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1. Kapitel

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Langsam rollte der spinatgrüne SL durch das Häusermeer von Manhattan; Kommissar X hatte ausnahmsweise mal keine Eile.

Das Mädchen mit dem dunklen Haar neben ihm warf ihm einen schrägen Blick zu.

„Plötzlich so schweigsam, Jo?“

„Ich denke nach.“

Jo trat auf die Bremse und brachte den Wagen vor einer Ampel, die Rot zeigte, zum Stehen. „Ich versuche, herauszubekommen, aus welchem Grund Sie meine Bekanntschaft gesucht haben.“

„Ist das so schwer zu erraten, Jo?“ hauchte sie und warf ihm einen feurigen Blick zu. Aber er verfing nicht. Walker war mißtrauisch.

Es war Morgen gewesen. Jo hatte das Appartementhaus in Bronx, in dem er wohnte, verlassen, um für einen Kunden zur Auskunftei Weatherley zu fahren. An der Kreuzung Jerome Avenue—Gun Hill Road war ihm das Girl mit dem wasserstoffblonden Haar vor den Kühler gelaufen.

Er hatte gebremst, aber die Straße lag voller abgefallenem Staub. Die Feuchtigkeit des Nebels hatte es in einen schmierigen Morast verwandelt. Jo hatte nicht verhindern können, daß er das Girl leicht antippte. Seiner Meinung nach war der Stoß nicht der Rede wert gewesen, aber sie war sofort umgekippt.

Er sprang aus dem Wagen und kümmerte sich sofort um sie.

„Sind Sie verletzt?“

Sie warf ihm aus unschuldigen blauen Augen einen Blick zu, daß ihm schwül wurde, und seufzte: „Der Fuß. Ich fürchte, ich habe mir den Fuß verstaucht.“

Jo reagierte so, wie sie es vermutlieh erwartet hatte.

„Hier in der Nähe wohnt ein Arzt“, sagte er. „Ich bringe Sie hin.“

Er hätte sich denken können, daß die Fahrt vergeblich war. Als sie die Praxis erreichten, ging es dem Fuß schon viel besser. Der Arzt war plötzlich überflüssig. Sie wollte nach Hause. Nur konnte sie schlecht laufen. Ein neuer Blick traf Jo, und er biß an.

„Vielleicht kann ich Sie heimfahren, Miß . . .“

„Wayne, Joan Wayne Es ist wirklich reizend von Ihnem, sich so um mich zu kümmern.“

Es stellte sich heraus, daß Joan Wayne in Brooklyn wohnte.

Jo verkniff sich die naheliegende Frage, ob sie die Absicht gehabt habe, den Weg von Bronx nach Brooklyn zu Fuß zurückzulegen. Er kapitulierte und machte sich auf den Weg. Weatherley konnte warten.

Ungefähr vierzig Minuten fuhren sie zusammen durch die Stadt. Als Jo sich auf den Rückweg machte, hatten sie sich für den Abend verabredet. Sie kannte ein kleines Lokal bei Greenwich Village, das sich „Artist’s Plaza“ nannte, und sie wollte es Jo unbedingt zeigen.

Nun — sie hatten den Abend dort verbracht. Jo war weder ein Kostverächter noch hatte er etwas gegen dunkelhaarige Mädchen.

Was ihn im Verlaufe des Abends gestört hatte, war ein gewisser Widerspruch in ihrem Benehmen gewesen. Einmal war sie zielbewußt darauf ausgegangen, ihn für sich zu gewinnen — daran zweifelte Jo nicht mehr. Dann wieder hatte sie sich plötzlich sehr zurückgehalten.

So war es nur natürlich, daß er auf dem Heimweg ins Grübeln kam. Eine Lösung bot sich ihm an — doch sie schien reichlich überspitzt. Das Girl handelte nach einem Plan. Jo ertappte sich dabei, wie er darauf wartete, daß sie einen Revolver hervorholte und auf ihn schoß.

„Nun?“ fragte sie ungeduldig.

„Der Beruf verdirbt den Menschen“, gestand Jo. „Ich bin wahrscheinlich zu mißtrauisch.“

,,Das scheint mir auch so!“ Sie lachte hell auf, und Walker fühlte seinen Argwohn schwinden.

In Brooklyn umarmte sie ihn flüchtig, stieg aus und verschwand in dem Haus, in dem sie wohnte.

„Gute Heimfahrt!“ rief sie ihm noch zu. Achselzuckend schaltete Jo und wendete den SL.

Der Morgen graute bereits. Die Riesenstadt New York verlor den Glanz, den sie in der Nacht gehabt hatte. Das Licht eines nebligen, unfreundlichen Morgens zerstreute alle Illusionen.

Jo wählte den kürzesten Weg, der ihn zurück nach Bronx führte. Er fuhr die langgestreckte Hamilton Avenue hinunter und bog beim Hamilton Square in die Whitehaven Street ein. Bulldozer hatten die altersschwachen Häuser weggeräumt. Neue Wolkenkratzer wuchsen empor.

An einer Baustelle mußte Jo halten. Ein Kran war dabei, einen riesigen Safe in das oberste Stockwerk eines Hochhauses emporzuhieven. Jo stieg aus, um zuzusehen.

Der mächtige Geldschrank schwebte in etwa zehn Meter Höhe und wurde langsam in Richtung auf eine große Öffnung in der Hauswand zu bewegt. Es war ein faszinierendes Bild.

Ein Schuhputzer machte sich an Jo heran.

„Schuhputzen gefällig, Sir?“

Jo sah auf den Jungen herunter und nickte dann.

,,Okay, es ist nötig“, brummte er.

Der Jungen blickte immer noch zu Jo auf, und plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Seine Augen weiteten sich vor Schreck.

Instinktiv erfaßte Jo, was geschehen war. Er packte den Jungen an der Schulter und riß ihn zur Seite. Mit einem gewaltigen Sprung brachte er sich und den Schuhputzer in Deckung.

Gleich darauf bohrte sich wenige Meter neben ihm der schwere Safe mit gewaltigem Krachen in den Asphalt — genau dort, wo sie sich noch vor wenigen Sekunden befunden hatten.

Einen Augenblick war es in der Whitehaven Street totenstill. Dann brach der Tumult los.

„Ich sah, wie sich eines der beiden Seile, an denen der Safe hing, lokkerte“, berichtete der Schuhputzer den Polizisten. „Der Safe kippte um und hing einen Augenblick schräg in der Luft — genau über uns.“ Der Junge schlotterte noch an allen Gliedern. „Dieser Herr riß mich zur Seite. Gleich darauf krachte es.“

Jo Walker nickte.

„Genau so war es.“

Der Sergeant, der nach wenigen Minuten an die Unfallstelle gekommen war, schüttelte den Kopf.

„Mir scheint, daß einige Baubestimmungen nicht beachtet wurden. Wer hat hier die Aufsicht?“

Ein vierschrötiger Bauarbeiter, dem der Schreck noch vom Gesicht abzulesen war, trat aus dem Kreis der Neugierigen hervor.

„Ich bin der Vorarbeiter. Mir ist diese Geschichte völlig unerklärlich.“

„Aber sie ist geschehen“, sagte der Sergeant scharf. „Warum wurde das Gelände, über das der Safe geschwenkt wurde, nicht abgesperrt?“

„Wir haben Absperrungen errichtet.“

„Aber?“

„Nichts aber. Der Kranführer muß verrückt geworden sein. Er schwenkte den Safe plötzlich in eine völlig falsche Richtung. Sehen Sie!“ Er wies mit dem Arm auf die Baustelle. „Dort steht der Kran, dort ist die Öffnung im Bau. Und hier ließ er ihn fallen. Versteh das einer.“

Der Sergeant machte ein ratloses Gesicht.

„Wo steckt der Bursche?“

„Er ist davongelaufen“, sagte einer der Umstehenden lakonisch. „Ich denke, er hat den Kopf verloren.“

„Das kommt vor“, meinte der Sergeant und ließ sich den Namen des Mannes geben. „Ich denke, in ein paar Tagen haben wir ihn. So leicht kommt er nicht davon!“

„Aber warum hat er das gemacht?“ wunderte sich der Vorarbeiter.

„Fragen Sie ihn selbst“, sagte der Cop grob. Er machte sich noch ein paar Notizen und klappte dann sein Buch zu. Vorläufig war der Fall erledigt.

Jo hatte einen Einfall. Er nahm sich den Vorarbeiter zur Seite.

„Seit wann arbeitet der Kranführer bei Ihnen?“ erkundigte er sich.

„Erst seit heute. Unser Kranführer rief heute früh an, er wäre krank. Als Ersatz schickte er uns den Mann. Er hatte einwandfreie Zeugnisse. Es gab keinen Grund, ihn nicht zu nehmen. Über eine Arbeitsvermittlung hätten wir so schnell keinen Ersatz bekommen.“

Jo nickte. So etwas Ähnliches hatte er erwartet. Er ließ sich die Adresse des kranken Kranführers geben und machte sich auf den Weg.

Der Mann wohnte ganz in der Nähe, Jo stieg die ausgetretene Treppe des alten Mietshauses empor und läutete.

Eine ungekämmte Zimmerwirtin öffnete die Tür einen Spalt. Mißtrauische Vogelaugen sahen Jo an.

„Ist Mr. Harris zu sprechen?“ fragte Jo.

„Der schläft und will nicht gestört werden.“

Jo beschloß, diesen Panzer des Mißtrauens mit einem kleinen Bluff zu brechen. Er holte seine Lizenz aus der Tasche.

„Polizei! Lassen Sie mich ein. Ich muß Mr. Harris sofort sprechen!“

Blitzschnell verschwand die Kette von der Tür. Jo wurde eingelassen und durch einen engen, muffigen Flur geführt.

„Wahrscheinlich ist er betrunken“, sagte die Wirtin giftig. „Gestern abend hatte er Besuch von einem ganz üblen Burschen. Die beiden haben die halbe Nacht bei einer Batterie Whiskyflaschen verbracht.“

Jo achtete nicht auf ihr Gerede und öffnete die Tür.

Harris, der Kranführer, lag im Bett. Im ersten Augenblick wunderte sich Jo darüber, daß der Mann im Anzug war. Dann wunderte er sich nicht mehr.

Er hatte das Messer gesehen, dessen Griff aus Harris’ Rücken ragte.

Der Kranführer schlief nicht. Er war tot — ermordet.

Jo wählte die Nummer des Police Center und ließ sich mit der Mordkommission verbinden.

Captain Tom Rowland, sein Freund und Leiter des Dezernats, war nicht anwesend. Leutnant Myers, sein Stellvertreter, versprach jedoch, sich das Zimmer anzusehen.

Merkwürdig, dachte er. Ein Kranführer in dieser schäbigen Umgebung. Schließlich gehörten Kranführer zu den am besten bezahlten Bauarbeitern.

Auf dem wackeligen Tisch neben dem Bett standen eine fast leere Whiskyflasche und zwei Gläser. Jo fiel ein, daß die Wirtin gesagt hatte, Harris hätte Besuch gehabt. Offenbar war der Mörder ein Bekannter gewesen, und die beiden hatten miteinander gezecht Dann war Harris betrunken eingeschlafen, der andere hatte das Messer gezogen und zugestoßen. Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich dies vorzustellen.

Draußen läutete es. Gleich darauf wimmelte es in der Wohnung von den Experten der Mordkommission. Auch ein paar Reporter waren um diese Zeit schon auf den Beinen und drängten sich im Treppenhaus, bis man ihnen erlaubte, Aufnahmen zu machen.

„Nun?“ erkundigte sich Myers. „Was ist geschehen?“

Jo gab eine kurze Schilderung der Ereignisse. Die Schlüsse, die er privat für sich gezogen hatte, behielt er vorläufig für sich.

Myers kratzte sich am Kopf.

„Wenn Sie nicht da wären, Walker — ich würde annehmen, ein ganz klarer Fall. Diese schäbige Umgebung — ich würde annehmen, Harris wäre ein Geizkragen; einer von denen, die sich das Kopfkissen voll Dollarnoten stekken. Irgendeiner seiner Kumpane wußte das und hat Harris umgebracht Aber so . . .“ Erversank ins Nach brüten.

Der Arzt kam, stellte den Tod des Mannes fest und sagte, seiner Schätzung nach wäre Harris schon mehr als fünf Stunden tot.

Dann hatten die Experten ihre Arbeit beendet. Fingerabdrücke fanden sich keine. Sie packten ihre Instrumente weg. Myers ging hinaus und rief die Reporter.

Als die Verschlüsse der Kameras geklickt hatten, gab der Leutnant Auftrag, die Leiche fortzuschaffen. Er nahm sich die Wirtin vor, um von ihr Aufschluß über die Person des Besuchers zu erlangen.

Die Frau konnte keine brauchbare Aussage machen. Der Besucher war sehr spät gekommen; sie hatte schon im Bett gelegen. Harris hatte geöffnet, und sie hatte nur an dem undeutlichen Stimmengemurmel erkannt, daß es sich um einen Mann handelte. Die beiden waren in Harris’ Zimmer gegangen und hatten sich dort längere Zeit unterhalten.

Myers fixierte die Frau.

„Worüber sprachen die beiden?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe geschlafen.“

„Hm, so, so“, brummte Myers und machte seine Zweifel an dieser Aussage sehr deutlich. Eindringlich fuhr er fort: „Bitte, bedenken Sie, daß Sie uns bei der Suche nach dem Mörder einen großen Dienst leisten. Es kann für Sie doch kein angenehmer Gedanke sein, zu wissen, daß der Mörder frei herumläuft. Vielleicht kommt er sogar heute nacht wieder, um Sie zu ermorden, um eine mögliche Mitwisserin auszuschalten.“

Sie starrte ihn erschrocken an.

„Also, worüber unterhielten sich die beiden?“ fragte Myers.

„Ich habe ganz kurz an, der Tür gehorcht“, gestand sie nun zögernd. „Ich bekam mit, daß sie von einem Mädchen sprachen, das sie beide gut kannten. Mehr hörte ich nicht, denn Mr. Harris erschien plötzlich an der Tür und scheuchte mich fort.“

Myers machte sich ein paar Notizen. „Danke“, sagte er mit grimmiger Ironie. „Daß sich zwei Männer über ein Mädchen unterhalten, ist wirklich etwas Einmaliges,“

Dann ging der Leutnant daran, sich die übrigen Hausbewohner vorzunehmen,..In diesen alten Mietshäusern kümmerten sich die Leute meist darum, was ihre Nachbarn trieben. Vielleicht war hier ein brauchbarer Hinweis zu bekommen.

Die Reporter hatten sich schon verzogen. Sie erwarteten nichts Sensationelles mehr von dem Fall.

Jo gähnte und stahl sich davon. Er hatte sich die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, nicht auf unangenehme Weise zwar, aber die Ereignisse des Morgens trübten doch das schöne Bild in der Erinnerung.

In. der Tür stieß er mit einem eiligen Besucher zusammen. Captain Tom Rowland, der Chef der Mordkommission, tauchte auf dem. Schauplatz auf,

„Hallo, du Polizeiwanze“, sagte Jo mit einer Stimme, die seine Müdigkeit deutlich verriet.

Hallo!“ erwiderte Tom grinsend. „Ich komme gerade vom Stadtrat. Die Herren wollen dem unverschämtesten Burschen dieser Stadt . eine Goldmedaille verleihen. Ich habe dich vorgeschlagen.“

Leutnant Myers kam und erstattete Bericht. Tom hörte ungeduldig zu und gab. dann dem Leutnant Auftrag, weiterzumachen.

Er nahm Jo am Arm-

„Komm!“ sagte er. „Ich kenne hier in der Nähe eine Snack Bar, in der sie einen türkischen Mokka brauen, der dich vielleicht wieder auf die Beine stellt. Du hast es nötig, scheint mir.“

Fünf Minuten später waren sie die einzigen Gäste in dem kleinen Lokal in der Whitehaven Street und rührten in ihren Tassen.

Der Captain sah abgespannt aus. Jo beobachtete ihn aufmerksam.

,,Nun?“ fragte er schließlich. „Was ist geschehen?“

„Langsam“, sagte der Captain. „Erst mal interessiert mich dein Fall.“

Er ließ sieh von Jo alles erzählen.

Dann holte er einen Stadtplan aus der Tasche.

„Hier sind wir.“ Sein Finger wanderte weiter. „Und dort hast du das Mädchen abgesetzt, ja?“

„Stimmt genau.“

„Wenn du von dieser Adresse nach Bronx zurückfahren willst, mußt du durch die Whitehaven Street. Du kannst natürlich auch einen anderen Weg nehmen, aber die Whitehaven Street ist das Günstigste.“

„Das habe ich mir auch gedacht“, knurrte Jo. „Nur will mir nicht in den Kopf, daß mich dieses Mädchen in die Whitehaven Street dirigiert, damit mir dort zu genau festgelegter Minute ein Geldschrank auf den Kopf fällt. Das ist keine sehr hübsche Methode, einen netten Abend zu beschließen.“

„Die alte Geschichte“, meinte Tom. „Wenn dir ein Mädchen schöne Augen macht, vergißt du, daß es auch Gauner auf dieser Erde gibt. Ich sage dir, das Ganze war ein abgekartetes Spiel.“

„Habe ich mir auch schon gesagt. Weiter.“

„Das Mädchen steckt mit dem Mann, der Harris umgebracht hat, unter einer Decke. Dieser Mann tauchte vermutlich an der Baustelle auf, nachdem er vorher dort angerufen hatte, und gab sich als Harris’ Ersatzmann aus. Wie gefällt dir der Gedanke?“

„Habe ich mir alles schon gesagt. Aber dazu kämen noch einige andere Punkte. Woher kannte dieser Mann Harris und woher wußte er, wo Harris arbeitete? Und wieso wohnte das Mädchen an einem Ort, von dem aus ich durch die Whitehaven Street fahren mußte, um nach Hause zu kommen? Wie kam es dazu, daß der Mörder mit Harris erst eine Whiskyflasche leerte, bevor er ihn in aller Ruhe umbrachte?“

„Nicht so hastig“, bremste Tom. „Das kriegen wir schon noch heraus,“ Er warf ein Geldstück auf den Tisch. „Wir besuchen jetzt erst einmal diese Joan Wayne. Mal sehen, was sie zu dieser Geschichte zu sagen hat.“

Das Haus, vor dem Jo das Mädchen abgesetzt hatte, lag gleich um die Ecke. Sie gingen hinein und erkundigten sich beim Hausmeister.

„No, Gentlemen.“ Der Mann schüttelte entschieden den Kopf. „Eine Joan Wayne wohnt hier nicht und hat hier auch nie gewohnt. Es gibt hier auch niemanden, den ein Mädchen, das Ihrer Beschreibung entspricht, gelegentlich besucht.“

„Sie ist aber im Haus verschwunden“, sagte Jo später zu Tom. „Schließlich kann ich mich auf das verlassen, was ich gesehen habe.“

Der Captain wies auf die Tür und betätigte die Klinke.

„Schon klar, du Wunderknabe. Das Schloß ist kaputt. Die Tür läßt sich überhaupt nicht absehließen. Sie ging. ins Haus, wartete dort, bis du abgedampft warst, und verschwand dann wieder. Gefällt dir diese Erklärung?“

Jo pfiff durch die Zähne.

„Sie klingt auf jeden Fall einleuchtend. So ein kleines Biest! Ich hätte sie gleich bei euch im Center abliefern sollen.“

„Das wäre nicht sehr chevaleresk gewesen“, sagte Tom grinsend. „Punkt eins wäre geklärt: Dieses Haus hier wurde aus strategischen Gründen ausgesucht, um dich zu veranlassen, anschließend durch die Whitehaven Street zu fahren. Gehen wir über zu Punkt zwei.“

„Harris?“

„Ja. Wieso kamen die Gangster ausgerechnet auf ihn? Sollte mich nicht wundern, wenn es nicht auch dafür eine einleuchtende Erklärung gäbe.“

Es stellte sich heraus, daß Harris vor zehn Jahren aus Irland eingewandert war. Seine Papiere lagen noch im Immigration Office.

Unzufrieden blätterte Tom den schmalen Aktenordner durch.

„Sagt absolut nicht viel aus. Vor fünf Jahren wurde er US-Staatsbürger, und von da an wurde über ihn nichts mehr registriert.“

Jo sah dem Captain über die Schulter.

„Als letzte Adresse zur Zeit seiner Einbürgerung ist hier angegeben 24. Street 1189. Vielleicht erinnert man sich dort noch an ihn.“

„Hast recht“, sagte Tom. „Wurstgeruch ist besser als gar keine Wurst.“

Sie fuhren in die Stadt. Es war inzwischen neun Uhr geworden, und der Verkehr war dicht. Die Sirene auf Toms Dienstwagen verschaffte ihnen freie Bahn.

In der 24. Street stiegen sie aus und sahen sich enttäuscht an.

Eine nagelneue Wohnmaschine mit der Nummer 1189 türmte sich vor ihnen auf. Ganz klar, daß dieses Haus höchstens zwei Jahre alt war. Hier hatte Harris nie gewohnt.

„In unserem Land geht alles zu schnell“, knurrte der Captain. „Ehe du dich’s versiehst, reißen sie dir die Häuser vor der Nase weg. Wie soll ein Kriminalist da arbeiten?“

„Fragen wir doch mal auf dem zuständigen Polizeirevier nach“, schlug Jo vor. „Es kostet höchstens den Sprit.“

„Und den zahlt die Stadt New York. Okay, versuchen wir es!“

Mit heulender Sirene fuhren sie zum Revier. Das 119. Revier war eines der größten und wichtigsten von Manhattan. Trotz der frühen Stunde herrschte hier schon ein Betrieb wie in einem Warenhaus.

Schließlich trieben sie einen Cop auf, der schon länger als fünf Jahre hier Dienst tat. Der Mann beendete eine Vernehmung, die er gerade vorhatte, und widmete ihnen dann fünf Minuten.

„Ich kann mich nicht an den Mann erinnern“, sagte er, als Tom seine Frage vorgebracht hatte. „Aber das ist kein Wunder. Man sagt, daß dies hier eine der dichtbesiedelsten Gegenden der Erde ist. Ich werde in der Kartei nachsehen.“

Im Archiv fand er schließlich, was er suchte.

„John Harris“, las er vor. „Bauarbeiter, geboren am 2. Februar 1910 in Dublin, Irland. Eingewandert im April 1951. Adresse: 24th Street, 1189, dort ausgezogen am 15. November 1959 wegen Abbruch des Hauses Neue Adresse usw.“

„Schon gut“, unterbrach ihn Tom. „Das interessiert midi nicht. Haben Sie sonst noch Angaben über den Mann?“

„Nein, er hatte nie mit uns zu tun. Das spricht für ihn“, erwiderte der Cop grinsend.

Tom stand auf und wandte sich zum Gehen.

„Augenblick“, sagte der Cop. „Vielleicht interessiert Sie noch, daß Harris verheiratet war.“

„Nein— das heißt, ja“, sagte Tom.

„Was heißt, war?“ erkundigte sich JO. „Ist er geschieden?“

Der Cop nickte und sah auf die grüne Karte.

„Er heiratete kurz nach, seiner Einbürgerung und wurde 1957 schuldig geschieden. Da er zu der Zeit schon ziemlich gut verdiente, wurde er dazu verurteilt, seiner Frau monatlich zweihundert Dollar zu zahlen.“

Jo kam ein Gedanke.

„Wie hieß seine Frau mit, .Mädehennamen?“ erkundigte er sich.

„Wayne — Joan Wayne,“

„Damit wäre auch Punkt zwei geklärt“, sagte Tom zufrieden, als sie zu der Stelle zurückfuhren, wo Jo seinen Wagen stehenlassen hatte. „Dein kleiner Engel von gestern abend ist die geschiedene Frau eines Kranführers, den sie ermorden ließ, während sie mit dir Champagner trank. Wie gefällt dir das?“

„Die Welt ist schlecht!“ Jo fingerte in der Tasche herum, fand kein Zigarette mehr und verzichtete aufs Rauchen. „Jetzt verstehe ich auch, warum Harris so schäbig wohnte. Zweihundert Dollar jeden Monat sind kein Pappenstiel. Gerade deshalb scheint es mir auch verwunderlich, daß sie ihn ermorden ließ. Schließlich zahlte er ihr das Geld. In Zukunft wird sie nichts mehr bekommen. Auf zehn Jahre umgerechnet, sind das vierundzwanzigtausend Dollar. Rockefeller hat mit weniger angefangen.“

Tom zuckte die Achseln.

„Ich vermute, sie steckt in einem anderen Geschäft, das ihr wesentlich mehr einbringt Ihr Geschäftspartner ist der Mann, der Harris ermordete und den Kran bediente. VieIleicht ist er auch in anderer Hinsicht ihr Partner.“

„Ich verstehe“, sagte Jo. „Damit kommen wir zum Hauptproblem, das hoch nicht gelöst ist: Warum luden die beiden einen Mord auf ihr Gewissen, um mich umzubringen?“

Tom sah ihn von der Seite an.

„Well, der Mord sollte ihnen die Möglichkeit liefern, dich umzubringen. Aber das Motiv ist mir nicht klar.“

„Es gibt zwar einige Leute, die mit Freuden jede Chance dazu wahrnehmen würden“, fuhr Jo fort. „Aber ich habe noch nie erlebt, daß jemand versuchte, mich aus dem Weg zu räumen, ohne daß ein Anlaß dafür bestand. Im Augenblick verfolge ich keinen wichtigen Fall. Ich bin im Auftrag des Lafayette-Warenhauses hinter einem Geschäftsführer her, der mit der Kasse durchgebrannt ist. Das kann damit nichts zu tun haben.“

Eine Weile fuhren sie schweigend. Tom nahm das Gespräch wieder auf.

„Hast du jemals Ärger in Chikago gehabt?“ fragte er unvermittelt.

„Mehr als einmal.“ Jo sah den Captain an. „Was ist los, Tom? Ich hatte schon vorhin das Gefühl, daß etwas nicht stimmt.“

„Ist dir Attorney Mallory von der Chikagoer Staatsanwaltschaft ein Begriff?“

„Ich bin ein paarmal zusammen mit ihm in den Ring gestiegen, und er war immer zweiter Sieger. Er ist ein guter Beamter, der in dreißig Jahren Dienst nichts vergessen und nichts dazugelernt hat. Das ist meine Meinung. Aber wieso kommst du auf ihn?“

Tom seufzte. „Es hat ja doch keinen Zweck, es vor dir geheimzuhalten. Wir erhielten aus Chikago eine Anfrage. Man erkundigte sich sehr eingehend nach dir. Auf meine telefonische Rückfrage, was eigentlich lös wäre, erhielt ich von Mallory eine ausweichende Antwort. Die Sache ging auf dem Dienstweg ah Attorney Brown, und er hat Mallory bereits die gewünschte Auskunft gegeben.“

Jo dachte einen Augenblick nach.

,,Nun ja — wenn Attorney Mallory sich für mich interessiert, kann ich es ihm nicht verbieten.“

„Die Sache gefällt mir aber nicht“, erklärte Tom. „Um es rundheraus zu sagen: Ich habe das Gefühl, daß sich in Chikago etwas gegen dich zusammenbraut.“

„Was sollte das sein?“

„Wenn ich es wüßte, würde ich es dir sagen. Daß ich es nicht weiß, beunruhigt mich ja gerade. Man hütet sich ängstlich davor, uns irgend etwas mitzuteilen. Anscheinend ist man in Chikago der Ansicht, deine Beziehungen zu uns wären zu gut, als daß es dir lange verborgen bleiben könnte.“

Jo schüttelte den Kopf.

„Ich kann mir nicht vorstellen, was Mallory gegen dich unternehmen will. Vermutlich siehst du zu schwärz, Tom.“

„Ich will es hoffen!“

„Wieso kommst du eigentlich darauf, daß ein Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf mich und Mallorys Anfrage besteht?“

„Es ist nur eine vage Vermutung Beweise dafür habe ich nicht. Aber ich habe schon so viel erlebt, daß ich es mir leisten kann, auch einmal Gespenster zu sehen.“

Sie erreichten .die Stelle, an der der SL parkte. Jo öffnete die Tür.

„Ich fahre jetzt erst einmal nach Hause und hau mich hin. Solltest du etwas Neues erfahren, dann verständige mich, bitte!“

„Wird gemacht“, erwiderte Tom und brauste ab.

Privatdetektiv Joe Barry - Um Kopf und Kragen

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