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1. Kapitel

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Die Jury sprach Nat Salinger schuldig.

Am 15. August 1958 war das.

Im Schwurgerichtssaal von Lafayette (Louisiana) drängte sich die Menge. Ausländische Blätter hatten ihre Reporter entsandt. Es war ein heißer Tag, dem sechsundfünfzig heiße Tage vorangegangen waren. Tage, in denen die Sonne erbarmungslos auf die Köpfe von Weiß und Schwarz geknallt hatte. Tage, in denen das Gericht sich um die Antwort auf die Frage bemüht hatte: Hat Nat Salinger einen Menschen ermordet?

Die Bevölkerung von Des Plaines, dem kleinen Städtchen an der Cote Blanche Bay, zweifelte nicht an der Antwort. Und das Schwurgericht gab ihr recht.

„Schuldig“, lautete der Spruch, den die Geschworenen nach zwölfminutiger Beratung festsetzten. Die Zuhörer hielten den Atem an. Bekam Nat Salinger die Höchststrafe? Sie wurden enttäuscht.

„Zwölf Jahre Zuchthaus —“, verkündete der weißhaarige Richter Blake. „— in Anbetracht der Jugend des Angeklagten hat das Gericht von der Verhängung der Höchststrafe abgesehen.“

Nat Salinger war zwanzig Jahre alt. Im September wäre er einundzwanzig geworden. Die Tat, die man ihm zur Last legte, war begangen worden, als er erst neunzehn war.

Johnny Mulligan, der Reporter der „Des Plaines News“, notierte in sein Tagebuch: „Nat Salinger ist verurteilt worden. Damit ist ein Fall abgeschlossen worden, der im ganzen Süden die Gemüter erhitzt hat. Zwölf Jahre — das riecht nach einem Kompromiß. War das Gericht nicht völlig von seiner Schuld überzeugt? Dann hätte es ihn freisprechen müssen. Freilich — dann wäre Des Plaines explodiert!“

Ein Reporter eines New Yorker Blattes sah das Problem anders, von der Yankee-Seite aus:

„Nat Salinger hat farbiges Blut in den Adern. Seine Mutter war eine Halbnegerin. Es ist schwer, sich vorzustellen, daß diese Tatsache bei der Urteilsfindung keine Rolle gespielt haben soll. Die Geschworenen sind nur ihrem Gewissen verantwortlich. Aber hier im tiefsten Süden ist Gewissen eine Angelegenheit der Hautfarbe.“

Und der radikale “Chicago Observer“ formulierte schlicht: „Rassenterror in Louisiana!“

Damit war ungefähr der Rahmen abgesteckt, in dem sich die Meinungen bewegten. Es bildeten sich zwei Parteien. Die einen sagten, weil Nat Salinger ein Mischling war, sei er verurteilt worden. Vor einem Gericht, das nur aus Weißen bestand, habe ihm das natürlich das Genick gebrochen.

Die Gegenpartei sagte, er sei wirklich ein Mörder, und ein Wunder sei das auch nicht — bei seiner Abstammung.

Merkwürdigerweise interessierte sich niemand für die Indizien und Zeugenaussagen, die vor Gericht angeführt worden waren; denn Nat Salinger hatte nicht gestanden. Aber darüber ließ sich nicht so gut diskutieren. Es besteht auch kein Zweifel, daß die Yankeeblätter es am liebsten gesehen hätten, wenn Nat zum Tode verurteilt worden wäre. Das hätte noch besseren Stoff zu Anklagen gegen die Rassenjustiz gegeben.

Umgekehrt gab es im Süden — und da vor allem in Des Plaines — Leute, die bedauerten, daß Nat nicht freigesprochen worden war. Denn dann hätte man es ihm auf andere Weise zeigen können. Man war sich einig, daß ein freigesprochener Nat Salinger kaum Aussichten gehabt hätte, die Stadt lebend zu verlassen.

Dieser Hexenkessel der Meinungen kam zum Schweigen, als Salinger in das Zuchthaus von Baton Rouge eingeliefert wurde. Aber unter der Asche schwelte die Glut weiter.

Fünf Jahre später flackerte das Feuer wieder auf.

Im Mai 1963 war das.

Bick Dorset lenkte seinen schweren Cadillac zum Verlagsgebäude der „Des Plaines News“. Er hätte die hundert Meter über die Lee Avenue, die einzige Hauptstraße der kleinen Stadt, auch mühelos zu Fuß bewältigen können, aber Bick Dorset war ein großer Mann, der erste Steuerzahler des County, und er wußte, was er seinem Ruf schuldig war.

Er war ein untersetzter, massiger Mann, mit Stiernacken, Gladiatorennase und einer steilen Falte zwischen den harten Augen. Sein eisengraues Haar war zu einer straffen Bürste formiert. Der Anzug, den er trug, stammte aus dem ersten Atelier von New Orleans, eine rohseidene Dreihundertdollarpracht.

Es hatte Zeiten gegeben, da Bick Dorset noch ganz unten auf der Trittleiter des Erfolgs gewesen war und verzweifelt zur ersten Stufe geschielt hatte. Das lag nicht allzu lange zurück — zehn Jahre. Mit einem wackligen Lastwagen hatte er sein Speditionsunternehmen gerade gegründet gehabt. Es hatte lange gedauert, bis der Laden lief. Es gab sogar Zeiten, da steckte er so tief in Schulden, daß die Stapel der unbezahlten Rechnungen einen respektablen Posten beim Altpapierhändler ergeben hätten.

Aber eines Tages hatte er es geschafft, und dann ging sein Bankkonto nach oben wie eine Atlas Dugena. Heute waren seine schweren dreiachsigen Trucks mit den verschlungenen Initialen B — D auf allen Highways des Kontinents zu Hause — von Alaska bis tief hinein nach Mexiko.

In Des Plaines war er jetzt der größte Mann. Es wäre übertrieben, ihn als beliebt zu bezeichnen, aber für jeden Einwohner der kleinen Stadt stellte sich in irgendeiner Form die Frage, ob er für oder gegen Bick Dorset war. Die Antwort war einfach: Wer gegen ihn war, tat gut daran, kein Einwohner von Des Plaines mehr zu sein.

Der Portier der Zeitung kam eilig aus seinem Glaskasten herau.

„Guten Morgen, Sir.“

„Mulligan da?“ schnappte Dorset.

„Gewiß, Sir. Ist in seinem Büro, Sir. Soll ich ihn rufen?“

„Ich kenne den Weg“, knurrte Dorset und ging weiter.

Die Zeitung war eines der wenigen Unternehmen der Stadt, an denen er keine Anteile besaß.

John Mulligan — seit er vom Reporter zum Chefredakteur avanciert war, nannte er sich nicht mehr Johnny, sondern John — drehte seinen Ledersessel um neunzig Grad nach rechts. Er stellte das Mikrophon weg.

„Der große Asphaltkönig persönlich“, sagte er grinsend, „der Ritter der Landstraße! — Was gibt’s, Bick?“

Bick Dorset schob den Hut in den Nacken. Das Leder hatten einen roten Streifen über seine Stirn gezogen.

„Ich habe eine Information für dich“, sagte er.

Mulligan hakte sofort ein.

„Willst du Aktien verkaufen oder jemandem den Kragen umdrehen?“ fragte er trocken.

„Nichts dergleichen“, knurrte Bick. „Die Dollars, die aus dieser Stadt herauszuquetschen sind, habe ich schon herausgequetscht. Diesmal komme ich ganz uneigennützig.“

„Uneigennützig war auch Rockefeller“, sagte der Redakteur mißtrauisch.

Bick ließ sich in den Besuchersessel fallen und langte in die Zigarettenkiste auf dem Tisch.

„Die Sache ist die“, verkündete er, „Nat Salinger kommt raus.“

Mulligan, im Begriff, ihm Feuer zu geben, hielt inne.

„Weißt du das sicher?“

„Habe ich mich schon mal geirrt?“

„Das nicht. Aber —“

„Ich hab’s aus absolut zuverlässiger Quelle erfahren. Salinger war nicht vorbestraft. Er hat fünf Jahre abgesessen. Nach dieser Zeit wird man normalerweise, wenn man sich anständig geführt hat, auf Bewährung entlassen.“

„Er saß wegen Mordes“, gab Mulligan gedehnt zu bedenken.

„Na und?“ Bick schnippte mit den Fingern. „In den Vereinigten Staaten laufen etwa fünfzigtausend Mörder frei herum. Alle auf Bewährung entlassen.“

„Sagt die Statistik.“ Mulligan nickte.

„Warum nicht einer mehr. Du kannst es mir schon glauben. Der Gouverneur läßt Nat heraus. In zwei Wochen ist es soweit. Ich weiß sogar schon den Termin.“

„Und? Was habe ich damit zu tun?“ knöpfte sich Mulligan zu. Er wollte nicht verstehen.

„Es wird Ärger geben.“

„Das wäre nichts Neues!“

„Du weißt doch noch, was in der Stadt los war, als Nat vor Gericht stand. Hier konnten sie ihn nicht einmal ins Gefängnis sperren, weil zu befürchten war, daß die Leute das Gefängnis stürmen würden, um Nat zu lynchen. Sie mußten ihn nach Lafayette schaffen. Und was ihn dort vor demselben Schicksal schützte, war lediglich die Tatsache, daß ein Sonderkommando der Nationalgarde das Gefängnis und das Gerichtsgebäude bewachte.“

„Sicher weiß ich das“, brummte John. „Ich war ja dabei.“

„Mit deinen Artikeln hast du die Leute nicht schlecht aufgeputscht.“

„Damals mußte ich noch schreiben, was mein Chef mir befahl“, knurrte John.

„Und heute?“

„Heute bin ich selbst der Chef!“

„Würdest du heute in der gleichen Situation anders handeln?“

„Ich weiß nicht“, sagte John zögernd. „Seit ich gesehen habe, wozu der Mob fähig ist, bin ich zurückhaltender geworden. Aber das ist überhaupt keine Frage. Nat wird bestimmt nicht nach Des Plaines zurückkommen. Er wird doch nicht Selbstmord begehen wollen.“

„Das ist genau die Frage.“

Mulligan schob die Brauen hoch.

„Bick, worauf willst du hinaus?“

Der Transportunternehmer drückte seine Zigarette aus.

„Vielleicht erinnerst du dich noch an das, was Nat Salinger sagte, als das Urteil gesprochen wurde. Er sagte: ,Ich bin unschuldig, und ich werde den Schuldigen finden, so wahr ich hier sitze. Ich werde nicht eher ruhen, bis ich ihn habe. Und wenn es das letzte wäre, was ich tue.‘ Erinnerst du dich?“

„Allerdings. Die Leute hätten ihn am liebsten totgeschlagen.“

„Well, es kommt mir so vor, als hätte er das ernst gemeint. Ich meine nicht, daß er unschuldig ist, aber ich meine, daß er sich rächen will.“

Mulligan starrte ihn an. „Du warst der Kronzeuge der Anklage!“

„Stimmt. Ich habe ihn wiedererkannt. Ich habe keine Sekunde gezweifelt. Er war es, der meinen Hauptbuchhalter erschossen hat. Das steht völlig außer Zweifel. Ich fürchte nur, er wird jetzt wiederkommen und sich an mir rächen wollen.“

„Warum engagierst du dir keinen Leibwächter?“

„Ich habe keine Angst“, sagte Bick großspurig. „Was ich damals gesagt habe, kann ich verantworten. Es geht um etwas anderes. Die Zeitungen im Norden werden den Fall wieder aufgreifen, darauf kannst du Gift nehmen. Und dann sind wir dran, wir alle hier in Des Plaines. Die Krawalle in Birmingham haben schön vorgeheizt. Das Interesse ist da. Jetzt wird es heißen: Unschuldig verurteilter Neger kämpft um sein Recht. Die Yankees werden das glauben, John.“

Der Reporter rutschte unruhig auf seinem Sessel hin und her.

„Was sollen wir tun?“

„Deswegen bin ich hier. Wir müssen die Sache als erste in den Griff bekommen, sonst ist der Name dieser Stadt gebrandmarkt.“

„Und einen Mann gäbe es, der darunter leiden würde: Bick Dorset! Oder genauer gesagt: die Bick Dorset Transport Company “

„Stimmt.“ Bick nickte. „Ich bin Südstaatler, und ich mag die Yankees nicht. Aber ich muß Geschäfte mit ihnen machen. Mir könnte nichts Schlimmeres passieren, als wenn diese alte Geschichte jetzt wieder aufgewärmt würde. Mein Name in den Schlagzeilen. Man würde meinen Laden boykottieren, und das alles wegen eines Mörders, der ausgerechnet einen Neger als Großvater hat. Die Vorstellung macht mir verdammt wenig Freude, John.“

Mulligan zog sich den Tischventilator heran. Der Strahl fächelte ihm Kühlung entgegen.

„Wie ich dich kenne, Bick, hast du schon eine Idee.“

„Allerdings habe ich die!“

„Und dazu brauchst du mich?“

„Ja, dazu brauche ich dich.“

„Mir könnte es egal sein, ob Des Plaines einen ähnlichen Ruf bekommt wie Little Rock oder Birmingham, Alabama“, schraubte Mulligan seinen Preis hoch. „Meine Zeitungen verkaufe ich allemal. Ich bin auf Windstille nicht so angewiesen wie du, Bick!“

Der Transportunternehmer grinste plötzlich. Er wirkte einnehmend wie ein ausgehungertes Nashorn.

„Okay, John, ich habe nie erwartet, von jemanden etwas umsonst zu bekommen. Ich könnte mir denken, daß dein Mistblatt eine finanzielle Spritze gut vertragen könnte.“

„Das Mistblatt und sein Chefredakteur“, brummte John.

„Okay. Sagen wir einen Auftrag über zusammen zehn ganzseitige Anzeigen in der ,Des Plaines News‘‚ Inhalt: Bick Dorset oder der glücklichste Transport Ihres Lebens.“

Mulligan warf rasch ein paar Zahlen auf seinen Notizblock.

„Das entspricht zwölftausend Dollar“, brummte er.

„Zwölftausend?“

„Wir haben seit vorhin ’ne neue Anzeigenpreisliste.“

„Elender Halsabschneider. Wieviel davon gehen an dich?“ schnaubte Bick.

„Dreiundsechzig Prozent“, erklärte John seelenruhig. „Also schieß los. Ich bin ganz Ohr. Für den Preis schreibe ich sogar, daß die Kommunisten die besten Freunde von uns Amerikanern sind.“

„Du hast falsch geraten“, sagte Bick. „Vorläufig kommt noch kein Wort in dein Blatt. Erst wenn ich es sage.“

„Keine Artikel?“ staunte John. „Was, zum Teufel, willst du dann von mir?“

„Du sollst Kontakt mit einem Mann aufnehmen, der gestern in Baton Rouge zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt wurde.“

„Du meinst den Autoknacker?“

„Erraten, Presselord. Der Bursche ist ideal für unsere Zwecke geeignet. Über ihn will ich Kontakt mit Nat Salinger aufnehmen, und zwar noch, bevor er entlassen wird.“

„Du?“

„Mein Name soll dabei ganz aus dem Spiel bleiben“, erläuterte Bick. „Du fährst nach Baton Rouge und beschaffst dir eine Sprecherlaubnis mit dem Burschen. Als Zeitungsmann bekommst du sie bestimmt. Dann mußt du es so drehen, daß niemand mitbekommt, was ihr beide besprecht.“

„In der Nummer bin ich ganz groß“, warf Mulligan ein.

„Du sagst dem Gangster, er soll im Zuchthaus Nat Salinger sprechen. Er soll Nat mitteilen, ein paar einflußreiche Bürger von Des Plaines würden ihm fünftausend Dollar zahlen, wenn er aus der Gegend verschwindet und den Fall auf sich beruhen läßt.“

„Soviel ist er dir wert?“

„Du weißt ja nicht, was diese Sache geschäftlich für mich bedeuten kann. Ich riskiere Verluste, die in die Hunderttausende gehen. Nur deshalb lasse ich mich überhaupt auf die Sache ein.“

„Sollte Nat wirklich unschuldig sein, würde er nie auf den Vorschlag eingehen. Er würde glauben, die wahren Mörder sollten gedeckt werden. Ich kenne den Burschen. Er ist ein Fanatiker, Bick.“

„Aber er ist schuldig. Daran gibt’s für mich keinen Zweifel. Unter normalen Umständen wäre er auch froh, ungestört verschwinden zu können. Ich fürchte nur, die letzten Rassenkrawalle haben ihn zu der Überzeugung gebracht, der Wind steht für Neger günstig. Er wird nicht einsehen, daß er den Kampf trotzdem verlieren muß. Aber mich würde dieser Kampf eine Menge Geld kosten, kapiert?“

„Okay, und du glaubst, fünftausend Dollar sind ihm genug.“

„Er wurde vor fünf Jahren wegen der halben Summe zum Mörder“, gab Bick zu bedenken.

„Well, das stimmt. Noch etwas: Wird der Mann in Baton Rouge bereit sein, Nat Salinger diese Nachricht zu übermitteln?“

„Eir wird“, versicherte Bick. „Du kannst ihm einen Tausender versprechen. Eir kommt in einem Jahr wieder raus, Da kann er das Geld gut brauchen. Der Bursche spielt mit.“

„Well, schon möglich, daß du recht hast. Aber wäre es nicht viel einfacher, ich gehe sofort ins Zuchthaus von Baton: Rouge und rede mit Nat Salinger direkt.“

Bick schüttelte den Kopf.

„Daran habe ich auch schon gedacht. Ich weiß, daß einige Zeitungen in New York und Chikago auf den Burschen scharf sind. Sie wollen seine Memoiren bringen — mit dem üblichen Tenor: ,Rassendiskriminierung in den Südstaaten“. Das Problem ist brandaktuell. Wenn du zu Salinger marschierst, wird die Sache bekannt. Diese Zeitungsleute aus dem Norden sind fixe Burschen.“

„Wenn das so ist, werden die ihm aber auch mehr zahlen als fünftausend“, gab Mulligan zu bedenken.

Bick hob die Schultern.

„Schon möglich. Dann kann ich nichts machen. Mehr zahl ich nicht. Wenn er nicht mitmischt, kämpfe ich. Vielleicht gehe ich pleite dabei, aber ihm bricht es das Genick, das schwöre ich dir!“

Mulligan grinste ihn ungerührt an.

„Wenn du Pleite gehst, Bick — ei, da wären wir aber alle traurig!“

„Warum gehst du nicht nach Hollywood“, knurrte Bick beleidigt. „Da können die so einen dämlichen Spaßvogel allemal gebrauchen.“

Nat Salinger hatte im Zuchthaus von Baton Rouge Stufe III, und das hieß, er hatte die beste Führungsnote, die überhaupt zu haben war. Stufe III bezog das Zuchthausblatt, konnte Radio hören, hatte verlängerte Freizeit, tagsüber offene Zeilentüren — und hatte am ehesten Aussicht auf Begnadigung.

Nat war ein kleiner Mann. Über seinem langgezogenen Schädel spannte sich die fast durchsichtige Haut des Asketen — und des Fanatikers.

Daß ihn ein Neueingelieferter sprechen wollte, erfuhr er bereits, während, der Neue noch unter der Dusche stand. Sammy, der Zuchthausreporter, trug es ihm zu.

„Stell den Whisky kalt“, meinte Sammy. „Da will dich einer sprechen.“

„Glaube ich kaum“, brummte Nat. „Du; weißt, daß ich kein Profi bin. Wie soll ich einen kennen, der hier Pensionsgast ist?“

Sammy rieb sich das grauverfärbte Kinn.

„Ist ’n Autoknacker“, verriet er. „Ein Jahr. Natürlich unschuldig, wie wir alle hier.“

„Okay, meinetwegen, ich empfange ihn. Sag ihm, zwischen fünf und sieben erwarte ich immer Gäste.“

„Smoking oder Frack?“

„Krawatte genügt, aber darauf bestehe ich“, brummte Nat.

„He, ihr beiden schmiedet wohl ein Komplott“, platzte ein Wachtmeisterbaß dazwischen.

Sammy grinste wölfisch.

„Kleiner Schwatz, Sergeant. Eine Geste, wie sie zwischen zivilisierten Mensehen üblich ist.“

Der Sergeant kam näher. Seine Absätze klapperten auf den eisernen Gangplatten. Drohend stieß er den kurzen, ungestrichenen Holzknüppel vor.

„Sieh dich vor, Sammy. Wenn du weiter so das Maul aufreißt, landest du noch mal in Dunkelhaft. Und du, Salinger, bilde dir nichts ein. Noch bist du nicht draußen.“

„Das ist eine Fähigkeit, die ich an Ihnen bewundere, Sergeant“, sagte Nat ungerührt.

„Was, he?“

„Die Dinge zu sehen, wie sie sind.“

Die Gelegenheit, den Neuen zu sprechen, ergab sich erst am nächsten Tag während der Freistunde. Nat betrachtete den Mann mißtrauisch. Er war ein lärmender Geselle, wohlbeleibt, die Sorte, die schon nach vierzehn Tagen einen Posten in der Küche bekommt.

„Ich soll dir was von einem Zeitungsfritzen ausrichten“, verriet der Bursche. „John Mulligan heißt er. Und damit du meine Ansicht gleich kennst — geh auf seinen Vorschlag ein. So was Phantastisches habe ich überhaupt noch nicht gehört.“

„Mich interessiert deine Ansicht verflucht wenig“, sagte Nat.

„Wie du willst“, sagte der Bursche beleidigt. „Daß es Dumme gibt, ist bei Gott nichts Neues.“

„Erzähl schon, was du zu sagen hast. Ich bin mit fünf Jahren hier schon genug versorgt. Ich brauche mir keine Strafverschärfung gefallen zu lassen, indem ich mich mit dir unterhalte.“

Der Mann starrte ihn unschlüssig an und entschloß sich dann, die Bemerkung als Witz aufzufassen. Er lachte.

„Du bist aber einer! — Also, dieser Mulligan bietet dir fünftausend Dollar, wenn du nach deiner Entlassung irgendwohin in die Nordstaaten gehst und dich verpflichtest, deinen Fall auf sich beruhen zu lassen!“

„Wer bietet das Geld?“ fragte Nat ungläubig.

„Der Zeitungsfritze.“

Nat überlegte einen Augenblick. Er konnte sich gut an Mulligan erinnern. Die giftigen Artikel, die der Reporter geschrieben hatte, hatten nicht wenig dazu beigetragen, die Leute aufzuputschen.

„Will Mulligan selber zahlen?“ erkundigte er sich mißtrauisch.

„No, das nicht. Er sagte, er käme im Auftrag von ein paar einflußreichen Bürgern, denen daran gelegen sei, daß in Des Plaines nicht alte Leidenschaften wieder aufgeweckt werden.“ Der Mann starrte ihn neugierig an. „Na, was ist? Schon mal ein besseres Angebot bekommen?“

„Jedenfalls keines, das ich abgelehnt habe.“

„Was soll das heißen? Du lehnst ab!“

„Siehst du den Zeitungsmann noch mal?“

„Sicher. Er will hierher kommen. Aber du willst doch nicht . . .“

„Sag ihm, daß er mir gestohlen bleiben kann. Was ich tue, wenn ich rauskomme, steht schon lange fest. Seine fünftausend Bucks kann er behalten.“

„Mann, du bist ein schöner Idiot. Du kannst ja das Geld nehmen und trotzdem tun, was du willst. — Seit wann denn ehrlich, Kamerad!“

„Ach, halt den Mund, du fällst mir auf den Wecker“, knurrte Nat und wandte sich ab.

Er wunderte sich selbst, daß ihn das Angebot so kalt ließ. Aber in den fünf Jahren seine. Haft hatte sich der Haß langsam in ihm festgefressen und eine schöne solide Kruste gebildet. Da gab es keine Kurzschlußreaktionen mehr. Er wußte genau, was er tun würde, und dieses schmutzige Angebot bestärkte ihn nur in seiner Absicht.

Nat überquerte den Zementhof und setzte vorsichtig über die Blumenrabatte, die der Gärtner sorgfältig pflegte, wenn auch nur ein paar verkümmerte Pflanzen dort gediehen.

An der häßlichen nackten Ziegelmauer lehnte ein Mischling und hielt das Gesicht der Sonne entgegen. Eir hieß Cormick, war Halbneger und Nats einziger Freund. Den muskulösen Mann hatte eine dunkle Geschichte hierhergebracht. Es ging die Sage von einem Cop mit einer eingeschlagenen Nase, was den Auftakt zur größten Straßenschlacht in der Geschichte von Baton Rouge gebildet habe.

„Sieh dich vor dem Burschen da vor“, grunzte Cormick, ohne die Augen zu öffnen.

Nat lehnte sich neben ihn an die Wand.

„Schon passiert“, sagte er gleichmütig.

„Was wollte er?“

„In Des Plaines hat man offenbar die Hosen voll.“

„Das kann ich mir vorstellen. Willst du dir’s nicht noch mail überlegen?“

„Habe ich getan. Nicht einmal, hundertmal. Ich bleibe dabei. Ich gehe nach Des Plaines.“

„Da wird einiges los sein, wenn du kommst.“

„Kann ich mir vorstellen.“

„Die Mütter werden die Kinder von den Straßen holen und die braven Spießbürger werden ihre Flinten ölen. Du weißt, was passieren kann.“

„Sicher weiß ich das.“

Cormick griff in die Brusttasche und holte ein Tabakknäuei heraus. Sorgfältig drehte er sich eine Zigarette.

„Verdammt leichtsinnig, hier zu rauchen“, gab Nat zu bedenken.

Cormick hob die Schultern.

„Sergeant MacShane hat Dienst. Der sagt nichts. Außerdem komme ich morgen raus.“

„Was willst du tun?“ fragte Nat.

Cormick wandte ihm den Kopf zu. Sein häßliches Gesicht mit der plattgeschlagenen Boxernase War von der Sonne gerötet.

„Ich bin ein nutzloses altes Möbel, Nat. Und ich habe mir überlegt, daß es schade wäre, wenn du vor die Hunde gehst, nur, weil du dein Recht willst. Mit mir ist das anders. Ich habe ein halbes Dutzend Gefängnisse kennengelernt, bevor ich hierherkam, und wie ich mich kenne, lerne ich noch mindestens ein weiteres Dutzend kennen — vorausgesetzt, ich erleb’s noch;“

„Sicher erlebst du’s noch“, meinte Nat.

„Ich will auch nach Des Plaines gehen.“

„Du bist verrückt“, sagte, Nat überzeugt.“

„Ich will dieses reizende Nest kennenlernen. Und, wer weiß, vielleicht kann ich dir helfen.“

„Mir kann keiner helfen.“

„Wenn es um Prügeleien geht, bin ich der größte Fachmann der westlichen Hemisphäre.“

„Die schlagen dir den Schädel ein. Das ist der Punkt, wo jede Prügelei aufhört, lustig zu sein.“

„Mag sein. Aber so einfach ist das nicht. Mein Schädel ist hart — härter als deiner, Nat. Im übrigen kennt mich keiner in Des Plaines. Folglich wird auch keiner wissen, daß wir beide Freunde sind. Wenn da noch ein Risiko ist, ist es so klein, daß ich es nicht sehe.“

„Du Idiot! Diese Sache in Des Plaines geht mich allein etwas an, sonst keinen. Ich will dich da nicht reinziehen.“

„Jedenfalls kannst du’s nicht verhindern“, kicherte Cormick. „Ich komme morgen raus; bei dir dauert’s noch drei Tage. Ich warte auf dich in Des Plaines.“

Ein Schatten fiel auf Nats Gesicht. Er öffnete die Augen. Vor ihm stand der Autoknacker, der Mulligans Botschaft überbracht hatte. Der Bursche hatte sich lautlos genähert.

„Was, zum Teufel, suchst du hier?“ fuhr Nat ihn an.

„Ich dachte, das hier ist alles öffentlich“, brummte der Mann verlegen.

Mit einem Satz war Cormick bei ihm und hatte ihn an der Brust.

„Du hast zugehört, du Lump . . .“

Unter dem Griff seiner Faust flog der Mann. Gellend schrie er los. „Sergeant, Hilfe!“

MacShane schnaubte heran.

Cormick zog die schlägbereite Rechte zurück. Einen Tag vor der Entlassung waren derartige Geschichten pure Dummheit.

Der Knüppel des Sergeant fuhr zwischen sie.

„Mistkerle, elende“, schimpfte MacShane Ios. „Wollt euch prügeln, ja? Ich, werd euch das austreiben.“

„Der Neue da hat angefangen“, sagte Nat Salinger mit ausdruckslosem Gesicht. „Kam hierher und hat gestänkert.“

„Stimmt“, sagte Cormick und grinste. „Ich stand ganz friedlich in der Sonne!“

„Glauben Sie denen kein Wort“, keuchte der Gangster.

„Halt den Schnabel“, fuhr MacShane ihn an. „Du hast wohl noch nicht kapiert, wo du bist. Bestimmt nicht im Kinderheim, Sonny! Brauchst vielleicht ein paar Tage Dunkelhaft, bis es sitzt!“

„Sergeant, ich werde mich beschweren!“

„Ach nein, beschweren will sich unser junger Freund“, höhnte MacShane. „Los, vorwärts jetzt. Ich werde dir beweisen, daß unser Bunker für Leute wie dich genau die richtige Unterkunft hat. Du wirst staunen,, Sonny.“

Er stieß dem Burschen den Knüppel ins Kreuz und schob ab.

Cormick bückte sich und holte die halbgerauchte Zigarette aus einer Ritze im Beton.

„Ob er was gehört hat?“ fragte Nat. Cormick hob die Schultern.

„Möglich. Wenn er was gehört hat, sagt er’s auch bestimmt deinem Zeitungsfritzen. Dann kriegen’s genau die Leute zu hören, die es interessiert.“

„Mist, elender“, knurrte Nat.

Privatdetektiv Joe Barry - Vierundzwanzig Stunden Angst

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