprang er ab. Im Fallen erwischte er einen Zipfel des Trenchcoats und riß den Mann nach hinten. Mit der Rechten packte er die Revolverhand des Gegners und schlug sie nach oben. Ein Schuß löste sich, aber die Kugel richtete keinen Schaden an.

„Das sieht dir ähnlich!“ knurrte Joe. „Hinter einem Rock willst du dich verstecken, eh?“

Er drehte den Mann um, der ihn fassungslos mit weit geöffnetem Mund anstarrte. Jos rechte Faust schoß vor und landete ein Ding wie aus Stahl genau am Kinn des Gegners.

Der Mund klappte zu. Der Getroffene verdrehte die Augen und ging lautlos zu Boden. Joe fing das Mädchen auf.

„Das war verdammt leichtsinnig, Miß“, sagte er kopfschüttelnd.

Gleich darauf wimmelte es auf der Pier von Polizei. Dem Gangster wurden Handschellen verpaßt, dann verschwand er im Innern eines Polizeiwagens. Captain Starr stürmte heran. Sein Gesicht war rot vor Empörung.

„Warum haben Sie sich nicht an die Absperrung gehalten?“ fuhr er das Mädchen an. Sie blickte erschrocken hoch, und der Captain bremste seine Empörung. Die Kleine war hübsch, verteufelt hübsch sogar. Das lange schwarze Haar umgab das zarte Gesicht wie ein Schleier. Ihre Augen erinnerten an die Lichter eines Rehs.

„Ich habe Mr. Barry gesucht“, sagte sie leise.

„Und da platzen Sie mitten in eine Verbrecherjagd hinein? Sind Sie lebensmüde? Wissen Sie nicht, daß der Mann, den wir eben festgenommen haben, unter mehrfachem Mordverdacht steht?“ fragte Tom streng.

„Jedenfalls hat sie eine überzeugende Erklärung“, schaltete Joe sich ein und sah das Mädchen an. „Ich bin Joe Barry.“

„Tut mir leid, daß ich Ihnen Ungelegenheiten bereitet habe“, sagte sie leise. „Aber ich muß Sie wirklich dringend sprechen, Mr. Barry.“

„Reizend“, schnaubte der Captain. „Ich möchte dich dringend bitten, deine zarten Bande in Zukunft an friedlicheren Orten zu knüpfen, Joe.“ Er wirbelte herum und schnappte sich Leutnant Myers, der auf der Pier das Kommando geführt hatte. „Und du, Ron, paßt in Zukunft gefälligst besser auf. Wenn ich eine Absperrung anordne, darf kein Floh mehr durchhuschen, compris?“

„Nun, laß mal langsam Luft ab“, riet ihm Joe. „Schließlich ist noch alles gutgegangen. Pannen kann es immer mal geben.“ Er sah das Mädchen an. „Wenn es wirklich so dringend ist, können wir uns gleich unterhalten. Ich kenne hier in der Nähe ein Lokal.“

„Augenblick“, sagte Tom, „was wird aus dem de Soto-Fall?“

„Ich komme später vorbei und unterschreibe das Protokoll.“

„Meinetwegen“, brummte der Captain, und dann fiel ihm noch etwas ein. „Woher wußten Sie überhaupt, daß Barry hier ist, Miß?“

„Ich war in der Gun Hill Road. Der Hausmeister hat mich hierhergeschickt.“ „Mac hat wohl das Ohr in der Leitung gehabt, als wir dich verständigten?“ wandte Tom sich an Joe.

„Er hat noch nie von dem, was er zufällig aufgeschnappt hat, falschen Gebrauch gemacht“, stellte Joe klar. „Und er kann beurteilen, wann etwas wirklich dringend ist. „Er nahm das Mädchen am Arm. „Kommen Sie, Miß.“

„Shaw“, sagte sie. „Nancy Shaw.“

„Wir setzen uns in eine ruhige Ecke, und Sie erzählen mir, was Sie auf dem Herzen haben.“

Sie fanden einen freien Tisch in einer Pizzeria, zwei Blocks weiter. Joe bestellte und lächelte ihr dann aufmunternd zu. Er spürte, wie mühsam sie sich beherrschte und wie verzweifelt sie war.

„Hoffentlich habe ich Ihnen nichts verpatzt“, sagte sie tonlos.

„Nein, nein“, sagte Joe. „Wir waren hinter einem Gangster namens de Soto her. Der Bursche hat mehrere Morde auf dem Gewissen. Ich wurde von einer Versicherungsgesellschaft in den Fall eingeschaltet.“

Sie sah ihn an.

„Sie sehen müde aus“, sagte sie plötzlich.

Joe lächelte.

„Bin ich auch. Wir haben de Soto seit achtundvierzig Stunden pausenlos gejagt. Heute früh ist er uns entwischt. Ich fuhr nach Hause, um ein paar Stunden zu schlafen; zehn Minuten später kam ein Anruf. Eine Polizeistreife hatte ihn hier am Hafen gesichtet. Also fuhr ich wieder los. Jetzt ist der Fall ausgestanden. Der Rest ist Schreibarbeit.“ Er sah sie an. „Sie sehen auch nicht gerade munter aus.“

„Ich glaube, ich habe seit einer Woche nicht mehr richtig geschlafen.“

„Und was hat Ihnen den Schlaf geraubt?“

Sie öffnete ihre Handtasche und zog ein Foto hervor. Es zeigte einen jungen Mann von etwa dreißig Jahren in Marineuniform. Er hatte ein offenes, sympathisches Gesicht.

Joe warf einen Blick auf ihren Brillantring und fragte: „Ihr Verlobter?“

Sie nickte. „Sein Name ist Jeff. Jeff Baxter.“

„Was ist passiert?“ fragte Joe.

„Er ist tot!“

Ein paar Sekunden schwiegen sie. Nur das eine Wort stand in der Luft. Ein Wort, das alles sagte: tot.

„Wie geschah es?“ fragte Joe.

„Vor zehn Tagen trat Jeff sein erstes Kommando als Kapitän an. Eigentlich war es nur ein Aushilfsjob. Er sprang für einen erkrankten Kollegen ein.“

„War er nicht etwas jung für ein selbständiges Kommando?“ hörte Joe sich fragen. Er mußte die Tatsachen erforschen, systematisch fragen, auch wenn der Takt vielleicht etwas anderes geboten hätte. Aber Nancy Shaw war nicht zu ihm gekommen, um Trost zu finden.

„Normalerweise hätte er noch etliche Jahre warten müssen“, bestätigte sie. „Er hatte zwar das Kapitänspatent, aber die großen Reedereien verlangen etliche Jahre Fahrpraxis als Erster Offizier, ehe sie einem ein selbständiges Kommando über ein Schiff anvertrauen. Das hier war etwas anderes. Es war ein altes Schiff, das Maschinenersatzteile nach Mexiko bringen sollte. Aber immerhin — es war ein Schiff. Jeff nahm diese Chance wahr.“

„Und weiter?“ fragte Joe.

„Das Schiff hieß Hennessy. Vor zehn Tagen lief es von Galaxy Port aus.“

„Galaxy Port — liegt das nicht irgendwo in Texas?“

„Südlich von Galveston.“

„Ah ja, ich war vor Jahren einmal dort. Ein ziemlich heißer Ort. — Was geschah weiter?“

„Die Ladung war für Algeciras bestimmt.“

„Sie wären also quer über den Golf gelaufen.“

„Das Wetter war gut“, sagte sie. „Windstärke 1—2. Man hätte mit einer Luftmatratze hinüberfahren können. Von den sonst da unten üblichen Stürmen war nichts zu spüren.“

„Aber das Schiff ist verschwunden“, sagte er.

Sie sah ihn überrascht an.

„Woher wissen Sie das?“

„Wozu hätten Sie sonst auf die Wetterverhältnisse hingewiesen?“

„Ich habe mich genau erkundigt. Ich war in Galveston im Wetteramt und habe alle Unterlagen studiert, weil es doch irgendeine Erklärung geben muß. Aber es gibt keine. Ein Schiff mit zehn Mann Besatzung ist einfach verschwunden — spurlos verschwunden. Das heißt …“ Sie schluckte.

„Was?“

„Man hat Jeffs Leiche gefunden. Sie wurde auf Rockney Island angeschwemmt, neun Meilen vor der Küste von Texas.“

„War er ertrunken?“

„Ja. Ich mußte die Leiche identifizieren.“

„Schlimm“, sagte er. „Was sagen die Behörden dazu?“

„Die Behörden stehen vor einem Rätsel. Man hat eine Untersuchung in Gang gebracht, aber bisher ist nichts herausgekommen. Keines der Schiffe, die zu dieser Zeit in dem fraglichen Gebiet waren, hat irgend etwas bemerkt.“

„Und wie steht es mit der Reederei?“

„Niemand hat eine Erklärung dafür, was da geschehen sein könnte.“

Joe sah sie an.

„Glauben Sie an ein Verbrechen, Miß Shaw?“

Sie nickte. „Es ist für mich die einzig mögliche Erklärung. Als die Polizei mich verständigte, wandte ich mich an einen Freund von Jeff und bat ihn um Hilfe. Er ist Anwalt in Galveston. Ich wohne nämlich in Galveston.“

„Was hat er herausgebracht?“

„Nichts — außer, daß es sich bei der Reedrei um eine reichlich obskure Firma handelt. Um es kurz zu machen: Er glaubt, daß die Reederei Schmuggelgeschäfte mit Mexiko betreibt.“

„Reichlich unwahrscheinlich, daß sie sich einen Skipper anheuerten, der in diese Geschäfte nicht eingeweiht war.“

„Sie standen vermutlich unter Zeitdruck. Der richtige Skipper der Hennessy mußte wenige Stunden vor dem Auslaufen ins Krankenhaus. Da haben sie kurz entschlossen Jeff angeheuert. Er sollte nur diese eine Fahrt machen.“

„Das wäre eine Erklärung“, gab Joe zu. „Ohne Skipper mit Kapitänspatent durfte das Schiff nicht auslaufen. — Wie kommt der Anwalt auf mich?“

„Er kennt Sie, und er behauptet, Sie seien der beste Detektiv, dem er je begegnet ist.“

„Sein Name?“

„Carnegie — Bruce Carnegie!“

„Bruce?“ rief Joe überrascht aus. „Natürlich kenne ich ihn. Er war früher in New York und arbeitete im Büro des Staatsanwalts. Er wollte eines Tages zum Staatsanwalt avancieren. Aber dann ist er nach dem Süden gegangen und hat irgendwo in Texas eine Kanzlei aufgemacht. Ich wußte allerdings nicht, daß er seine Zelte in Galveston aufgeschlagen hat.“

„War es Ihrer Meinung nach richtig, seinem Rat zu folgen?“

„Sie wollen wissen, ob ich bereit bin, den Fall zu übernehmen?“ Joe faltete seine Serviette zusammen. „Ich will ganz ehrlich sein, Nancy. Sollte Ihr Verlobter einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein, sind die Chancen, es aufzuklären, minimal. Es mag mir vielleicht gelingen, nachzuweisen, daß die Reederei Schmuggelgeschäfte betreibt. Aber darum geht es nicht. Es geht um den Nachweis eines Verbrechens, das an Bord eines Schiffes geschah, dessen Mannschaft spurlos verschwunden ist. Ich sehe da, offen gesagt, keinen Ansatzpunkt. Es passiert übrigens gar nicht selten, daß Schiffe — auch große Schiffe — spurlos verschwinden. Was soll man da tun?“

„Ich weiß es nicht“, sagte sie. „Es geht mir nicht darum, an irgend jemanden Rache zu nehmen. Mir ist nur die Ungewißheit unerträglich. Jeff ist tot und niemand weiß, weshalb er gestorben ist. Vielleicht ist es dumm von mir. Jeff ist tot, und alles andere ist unwichtig. Aber ich finde keine Ruhe. Mir ist seit einer Woche, als liefe ich dauernd gegen eine Gummiwand. Die Behörden verschanzen sich hinter ihren Vorschriften, die Reederei spricht ihr höfliches Bedauern aus und schiebt ihre Anwälte vor. Niemand ist da, der etwas unternimmt. „Und mir ist, als müßte ich noch etwas für Jeff unternehmen.“

„Das kann ich Ihnen nachfühlen“, sagte Joe. „Also gut, ich werde mich mit dem Fall beschäftigen und Ihnen dann sagen, ob ich eine Möglichkeit sehe, dem verschwundenen Schiff und seiner verschollenen Mannschaft auf die Spur zu kommen. Einverstanden?“

Sie hob den Kopf und ließ den Tränen, die sie so lange zurückgedrängt hatte, freien Lauf.

„Danke“, sagte sie. „Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie mir schon damit helfen. Bruce hat mir viel von Ihnen erzählt. Ich vertraue Ihnen.“

Joe erhob sich.

„Ich bringe Sie jetzt in Ihr Hotel“, sagte er. „Sobald ich etwas weiß, rufe ich Sie an.“

*

In seiner Wohnung nahm Joe die Whiskyflasche aus dem Eisschrank und warf sich in einen Sessel. Die Jagd nach de Soto war mörderisch gewesen. Am liebsten hätte er jetzt vierundzwanzig Stunden geschlagen. Seufzend angelte er nach dem Telefonhörer und ließ sich eine Nummer in Texas heraussuchen.

Während er auf die Verbindung wartete, ließ er sich die Geschichte des Mädchens noch einmal durch den Kopf gehen. Es gab mindestens ein halbes Dutzend Erklärungen für das Verschwinden der Hennessy. Eine Kesselexplosion, zum Beispiel. Aber wie sollte man das nachweisen? Man konnte schließlich nicht den ganzen Meeresboden absuchen.

„Ihre Verbindung“, sagte das Mädchen und gleich darauf hörte er eine wohlbekannte Stimme im Hörer.

„Carnegie!“

„Bruce, hier spricht Joe Barry, der Straßenschreck aus New York.“

„Hallo, Joe“, trompetete es aus der Muschel. „Wir haben ja Ewigkeiten nichts mehr voneinander gehört. Wie geht’s in New York?“

„Die Gangster vermehren sich wie Kaninchen. Hören Sie zu. Ich habe eben mit Nancy Shaw gesprochen.“

„Sie wollte unbedingt zu Ihnen. Ich konnte es ihr nicht ausreden.“

„Sie haben es also versucht. Das heißt, Sie halten den Fall für hoffnungslos?“

„Mit juristischen Mitteln ist da jedenfalls nichts zu machen.“

„Früher waren Sie nicht nur Jurist“, spielte Joe auf Bruces Vergangenheit in der New Yorker Mordkommission an.

„Da war ich auch noch jung und beweglich. Inzwischen hat mich der Wohlstand eingelullt. Ich habe eine unverschämt lukrative Kanzlei — und, na, Sie wissen ja, wie das ist, wenn man sich alle Annehmlichkeiten des Lebens leisten kann.“

„Was wissen Sie über die Reederei?“ erkundigte sich Joe.

„Ein obskurer Laden. Gehört einem Burschen namens Sammy Duke. Sein Spitzname ist Iron Duke. Er hat ein halbes Dutzend Schiffe, die im Trampdienst die Küste entlangtuckern — alles Eimer zwischen neunhundert und zweitausend Tonnen.“

„Also genau die richtige Größe, um irgendwo in einer verschwiegenen Bucht kurz vor Anker zu gehen?“

„Der zuständige Attorney glaubt, daß sie mit Waffen schmuggeln. Aber bislang war nichts nschzuweisen.“

„Hat man es versucht?“

„Nicht besonders intensiv. Sie wissen ja, wie das ist. Solange die Burschen nicht gerade Waffen nach Cuba bringen, regt sich keiner sonderlich auf. Außerdem ist es sehr schwer, die Küsten zu überwachen. Schließlich ist die Küste von Texas die längste der Welt.“

„Sie reden, wie ein texanischer Rinderkönig!“

„In dieser großmäuligen Umgebung kann man sich nur behaupten, wenn du selbst ein großes Maul hast.“

„Mag sein. Man müßte sich mal ernsthaft mit Iron Duke unterhalten.“

Carnegie schnaufte vernehmlich. „Das ist nicht einfach. Iron Duke ist Tag und Nacht von einem Rudel Leibwächter umgeben.“

„Das bedeutet, daß er Feinde hat.“

„Er gehört zu den zehn meistgehaßten Männern in Texas.“

„Wie wäre es mit einem Racheakt als Erklärung. Sagen wir, eine Konkurrenzbande schnappt sich das Schiff, um Iron Duke zu ärgern.“

„Auch eine Möglichkeit. In jedem Fall war Jeff Baxter das unschuldige Opfer, das daran glauben mußte. Ich habe Jeff gut gekannt. Er war ein netter Kerl. Und er hat sich unbändig über sein erstes Kommando gefreut. Wir waren noch am Abend vor dem Auslaufen zusammen.“

„Wie kam er überhaupt an Iron Duke?“

„Über einen Bekannten. Jeff war gerade von New York gekommen, wo er seine Prüfungen absoliert hatte.“

„Im Funerald House?“

„Ja, da werden diese Prüfungen ja abgenommen. Dabei hat er einen Mann kennengelernt, der ihn an Iron Duke verwiesen hat.“

„Wissen Sie, wie der Bekannte heißt?“

„Ein Mexikaner namens José Ortega. Ich glaube, er hat eine Agentur oder so etwas Ähnliches. Vermutlich arbeitet er für Iron Duke.“

„Ich werde mir den Burschen mal vorknöpfen. Sie täten gut daran, alles an Informationen zusammenzutragen, was es über Iron gibt.“

„Wieso?“ kam es prompt zurück. „Wollen Sie den Fall übernehmen?“

Joe dachte an das Mädchen, das jetzt in seinem Hotelzimmer auf seinen Anruf wartete.

„Schon möglich“, brummte er. „Mal sehen, was mir dieser Ortega zu bieten hat.“

Jos nächster Anruf galt der Weatherley Auskunftei. Mit dem Inhaber, Fred Weatherley, arbeitete er seit Jahren zusammen. Fred war ein As auf seinem Gebiet. Woher er jeweils seine Informationen bezog, war sein Geheimnis.

„Hör zu, Langer. Ich brauche eine Auskunft über einen Mexikaner, der hier in der Stadt eine Agentur für Seeleute betreibt. Der Bursche heißt José Ortega.“

„Okay, ich rufe wieder an.“

Joe legte sich bequem im Sessel zurück und brachte die Füße auf den Tisch. Fünf Minuten später war er fest eingeschlafen.

Das Läuten des Telefons veranlaßte ihn, widerwillig zu erwachen. Er langte sich den Hörer.

„Hier Fred! José Ortega hat ein Büro in der 82. Straße. Er betreibt ziemlich obskure Geschäfte.“

„Das sagt ihr immer, wenn ihr nichts Genaues wißt“, knurrte Joe.

„In diesem Fall wissen wir ’ne ganze Menge. Er arbeitet mit einem gewissen Iron Duke zusammen, der unten in Texas eine Reederei betreibt. Besagter Duke war früher ein berüchtigter Gangster im Mittelwesten. Als Bobby Kennedy vor fünf Jahren seine große Säuberungsaktion begann, wechselte Duke die Branche und zog sich nach Texas zurück.“

„Das klingt schon besser“, sagte Joe. „Sonst noch was?“

„Ortega gehörte schon damals zu seiner Crew. Er hat drei oder vier Vorstrafen. Verbotener Waffenbesitz und Steuerhinterziehung. Eine wegen versuchten Einbruchsdiebstahls. War aber wohl mehr eine Jugendsünde.“

„Und was treibt er jetzt hier?“

„Er arbeitet für Iron Duke. Mehr war nicht ’rauszukriegen.“

Privatdetektiv Joe Barry - Hände weg von Nancy

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